Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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35. Der neue David

Der Weg verliert sich in einer schattendunklen Tannenschlucht, aus welcher ein schäumender Bach herauftost.

Sollen sie da hinein?

Aber Georg, auf den alle schauen, schreitet vorwärts; und so folgen sie ihm. Er hat den wilden Eber erlegt: er wird sie auch durch die unheimliche Klamm hindurchführen!

Da sehen sie unweit vor sich ein finsteres Haus, das wie eine Festung den Durchgang zu sperren scheint. Eine verrufene Herberge? Doch alles bleibt still; sie kommen ungefährdet vorbei. Und schon verlachen sie sich gegenseitig wegen ihrer Furcht.

Sie bemerken nicht, wie ihnen durch das vergitterte Fenster ein altes, häßliches Weib nachschaut. Aber wie sie um die nächste Straßenbiegung schwenken und auch die letzten das unheimliche Wirtshaus hinter sich haben, gewahren sie vor sich, allein auf der schmalen Straße, einen riesigen Mann, den schäbigen Hut tief ins Gesicht gedrückt, das ein großer, struppiger roter Bart umwuchert. Er hält in der einen Hand ein breites Schwert und lacht ihnen wild entgegen.

»Zeigt, ihr Kinder, was man euch Schönes auf die Reise mitgegeben hat! Her damit!« Und er breitet grinsend die langen Arme aus, um keines an sich vorbeizulassen.

»Der Menschenfresser! Der Menschenfresser!« schreit das kleine Mädchen mit der Zahnlücke, das sich unter den Vordersten befindet. Es läuft eilends zu Georg zurück; und alle andern kehren ebenfalls um und wollen davonfliehen. Da kommt von 367 hinten das alte Weib mit seinem Besen angerannt: zwischen Felswand und Abgrund sind sie eingeklemmt – in der Falle.

»Halt!« ruft Georg den Kindern zu und faßt mutig zuerst die größere Gefahr ins Auge. Ist das dort vorn nicht einer wie sein Vater? Mit dem gleichen roten Bart? Der soll ihm nicht auch hier in den Weg treten! Der wird ihn nicht einsperren und auch den andern kein Leides tun!

Und er liest flink einen faustgroßen Stein auf, zielt, schwingt den Arm aus, schleudert und – krach! greift der Unhold, dem das Schwert entfällt, mit beiden Händen in die Luft und stürzt mit zerschmetterter Stirn zusammen. Da wirft auch die schmutzige Hexe den Besen fort und flieht kreischend davon, noch ehe sie die Kinder, die sich wieder Georg zuwandten, hat erreichen können. Georg aber, selber von heftigem Herzklopfen durchschüttert, sieht sich umdrängt von den bebenden Knaben und Mädchen, die mit scheuen Blicken an ihm als an ihrem Retter hangen.

»Kommt!« klingt endlich sein entschlossenes Wort in die bachdurchtoste Tannenstille. Und sie nähern sich dem Räuber, welcher regungslos am Boden liegt: nur ein reichliches Bächlein Blut fließt aus seinem eingeschlagenen Schädel, wie aus einem zerbrochenen Topf, schief durch das Sträßchen. Sie schreiten eines nach dem andern über das rote Rinnsal hinweg, mit Schaudern das noch im Tode häßliche Männergesicht betrachtend, und preisen alsdann in dankbaren Gebeten Gott, daß er einem von ihnen, wie einst David vor Goliath, Kraft und Mut gab, sie alle zu retten.

Hoch tragen sie wieder ihre Kreuze und Fahnen. Und jetzt stimmt Georg, der vorausgeht, ein frommes Lied an; und eines der Kinder nach dem andern fällt ein und singt bald einmal 368 so laut, als könnte es mit seiner hellen Stimme alle dunklen Geister bannen, die in dieser Schlucht hausen. Und so wandern sie unverdrossen dahin, bis das einsame Tal wieder breiter wird und sie zu bessern Menschen kommen . . .

 


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