Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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38. Lagerleben

Was für ein buntes Gewimmel von fremden Knaben und Mädchen! In der Stadt; um die Stadt herum; durch die Stadttore herein und hinaus. Und warum denn nicht? In wenigen Tagen wird dieses ganze, überflüssige Kreuzfahrerpack auf dem Meere schwimmen . . .

Am Vormittag schweifen und streifen die Jungmänner der Stadt durchs Gefild. Sie lachen und winken, wo ein fremdes Mädchen steht; und ein Wort gibt das andere: über das Land, woher sie kommen; über das Land, das heilige, wohin sie pilgern. Und dann: »Du trägst ein Kreuz auf deiner Brust – schlägt dir auch ein Herz darunter?«

Doch keiner läßt sich's merken, wann und wo er Feuer gefangen hat. Sie plaudern und scherzen und schwenken immer wieder mit ihren Degen und Mänteln davon, als wäre ihnen auch die Schönste nicht gut genug gewesen. Nur der Diener weiß Bescheid und macht bald darauf noch einmal denselben Weg.

»Holde Jungfrau! Holde Jungfrau! Mein Herr ist ein gar 217 vornehmer junger Herr! Willst du es gut haben, dich in Samt und Seide kleiden und tagtäglich in Wonne leben, so folge mir dorthin, wo ich dir vorausgehe! Du zauderst? Du weißt nicht recht, wessen Diener ich bin? ›Du trägst ein Kreuz auf der Brust – schlägt dir auch ein Herz darunter?‹«

Da sind die Knaben schon kecker! Sie haben noch keine Eifersucht zu fürchten; noch kein gesellschaftliches Ansehen zu verscherzen; noch nicht Ruhm und Ehre aufs Spiel zu setzen. Sie haben einfach zu wagen – und was wagte man nicht in den Jahren des gärenden Blutes?

»Mädchen, liebes Mädchen! So ganz allein pilgerst du zum heiligen Grabe? Teile dein Lager mit mir auf der Reise; und ich will mit dir wallfahrten und dein Schutz sein in allen Gefahren! Reichtum und Ehre laß' ich dahinten, wenn du dein Kreuz vergissest und mein Schatz sein willst und meine Zier!«

Um die Mittagszeit aber besuchen sich die jugendlichen Kreuzfahrer und Kreuzfahrerinnen unter sich, in ihren Zelten und Behausungen. Wie viele, die sich gegenseitig tot glaubten, schließen sich jubelnd und weinend noch einmal in die Arme! Ja, eine gütige Vorsehung hat sie so weit geführt und wird sie noch weiterführen.

»Kommt, meine lieben Kinder! Kommt, ihr folgsamen Mädchen; und ihr da, übermütige Buben! – Halt! Ist mir doch, – sollte ich dort die beiden Pärchen kennen, die so unbekümmert unter dem Orangenbaum sitzen und sich mit Schnäbeln die Zeit vertreiben! – O über diese neueste, schlimmste Mode: die zerknirschte Wallfahrt nach dem Grabe des Herrn sachte, sachte zur Hochzeitsreise werden zu lassen!«

» . . . Seht, dort geht der närrische Mönch mit seinen Säuglingen vorüber! Ob er immer noch die große Muschel mit den 218 glatten roten Lippen im Brotsack mit sich führt? Erinnert ihr euch, was das für ein Spaß war, als wir uns des stachligen Dinges wegen rauften – und uns dabei lieben lernten? . . .«

»Kommt, meine lieben Kinder! Kommt, ihr Knaben und Mädchen! Dort auf dem Hügel sehe ich das Zelt und die große Kreuzesfahne; dort muß der König Stephan sein. Ihm will ich euch zuführen; und euch kann nichts mehr geschehen . . . Seht, wie er seine Getreuen um sich sammelt! Hört, wie er ihnen verkündet, daß endlich der Tag der Abfahrt naht! Und wie sie rufen und jauchzen und Gott danken! . . .«

Am Nachmittag endlich ziehen die Frauen und Mädchen vor die Mauern hinaus, von ihren Dienerinnen begleitet, welche als Gaben christlicher Nächstenliebe Speise und Trank mit sich führen. Und plötzlich leuchtet und blitzt es auf von Auge zu Auge; und mit dem Dank und Händedruck wird wortlos ein süßes Versprechen getauscht. Wann? Dann!

O, wie schlau sind doch Dienerinnen; die braunen besonders, die aus Afrika stammen! Sie schauen ihrer Herrin auf die Augen; und sie wissen genug, wenn die langen, schattigen Wimpern sich eine Weile dunkel herniedersenken, als wollten sie nicht nur das Bild des jungen Kreuzfahrers, sondern ihn selber festhalten. Und die Magd merkt sich genau die Stelle des Lagers und kehrt nachher allein zurück.

»Schöner Jüngling! Schöner Jüngling! Meine Herrin erwartet dich heute Nacht. Komm, wenn es dunkelt! Am Tor will ich deiner warten und dich in das süße Dämmer ihrer Gemächer führen, wo sie strahlt wie ein Stern am lichten Abend. Erinnerst du dich nicht mehr ihres weißen Antlitzes, ihrer schwarzen Augen und roten Lippen? Hier hast du Kleider, damit dich niemand erkennt . . .«

219 Aber die Mädchen tragen ihr heißes Herz auf der Zunge und reden ohne alle Scheu. Und sie stehen da und betrachten den stummen Jüngling mit dem Kreuz auf der Brust; und sie wissen immer etwas Neues und kommen nicht vom Fleck. Wozu auch, wo alle ihre Sinne gefangen sind von der reizvollen Schönheit fremder Jugend?

»Knabe, süßer Knabe! Wenn du ins heilige Land ziehst, so will ich mit dir ziehen! Ich habe nicht Freude noch Lust zu Hause; bei dir allein ist meine Freude, meine Lust! Eh' du das Schiff besteigst, schau gut nach mir aus, daß wir uns finden! Ich werde am Hafen stehen und auf dich warten . . .«

Und dann kommt die kühle, klare Herbstnacht; die Sterne glitzern, und das Meer leuchtet. Und alle gehen in die Netze des Glückes, die tagsüber gesponnen worden sind – oder träumen, ihrer alten Sehnsucht getreu, von jenem Glücke, welchem auf Erden keine Erfüllung winkt. Die dunkel schweigende Stadt, sonst nur trächtig von der Engherzigkeit, Bosheit und Hinterlist gewinnsüchtiger Menschen, ist von singender, klingender Jugend durchwuchert und überweht von einem Hauche ewigen Frühlings, ewiger Hoffnung . . .

 


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