Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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6. Der Bauer Christian

»Hinaus mit dir!«

Auf dem niedrigen Lager, das mit seinen Lumpen in die Wand eingenischt ist, röchelt der verunglückte Bauer. Kaum 23 erhellt das Sternendämmer der Nacht die düstere Stube, in welche mit herrischem Wort die Frau eingetreten ist. Auf dem Herde verglühen Holzscheite.

»Ich bleibe.«

Die bei dem Kranken kniende Magd stößt es als Schwur und Geständnis zugleich hervor. Ihre Augen starren wie die einer Katze im Dunkeln: bald in die fahlen Züge des vom Geäst der fallenden Tanne hingeworfenen Meisters; bald in das spitze Knochengesicht der Meisterin, welche die Liebe verflucht, weil sie selber keine mehr zu geben vermag. Auf alles gefaßt, spürt sie, wie die Alte ihr näherkommt.

»Fort, oder –«

Die betrogene Frau sieht in dem schwachen Glutschein des Herdes die roten Wangen, die prallen Brüste und die bis zum Ellenbogen nackten Arme vor sich, die ihr den Mann genommen haben. Neid und Haß erwürgen sie fast: ihr ist, als müsse sie ersticken, wenn sie nicht in einer wilden Tat sich Luft macht. Sie möchte den Brand der Jugend auslöschen und den Weltlauf umdrehen.

»Er stirbt ja!«

Aufschluchzend wirft sich das heimlich zum Weib erblühte Mädchen über den Regungslosen, die Hände um seine Schultern klammernd. Es ist dieselbe Bewegung, mit der sie noch vor kurzem den kraftstrotzend Lebenden an sich riß, um an ihm ihre Liebeslust zu ersättigen. Will sie ihm von ihrer Glut geben, nun die seine erlischt?

»Er stirbt nicht!«

Hart und höhnisch tönt es in die Selbstvergessenheit liebender Hingabe hinein. Krallend zupackende Hände reißen die Verzweifelte von dem bewußtlosen, schwer atmenden Körper 24 empor; und schon schwebt über ihr ausholend die geballte Faust. Sie scheint nur deshalb zu zögern, um erst in den schmerzverzerrten Zügen die wundeste Stelle zu suchen.

»Euch wär's wohl gleich!« schreit die Magd.

Dem Angriff zuvorkommend greift sie der Meisterin entgegen, springt auf, packt sie um den Leib und beginnt mit ihr zu ringen. Junge Kraft mißt sich mit altem Widerstand, plötzlich von der tief angesammelten Wut beseelt, mit welcher sie so lange die Häßlichkeit vor sich sehen mußte, die dem Recht ihrer Schönheit im Wege stand. O, wenn sie doch den Geliebten von dieser giftigen Spinne befreien könnte!

Der Bauer liegt da, in seinem dunklen, struppigen Bart; mit geschlossenen Augen, die nach innen schauen; wie schon ein halb Versunkener. Über ihm verkeilen sich vier Arme, drängen sich zwei Schultern aneinander im Kampfe um den Platz an seinem Sterbebett; und leise Wutschreie schrillen aus knirschenden Zähnen, durch den immer schwerer und gepreßter keuchenden Atem hindurch, während sich die Hälse mit der Wollust der Vernichtung aneinanderlegen. Mit Händen greifen und begreifen endlich die beiden Weiber den Grund ihrer Eifersucht und Mißgunst: die eine den schwellenden, die andere den verdorrten Leib der Nebenbuhlerin . . .

Dumpfe Schläge ans Hoftor. Die Bäuerin hört sie zuerst, wehrt die Magd mit einer letzten Anstrengung ab und ruft: »Der Pfaff ist da!« Die Magd, die zu Füßen des immer gleichmäßig röchelnden Kranken hingefallen ist, sieht schaudernd das dunkle Frohlocken in den Augen ihrer Gegnerin: sie wünscht dem eigenen Manne den Tod, nur um sich an ihm und ihr rächen zu können.

»Öffnet das Tor! – Gebt Obdach den jungen Rittern des 25 Kreuzes, die nach dem heiligen Lande ziehen! – Öffnet im Namen unseres Herrn Jesus Christus, öffnet!«

Helle Jünglingsstimmen dringen durch die kühl vor dem offenen Fenster hauchende Nacht. O, wie da die Magd sich emporrafft, in der Herdglut eine Kienfackel in Brand steckt und hinausrennt! . . . »Bleib!« herrscht die Bäuerin, welche merkt, daß sie auf Hilfe hofft – aber schon sieht sie die Fackel als feurigen Streifen durch den Hof fahren und hört, wie der Riegel zurückgeschoben wird.

In den Schein der still auflohenden Flamme treten drei magere, hochgewachsene Knaben herein, wie Hirten in Felle gekleidet. Auf der schmächtigen Brust eines jeden spricht ein weißes Kreuz seine stumme Sprache. Sie kommen, von dem Frieden einer andern Welt umstrahlt.

»Gehört ihr zu der frommen Schar, die ein Knabe Stephan wirbt, um Jerusalem den Heiden zu entreißen?«

»Das hier ist er selber, unser Führer!« rufen zwei der Knaben fast gleichzeitig und zeigen auf den dritten in ihrer Mitte. »Christus ist ihm erschienen! Seit acht Tagen tragen wir seine Botschaft durch die Welt.«

»Dann tu ein Wunder, guter Jüngling!« wirft sich die Magd vor ihm auf die Knie und küßt aufweinend sein Gewand. Und mit ihren vollen Armen umfaßt sie seine Lenden, als könnte ihnen auch diese Bitte nicht versagt bleiben. »Drinnen liegt einer im Sterben . . . Mach, daß er lebt! Mach, daß er lebt!«

Mit zusammengekniffenen Lippen sieht vom Fenster aus die Bäuerin, wie sie die Knaben über den Hof führt, ins Haus hereinzerrt und gleich darauf durch die Türe in die Stube hineinstößt. Dabei entgeht ihr nicht – und auch die wieder eintretende Magd bemerkt es –, daß der Kranke in seiner finstern Ecke auf 26 einmal weniger hörbar röchelt. Ist es die Stille des Todes, die sich breiter und breiter zwischen die letzten Laute des Lebens einschiebt?

Stephan bleibt mitten in dem Gemach stehen, von einem noch nie gekannten Gefühl befangen: unlösbar verknäuelt schweben Qual, Haß und Gier in der Luft und wagen sich mit ihren dunklen Forderungen an ihn heran. Er blickt zuerst dem ausgestreckt auf dem Rücken liegenden Manne ins bleiche, vom Fackellicht unruhig überhuschte Antlitz; dann auf die beiden Frauen, in deren ihm zugekehrten erhitzten Gesichtern eine übergroße innere Spannung die jungen wie die alten Züge gleicherweise verhärtet hat. Und im Drange zu helfen und doch nicht wissend wie, preßt er beide Hände auf die Brust, spürt die Pergamentrolle, die er im Wams trägt, zieht sie hervor und berührt mit ihr den sterbend Geglaubten in der Herzgegend.

». . . Das ist der Brief, den ihm der Heiland gegeben hat,« flüstert Lukas der Bäuerin zu. –»Als Pilger hat er ihn heimgesucht, als er die Schafe hütete,« bestätigt Markus.

»Nicht unser Wille geschehe, sondern der Wille des Herrn!« betet Stephan mit gefalteten Händen. Und auch die beiden Frauen, über den Abgrund ihrer Leidenschaften hinweg, falten unwillkürlich wie er die Hände: aber jede ergibt sich in einen andern Willen Gottes! Tiefe Stille herrscht in der Stube, wie in einem keimenden Erdreich.

Da bewegt sich der Bauer. Er schlägt die Augen auf, stützt und stemmt sich erwachend mit den Armen empor; schiebt die Beine vom Lager herab und starrt sie plötzlich alle an, wie unter einem nachklingenden Entsetzen, das in ihm lange vergebens nach Worten ringt. Und während den andern jede Rede auf den Lippen gefriert über dem unfaßbaren Geschehen, stößt er 27 es ihnen langsam keuchend ins Gesicht: »Gräßlich! Gräßlich! Gräßlich!«

»Meister!« schreit die Magd und tritt von ihm zurück. Ihr ahnt etwas Furchtbares.

Aber schon schüttelt ein wilder Schauer ihm Glieder und Zähne. Es ist, als ob er erst jetzt zum vollen Bewußtsein des Erlebten gelangte. Er ringt immer mehr nach Luft – »Hölle . . . In der Hölle war ich! – Wer hat mich herausgerissen?«

»Hier dieser Jüngling, der die Kinder dem heiligen Grabe zuführt. Gepriesen sei Gott!« Und die Magd nähert sich ihm wieder, voller Zweifel. Und bittend hebt sie die Hände auf.

»Fort, du!« brüllt der Bauer und stößt sie mit zurückkehrender Kraft von sich. »Nimm du nicht Gott in den Mund!«

»Mann!« tritt jetzt die Bäuerin fast höhnisch an ihn heran, ihm derb auf die Schulter klopfend. »Dich hat der Schreck, nicht der Baum gefällt.«

»Weg auch mit dir!« Er schleudert sie, aufstehend, beiseite. »Du bist nicht minder schuld daran!«

Er steht mitten in der Stube, als besänne er sich auf etwas. Wie hat er so lange vergessen können, was drüben einen erwartet! Er schlägt sich mehrmals mit der Faust vor die Stirn.

»Ich Sünder! Ich elendester aller Sünder! . . . Nimm mich mit, Knabe; nimm alles, was mein ist!« Und seine Augen stieren noch einmal hinter sich. »Entsetzlich, diese Qualen! Nur niemals mehr dorthin zurück!« Und ganz leise fügt er hinzu, ein verwandelter Mensch: »Auf, nach Jerusalem!«

»Ein Wunder! – Ein Wunder! – Gott hat ein Wunder getan!«

Die Knaben rufen es; und alle schauen ihm wie gebannt zu. 28 Gleich einem Schlafwandelnden schreitet er zur Türe hinaus; über den Hof zum Tenn, wo er den Leiterwagen hervorzieht; zum Stall, wo er die beiden mächtigen Ochsen anschirrt. Und jetzt, wahrhaftig, spannt er sie ein –

»Was willst du tun?« Im Fenster die Stimme der Bäuerin überschnappt beinahe. Aber er hört sie nicht. Er ist von einem höheren Schicksal umwittert.

»Sitzt auf, ihr frommen Kreuzpilger!« redet er milde die Knaben an, die ihm staunend gefolgt sind. »Ich will euch dienen, gleich wie ihr Gott dient . . .«

Sie gehorchen und besteigen das Fuhrwerk. Ist auch das eine höhere Fügung?

»Christian?« Die Magd schreit es unter der Haustüre.

»Mich seht ihr niemals wieder . . .«

Und er tritt zu den Ochsen. Führt sie, samt dem Wagen mit den Knaben, langsam zu dem noch offenstehenden Tor hinaus. Und verschwindet mit ihnen unter dem hohen, dunkeln Glitzergewölbe der Nacht, von welchem wieder, eine geheimnisvolle himmlische Fackel, der Stern der Liebe herabstrahlt . . .

 


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