Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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2. Der Bote Gottes

Im Muschelhut und dem Pilgermantel mit dem Kreuz schreitet die große, hagere Gestalt des Bruders Hieronymus über Land. Unter dem Mantel trägt er die strickumgürtete Kutte, deren Saum unten vorschaut und verrät, was die Gewandung verbergen möchte. Er gehört zu den Einsamen im Leben, die des Geistes voll sind.

Sein bleiches, starkknochiges Gesicht ist fast verhüllt von dem mächtigen, schwarzen, von ersten Silberfäden durchzogenen Bart, der ihm vom Frühlingswind auf der Brust verweht wird. Sein leibliches Auge starrt in die Ferne des Weges, auf welchem seine Faust den derben Wanderstecken aufstößt: das Auge seiner Seele aber glüht von dem Wissen um ein unsichtbares Ziel. Wie ein zweiter Johannes geht er, mit dem Briefe des Heilands auf dem Herzen, dem neuen Herrn entgegen, welcher die in ihren Lastern verkommene Welt abermals erlösen soll.

Bald hebt er mutig die Stirn, voll Zuversicht in seine göttliche Sendung; bald schüttelt er zweifelnd sein Haupt und läßt es sinken unter der Ungewißheit alles Irdischen. Er hat kein Gefühl dafür, daß rings die Erde erwachen will und aus tiefsten Gründen in Bäume, Sträucher und Gräser ihr verborgenes Leben einströmen läßt: er ist selber ein Teil dieser Welt und ihrer Furcht und Hoffnung, in welcher das Leben Gottes mit neuen Atemzügen sich zu regen beginnt. Die wehende Luft trocknet ihm Haut und Gaumen aus – er achtet es nicht. Die Füße in den offenen Sandalen brennen ihm von Staub und 6 früher Sonnenhitze – er fühlt es nicht. Die Glieder, die ihn vom tagelangen Marsch aufgequollen schmerzen, wären auch für die kleinste Rast dankbar, die ihnen sein unermüdlich ausspähender Wille gönnt – er überläßt es dem Zufall, wo sie zur Ruhe kommen mögen.

Da steht eine alte Schenke am Wege. Bauern hocken auf Holzbänken um einen langen Tisch herum, über dem eine Linde ihre kahlen, knospenden Äste verbreitet: die weiße Märzensonne, welcher noch kein Laub den Durchpaß wehrt, umglänzt vom blauen Himmel herab die Hornbecher, aus denen sie ihren Apfelwein trinken. Bruder Hieronymus grüßt, läßt sich am freien Ende der einen Bank zum Sitzen nieder und dankt freundlich dem kleinen Mädchen, das ihm, weil er ein frommer Wanderer ist, ungeheißen ein Becken Milch und ein Stück Brot vorsetzt.

Die Bauern drehen alle die Köpfe nach ihm hin und starren ihn stumm an. Ist das am Ende auch einer von den Halbnarren, die mit ihren Kreuzpredigten von einem Ort zum andern ziehen und den Leuten die Köpfe verdrehen? Kann es einen noch wundernehmen, wenn die guten Knechte mit jedem Tage rarer werden? Und sie betrachten ihn finster.

»Wißt ihr mir keinen ordentlichen Schafhirten?« fragt jetzt einer die andern. »Habe da so einen blöden Waisenknaben, auf den kein Verlaß ist: er hockt den ganzen Tag auf einem Hügel, stiert in die Wolken und läßt die Tiere sich verlaufen. Er sagt, daß Jesus wiederkehren werde, sobald wir sein Grab befreit haben . . . Aber Dummheiten, das gibt's nicht mehr!«

Bruder Hieronymus sieht, wie die Bauern sich gegenseitig mit den Ellenbogen anstoßen und auf den Stockzähnen lachen. Gilt das etwa ihm? Wenn die wüßten! denkt er und sucht in ihren groben, dunklen Gesichtern zu lesen, während er unter dem 7 Mantel mit der Hand nach seinem Briefe tastet. Doch schon schickt sich einer an, im Namen aller zu reden.

»Hab' auch einmal einen gehabt, der jammerte jeden Tag, das Ende der Welt sei nahe. Da hab' ich den Hungerleider vier Wochen lang aufgefuttert; und sobald ihm die Welt wieder gefiel, dachte er nicht mehr an ihr Ende . . . Mußt's auch so machen! Mußt's dich nur nicht gereuen lassen! Und was gilt's, er predigt nicht mehr von Jesus, sondern weidet deine Schafe?«

Der Bauer, der zuerst sprach, trinkt aus und steht auf. Die andern aber verprusten hinter der vorgehaltenen Faust ihr Lachen und glotzen ihm aus schwimmenden Augen ihre Schadenfreude ins Gesicht. So ist's recht! Dem ist's wieder einmal unter die Nase gerieben worden! Und sie blinzeln aus den vielen boshaften Fältchen ihrer Lederhaut hervor, seiner Antwort entgegen; und zugleich seitwärts schadenfroh nach dem verkleideten Bruder hin, bei welchem zutraulich das Mägdlein steht.

»Wenn mir dann noch einer sagt, wo ich's hernehme, wenn's ans Zinsen geht, so soll's mich freuen. Unter eurem Dach ist auch noch keiner dem Fressen zulieb geblieben! Dafür sieht man euch sogar am Sonntag schinden und rackern, wo unsereiner immerhin meint, es sei der Tag des Herrn . . . Gute Nacht miteinander!«

Der Bauer stapft verdrossen davon, während die Zurückbleibenden mit immer neuen Beispielen seine Knauserigkeit verhöhnen. Sie strecken nach vorn die roten Nasen zusammen, nach hinten die prallen Hosen über die Bank hinaus; und lästern, lästern, was das Zeug hält. Sie stinken selber von dem Geiz, den sie einem andern vorwerfen.

Bruder Hieronymus hat genug gehört. Er erhebt sich und 8 greift nach seinem Stecken; neben ihm wartet das Mägdlein. »Vergelt' dir's Gott in Jerusalem!« flüstert er geheimnisvoll und legt dem erstaunten Kinde die Hand aufs Haupt.

Der Wind ist auf einmal abgeflaut; die rings aufgrünende Erde schweigt. Der Tag besinnt sich langsam auf den Abend, welcher im wasserklaren Westen schon silberne Wolken bereitgestellt hat, um die Sonne zu empfangen.

Am Horizont aber verschwindet die winzige Gestalt des Bauern hinter einer Erderhöhung und zeigt dem Boten Gottes den Weg.

 


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