Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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42. Zwiegespräch IV

»»Siehst du, wie gut es war, daß du deinen ›Männertrotz‹ überwandest! Jetzt haben wir schönes Wetter; und der Schnee ist schon fast wieder weggeschmolzen.««

»Ja, meine liebe, kluge, süße Hexe . . . Aber so komm doch etwas vom harten Saumpfad ab! Auf dem feuchten Rasenpolster wandert sich's angenehmer. Und hinter irgendeinem der großen Steine könnten wir auch wieder mal rasten und uns einbilden, wir seien in Jerusalem . . .

»»Schon wieder? Allzu häufige Einbildungen sind ungesund . . . Guck jetzt lieber in den Himmel hinauf, statt immer 395 nur in meine Augen! Siehst du, wie er dort, wo wir herkommen, so fad blau ist mit weißem Wolkengespinst, und dort, wo wir hingehen, so süß grüngolden? Es ist wirklich so, wie die Leute sagten . . . Da sind wir gewiß bald auf der Höhe bei den kleinen Seen! Und dann geht's hinunter in ein fruchtbares Land.««

»Ich bin nun einmal fürs Rasten. Zum Beispiel bei den grauen Felsblöcken dort vorn – und steht über ihnen nicht schief umgesunken ein Holzkreuz? Vielleicht, daß sich dort schon andere zur Ruhe niedergelassen haben. – Du darfst also wohl wagen, dich in Züchten neben mir auf den Boden zu setzen!«

»»Ein Rabe! – Haben die soviel zu essen, daß sie noch die Vögel füttern? – Noch einer . . . und noch einer . . . ein ganzer Schwarm fliegt auf! Die Luft ist schwarz davon . . . – Und da sitzen sie ja und rühren sich nicht! – Weiß Gott, sie schlafen alle miteinander . . .««

»Nein, nein! – So komm doch nur; sieh doch nur! – Sie sind tot . . . Erfroren! – Sie stecken noch halb im Schnee: die einen an die Blöcke angelehnt, die andern über ihre Knie gebeugt. Und dort das Pärchen glaubte wohl auch, es sei in Jerusalem . . . – Entsetzlich! Die Raben haben ihnen die Augen ausgehackt und die Gesichter zerfleischt. Die haben wir gerade bei der besten Arbeit gestört . . . O! O!«

»»Fort! Geh nicht näher! Wir machen sie nicht mehr lebendig; wir aber sind noch lebendig . . . – Komm, sonst seh' ich auch dein Gesicht vor mir mit ausgehackten Augen! Gib mir die Hand und laß uns fliehen! – Und wenn wir so weit weg sind, daß wir nicht einmal das Kreuz mehr sehen, so will ich bei dir ruhen, wo und wie lange du willst . . .««

»Aber so renn doch nicht so! So schrei doch nicht so! Sie kommen uns ja nicht nach. Du aber stürzest noch über einen Stein und 396 brichst dir den Fuß. Dann ade Jerusalem und heiliges Land. – Siehst du, da liegst du schon! Hast du dir weh getan?«

»»Nimm mich und küß mich! Ich will nichts mehr vom Tode wissen. Ich will wissen, daß ich lebe und daß du auch lebst! Früh genug noch müssen wir aus dieser Welt gehen. Aber jetzt noch nicht! Sag mir's: jetzt noch nicht! Du! Du . . .««


»So – jetzt könnten wir wieder weiterwandern . . . Meinst du nicht, Lore?«

»»Sieh doch, was dort hinten kommt!««

»Nun, ein Säumer mit einem schwerbepackten Maultier.«

»»Und oben drauf sitzt ein kleines Mädchen. Und hat, weiß Gott, wie wir ein weißes Kreuz auf der Brust . . .««

»Jetzt ziehen sie an der Stelle vorüber, wo die Toten liegen!«

»»Und haben alle, Mann, Esel, Kind, keine Ahnung davon.««

»Wie oft haben wir keine Ahnung von dem, was sich in unserer nächsten Nähe begibt!«

»»Und das dünne Zopfschwänzchen, das es im Nacken trägt!««

»Das muß ein guter Mann sein, daß er sich so des kleinen Mädchens annimmt . . .«

»»Komm, wir wollen ihm nachgehen, damit wir im Hospiz etwas zu essen kriegen!««

 


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