Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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44. Regulas Tod

Sie stößt ihn zurück, daß er taumelt, und hält den Blick starr auf das im Nachmittagsdunst flimmernde Kastell gerichtet. In drei Tagen geht der junge Conte wieder nach Mailand – o, wenn sie ihm auf der Piazza wie die andern in schönem Gewande entgegenschreiten könnte, ihr Leib sollte ihm schon gefallen! Statt dessen ist sie diesem elenden Wegelagerer –

»Was, du willst nicht mehr?« hört sie seine keuchende Stimme.

Er ist wieder vor sie getreten und tut ihr mit den Augen an, was die Hände nicht wagen. Sie aber steht mit verachtungsvoller Miene neben dem Maulbeerbaum auf der Böschung, die in den Hohlweg abfällt: aus derber Bluse treten ihr drall die braunen Arme hervor; unbedeckt von dem kurzen, groben Rock stehen ihre nackten braunen Beine im heißen Sand; und aus der grünschwarz umrahmenden, von goldenen Ohrringen durchleuchteten Lockenwildnis sprühen ihre Blicke Feuer auf jeden, der sich ihren Brüsten nahen will. Um wie viel mehr denn auf diesen Kerl, den sie gerade deshalb haßt, weil sie sich früher mit ihm vergessen konnte.

»– du weißt, mit Gewalt hat mich noch keiner zu Boden gebracht!« hohnlacht sie ihm dunkel entgegen.

»Du bist eine Hure, die nie genug Geld sieht!« zischt er.

»Und du ein Strauchräuber, der nicht genug Mut hat –«

Er spuckt vor ihr aus. Er spuckte ihr am liebsten ins Gesicht vor Grimm und Gier.

»Es braucht wohl Mut, mit dir zusammen diesen Kindern 401 aufzulauern!« wendet er sich grollend ab. »Die kommen noch lange nicht. Wir hätten schon Zeit gehabt . . . Aber du willst immer vorausbezahlt sein!«

»Was nützt ihnen ihr Gold und Silber, wenn sie den Himmel suchen? – Andere haben sogar die ganz Kleinen gefangen, ihnen die Beine abgesägt, und betteln jetzt mit ihnen in der Stadt herum. Nicht mein Geschmack . . . – Doch sieh, dort sind sie ja! Und wahrlich: Der alte Conte hat ihnen Knechte mitgegeben, um deinen Mut zu erproben . . .«

Sie werfen sich hinter dem Gebüsch ins dürre Gras und harren bewegungslos des anrückenden Zuges. Er versucht noch einmal, den Arm um ihre Hüfte zu legen und ihr wenigstens einen Kuß zu rauben; aber sie faucht ihm wie eine wilde Katze ins Gesicht. Dann begreift auch er, daß sie sich stille halten müssen, wenn sie sich den Vorbeiziehenden nicht verraten sollen.

Voraus marschieren zwei Armbrustschützen und drei Spießträger, die sich unflätige Späße erzählen und sich einen Teufel um ihre jungen Schutzbefohlenen kümmern. Dann folgt in Zweierreihe ein Schärlein magerer, sonnverbrannter, staubbedeckter Knaben und Mädchen mit Kreuzen, Fahnen und Bündeln, wie ihrer schon so viele durchs Land gezogen sind. Sie trotten in schweigsamer Müdigkeit den Reisigen nach und merken nicht, daß eines der kleineren Mädchen je länger je weniger Schritt halten kann, ob es auch immer wieder nach dem goldenen Kreuzlein an seinem Halse langt, es zum Kusse an die Lippen führt und gleichzeitig mit ihm das Weinen, weil ihm die armen Beinchen so weh tun, in die große Zahnlücke zurückdrängt.

»Nimm ihm das Kreuz, dann kannst du mich haben!« flüstert sie ihm plötzlich heiß ins Ohr.

Er gleitet die Böschung hinab, schlägt dem Mädchen die gekrallten Finger der rechten Hand um den Hals, daß es nicht um Hilfe rufen kann, reißt ihm mit der linken das Kreuz ab und steht nach ein paar Sprüngen und Armschwüngen, die bereits ihrem Leibe gelten, wieder neben ihr – »Da nimm und gib!«

Sie aber ist auf die Beine emporgeschnellt, greift hastig mit der einen Hand nach dem Kreuz, während sie zugleich den andern Arm abwehrend ausstreckt. Sie starrt auf die Straße hinunter, wo das Mädchen, das lautlos umgesunken ist, daliegt –

»Sieh doch, du Hund, es bewegt sich ja noch!« keucht sie. »Mach es gleich ganz kaput!«

»Ich wollte doch gar nicht –« Er blickt erschrocken hinter sich und kehrt langsam und ernüchtert zu dem armen Geschöpf zurück, das im Staube zuckt. Ihn reut, was er getan hat . . .

Unterdessen rennt sie, ohne daß er es merkt, dem Zuge der Kinder nach, stürmt mit flammenden Blicken unter die Reisigen hinein – »Er hat ein Kind ermordet! Er hat ein Kind ermordet!« schreit sie so laut, als wäre es ihr eigenes. Und alle sehen es: dort beugt er sich noch über das erwürgte Mädchen –

Sie hört zwei Armbrüste knacken. Und wie er sich eben wieder aufrichten will, schnellen die Sehnen und schwirren die Pfeile. Er zuckt mit beiden Händen nach dem Herzen und taumelt neben sein Opfer hin.

Und während die Kinder und die Knechte zu der kleinen Leiche zurückeilen, rennt sie weiter, weiter, weiter. Sie ist diesen Elenden los! Sie ist ihr ganzes bisheriges Leben los! In der Hand hält sie das goldene Kreuz –

Am Sonntag wird sie in Mailand eine begehrte Schöne sein! 403

 


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