Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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17. Der Stammhalter

Die Bäuerin steht vor der Stalltüre und die Nachbarn um sie herum. Der große, breitästige Nußbaum beschattet sie alle mit seinem herbduftenden junggrünen Blattwerk.

So? Wirklich? – Was er wohl sagen wird?

Die Weiber fürchten sich davor. Die Männer gönnen sich unter biedern Mienen ein heimlich Schadenfreudlein.

»Dort kommt er!«

Der Bauer stapft auf sein Heimwesen zu. Nicht ohne einen stolzen Blick über das mächtige, fast bis auf den Boden reichende Strohdach zu werfen. Darunter sind, soweit eine Kunde reicht, seine Vorfahren geboren worden; und werden hoffentlich noch auf lange hinaus seine Nachkommen geboren werden . . .

»Nun, hast du jetzt die jungen Kreuzfahrer gesehen?« fragt der eine Nachbar. »Und ihren zehnjährigen König, der in Jerusalem ein Friedensreich gründen will?«

Der Bauer blinzelt listig mit den Augen; halb gutgelaunt, halb besorgt. Sind sie etwa auch schon von der verrückten Reisewut ergriffen? Denen will er gleich klaren Wein einschenken –

»Und ob! Und ob! . . . Kaum hatte ich meinen Ochsen verkauft und war wieder zur Stadt hinaus: da seh' ich schon so einen Zug den nächsten Hügel herunterkommen. Lumpenpack! sag' ich euch. Von christlicher Zerknirschung keine Spur. Wie die Katzen im Hornung, so hüpfen Buben und Mädchen um einander herum; oder liegen gar verbuhlt zusammen im Grase. Die treibt nicht der Glaube, sondern der pure Übermut.«

298 »Aber der junge König? Hast du den König nicht angetroffen? – Er soll doch hier in der Nähe vorbeigezogen sein.«

»Freilich hab' ich . . . Eine Viertelstunde später begegnete mir ein Karren, mit einem Tuch darüber gespannt. Hineinsehen konnte man nicht; und ein ganzer Ring von jungen Helden mit Holzschwertern – zum Lachen! – schloß ihn ab, so daß man nicht hinzutreten konnte. Eine alte Kuh zog an der Deichsel; und viele Neugierige folgten dieser Gugelfuhr und flüsterten untereinander, da drin sei er und bete Tag und Nacht. Da kam einer von diesen Gottesstreitern auf uns zu und fragte mich, ob ich auch einen Faden von seinem Kleide als Heiligtum mit mir nehmen wolle –«

»Du hast doch Ja gesagt?« wirft die Bäuerin dazwischen. Und in Blick und Bewegung verrät sie, daß es ihr nicht ums Scherzen ist.

»Hier!« lacht der Bauer. »Er zog ihn aus der Tasche, wie ich jetzt; nur daß ich sonst keinen andern drin habe, während ihm der Vorrat wohl nicht so rasch ausgeht . . . Wißt ihr, was ich glaube? In diesem zugebundenen Karren ist überhaupt niemand! Sie tun nur so, daß man meinen soll, wunder was käme . . . Wir Bauern sind zwar dumm; aber schlau sind wir auch.«

»Gib mir den Faden!« Und die Bäuerin reißt ihn ihm aus der Hand und versenkt ihn unter ihr Wams zwischen die Brüste.

»Bist wohl auch schon verrückt? Was?« schreit der Bauer heraus und schaut sich, auf einmal unsicher geworden, unter den abgewandt dastehenden Nachbarn um . . . »Aber das sag' ich dir: Wenn du dem Bub solche Flausen in den Kopf setzest, so steh' ich gut dafür, daß ich sie ihm wieder austreibe! Diesen Schwarmgeistern sollte man den Rücken zerbläuen, bis sie glauben, sie seien selber ans Kreuz geschlagen. Dann würde ihnen die Lust vergehen, ins heilige Land zu ziehen –«

299 »Hoho! Du jedenfalls wirst den Buben nicht ans Kreuz schlagen. Geh such ihn und bet für ihn! Er ist fort; mit der ›Gugelfuhr‹ – und kommt gewiß nicht wieder, solange du auf ihn wartest!« Und sie rennt, wie auf der Flucht vor ihm, ins Haus hinein.

»Fort?« brüllt der Bauer, dem die Augen aus den Höhlen treten. He, Gevatter, warum sagst du nicht Nein und machst die Faust im Sack? Und ihr, Nachbarin, was schaut ihr auf die Seite, als wüßtet ihr mehr als ich? . . . »Der Otto fort?«

In seine Seele prägt sich wie zum letztenmal das Bild des stolzen Hofes ein, den schon sein Ururgroßvater bebaut hatte und den sein Sohn – der einzige von sieben, der ihm geblieben war! – hätte weiter bewerben sollen. Und nun ist er der himmlischen Seligkeit nachgelaufen, statt daß er endlich ein festes Maitli heimführte und mit ihm Kinder zeugte, in welchen das Geschlecht fortlebt, wie es bisher lebte? Hat damit sein Weib, das ihn schon lange darin bestärkte, mit dem Jenseits zu liebäugeln, statt zähe im Diesseits zu wurzeln, nicht auch die andern sechs, die ihm Gott nahm, noch einmal getötet? Und er selber: Wozu hat er sein ganzes Leben lang geschunden und gerackert, wenn keiner mehr da ist von seinem Blut, der kraftvoll einspringt, wenn er am Pfluge zusammenbricht?

Und alles, was ihm vor Augen steht, Haus und Hof und Himmel, verdunkelt sich ihm plötzlich wie beim Weltuntergang, während er, ein ins Mark getroffener alternder Mann, lautlos und bewußtlos zu Boden stürzt . . .

Da wenden sich die Nachbarn einer nach dem andern um und blicken im Nähertreten scheu auf den mit blaurotem Kopf Daliegenden. Und unter der Haustüre erscheint auch die Bäuerin wieder, die den Fall hörte, und wird von dem Anblick ebenfalls 300 zu einem regungslosen Hinstarren gebannt. Wahrlich, Gott hat ihn hingestreckt! Mitten aus seinem Trotze heraus!

Und den andern vergeht ihre heimliche Schadenfreude. Stehen sie selber etwa fester auf dieser Erde, als noch eben der Bauer auf ihr stand? Ist es nicht gerade die Liebe zur heimatlichen Scholle und zum eigenen Fleisch und Blut, was den Menschen am meisten von seiner himmlischen Heimat und von der Betrachtung jener ewigen Vorsicht abzieht, welche jederzeit in das von kurzsichtigen Händen gesponnene Netz irdischer Zwecke eingreifen kann, wie sie hier eingegriffen hat?

Und während sie sich, hinschauend, allmählich überzeugen, daß der gefällte Gewalttätige wirklich tot ist, wird ihnen über Dach und Hügel hinweg ein wundersames Lauschen in die abendliche Welt hinein. Nun ziehen die Kinder auf allen Wegen und Stegen nach dem heiligen Lande, und sein Sohn zieht mit ihnen: er jedoch, der es ihm wehren wollte, liegt zwar mit dem Leibe hier; seine Seele aber ist bereits zurückgenommen in das große Geheimnis, das sie sich im Rücken fühlen! Und indem sie vollends sich dem Leichnam nähern und sich über ihn beugen, weht etwas von dem göttlichen Zuge, der die Geister von Dasein zu Dasein reißt und auf keiner Stufe lange rasten läßt, als unbegriffener Schauer über ihre Häupter hinweg . . .

 


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