Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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36. Die beiden Torwächter

Da hocken sie wieder einmal jenseits der Zugbrücke in der Laube des über und über mit Jungfernrebe bewachsenen Wirtschäftchens. Ein mächtig ausgebauchter irdener Krug und zwei stets volle Hornbecher stehen vor ihnen auf dem länglichen Tisch. Sie trinken schon so lange, daß sie saufen.

Pah, das hindert sie nicht, daß sie jeden Schelm sehen, der durch das Tor in die Stadt eindringen will, die dort mit ihren Giebeln und Türmen über den grauen, steil zum stinkenden Wassergraben abfallenden Mauernkranz hinweg in den Nachmittagshimmel emporlugt, an welchem eine Herde weißer Schäfchenwolken wandert. Den Meldereiter, der dahergesprengt kam, daß die Funken stoben, haben sie wenigstens auch bemerkt! Und jetzt, nachdem er schon längst durch das untere Tor dem Fluß entlang weitergeritten ist, wissen sie sogar, was er für Neuigkeiten mit sich führte: Balthasar studiert eben das Pergament zu Ende, das ihnen der Stadtschreiber mit dem Bemerken hat hinausbringen lassen, es stehe demnächst ein allgemeiner königlicher Erlaß bevor, die gesamte kreuzfahrende Jugend festzunehmen und unverzüglich zu ihren Eltern heimzusenden.

»Ja, das ist wieder einmal gescheit!« knurrt Benedikt, nachdem ihm Balthasar den Steckbrief laut vorgelesen hat. »Wenn 171 nun so eine Schar ankommt, wie kann ich da wissen, ob sich die Gesuchten unter ihr befinden? Fragst du nach diesem Fackel hier: Bist du die Ellenor, die Suzanne, die Marceline, die Germaine, die Valerie? – so werden sie sich wohl hüten, mit Ja zu antworten, auch wenn sie es hundertmal sind . . .«

»Überhaupt,« fällt Balthasar ein, »solange sie nichts anderes tun als davonlaufen in einer Welt, in der es täglich mehr zum Davonlaufen ist, so haben sie meinen uneingeschränkten Segen. Liefe selber gern davon, wenn ich mit meinen Fünfundfünfzig noch laufen könnte, was man so unter Laufen versteht! Aber ehe man sich's versieht, hat man lebenslängliches Pech am Hintern – ich jedenfalls mache im heiligen Lande keine Schuhe kaput.«

»Ist immer noch gescheiter, sie toben sich beizeiten aus, als daß es ihnen zu spät in den Sinn kommt wie den Geißlern, die jetzt wieder durchs Land schwärmen. Was darunter Weiber sind, sollen alles – so sagte mir kürzlich einer, der sie gesehen hat – alte Nummern sein, die glauben, wenn sie jede Kleidung von sich werfen, würden sie wieder jung oder seien Gott näher, oder was weiß ich! Diese Narren ließe ich, wäre ich der gestrenge und hochwohlweise Rat, sofort einsperren . . .«

»Du würdest, selbst wenn du diesen Befehl hättest, lediglich Maul und Augen aufreißen und mit allem Volk hinter dem Spektakel herlaufen! Ich meine, man sollte diesen armen Teufeln kein Haar krümmen – denn sie glauben doch noch etwas; es ist etwas in ihnen, das sie, ob auch in Verwirrung und Zerknirschung, in die Ferne treibt, vielleicht so einer Art Heimat entgegen! Was aber ist unser Ziel und Zweck? He? Diesem aufgeblasenen Bürgerpack die Geldsäcke zu hüten, damit das Rad von Taufe, Hochzeit und Begräbnis auf einem immer 172 besser geschmierten Geleise dahinläuft! Die tun ja nur so, als ob sie einen Glauben hätten; sie glauben vom Glauben gerade soviel, als ihnen in den Kram paßt . . .«

»Deswegen ist mir's doch lieber, wenn zuerst die jungen Mädchen in einem netten kurzen Röcklein daherkommen, statt die ausgebrannten alten Weiber und die verdorrten alten Jungfern im Evaskostüm. Ich habe erst fünfundvierzig auf dem Buckel; und wer weiß, ob ich nicht noch einmal zu gären anfange, wie der Wein in den Flaschen zur Zeit der Rebenblüte! Vielleicht könnten sie unterwegs so einen Piken-Onkel nicht übel brauchen; und ein Dienst wäre des andern wert . . .«

»Das glaubst du ja alles selber nicht! Wenn diese frommen Buben und Maitli des Weges kämen und dich mitnehmen wollten, so würdest du gewiß tausend Ausreden haben und dich auf einmal über Fußbrennen beklagen. Mensch, wenn man im Staatsdienst ist, hat's geschellt! Da ist und bleibt man bis zum letzten Atemzug ein Hocker. Man will im Grunde nichts anderes mehr, als daß man genug zu fressen und zu saufen hat . . .«

»Nun, das wird sich ja zeigen! Bis jetzt haben wir weder Verrückte noch Verzückte in unserer Stadt gesehen; nur auf Flößen sind kürzlich ein paar Pfiffikusse, denen die Straßen zu staubig wurden, den Strom heruntergeschwommen. Der Gewalthaufe mit dem jungen König ist sicher noch nicht vorbei . . . Wundert mich schon, wie dieses Kreuzheer aussieht!«

Und sie schweigen wieder und betrachten aus glänzenden Äuglein durch das Blättergrün hindurch die abendliche Landschaft. Hügel, Fluß und Tal breiten sich vor ihnen in einem goldenen Schein, welcher zusehends eine weinrote Färbung gewinnt, als hätte ein himmlischer Zecher seinen Krug 173 umgestoßen und wollte sie einladen, mit ihm unter den Tisch zu sinken. An Mauern und Türmen der Stadt, und eine Strecke weit bis in den dunklen Torgang hinein, loht das letzte Sonnenfeuer und erlischt allmählich vor der blau nachrückenden Sommernacht.

 


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