Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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50. Letzte Worte

In langsamen Atemstößen haucht glühend die sommerliche Luft über das Land! Wer wandern will, muß es am frühen Morgen oder am Abend tun; und dazwischenhinein im Schatten einer Hütte oder in einem der spärlichen Wäldchen sich verstecken. Den bessern Teil erwählten jene, welche sich, soweit es ging, auf dem großen Strome dahintragen ließen . . .

Gerold ist seinem Pferd und das Pferd ist ihm treu geblieben. Seit dem Abenteuer in der Kapelle, das ihn so unverhofft mit Isa zusammenführte und sie ihm eben so schnell wieder entriß, hat er die Fühlung mit dem Gewalthaufen des jugendlichen Kreuzfahrerheeres nicht mehr gefunden. Nachdem er noch 234 einmal zur Kapelle zurückgeritten war, ohne auch nur eine Rockfahne des so leidenschaftlich umworbenen Mädchens zu entdecken, sah er sich demselben unbegreiflichen Zauber gegenüber wie früher und folgte er zuletzt abermals der Straße nach Süden, auf welcher die rote Schöne gewiß auch jetzt noch unterwegs war und ihm schon noch einmal in die Hände lief.

Der lähmenden Gluthitze, die Tag für Tag ununterbrochen vom stahlblauen Himmel auf die sandgelbe Heide herniedersinkt, kann sich auch Gerold nicht entziehen. Er verzichtet allmählich gerne auf jedes unnütze Hin- und Herreiten: er begnügt sich damit, die Scharen der Knaben und Mädchen, die er überholt, zu durchmustern; und immer mehr tröstet er sich mit der Überlegung, daß schließlich das ganze Kreuzheer in der großen Hafenstadt am Meer zusammenströmen müsse und daß es ihm dort wohl am ehesten möglich sein werde, der Verlorenen wieder habhaft zu werden. Auch seine Seele erlechzt in dieser Wüste, in welcher jedes Rinnsal schon nach kurzem Laufe versandet und verdunstet, die Fülle der ungeheuer sich breitenden Meeresflut; und immer wieder badet er wenigstens seine vorauseilenden Gedanken in ihr, wo der erhitzte Leib es nicht tun kann.

Wie wird das alles noch werden? Was wird es für ein Ende nehmen? Aber eine Ergebenheit erfüllt ihn nachgerade, die ihn täglich schweigsam seinen Ritt um ein Stück fortsetzen und im übrigen alles dem Willen Gottes anheimstellen läßt. Von den Geißelbrüdern und -schwestern hat er einmal von ferne eine kleine Schar zu Gesicht bekommen, aber immerhin dadurch das umlaufende Gerücht bestätigt gefunden; und so ist er mit jedem Tage begieriger darauf, ob auch das Gerede von einem Kriege gegen die Ketzer mehr als bloßes Gerede sei . . .

Eines Morgens reitet Gerold, in der feuchten, duftenden 235 Kühle vor Sonnenaufgang, unter dem ewig klaren Himmel in die Landschaft hinein. Zu seiner Linken verläuft das Blau sanfter Bergzüge, über denen kleine, goldig verklärte Schaumwölkchen das Aufgehen der Sonne verkünden; und da und dort dunkeln Zypressenwäldchen feierlich in ihrem Schwarzgrün zwischen den offenen Feldern und Fluren, wie eine Erinnerung an den Tod. Während er sich einem dieser Wäldchen nähert und gleichzeitig eine dünne Rauchsäule bemerkt, welche in derselben Richtung, aber weiter weg, senkrecht das rosige Geflamme des östlichen Himmels durchschneidet, hört er plötzlich hinter den Bäumen wilde, kreischende Stimmen hervortönen, untermischt mit ein paar jammernden Klagelauten, und dann sich in der Ferne verlieren.

Er sprengt vollends dem Wäldchen entlang, scharf um seine Ecke herum – und überschaut mit einem einzigen Blick an einem Kreuzweg die Überreste eines kriegerischen Gelages; auf dem Weg selber aber liegen, nahe beieinander, zwei Hirtenknaben auf den Rücken hingestreckt, die weißen Kreuze, die sie auf der Brust tragen, von ihrem Blute gerötet. Haben sie zwischen den Mordknechten, welche auf dem Rückweg von irgendeiner nächtlichen Plünderung sich beim Frühstück um die Beute stritten, mit dem Worte Christi Frieden stiften wollen? Und haben die rasch Ergrimmten, aus Scheu vor ihrer schlimmen Tat, die Hand Gottes fürchtend sich davongemacht, obschon sie keinen Rächer in der Nähe sahen? Gerold springt aus dem Sattel und tritt zu den beiden Erschlagenen: der eine – der ältere – ist eben verschieden; der andere, wie er ihm das Haupt in die Arme nimmt, schlägt noch einmal zu einem Blick und irrseligen Lächeln die Lider auf.

»Wir haben . . . den Menschen helfen wollen . . .«

236 Mehr, als daß er sie hört, sieht Gerold den Sterbenden die kaum verständlichen Worte flüstern. Dann lischt auf einmal der Glanz in den Augen aus, wie wenn eine Fensterscheibe blindgehaucht wird, und fällt ihm fast gleichzeitig, mit einer seitlichen Drehung, der Schädel schwer an die Brust. Als spräche er lautlos: Nimm du, Bruder, was von mir sterblich ist!

Da dringt Gröhlen und Jauchzen von den Bergen her, über denen eben die Sonne hochsteigt. Mit den gleichen goldroten Strahlen umglüht sie die beiden Toten wie einst an jenem Frühlingsmorgen, als sie mit Stephan zusammen auf dem Leiterwagen schlummerten und mit ihm in die weite Welt hinein und diesem ihrem Schicksal entgegengetragen wurden. Auf ihren Gesichtern liegt der Friede des Vollbrachten.

Was weiß Gerold davon? Er drückt ihnen die Augen zu und spricht ein kurzes Gebet für sie, während sein Roß mit gesenktem Haupte neben ihm steht; dann darf er nicht mehr länger zaudern, wenn er auf seine Sicherheit bedacht sein will. Er schwingt sich wieder in den Sattel und reitet in einem scharfen Trabe der Ferne entgegen, bevor die des Weges kommende neue Horde seiner ansichtig wird.

Er braucht sich nicht mehr lange zu fragen, wo er ist . . .

Im Lande des Ketzerkrieges!

 


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