Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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29. Albrecht als Erzieher

»Rasch, Mutter – Barett und Mantel! Ich muß in den Rat, wo Beschlußfassung stattfindet, ob unsere Stadt auch ein Fähnlein stellen soll zum Kreuzzug des Kaisers . . .«

Er kommt aus der Werkstatt und trocknet sich noch die Hände 396 ab; und während er auf seine Ehefrau wartet, redet er im Selbstgespräch vor sich hin:

»Meinetwegen! Aber der Bub bleibt mir zu Hause. Dafür hab' ich ihn nicht mit Müh und Not großgezogen und einen ordentlichen Waffenschmied aus ihm gemacht, wie Vater einer war und ich einer bin, damit er mir zum guten Schluß vor die Hunde geht . . .«

»Nun, nun!« beschwichtigt Gertrud ihren gestrengen Eheherrn, indem sie ihm den Mantel umhängt und das Barett aufsetzt. »Hast du wirklich ganz vergessen, wohin deine Sehnsucht stand, als du sechzehn Jahre alt warst, wie der Bub jetzt? Und was haben denn wir beide damals getan, als was er jetzt tun will?«

»Papperlapapp, das war ganz etwas anderes!« fällt ihr Meister Albrecht unwirsch ins Wort und greift nach dem Stock, den sie ihm hinhält. »Wir wollten nur etwas die Welt ansehen. Wir zogen nicht ins heilige Land. Wir kamen nicht bis zu den Heiden –«

»Aber, mein' ich, gerade weit genug, um vor die Hunde zu gehen, wie du sagst!« versetzt Gertrud voll Eifer und stellt sich entschlossen vor ihn hin. »Und ein Zug unter Kaiser Friedrich, das hört sich doch ganz anders an, als was wir in unserer Dummheit unternahmen und was uns beiden doch so übel nicht ausschlug. Oder kommt dir's etwa heute so vor, als hättest du damals besser getan, hinter dem Ofen zu hocken?«

»Daß wir nur mit knapper Not uns wieder heimfanden, wirst du wohl auch noch wissen! Und sind wir deshalb zu gesetzten Jahren gekommen, nur um unsere Kinder dieselben unnützen und gefährlichen Sprünge machen zu lassen, die wir selber einst machten? Also der Bub soll Waffen schmieden, sag' 397 ich; sie zu führen mag er andern überlassen! Alles schickt sich nicht für jeden. Schuster bleib bei deinem Leisten . . .« Und da er in seiner Aufregung kein weiteres Sprichwort mehr findet, das seinen Standpunkt allgemein bekräftigen könnte, so entfährt ihm plötzlich gegen seinen Willen der wahre Grund: »Du hast noch vier Kinder in der Stube; du kannst ihn vielleicht eher missen, als ich in der Werkstatt. Und überdies: mir – mir sind alle gleich lieb –«

»Albrecht«, schreit Gertrud auf, »so habe ich dich ja noch nie gesehen! Glaubst du etwa, es seien mir nicht alle fünfe gleich ans Herz gewachsen? Aber ist diese Liebe auch die richtige Liebe? Hast du vergessen, wie du einst hier in diese Stube tratst, mit dem Schwert deines Vaters in der Hand, und was du sagtest? Ja, dort aus der Werkstatt kamst du her, wo jetzt unser Bub steht und nach den Wolken schaut! Und ich saß mit der Mutter dort vorn im Erker und weiß noch jedes deiner Worte auswendig –«

»Schluß! Schluß! Ich will nichts mehr davon hören! Sorg du für die Kleinen und trau mir's zu, daß ich den Buben in die richtige Kur nehmen werde . . . Leb wohl, ich möchte keiner von den letzten sein im Rat –«Und er schiebt sie unsanft beiseite und geht eilends die Stiege hinunter . . . »Übrigens: Wenn du ihm Vernunft beibringen willst, ich habe nichts dagegen!«

Gertrud erreicht den Davonpolternden noch bei der Haustüre. Aber sie spürt, daß sie mit einem heftigen Wort nichts erreichen, nur alles verderben könnte. Und sie begnügt sich damit, einen kurzen Augenblick ihren Arm um seine Schulter zu legen –

»So tu mir wenigstens eines zuliebe! Wenn du vom Rathaus kommst, laß dich den kleinen Umweg über den Friedhof 398 nicht gereuen! Sieh wieder einmal nach, wo deine . . . wo unsere Mutter schläft – und ruf dir ins Gedächtnis, wie sie einst an dir und mir handelte . . .«

Aber schon schreitet Albrecht in seiner Ratsherrentracht, voller Eile und doch durchaus auf seine Würde bedacht, die Gasse hinauf, ganz erfüllt von der Wichtigkeit des zu fassenden Beschlusses. Die Worte seiner Ehefrau liegen ihm noch in den Ohren; aber er gestattet ihnen vorderhand keinen Zutritt in seine Seele, sondern widmet seine Überlegungen ganz den Staatsgeschäften. Dennoch fängt er, je mehr er seine strengste Amtsmiene aufsetzt, sich bereits in einem entlegenen Winkel seines Wesens an zu schämen und steht im Geiste schon jetzt am Grabe der Mutter, die ihm einst ein soviel größeres Verständnis entgegenbrachte, als er für seinen Ältesten hat . . .

Gertrud freilich hofft bei ihrem Gatten auf keine Sinnesänderung mehr. Während sie dem Entschwindenden von der Haustüre aus nachschaut, bis er droben um die Ecke herumschwenkt, vergleicht sie in ihren Gedanken, die ganz der Vergangenheit zugewandt und darum treue Hüter des früher Erlebten sind, den Jüngling, der sie einst durch den Flußarm auf die Insel trug, mit dem Manne, der ganz im Gemeinwesen aufgegangen ist; und dann wieder den Sohn, der jetzt um sein Recht auf Leben und Erleben kämpft, mit dem zarten Knäblein, das sie zusammen von ihrem »Kreuzzug« heimbrachten und von dem sie damals nie gedacht hätte, daß aus ihm eines Tages ebenfalls ein Mann werden wolle. Und sie fragt sich zuletzt nicht ohne Bangen: Ist sie am Ende in der täglichen Sorge um ihre Buben und Mädchen auch so langweilig und unlustig geworden, daß jemand, der damals die neue Eva im Paradies sah, sie heute nicht wieder erkännte? 399

 


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