Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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18. Evchens Verlobung

»Und nun dein Geburtstagsgeschenk, liebes Evchen!« schmunzelt der alte Goldschmied, indem er, mit Frau und Tochter vom sonntäglichen Kirchgang zurückgekehrt, zu Hause in die gute Stube eintritt. Und er führt an seiner Vaterhand die sechzehnjährige 301 Neugier in den Erker, durch dessen kleine Fenster man auf die Hauptgasse hinuntersieht, welche von Tor zu Tor das Städtchen durchschneidet.

Wohl bemerkt Evchen das braune Kästchen auf dem Arbeitstischchen der Mutter; aber gleichzeitig auch, daß unten wieder ein Trupp Kinder vorbeiwandert, von denen es heißt, sie zögen nach dem heiligen Lande. Und während ihre feuchtroten Lippen gnädig dem unbekannten Geschenk entgegenlächeln, fällt ihr Blick den barhaupt in der Vormittagssonne dahinstapfenden Jünglingen und Mädchen auf die Köpfe, die sie oft mit fragenden Gesichtern nach den blinkenden Fenstern und den hohen, übergreifenden Giebeln emporheben. Schon auf dem Heimweg aus der Kirche begegneten ihnen einige Gruppen; nun aber kommen ihrer immer mehr, mit Kreuzen und Fahnen –

»So schau doch nicht immer nach diesen Landstreichern aus, die ja nur deshalb vorgeben, unserm lieben Herrgott zu dienen, um ihm besser den Tag abstehlen zu können!« eifert Meister Adalbert, als säße er in der Werkstatt unter den Gesellen. Und indem er dem Kästlein bedächtig das in langen Wochen entstandene Werk seiner hohen Kunst entnimmt, fährt er fort: »Von all diesen grünen Kreuzrittern wird kein einziger jemals etwas zustande bringen, an dem er und andere Menschen Freude haben!«

Evchen sieht vor sich, von den feinen und doch so harten, bewußten Händen des Vaters gehalten, eine lange goldene Halskette leuchten. Sie ist aus unzähligen zarten Goldfäden geflochten, die immer aufs neue schmiegsam durcheinander greifen und in denen sich weder Anfang noch Ende entdecken läßt. »Eine Florentinerkette?« lispelt sie dankbar und doch nicht so restlos glücklich, wie sie noch vor kurzem gedacht hätte, daß diese Erfüllung eines längstgehegten Herzenswunsches sie machen werde.

302 Während der Vater ihr, selber wohlgefällig sein Werk betrachtend, die Kette um den jungen Nacken legt, wo braune Löckchen sich kräuseln, gleitet ihr Blick schon wieder schief an ihm vorbei, zu der wandernden Jugend hinunter. Immer mehr Jünglinge und Mädchen! Wie ein Strom ziehen sie durch die enge Gasse; wie übermütige, zielfrohe Wellen schieben sie sich durcheinander: eine Kette des Lebens ohne Anfang und Ende – Und während ihre rehbraunen Augen sich noch an dieses Bild verlieren, fallen in ihre kleinen, wohlgeformten Ohrmuscheln die tiefen Männerworte des Vaters –

»Ja, eine Florentinerkette! . . . Ich war auch einmal über den Bergen; aber nicht nur so zum Spaß oder aus Mutwillen, wie diese Vagabunden da unten: sondern zum Lernen. Eine solche Kette war damals mein Meisterstück; und keine zweite habe ich seither verfertigt als nur diese für dich . . . Nun denn, bekommt dein alter Vater nicht einen Kuß?«

Und er zieht sie – in die er im Herzen als in sein allergrößtes Meisterstück verliebt ist – mit beiden Händen an der unzerreißbar fest geflochtenen Kette gegen seinen schwarzen Bart, in welchen das nahende Alter erste Silberfäden eingeschmuggelt hat: und er denkt, während er den weichen Druck ihrer kühlen Mädchenlippen empfängt, an die Zeit zurück, wo ihre Mutter nicht viel älter und noch nicht sein Eheweib war.

»Ich danke dir, liebstes, bestes Väterchen! – Aber so laß mich doch dein großes, schönes Kunstwerk nur einmal recht betrachten –« Und sie nimmt die beiden gleißenden goldenen Schlangen, welche ihr, von einer kleinen Gleitspange mit grünem Stein zusammengehalten, zwischen den zarten Busenhügeln nach dem jungen Schoß fallen, in ihre schlanken, pflanzenhaft feuchten Finger, die noch eben die alten, trockenen des guten 303 Meisters gedrückt haben. Dann wendet sie sich, wie um des bessern Lichtes willen, das ihr alle Feinheiten enthüllen soll, nach dem Fenster – und schaut drunten auf der Gasse einem vorbeiziehenden fahrenden Schüler in die dunkel aufblickenden heißen Augen hinein . . .

Aber schon hat der Vater, um ihre schlanke Gestalt herumgreifend, sein Werk wieder angefaßt. »Und siehst du«, tönt seine etwas gedämpfte, geheimnisvolle Stimme, »hier hängt eine goldene Kapsel! In ihr magst du das Bild desjenigen bergen, den du mit einer noch festeren Kette eingefangen hast, als diese es ist, an der ich dich so lange halte, bis er dich für dein weiteres Leben zu schützen und zu führen gelobt hat . . . Solltest du wirklich nicht wissen, was für ein Bild zwischen diese beiden goldenen Schalen hineingehört?«

Evchen fährt erschrocken herum: drunten ist der fahrende Schüler verschwunden . . . Wie lieblich sie errötet! denkt gerührt der Vater. Der kann sich preisen, der sie heimführt! Wenn sie wüßte! Wenn sie wüßte! . . . Da klopft es an der Türe. Und er fährt fort: »Sollte ich es am Ende besser wissen als du – und auch diesen deinen Wunsch erraten . . . und erfüllt haben?«

Herein treten, begleitet von der Meisterin in der großen, weißen Haube, der Pelzhändler Martin und sein Sohn. Evchen blickt hin, staunt und begreift. »Bringst du mir das Bild, das . . . hier in die Kapsel hineingehört?« ruft sie, mit etwas schrillem Entzücken, dem Nachbarssohn entgegen. Der junge Mann steht hilflos vor dem Erker und schaut sie an wie einer, der nicht recht verstanden hat.

»Nun, so gebt euch doch einen Kuß, wie's einem glücklichen Paar geziemt und erlaubt ist!« lacht Meister Adalbert breitspurig und sieht ihnen gutgelaunt zu, wie sie das Kunststück 304 fertigbringen. »Gelt, Evchen, das schmeckt besser!« Und im Stillen denkt er: Gott sei Dank, der Edelstein ist gefaßt! Dann aber wendet er sich leutselig an seinen Gast: »Willkommen, Meister Martin; mehr denn je in meinem Hause willkommen!« Und sie schütteln sich bieder die Hände und lächeln behaglich über das Glück der beiden jungen Leute, das sie zwar erst heute stiften, seit Jahren aber verabredet hatten.

»Das Essen steht auf dem Tisch!« bemerkt die Mutter mit bewegter Stimme, indem sie einen scheuen Blick nach dem Erker wirft, wo ihr liebes, einziges Töchterchen gar seltsam ergeben dem hoffnungsreichen jungen Kürschner an der Brust liegt. Sie hat wahrlich nie das Gefühl gehabt, daß Evchen eine besondere Freude bekundete an dem Nachbarssohn. Aber es wird sich schon geben! Hat sie sich nicht auch gefügt? Sich fügen ist Frauenlos.

»So laßt uns denn zusitzen!« ruft Meister Adalbert mit überzeugter Aufgeräumtheit und geht den andern ins Nebenzimmer voran. »Die Jugend wird schon nachkommen, wenn sie so weit ist . . . Evchen muß erst noch eine neue Art küssen lernen . . . Gelt, Evchen?«

Wie sie aber alle um die Geburts- und Verlobungstafel versammelt sind, der Bräutigam rot, das Bräutchen blaß, da schenkt Meister Adalbert bedächtig aus der verstaubten Flasche den alten, feurig glühenden Wein in die Prunkgläser, damit sie gegenseitig den alten Bund der beiden Familien neu bekräftigen; und während die Kelche aneinander klingen, horcht er heimlich auf das ruhelose Getrippel und Getrappel, das immer noch aus der Gasse herauftönt –

»Jetzt fürcht' ich euch nicht mehr, ihr Kreuze und Fahnen!« 305

 


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