Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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10. Sonntagsstimmung

Steil ragen die Glockentürme in die Morgensonnenluft.

Die Pforten des Domes öffnen sich; und die sonntäglich geputzte Menge strömt auf den Platz heraus und verteilt sich in den Gassen, über denen ein süßer Himmel blaut.

Zwei Mädchen flüstern miteinander, während unter den Dächern die Schwalben zwitschernd ihren Nestern zufliegen . . .

»Was der Meister Waffenschmied doch für einen hübschen Gesellen hat!«

»Gelt, der gefiele dir auch! Wenn er nur nicht gleich sein Bräutchen mitgebracht hätte!«

290 »Viele meinen sogar, sie seien schon verheiratet! Bei diesen Zugewanderten weiß man nie recht Bescheid.«

»Jedenfalls kann niemand etwas gegen das Mädchen sagen. Auch die Meisterin singt überall ihr Lob, wie fleißig sie ihr in Stube und Küche an die Hand gehe . . .«

Albrecht und Gertrud schreiten sittsam nebeneinander hin. Sie lösen sich bald aus der Menge und steuern durch ein paar Gäßchen der Stadtmauer zu, auf welcher man am Vormittag fast niemand antrifft. Kaum einer merkte ihnen an, durch wieviele Abenteuer sie schon hindurchgegangen sind.

»Siehst du, jetzt ist doch alles noch besser gekommen, als wir je zu hoffen wagten! Aus einem Hufschmied bist du ein Schwertfeger geworden, wie dein Vater; und ich aus einer Schenkmagd eine ordentliche Stütze der Hausfrau. Was wollen wir für den Augenblick noch mehr?«

»Ja, das ist doch was anderes, wenn man am Sonntag sein sauberes Feiertagskleid anziehen kann, als diese ewige Landstreicherei in Fetzen und Lumpen! Und du hast dir das deine nicht minder als ich verdient, wenn dir's auch die Meisterin geschenkt hat: Gut steht dir's; ich muß dich immer nur ansehen! Und daß du mein liebes Weibchen bist, daran hat auch noch niemand gezweifelt.«

»Man wird es je länger je weniger können!« lächelt Gertrud aus ihrem etwas blassen Gesicht, in welchem die Züge zuweilen sonderbar gelöst und verschwommen erscheinen. »Und hat uns nicht längst Gott im Himmel zusammengeschmiedet, bevor das Wort des Priesters es tat? Menschen, die erlebt haben, was wir erlebten, würden ganz von selbst beieinanderbleiben . . .«

»Weißt du noch, auf der Insel! Da glaubten wir beide, wir würden die Heimat nicht wiedersehen; und jetzt wird sie uns 291 täglich mehr in greifbare Nähe gerückt. Wenn du erst dein Kind hast und wir mit ihm reisen können, so reicht auch das Ersparte, daß wir endlich nach Hause gelangen.«

»Ob deine Mutter wohl den Bericht erhielt, den du ihr schicktest? Ob sie überhaupt noch lebt? Wahrlich, eine größere Freude, als sie wiederzusehen, gibt's für mich nicht mehr! Dann könnte ich ihr, die mir soviel geschenkt hat, auch einmal etwas zurückschenken: Dich!«

Sie ersteigen auf einer schmalen Steintreppe die Ringmauer, deren hohe Zinnen einen behaglichen Rundgang um die auf einem Hügel gelegene Stadt erlauben. Wie leuchtet die Ferne von silbernen Frühlingswolken, in deren prallen Rundungen bereits eine Sommerahnung verborgen ruht! Wie grünen die Wiesen vor den dunklen Wäldern des Horizontes; und wie sprießt es zart aus dem braunen Schollengrund der nahen Äcker! Aber ihre Augen sind anders geworden und sehen alle diese Schönheit der wiedererwachenden Erde in einem neuen, weniger verführerischen Lichte . . .

»Weißt du noch, wie uns ein solcher Anblick vor einem Jahr berauschte? Möchtest du auch heute noch ins heilige Land ziehen?« fragt Albrecht leise. »Kannst du überhaupt begreifen, was wir dort suchen wollten?«

»Ich glaube bald, ich suchte dich. Und –«

»Ich dich! – So wird's wohl sein . . . Zu Hause hätten wir uns nie gefunden . . .«

Und sie wandern weiter auf der Mauer, in ihrem bescheidenen Sonntagsstaat nebeneinander hin, und lassen ihre Blicke Berg und Tal überschweifen. Mit dem Herzen aber bleiben sie hübsch in der Stadt, wo die Menschen als friedliche Bürger beisammenleben und wo auch sie ihre Kammer und ihr Bett 292 haben. Liegt nicht in diesem endlichen Zurruhekommen, im Einlaufen in den Hafen, ein nicht minder süßer Reiz?

»Was die Menschen hier doch für eine kuriose Sprache reden!« plaudert Gertrud auf einmal aus ihren Gedanken heraus. Albrecht schaut sie an und weiß einen Augenblick nicht, was sie damit sagen will; und doch kann es, wo sie ihn mit ihrem Lächeln so anleuchtet, nur etwas Liebes sein. Da legt sie ihm den linken Arm um Hals und Schulter und flüstert, ihm im Gehen einen flüchtigen Kuß auf die Wange drückend, mit schelmischem Wimpernaufschlag und doch fraulich-innig hingegeben: »Wie der l'Apfel seine Kerne . . .«

Sonst wissen sie sich nicht mehr viel zu sagen und lassen sich's genug sein an dem Glücke der gegenseitigen Gegenwart. Wenn noch ein Wunsch in ihnen lebt, so ist es der, sie möchten eines Tages statt nur Gast in einem fremden Heim, Meister im eigenen sein. Und daß sie auch dieses Ziel zusammen erreichen werden, das bestätigen sie einander mit Blicken, in denen eine so tiefe Versicherung gegenseitiger Liebe und Treu wohnt, daß sie keiner lauten Worte bedarf . . .

 


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