Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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Drittes Buch:

In der Provence

 

1. Gespräch beim Wein

»Unglückliches Land!« murmelt der bejahrte Kaufmann in dem hochummauerten, sommerlich durchblühten Gärtchen hinter dem Haus, indem er nachdenklich den tiefrot funkelnden Wein in seinem erhobenen Glase beschaut. Sein Geist sieht, blutig überlichtet, die fern entlegenen Stätten, an denen er einst, begierig, fremde Menschen und Sitten kennen zu lernen, seine Jugend zubrachte; und die Worte des weithergereisten Jünglings, der neben ihm sitzt und ihm in der Sprache jenes Landes erzählt, rufen ihm immer neue Bilder vor das innere Auge. Er lauscht und vergißt das Trinken.

» . . . Die ganze Provence gleicht seit Jahren einem Schlachthaus. Weil der heilige Vater keinen Kreuzzug gegen die Ungläubigen zustande bringt, hetzt er jetzt Christen auf Christen: niemand ist mehr sicher davor, ein Ketzer zu sein; selbst Eltern nicht vor ihren Kindern. Blut fließt ununterbrochen in Strömen, und jede Woche lodern irgendwo Scheiterhaufen – mir graut vor dem, was ich bei meiner Heimkehr antreffen werde . . .«

Der Jüngling, der die Unterarme auf die Knie aufgelegt und die Hände verkrampft hält, starrt vornübergebeugt zu Boden. Mit der Leidenschaft der Jugend hat er sich seinen Kummer vom Herzen heruntergesprochen und einige Erleichterung empfunden dabei; aber jetzt denkt er an den Vater, den er zurückgelassen hat und nicht mehr lebend vorzufinden fürchtet. Lastet nicht auch auf ihrer Familie der Verdacht, daß sie Ketzer seien, nur weil sie ihren Abscheu vor den Greueln nicht verhehlen?

4 »Und könnte alles so einfach sein!« redet, in Gedanken verloren, der Alte über sein Glas hinweg. »Liebet einander . . . Statt dessen zerfleischt sich die Menschheit in wahnsinnigem Haß; und man darf es nicht einmal sagen, wie gleichgültig im Grunde die Dinge sind, um die sie sich vernichten. Glaubt Ihr, es werde am Tage unseres Todes lange gefragt, was für Gedanken wir uns über das Jenseits machten? Was wir sind, das wird allein darüber entscheiden, wo wir drüben hinkommen werden; und leicht möchte es sein, daß dann die Schlächter sich dort befinden, wohin sie ihre Opfer zu schicken glaubten: nach dem Worte der Schrift von den Ersten und Letzten . . .«

»O, wenn Ihr bei uns so sprächet, Ihr wäret verloren!« ruft entsetzt der junge Mann. »Wer nicht tut, was alle andern tun, wird schon mit scheelen Augen angesehen; denn aus den Handlungen wird auf die Gedanken geschlossen. Ja, viele bringen Ketzer nur deshalb zur Anzeige, um sich selber den Verdacht fernzuhalten . . .«

»Ich würde nicht so sprechen«, lächelt der Alte; »und ich spreche auch hier nur zu Euch so! Was braucht man denn über die Geheimnisse des Glaubens zu schwatzen, wo doch alle unsere Worte keinen Ausdruck für sie haben und alle unsere Begriffe nur dazu da sind, das Unbegreifliche, indem sie es begreiflich machen, zu fälschen? Alles ist Lüge und Heuchelei; denn dazu gerinnt jedes Gefühl des Göttlichen, wenn man es in dieser Welt festhalten will, wo doch das Göttliche, nach des Herrn eigenem Wort, nicht von dieser Welt ist. Darum läuft mit einer frommen Maske vor dem Bocksgesicht allenthalben der Teufel umher; und nicht mit Unrecht haben die Menschen schon mehrmals vermutet, er sei es auch, der zu Rom auf dem goldenen Throne sitzt und die dreifache Krone trägt . . . Wer weiß, vielleicht 5 läuft er auch den Kindern voran, welche jetzt nach dem heiligen Lande wallen, um an Stelle einer verdrossenen Ritterschaft das Grab des Erlösers den Heiden zu entreißen!«

»Ich habe auf der Reise hierher mehrmals Scharen von ihnen begegnet«, wirft der Jüngling ein. »Ihr mögt recht haben, daß sie nicht minder einem Trugbild nachjagen, als es Trugbilder sind, vor denen man uns in die Knie zwingen will! Denn was bedarf es weiter für Glaubenssätze und Reliquien, um Christi Gebot zu erfüllen, als einfach der Liebe und eines Herzens, in welchem sie zu jeder Zeit und für alle Menschen lebendig ist? Aber oft wollte mir scheinen, als ob diese Knaben und Mädchen eine heilige Sache ebensosehr zum Vorwand für ihre jugendliche Abenteuerlust benützten, wie unsere Pfaffen für ihre unersättliche Habgier; und in der Tat liegt bei solchen Fahrten zwischen Aufbruch und Ankunft ein langer Weg, der die Seelen auf seine Weise modelt . . .«

»Gleichviel, es sind unberatene Kinder!« entschuldigt sie der Greis. »Gestern sind ein paar Nachzügler auch durch unser Städtchen gezogen, hier an meinem Haus vorbei. Und wandern nun in jene Greuel hinein, wie bei Euch die Schafherden zur Schlachtbank . . . – Was könnte es Schlimmeres geben, als wenn Christus wiederkäme und sähe, was die Menschen aus seiner Lehre gemacht haben?«

Der alte Mann setzt endlich das Glas an die Lippen und trinkt einen langen Zug daraus. » . . . Ihr habt mir denselben guten Tropfen mitgebracht, den ich vor Jahren mit Eurem Vater zusammen trank; aber er würde mir noch besser schmecken, wenn Ihr mir auch gleich den Vater mitgebracht hättet. Gibt es doch nichts Besseres in diesen gräßlichen Zeiten als einen guten Freund, mit dem man sich einig weiß und auf den man sich 6 verlassen kann! Richtet ihm herzliche Grüße von mir aus und sagt ihm, wie sehr ich noch seiner gedenke und wie sehr ich mich darüber gefreut habe, daß er mir in Euch seinen Sohn schickte . . .«

Dann schauen sie schweigend durch das grüne Blättergeranke in den schwül über Dächern und Gärten flimmernden Nachmittag hinaus. Als machtlose Gefangene in diesem Dasein hören sie in den Grundtiefen ihres Wesens leise den Blutstrom rauschen, welcher von Mensch zu Mensch durch die Jahrhunderte hinfließt und immer neue Wahnbilder mit verderblicher Lockung in das Denken der Lebenden emporsteigen läßt. Was weiß doch ein jeder und gibt kluge Lehren, wie die kurze Frist von der Wiege bis zur Bahre besser genützt werden könnte und sollte – und wie bleibt doch immer alles beim Alten!

 


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