Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5. Die Botschaft der Ketzer

Wer reitet auf drei Rappen von Berg und Burg?

Drei schwarze Jünglinge.

Wo ziehen sie die Zügel an und stellen ihre Rosse?

Drunten im Tal, auf der breiten Landstraße, vor dem im Morgenlicht einherwallenden Kreuzzugsheer der Kinder . . .

»Bist du der König Stephan, der nach Jerusalem pilgert, ein ewiges Friedensreich zu errichten?«

Stephan hemmt vor den herangebrausten drei Rittern den Schritt. Zusammen mit ihm blickt Ellenor zweifelnd und erschrocken zu den dunklen, hageren Gestalten auf, aus deren schmalen, herben Gesichtern wild rollende Augen Blicke versprühen. Der lange Zug der Kinder stockt; und die Staubwolken, die ihm entlang dampfen, verflüchtigen sich nach derselben Seite und gleichzeitig mit der Staubwolke hinter den Reitern.

»Ich bin es.«

»So gib dein Vorhaben auf oder stifte erst hierzulande den Frieden, ehe du über Meer fährst!« ruft herrisch der mittlere der drei Jünglinge und streckt den schwarzen Arm mit der 19 schwarzbehandschuhten schlanken Hand aus. »Derweil du die Unmündigen zum Kreuzzug nach dem heiligen Lande aufrufst, den die Großen nicht mehr ins Werk zu setzen vermögen, predigt der Papst gegen uns das Kreuz. Und warum? Weil wir Ehrfurcht haben vor allem Lebendigen, Mensch und Tier, während die Pfaffen einen jeden verbrennen, der anders denkt als sie! Weil wir die Kirchen meiden – diese öffentlichen Häuser der heiligen Gottessehnsucht, die ihr Sündengeld dem großen Hurenwirt nach Rom schicken –; denn wir wollen selber frei mit unserm Schöpfer reden, ohne daß ein bezahlter Knecht sich zwischen ihn und uns drängt! Weil wir die Qual Gottes nachfühlen, daß er nach seinem eigenen Gesetz diese Welt nicht anders schaffen konnte, sondern sie so, wie sie ist, schaffen mußte; und weil wir eben deshalb uns gelobt haben, keine neuen Menschen mehr in dieses Leben zu setzen, um, was an uns liegt, seinem Elend ein Ende zu bereiten –«

»Ein Ketzer! Ein Ketzer!« gellt da eine Stimme hinter Stephan und Ellenor. Wenn der schwarze Jüngling seine Bekenntnisworte hoch aus dem Sattel über die Kinderschar hinweg in die Ferne schleuderte, so starrt ihm jetzt aus dem Zuge der jungen Glaubensstreiter ein nicht minder wild begeistertes Antlitz entgegen. Es ist Eustachius, welcher leben möchte aus der Sonnenglut vieler Wandertage heraus, die sein Blut in Gärung gebracht haben; und der darum jeden haßt, der das Leben verdächtigt oder gar zu verneinen wagt.

»Du willst Gott an seinem Werke herumflicken und anzweifeln, daß die Kirche seine Statthalterin auf Erden ist?« ruft er laut, indem er das Haupt zurückwirft und die Stirne wie einen Schild seinem Widersacher entgegenhält. »Was sollten Hunderte, Tausende, was sollten wir alle hier tun, wenn nicht sie unsere 20 Führerin wäre durch das Dunkel dieser Welt und uns zeigte, wie wir leben sollen, um leben zu dürfen? Kommt einmal der Tag, wo die Menschen sich im Herzen losmachen von ihr und gleich euch denken und handeln, dann wird die Gottlosigkeit bald so groß sein, daß nicht mehr nur, wie jetzt, die Ungläubigen, sondern alle für ihr Leben zu fürchten haben, weil nur noch der Teufel in ihnen mächtig ist und sie antreibt, sich wechselseitig zu morden, bis sie sich selber ausgerottet haben, wo niemand mehr die Bösen unter ihnen ausrottete! Der schlimmste Teufel aber ist derjenige, der den Menschen zuflüstert, selbst das noch ungezeugte Leben zu morden, indem sie, ohne daß sie Diener Gottes wären, nichts mehr wissen wollen von einer Welt, in welcher sie doch zu leben fortfahren – und von diesem Teufel seid ihr, ihr besessen!«

»Gut gesprochen, Eustachius!« ruft mit unterdrücktem Triumphe Ellenor, welcher das Blut ebenfalls in Wallung geraten ist und von den Wangen leuchtet, als müßte auch sie schon zum voraus ein bedrohtes Glück verteidigen. Die andern Kinder aber hören stumpf dem Wortstreit zu, den sie nicht verstehen, und starren immer nur die drei schwarzen Reiter an, von deren plötzlicher Erscheinung ein heimliches Grauen ausgeht. Sitzen sie nicht wie Sendlinge Satans auf ihren finstern Rossen, an denen der Schaum vor den Lefzen das einzige Weiße ist?

Auch Alix greift nicht in das Hin und Her der Rede ein; sie hat genug damit zu tun, sich in ihrem Innern gegen die frostkalte Geistigkeit zur Wehr zu setzen, welche ihr aus den Worten des ketzerischen Jünglings entgegenschlug und noch in ihr fortklingt. Ihr, die mit warmem Gemüt lieben und gütig sein möchte, ist diese Empörung des menschlichen Verstandes gegen Gottes Schöpfung nicht minder unheimlich als das zügellose Hervorbrechen der Sinne und ihrer Forderungen. Sie ist dicht hinter 21 Stephan getreten, als könnte sie ihn mit der Kraft ihrer Seele in der Antwort unterstützen, zu welcher sie ihn sich anschicken sieht . . .

»Ich streite nicht gegen, sondern für die Kirche!« ertönt jetzt hell Stephans Stimme. »Meinst du, wir zögen ins Heilige Land, um den Heiden das Grab des Herrn zu entreißen, und sollten unterwegs euch zu Hilfe kommen, die ihr von dem Glauben abgefallen seid, den wir stärken wollen? Hat Christus nicht gebetet: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe? Ihr aber wollt euren Willen über denjenigen Gottes setzen und dem Schöpfer in den Arm fallen aus frevelhaftem Mitleid mit seiner Schöpfung?«

Da lacht der Jüngling dunkel auf.

»Du Narr!« versetzt er. »Meinst du, daß ihr in den Augen der Kirche etwa keine Ketzer seid und nicht von einem Tag auf den andern als solche erklärt werden könnt? Wenn diese Pfaffen erst mit uns fertig geworden sind, dann kommt ihr dran; und wenn sie uns deshalb des Irrglaubens zeihen und uns auf ihre Scheiterhaufen schleppen, weil es sie nach unserm Hab und Gut gelüstet, so rösten sie vielleicht euch nachher zum bloßen Spaß! Du staunst, König von Jerusalem, und machst ein Gesicht, als erzählte ich dir ein Lügengeschichtlein? So zieh denn hin und sieh selber, was diese Heuchler der Nächstenliebe in ihren Kirchen für Qualen aushecken für uns, die wir keinem Wesen ein Leides antun, sondern nur, wie jedes andere Gottesgeschöpf, unser Leben leben möchten. Ja, wenn es nach dem Willen unserer Greise ginge, wir ließen uns widerstandslos abschlachten oder wählten, voll Verachtung für dieses Dasein, selber den Tod! Aber soweit haben wir es noch nicht gebracht: und wenn wir auch ein Wild sind, dem jede Hoffnung geschwunden ist, so will 22 doch ein jeder von uns zum mindesten einen seiner Jäger auf die große Reise ins Jenseits mitnehmen . . . – Genug! Wir wissen nun, daß du uns nicht helfen willst, selbst wenn du es könntest. Du aber wirst nicht sagen dürfen, daß wir dich nicht gewarnt haben . . .«

Sporenhieb, Schenkeldruck, herumschwenkende Hufe – und wie eine dunkle Dreieinigkeit der Hölle stieben die drei Reiter dorthin davon, woher sie gekommen sind. Noch rascher als durch die Entfernung werden sie durch die hinter ihnen neu aufwirbelnde Staubwolke den Blicken der furchtsam staunenden Kinder entzogen. Und auf einmal ist es in dem sonnigen Vormittag, als ob nur ein Traumbild zerronnen wäre.

Stephan schlägt wortlos ein Kreuz; und alle andern tun es ihm nach. Ein Schauder läuft über ihre Rücken und – dünkt es sie – weiter über das morgendliche Gefilde hinweg, das noch vor kurzem mit seinen süßen und klaren Farben ihre Augen entzückte. Was für ein dunkler Schatten ist es, in dessen Bereich sie unversehens getreten sind? Nur zögernd, mit gelähmter Kraft, setzt sich der Zug wieder in Bewegung.

Da stimmt ein Knabe das Kyrie eleyson an, allmählich fallen die andern ein, und bald gellt es wie ein einziger Notschrei in den blauen Himmel hinauf. Und dabei schwenken sie ihre Fahnen und strecken ihre Kreuze empor, als wollten sie dem, der unsichtbar in der Höhe waltet, einen Wink geben: Sieh hier deine Getreuen, die an dich glauben und die keine Ketzer sind!

Und so wandern sie fürbas, in die ihnen geheimnisvoll angesagte und doch von ihnen immer noch bezweifelte Schrecknis hinein . . . 23

 


 << zurück weiter >>