Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11. Mareis Abenteuer

Wenn sie nur wieder zu Menschen käme!

Der Tag versinkt allmählich in graues Dämmer. Hinter jeder Bodenwelle hofft sie ein Dorf oder doch ein Gehöft zu sehen; und hinter jedem Hügel harrt ihrer nur die Einsamkeit. O, es war unklug, daß sie schon am andern Tag wieder den Kindern davonlief und ihr Glück allein versuchen wollte!

Und nun muß sie gar an dem finster herabdrohenden Wald vorbei! Aber wie sie um die erste Ecke biegt, sieht sie vor sich gemächlich einen beleibten Mönch in strickumgürteter Kutte bergan wandern. Das ist wenigstens ein frommer Christ, vor dem sie sich nicht zu fürchten braucht . . .

»Wohin willst du so allein, Maitli?«

276 »Wohin heute alles will: ins heilige Land!« gibt sie kecker zurück, als ihr zumute ist. Denn hat sie wirklich ihren Schutzengel begegnet? Ihr Herz schlägt ganz leise Alarm.

»Dachte, du liefest nach einem Mann aus!« lacht der Mönch und zeigt ihr sein bärtiges Gesicht mit den versteckten roten Lippen und den glänzenden Augen – »Und warum denn nicht? Mit dem heiligen Land hat's immer noch Zeit . . .«

»Nach einem Mann? Da muß man sich beim Zunachten wohl doppelt scharf in Acht nehmen!« sucht die Marei zu scherzen. »Seit ich einem begegnet bin, der die Miselsucht hatte –« Und sie möchte am liebsten an dem Kuttenträger vorbeihuschen und davonrennen. Wer weiß, was der am Leibe hat!

»Davor bist du gut sicher bei mir!« versetzt der Mönch behaglich. »Hilf du mir das Seil ziehen, wenn ich jetzt in der Kapelle Vesper läute, dann will ich dir für ein weiches Nachtlager sorgen – Ich bin so gesund wie einer!«

»Ja, dafür bin ich just dem Küster davongelaufen, um jetzt mit Euch Bimbambum zu machen!« gibt ihm die Marei derb zurück. Da sieht sie, wie sie eben wieder um einen Vorsprung herumbiegen, auf einem Wiesenhöcker die kleine Waldkapelle stehen. Und drunten im Talgrund liegen ein paar Häuser, mit freundlich erhellten Fenstern . . . »Dieses Glöcklein werdet ihr hoffentlich noch allein zum Tönen bringen! Wenn Ihr doch so gesund seid –«

»Zu zweit zieht sich's immer besser!« blinzelt der Mönch. »Ist dir das vielleicht noch nicht bekannt? Und ist nicht ein Dienst des andern wert?«

Sie sind vor der nur wenig vom Waldrand entfernten Kapelle angelangt und sehen durch die offene Tür im dunklen Innern das ewige Licht brennen.

277 Da hinein? Die Marei weiß nicht, was sie tun soll.

»Geht Ihr nur und läutet . . . Ich will lieber hier draußen warten . . .« Ihr Herz klopft zum Zerspringen. Was wird nun mit ihr geschehen?

»So zier dich doch nicht so, Dirn!« brummt der Mönch, faßt sie beim Arm und kneift sie in die Hüfte. »Es hat schon manche gern mit mir zusammen den Abendsegen gesprochen –«

»– aber diesmal ist noch einer hier, der gesegnet sein möchte!« gröhlt eine Stimme aus der Kapelle. Und ein hagerer Bursche mit einer Hahnenfeder auf der Mütze tritt grinsend in die Türöffnung. Ein fahrender Kriegsknecht.

»Der Teufel!« kreischt die Marei.

»Dem Soldaten gehört das Weibszeug!« brüllt der Fremde und streckt die Arme aus. »Her damit, Pfaff! Ich will dir die Hölle ersparen –«

Aber schon hat sich die Marei losgerissen und eilt, verfolgt von dem Unhold, dem ein Fetzen ihres Rockes in der Faust zurückblieb, den Wiesenhügel hinunter.

»Du Lausekerl!« schreit der Mönch hinter dem Buben her und rennt wie einer, der bei Kräften ist, als Dritter den beiden nach.

Nur kurze Zeit sehen sie die weißen Beine der Marei durch die Dämmerung wirbeln. Dann erreicht der Mönch den Landstreicher, reißt ihn herum und zu Boden, kommt darüber selber zu Fall, erhebt sich als erster wieder und rennt nun seinerseits der Marei nach, gefolgt von dem fluchenden Fremdling, der seine Sache nicht so leicht verloren gibt. Marei aber hat einen erheblichen Vorsprung gewonnen und ist soweit wieder zur Besinnung gelangt, daß sie erst schaut, wohin sie rennt, und mit rascher List sich die Örtlichkeit zunutze macht.

Sie nähert sich dem umbuschten Rand einer Schlucht, springt 278 geradewegs in das Gezweige hinein, wirft dann ihr Bündel vor sich hin, sich selber aber mit einem verzweifelten Satz auf die Seite, sofort sich lautlos niederduckend. Und wie sie sich's gedacht hat, so geschieht es auch: » . . . Dann kannst du ebensogut mit mir – keucht der Mönch wie ein wild gewordener Eber an ihr vorbei; und » . . . Hol mich der Teufel, wenn ich sie dir nicht wieder abjage!« schießt der Fremdling wie ein rasender Bluthund hinter ihm her. Und jetzt zweimal nacheinander ein Knacken, Kollern, Aufschreien – und dann Schweigen aus der Tiefe.

Die Marei holt ihr Bündel, kriecht zitternd aus dem Gebüsch hervor, steigt den Wiesenhang wieder hinauf und folgt dem Schluchtrand bis dorthin, wo er sich von selbst ins Tal niedersenkt. Gleichzeitig zeigen ihr drunten die erleuchteten Fenster des nächsten Bauerngehöftes den Weg zu gesitteten Menschen und zu einer Unterkunft, welche ihr nach dem überstandenen Abenteuer doppelt süß vorkommt. Sie kann sich vor Schrecken kaum mehr auf den Beinen halten und möchte wieder einmal furchtbar brav sein.

Es ist Nacht, wie sie zaghaft ans Fenster klopft. Ein verdrossenes Bauerngesicht schaut heraus – »Frau, schon wieder so ein Kreuzmaitli! – Es wird bald einmal zur Landplage! – Aber in Gottes Namen denn!« Und er öffnet ihr bedächtig die Türe und läßt sie an sich vorbei unter Dach schlüpfen.

Und auf einmal sitzt die Marei in einer niedrigen Stube und bekommt noch ein Becken Milch vorgesetzt. Sie faltet die Hände und murmelt ein langes Gebet vor sich hin, wobei sie genau merkt, daß die Gesinnung ihrer Gastgeber allmählich freundlicher wird. Und nachdem sie gegessen hat, wird ihr sogar mit einem Gutenachtwunsch für die todmüden Glieder eine ordentliche Schlafstelle zugeteilt.

279 Da hört sie auf einmal des Bauern Stimme. » . . . Ich möchte nur wissen, warum heute nicht zur Vesper geläutet worden ist! . . « Und sie nimmt in den Schlummer hinein, der sie schon halb umfangen hat, den festen Vorsatz mit, des Morgens in aller Frühe aufzuwachen und ihre Reise unverzüglich fortzusetzen.

 


 << zurück weiter >>