Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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7. Bei der Mohrenfürstin

Sie betritt unter dem sternklaren Nachthimmel das flache Dach, wo auf köstlich gebreiteten Teppichen der Sessel mit den schwarzen Pantherfellen auf sie wartet und im Halbkreis in weißen Gewändern ihr Hofstaat ihren Wünschen und Anordnungen entgegensieht.

Aus der Tiefe haucht ihr, dunklem Buschwerk entsteigend, 277 ein süßberauschender Duft entgegen; in immer neuen Wellen wogt er heran, als atmeten alle Blüten jeweilen miteinander den Wohlgeruch aus, den sie tagsüber in sich ansammelten. Und hinweg über die nächsten Dächer und Kuppeln, die aus der üppigen Pflanzenherrlichkeit der Oase sich hochheben, schweift ihr Blick in das Hügel- und Sandmeer der unendlichen Wüste hinein – noch lieber als der Atem der Blüten scheint ihr die herbe, trockene Luft zu sein, welche von Zeit zu Zeit aus jenen grenzenlosen Gefilden wie ein Gruß der Freiheit dahergeweht kommt! Sie setzt sich auf den Sessel, in die Felle, schiebt die Hände hinter dem zurückgelegten Haupt ineinander und schaut in dieser Stellung lange und schweigend zum ruhelosen Sternengeflimmer empor.

»Was für ein Märchen soll ich dir heute Nacht erzählen, Fürstin?« fragt der Alte im Turban, der mit untergeschlagenen Beinen vor ihr auf dem Teppich sitzt. Und alle die andern, welche wie ihre Gebieterin den Schlaf des heißen Tages von sich abgeworfen haben, warten darauf, daß jetzt für sie das eigentliche Leben beginne.

»Du sollst mir kein Märchen erzählen, Omar . . . Du sollst ein Rätsel lösen!«

»Ich höre –« Und es ist, als ob der ganze Kreis weißer Gewänder mitlauschte, um das Unbegreifliche von ihr zu empfangen und in bedächtiger Überlegung in ein Begriffenes umzuwandeln.

»Warum kann man nicht in die Sonne, sondern nur in die Sterne schauen?«

Omar betrachtet die junge Fürstin, deren Busen selber wie eine Frage aus den Tüchern hervorsproßt, die ihren Leib umschmiegen, während die dunklen Augen in dem ovalen Gesicht unter halbgesenkten Lidern überdrüssig auf alles Gewöhnliche 278 hinabschauen und die leicht aufgeworfenen Lippen des kleinen Mundes in sanfter Schwellung die gleichgültige Verachtung zum Ausdruck bringen, die sich für das Treiben der Menschen hinter ihrer weißen Stirnbinde verbirgt. Die Mädchen ihres Stammes ziehen in die großen Städte am blaurauschenden Meer und spenden Freude dem, der ihnen ein Goldstück auf die Stirne drückt: sie sind Menschenblumen, die selber glücklich sind, wenn sie Glück bereiten, und erst dann, wann ihr Frühling vorbei ist, in die Wüste zurückkehren und dienende Weiber werden. Sie aber wählt sich den Geliebten selber aus der dunklen Neugierde ihres Blutes heraus, welche von Allahs Paradieseswonnen möglichst viel schon in diesem Dasein vorkosten möchte . . .

»Warum, o Fürstin« – erwidert nach einigem Besinnen, statt aller Antwort, der alte Erzähler – »kannst du niemals den Mann, sondern stets nur die Männer erkennen?«

Alle horchen auf und bewundern die Gegenfrage, welche in eben jene Gedanken eindringt, die die Fürstin hinter einem launischen Einfall zu verbergen trachtete. Da tritt aus letztem, zerfließenden Gewölk der bläulich erstrahlende Mond hervor und wirft sein Silber über die junge Herrscherin und alle, die um sie sind. Und der schlaue Omar blickt starr in die nächtliche Herrlichkeit hinein –

»Freilich, wer wird noch die Sterne schauen wollen oder können, wenn der Mond da ist? Und macht nicht der Mond uns die Sonne vergessen?«

Sie lächelt auf den Graubart hernieder, dessen Worte immer von irgendeiner heimlichen Huldigung widerklingen, und atmet tief den aus den Gärten aufsteigenden Wohlgeruch ein. Wo ist für sie heute der Mond, der sie die Sonne vergessen machte?

Und selbst wenn er da wäre –

279 »Was aber ist das Wesen des Mondes, Omar?« flüstert sie traumhaft; und während sie die Augenlieder geschlossen hält, treten aus ihren lächelnden Lippen die gesunden, kleinen, weißen Raubtierzähne hervor.

»Daß er wechselt, Fürstin . . .«

Und sie nickt stumm, als bestätigte sie sich selber eine Seligkeit, welcher sie ihre eigene Unersättlichkeit gewachsen weiß.

Da steigt ein Türhüter aus dem Innern des Hauses auf die Zinne heraus und wirft sich ihr zu Füßen. Er ist nur noch ein weißflimmernder Haufen Tücher, aus dem eine Stimme hervorklingt –

»Die Kamele vom Meer sind angekommen. Sie führen dir einen blassen Jüngling zu. Du hast noch nie etwas Seltsameres gesehen.«

»Schafft ihn herbei!«

Der Türhüter verschwindet im Treppenschacht und kehrt bald mit mehreren andern weißen Männern zurück, die ihr zwischen ihren eigenen dunklen Gesichtern ein blondes, herbverschlossenes, fast feindselig blickendes Jünglingsantlitz zeigen. Stephan steht in seinem schmutzigen Hirtenfell vor der jungen Berberfürstin wie ein gefangenes und zur Schau gestelltes Tier. Was will man hier von ihm?

»Das ist der Anführer der vielen tausend Kinder, die nach Syrien fahren wollten zum Grabe dessen, den sie als ihren ›Erlöser‹ verehren!« verneigt sich der fremde Händler vor der Fürstin. »Er nennt sich ›König von Jerusalem‹; denn er weiß nicht, was er sagt. Ich schenke ihn dir, Fürstin . . .«

Stephan blickt halb trotzig, halb traurig umher. Er riecht das finstere Heidentum, das ihm immer näher auf den Leib rückt, und ruft sich die holde Lieblichkeit Ellenors wie eine Schutzgöttin 280 vor das innere Auge. Dann spricht er in seiner Sprache: »Im Namen Jesu Christi – der Herr sei mit euch und erlöse euch von dem Übel dieser Welt!«

»Er will Euch erlösen, Fürstin!« flüstert der Händler.

»Ich wünsche nicht erlöst zu werden!« versetzt sie hohnlächelnd. »Mir genügt, daß ich bin . . .« Und wie ein schönes, feinfühliges Pferd saugt sie jetzt ihrerseits die Witterung des sonderbaren Heiligen in sich ein.

»Er sagt, daß die Welt vom Übel sei,« fährt der Händler fort.

»Vom Übel!« wiederholt die junge Fürstin, zieht die Augenbrauen zusammen und schießt Stephan einen Blitz zu. »Willst du Allahs Schöpfung verbessern? – Wißt ihr Christen mehr von seinen Plänen als er selbst?«

»Sie nennen den Krieg so gut wie die Liebe ein Werk des Teufels – und verbreiten diese Meinung, selber die ärgsten aller Teufel, mit Feuer und Schwert über die Erde . . .« spottet der Händler.

Die junge Fürstin schaut wieder zu den Sternen empor, als ob sie mit ihnen Zwiesprache hielte –

»Allah will, daß der Mann stark und das Weib süß sei. Wir wollen nichts anderes als Allah; und darum sind wir glücklich, daß es unter den Männern Sieger gibt und daß das Weib mit seiner Liebe den Siegeslohn spenden darf . . . Wenn ihr etwas anderes wollt, so seid ihr mit Recht unglücklich und zum Wandern in alle Fernen verdammt!«

Stephan hört die Worte dunkel und weichklingend von ihrem kleinen herben Munde fallen, ohne doch ihren Sinn zu verstehen. Aber er fühlt deutlich, daß das Nicken der weißen Turbane rings im Kreise ihr und nicht ihm Beifall zollt. Was wird jetzt mit ihm geschehen? Wird sie ihn den schwarzen Panthern 281 vorwerfen, die sie zu ihrem Vergnügen im Zwinger hält und auf die ihn der Händler drunten im Vorbeigehen aufmerksam machte?

»Das sind diese ungläubigen Hunde!« redet unterdessen der alte Erzähler vor sich hin. »Sie wollen nicht stillhalten und in Demut lauschen, welches Allahs Wille sei. Sie wollen seinen Willen unter ihren Willen zwingen und sich ihr Glück erlisten, statt es zu verdienen. Allah verderbe sie!«

»Meine Freunde,« beginnt da, mit einem Rundblick, die junge Fürstin aufs neue, »es gibt drei große Dinge in der Welt: die Wüste, der Himmel und das Meer. Wir haben die Wüste und den Himmel; das Meer aber ist unsere Grenze. Laß sehen, ob die Menschen, die jenseits wohnen, größer sind . . .« Und sie wendet sich aus ihren Fellen heraus Stephan zu. »Was kannst du von mir anderes wollen, fremder Jüngling, als was der Mann vom Weibe will? Was kann ich von dir anderes wollen? Eine Weisheit, die dieser Weisheit widerspricht, ist keine Weisheit mehr, sondern Lüge. Ein Weib lernt die Welt am kürzesten durch den Mann, ein Mann durch das Weib kennen . . .« Sie winkt. »Wohlan, bringt dem Gast hier Speise, daß er sich zu mir setze, seinen Hunger stille und von seiner Heimat erzähle! Ich werde seine Worte nicht verstehen und doch aus ihnen seine Seele heraushören; und bald einmal wissen, ob er mich glücklich machen kann oder nicht. Kann er es, so weiß ich für gewiß, daß er und seinesgleichen uns auch furchtbar sein können . . . Allah mag entscheiden, ob diese Nacht für mich Gewinn oder Verlust bedeutet!«

Und Stephan sieht sich plötzlich mit köstlichen Früchten bedient, welche unter ihrem dunklen Leuchten etwas von der milden Kühle dieser Nacht in sich zu bergen scheinen: aber er fürchtet bösen Zauber und ißt nicht. Man nötigt ihn, sich auf Kissen zu den Füßen des wundersam verschleierten Weibes 282 hinzusetzen und von seiner Heimat zu erzählen: aber obschon jetzt alle andern das Dach verlassen und er allein mit der Fürstin unter dem Sternenhimmel weilt, spricht er nicht. Er staunt sie an und schweigt, indem er zu erraten sucht, was sie wohl mit ihm vorhat.

Und sie? Sie liegt nachlässig in ihren Tüchern zurückgesunken da, jeden Muskel wohlig entspannt und doch sofort bereit, dem Rufe des Willens zu folgen und ganz federnde Straffheit zu sein. Aber wofür? wozu? Sie wartet darauf, erst selber erweckt zu werden; und derweilen spielt ein mitleidig-verächtliches Lächeln um ihre Lippen, daß in diesem fremden Jüngling in ihrer Gegenwart nichts erwacht, und spürt sie mit einem kalten Frösteln die Krankheit der Seele, die wie ein Vampyr an seinem Leibe frißt und alle seine schenkende Kraft in ewig fordernde Sehnsucht verkehrt.

Da erhebt sich Stephan und streckt beide Arme zu dem flimmernden Firmament empor. Was jetzt über ihn Macht gewinnen möchte, ist dieselbe finstere Gewalt, die ihn im Zelt vor Marseille in Ellenors Arme warf; nur daß jetzt etwas anderes vor ihm steht als jene lieblich-gütige Hingabe, die ihm so unvergeßlich in der Seele nachklingt. Diese dunkle Tochter der Wüste möchte mit ihrer Liebe nicht ihm, sondern einer fremden Gottheit dienen, die er nicht kennt – die kennen zu lernen er verabscheut –

»Du bist eine Botin der Hölle, die mich verführen und von meinem Gotte abziehen will, der über den Sternen wohnt. Weiche von mir! Mein Herz gehört nur ihm und seinem Sohne, der am Kreuze für uns sündige Menschen starb, damit wir errettet werden aus dieser Welt der Vergänglichkeit und der Trübsal! Bleib du in deiner Sünde, wie ich in meiner Reinheit zu bleiben gedenke . . .«

283 Versteht die Fürstin diesen Ruf, der abwehrend und beschwörend zugleich in die Wüste hinausklingt, wo der Wind mit dem staubfeinen Sande spielt? Was tut sie dieser leidenschaftlichen Verwünschung gegenüber, welche alles verneint, was sie zu geben vermag und schon nicht mehr zu geben gewillt ist? Wird er ihre zornige Empörung zu spüren bekommen? Stephan erschrickt selber über die Kraft seiner nachhallenden Stimme und sieht einem verhängnisvollen Echo entgegen –

Da steht sie auf von ihrem über Stufen erhöhten Sessel und breitet vor ihm mit ausgestreckten Armen ihre Tücher und Schleier auseinander; und auf dieser weißen Umgebung zeichnet sich ihr schlanker brauner Körper in herrlicher Straffheit ab, betaut und überspiegelt vom duftenden Mondsilber. Sie spricht kein Wort – und doch ist jede Linie ihres Leibes wie ein hoheitsvoller Gesang. Ich dich verführen? Wenn dich nichts verführt zu mir, kann etwas dich noch elender machen, als du schon bist? Was ist denn ewig an der Ewigkeit, die du anbetest, als der Wechsel? Bin ich auch nur eine Welle im Meere der Schöpfung, so will ich doch nichts anderes sein: und eben darum ist die Ewigkeit Allahs in mir! Fühlst du sie nicht, greifst du sie nicht: wessen Schuld ist es, wenn sie dich nicht trägt? – Magst du verdorren in der starren Ewigkeit deines Geistes! . . .

Und sie hüllt sich dicht in ihre Gewänder und schreitet an dem harrend Dastehenden vorbei, als wäre er ein Gebilde von Luft. Wie ein höllischer Dämon, der im Kampfe mit Gott unterlag, versinkt sie vor Stephans Augen in den Treppenschacht hinein und hinterläßt ihm nichts als das Gefühl, als lösten sich tausend Schlingen, welche bereits unsichtbar seine Leiblichkeit umrankten. Und er fällt zu einem frommen Dankesgebet in die Knie, der einzige Gläubige in dieser nächtlichen Welt der 284 Heiden, in welcher nur die unvergänglichen Sterne von dem wahren Gotte zeugen.

Im Gemach der Fürstin staunen die kindlichen Dienerinnen, daß sie allein erscheint, und verscheuchen ihr so lange mit Tanz und Gesang den Unmut, bis sie auf ihrem Lager allmählich in den Schlummer hinüberdämmert. Mit dem Bilde des ewigen Wechsels vor dem innern Auge und mit dem Klang der ergeben in sich selber verlöschenden Lust in der zwischen Träumen schwebenden Seele, taucht sie bis in jene Tiefen, wo nur noch der Strom des eigenen Blutes rauscht. Und dort ruht sie in dem dunklen Geklüfte zwiespältigen Wollens, bis der Reigen der Stunden sie wieder an das Gestade des Selbstbewußtseins emporträgt und sie in den neuen Tag hinein erwachen läßt . . .

»War deine Nacht glücklich, o Fürstin?« fragt der Händler, indem er voll Zweifel vor sie hintritt, ob sie ihn auch huldvoll beschenken werde.

»Soll ich ihn den Panthern –?« grinst der fette Eunuche, der von der andern Seite her sich heranmacht und hinter ihrer verdüsterten Stirne zu lesen sucht.

Und sie vernimmt, daß man den fremden Jüngling droben auf der Zinne im tiefen Schlafe der Erschöpfung vorgefunden habe. Und mit aufgestemmten Armen, die Wangen in ihre kleinen Fäuste gestützt, blickt sie wie ein liegendes Steinbild lange vor sich hin.

»Wann fährt dein nächstes Schiff nach Syrien?« Ihr Wort gilt dem Händler.

»In einem Monat, Fürstin.«

»So nimm ihn wieder mit und sorge dafür, daß er das Land seiner Sehnsucht zu sehen bekommt! – Das wird schlimmer sein als die Panther . . .« 285

 


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