Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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24. Gerolds Geheimnis

– und über die Zugbrücke hinweg und den Burgrain hinunter.

Wie derjenige, der einen Brandherd entdeckt hat, durch das Haus rennt und alle zum Löschen aufruft, so Gerold durch das Tal, um der Welt sein – nein: ihr! – Geheimnis zu verkünden . . .

Das ist es! Begreift doch: Das ist es! Solange ihr ein Weib begehrt und überwältigt, solange werdet ihr dies Leben voller Qual und Not »am Leben erhalten!« Und wie ihr euch um ein Weib reißt, daß euer Wille an ihm in Erfüllung gehe, so reißt ihr euch eifersüchtig auch um alle andern Dinge dieser Welt und 365 schafft so die Welt denen, die ihr in sie hineingesetzt habt, doppelt zur Hölle!

Ihm ist, als würden vor seiner Hellsichtigkeit selbst die Berge durchsichtig: und überall sieht er das nämliche teuflische Hebelwerk jenes Ich-Triebes an der Arbeit, der in allem nur sich selbst verewigen will und darum alles in dieser Welt gleich dem Weibe vergewaltigt. Und das Schlimmste, das unbegreiflich Dämonische: Weib und Welt wollen vergewaltigt werden! Sie verführen einen selber immer wieder dazu, in ihnen nichts anderes als den ewigen Teig zu erblicken, aus dem unaufhörlich neue Bretzel gebacken werden können und darum auch gebacken werden sollen! Aber wozu? Damit andere sie fressen, unsterbliche Seele! Und auch dich eines Tages, aus Versehen!

»Flieht! Flieht aus diesem Dasein ihr alle, die ihr noch nicht vergessen habt, daß ihr aus Gottes Hand hervorgegangen seid! Aber nein, ihr flieht nicht: ihr lockt nur immer neue Seelen in diese Welt des Jammers, in welcher ihr es schon längst nicht mehr aushieltet ohne jenen, den ihr ans Kreuz genagelt habt und von dem ihr glaubt, daß er euch dafür erlösen werde! Das ist der wahre Sündenfall: daß Gottes Engel in diese Welt des Fleisches abstürzten und immer noch abstürzen und dabei oft genug zu Teufeln werden – und ihr setzt ihn ewig weiter fort und kreischt zugleich zum Himmel, daß einer diese Marter von euch nehme und euch aus der Knechtschaft der Freiheit zurückgebe? Warum, statt immer selber um Erlösung zu flennen, erlöst ihr nicht endlich Gott von dieser Welt, die ihm der Böse abgelistet hat? Warum denn nehmt ihr immer aufs neue Handgeld des Satans?

Ha, da kommt schon wieder so ein Hochzeitszug von der Kapelle herunter! Hat nicht der Fiedler eine Hahnenfeder 366 auf dem Hute und hüpft er nicht auf einem Pferdefuß? Aber wie sie lachen und schäkern und schon von der Taufe reden – als ob nicht eben damit das Abwaschen von etwas begänne, das niemals abzuwaschen ist! Warum denn, beim Himmel, laßt ihr die Menschenseelen nicht dort, wonach den besten unter ihnen die Sehnsucht das Herz verbrennen wird: bei Gott? Warum müßt ihr, um selber einen Augenblick ihrer Paradieseslust zu kosten, sie in diese Höllenpein hereinzerren?

Halt, du junger Hochzeiter; bedenke was du tust! Hier in diesem blühenden Mädchenleib willst du Kinder zeugen; das heißt: unsterbliche Seelen aus ihrer lichten Seligkeit in Qual und Dunkelheit des Fleisches bannen? Und ihnen dann nachher mit der Rute das »Ehre Vater und Mutter!« einbläuen, damit sie euch nicht an die Kehle springen, wenn ihnen klar geworden ist, wem sie das Dasein in dieser Welt verdanken? O, wie wirst du einmal ein schlechtes Gewissen haben, wenn du bedenkst, an wie vielen Menschenleben du schuld bist!

Und du, junge Frau: Klage nicht über die Welt, wenn deine Kinder dereinst zerfleischt, gepfählt, gehenkt, gerädert, verbrannt werden oder – noch schlimmer – solches andern antun! O, ich habe sie gesehen, habe sie schreien hören, aus der Marter des Fleisches heraus, das ihre Mütter ihnen mitgaben! Nein, nicht die Welt wird schuld daran sein; nicht Gott ist es, der sie »genommen und gegeben« hat: du, du wirst sie ihm abgerungen haben, damit sie dasselbe elende Schicksal erleiden, das dir und uns allen, die wir leben, bevorsteht –

Weh, du erbleichst? Und die andern flüstern dir zu, daß nur der schwermütige Burgherr zu dir spricht, von dem jedes Kind weiß, daß er den Verstand verloren hat? Aber muß in dieser Welt nicht den Verstand verlieren, wer ihr wirkliches Wesen 367 erkennt? Und warum denn wankst du, als weil deine unsterbliche Seele die Wahrheit meiner Worte fühlt? Blinde trifft keine Schuld; aber sehend geworden sein und dennoch wie die Blinden handeln: das ist die Sünde der Sünden! Bist auch du sehend geworden? Habe ich dich sehend gemacht? So schließe die Augen wieder, mein Täubchen, sonst heben sie bald auch die Fäuste nach dir, wie sie sie schon nach mir heben –

Kommt nur an! Ihr glaubt, daß ihr mich erschlagen wollt? Ihr wollt die Wahrheit erschlagen, deren Licht ich in euch angezündet habe! Der Böse in euch, der sich die fromme Maske vom Bocksgesicht gerissen fühlt, ist es, der mir den Mund stopfen möchte, damit ich ihm nicht den alten Spaß verderbe, ewig der Angeklagte und doch ewig euer Verbündeter zu sein!

Aber ihr werdet mich nicht greifen; und auch eure Welt soll mich nicht länger gefangen halten. Rutscht ihr weiter auf den Knien vor eurem Götzen Christus und mit jedem Jahrhundert tiefer ins Blut hinein! Denn solange ihr an das Blut glaubt, solange werdet ihr auch im Blut enden! Mich wird Gott irgendein abgründiges Loch finden lassen, wo ich euch entfliehen und zu ihm zurückkehren kann . . .«

Das Bräutchen hängt dem Bräutigam wie ein geknicktes Röslein am Arm. Die andern Festfeiernden aber, voran der Pfaff, stürzen sich schimpfend und fluchend auf den Wahnsinnigen, der ihnen unter verzweifeltem Gelächter immer wieder entrinnt und sie dadurch zu nur immer größerer Wut anstachelt. Er rennt, der abschüssigen Straße nach, vor seinen Verfolgern in eine waldige Schlucht hinein –

– und bei der Brücke über die steinerne Brustwehr hinweg, mit einem lautlosen Sprung in ihr bachdurchrauschtes Felsenbett hinunter . . . 368

 


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