Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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17. Das Kreuzfahrerlied

Wie wogt dieses Heer der Jugend dahin!

Immer breiter und länger wird der Strom von Knaben- und Mädchenleibern, in welchem die Köpfe wellengleich auf- und untertauchen, während unter den übrigen Fahrzeugen Stephans großer, überdachter Wagen, gleich dem Admiralsschiff einer Flotte, stetig in der Mitte schwimmt.

Jeder Tag wird begonnen und beschlossen mit einem frommen Lied, das ihnen das Ziel ihrer Reise vor Augen und Seele stellt. Dazwischen – in den langen Stunden von Morgen bis Abend – bricht die kindliche Wanderfreude an Himmel und Erde ungetrübt von Sehnsucht und Ahnung hervor und wird jeder neue Zuzug mit Jubelgeschrei empfangen.

Was aber ist das für ein Zug, der dort links drüben auf einer Straße steht, welche unweit vor ihnen in spitzem Winkel in ihre eigene einmündet? Wohl ein Dutzend schwerer, hochbepackter, mit zwei und mehr starken Rossen bespannter Wagen warten da, begleitet von reisigen Männern, die alle bis an die Zähne bewaffnet sind und stumm zu ihnen herüberstarren, deren leichter bewegliche Schar sie offenbar vorauslassen wollen. Eine 70 Handelskarawane, welche die Güter der Erde verteilt, wo sie nach dem Gute des Himmels ausschwärmen!

Da flutet von der Stelle der Begegnung eine Welle des Jubels zurück bis zu den beiden breiten Ochsenstirnen. »Heil, König Stephan! Heil!« rufen die Kinder dem einsam in seinem Schaffell auf dem Wagen sitzenden Jüngling zu. Und ein Knabe kommt, den nackten Arm steil erhebend, wie ein Herold durch die hohle Gasse der Staunenden dahergeeilt und kann nicht sprechen vor Bewegung; und zwei andere zerren einen alten Kaufmann, dessen Beine nicht mehr so flink sind, hinter ihm nach, bis sie alle miteinander vor Stephan stehen.

»Sag ihm's selber!« drängen die Knaben und Mädchen den atemlosen Graukopf. »Sag ihm's selber, damit er's um so eher glaubt! – Sie kommen von Flandern und berichten –«

»Nun ja,« beginnt der Kaufmann, indem er ehrerbietig die Mütze abnimmt und unter ihr einen gelichteten Schädel sehen läßt; »am Rhein, erzählen sie bei uns, sollen auch Hunderte, Tausende von Kindern aufgebrochen sein nach dem heiligen Land! Ein lahmer Knabe, namens Nikolaus, führt sie, kaum zehn Jahre alt; und überallher strömt ihm die Jugend zu und nimmt das Kreuz. Sie sind ein Heer wie ihr!«

Stephan lauscht, steht auf und hebt Blicke und Arme gen Himmel. Und es ist, als ob mit ihnen die Bäume des Waldes ihre Zweige und die Blumen der Wiesen ihre Kelche gläubig in sein lichtes Blau emporstreckten, aus welchem wie eine ewige Verheißung Sonne, Sonne auf sie niederfließt. Sind sie nicht alle miteinander Kinder der Erde, vom Schöpfer in die Seligkeit dieses Daseins gerufen? Nur daß sie mit einer unsterblichen Seele begabt wurden, um sich nach ihrer himmlischen Heimat zurückzusehnen?

71 »Großer Gott über den Sternen,« jubelt Stephan, »ich danke dir! Wir sind nicht mehr allein; du hast sie wie uns erweckt zu einer Tat, wie noch nie eine Tat geschehen ist. Der ewige Menschenfrühling ist da; das Reich des Friedens wird Wirklichkeit werden in der Welt . . . Viele Wege gibt es auf Erden; aber ein und dasselbe Ziel ist es, zu dem sie die Gläubigen führen. Wir gehen voran, vielleicht ein Opfer; doch hinter uns wird die ganze Christenheit nachfolgen und die Früchte unserer Saat pflücken . . . Laßt uns beten für unsere unbekannten Brüder und Schwestern, daß wir ihnen Mut spenden, so wie sie uns Stärkung bedeuten!«

Und er kniet auf seinem Wagen nieder, legt die gefalteten Hände auf die Brüstung und seine Stirn auf die Hände. Und wie ein Geisteshauch weht sein Wille zur Demut nach vorwärts wie nach rückwärts über sein Heer hin und zwingt die Knaben und Mädchen in den Staub der Straße, in das Rasengrün des Wegbordes hinein zu stummer Andacht. Nur der Kaufmann steht noch aufrecht, bis auch er die steifen Beine beugt, sich über sein Bäuchlein neigt und unter dem Lederwams mit seinem Herzen Zwiesprache hält.

»Lieber Gott« – betet er in sich hinein, während er die Sonne heiß auf seinem Kahlkopf spürt – »laß mich mit meiner reichen Fracht wohlbehalten bis ans Meer gelangen! Gewiß schickst du mir diese heiligen Kinder, damit ich mit den Wagen hinter ihnen herziehe, gesichert auf diese Weise nicht nur durch meine Waffenknechte, sondern auch durch den Abglanz ihrer Frömmigkeit. Ich will nicht versäumen, ihnen, wenn sie vorbeigehen, etwas von unserer Atzung abzugeben, damit sie weniger Hunger leiden müssen . . .«

»Auf, nach Jerusalem!« ruft da Stephan vom Wagen herab, 72 wo er sich erhoben hat und wieder auf seinen Platz setzt. Die Ochsen ziehen an; die Knaben und Mädchen springen auf, wunderbar neugestärkt in ihrem Glauben: Räder rollen, Schenkel schreiten. Es ist immer wieder dasselbe: ein neuer Schritt nach dem fernen Ziel. Der Kaufmann aber ruft einige von ihnen freundlich zu seinem Wagen, damit sie ihm bei der Verteilung der Liebesgaben behilflich seien.

Wahrlich, greift Gott nicht schon wieder sichtbar in ihr Schicksal ein? Da hat er sie mit diesen braven Leuten zusammengeführt, welche jetzt mit entblößten Häuptern drüben auf der Straße stehen und sie vorausziehen lassen; und immer, wenn einer ihrer Wagen an der Spitze des Kaufmannszuges vorbeifährt, wird ihm rasch ein Sack oder eine Kiste aufgeladen. Alle meinen es so gut mit ihnen . . .

Und wie sie jetzt wieder als geordnetes Heer durch das grünende, blühende Land weiterwandern, da schwillt ihnen die Brust; und ihr Mund fließt über von Gesang. Wer hat das Lied erdacht? Niemand weiß es. Ein Ankömmling sang's; und die andern sangen es nach. Auch diesmal stimmen die Vordersten es an und fallen die Nachfolgenden hintereinander ein, bis an das Ende des Zuges.

Es umjauchzt Stephan auf seinem Wagen und steigt in den blauen Himmel empor, welcher sich auch über den Brüdern und Schwestern im fernen Deutschland wölbt, zu denen sie es, eine klingende Brücke, hinüberschwingen möchten –

»Nun laßt uns fromm in Scharen
So Berg als Tal durchfahren,
Bis wir das Land gewahren,
    Das uns der Glaube weist. 73

Was Schwert und Speer nicht taten,
Als sie der Stadt sich nahten,
Das muß dem Wort geraten,
    Das dich, Herr Jesus, preist.

Vorm Meer soll uns nicht bangen,
Zum Grab wir hingelangen,
Dort wird uns Gott empfangen:
    Uns schirmt der heilige Geist!«

 


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