Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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7. Auf dem Wagen

Der Bauer Christian schreitet immer noch neben den beiden Ochsen durch die hochhinflimmernde Nacht.

Er wagt nicht, wie es sonst seine Gewohnheit ist, sich auf den Wagen zu setzen. Auf dem Wagen schläft Stephan, der fromme Knabe, der ihn aus der Hölle gerettet hat, und sitzen, in die Ferne träumend, seine beiden Begleiter.

29 Noch einmal spürt er den wilden Schreck, wie die Tanne in anderer Richtung fiel, als sie dachten. Noch einmal hört er das durch die Luft herabzischende Geäst, das ihn erfaßte und – er glaubte: in den Tod! – darniederriß. Ihn, mit seinen Sünden!

Nun liegt dort, unter dem gefällten Baum, sein bisheriges, nicht aber sein künftiges Leben; nur seine Verworfenheit, nicht seine gläubige Zuversicht. Und gleichwie seine Seele aus der dunklen Verdammnis wunderbar zurückgerufen wurde, so wandert jetzt sein Körper, keine Ermüdung kennend, aus der allmählich verbleichenden Sternenhalle einem neuen Lichte entgegen. Größere Hoffnung, als jemals ein Tag in sich barg, scheint ihm der nahende Tag in sich zu bergen.

Führt er doch den neuen Retter der Menschheit mit sich, Stephan! Schon oft hat er sich heimlich umgeschaut: endlich ist es hell genug, daß er zwischen den Sparren des Wagens hindurch den schlafenden Knaben erblicken kann. Er ruht auf dem hinten aufgeschichteten Heu; er hält die wie in krampfhaftem Gebet ineinandergeschlungenen Hände auf die rauhe, über ihn gebreitete Decke gelegt; er schaut aus dem bleichen Antlitz, dessen Züge Hunger und Seelennot geschärft haben und bis in den Schlummer hinein gespannt erhalten, fast wie ein Toter zum Himmel auf.

Ist es nicht, als pflöge er in gläubigem Herzen Zwiesprache mit dem irdischen Schicksal, um es in einem höheren Namen zu bezwingen, wo es ihn doch bereits gehorsam durch diese Welt hinträgt? Tritt ihm jetzt nicht, wie Verkündigung und Beweis eines andern Lebens, ein zartes Rot auf Stirn und Wangen, ihn himmlisch, göttlich verklärend? Und verbreitet es sich nicht auch über seine beiden Gefährten, welche, wie 30 Lieblingsjünger zu seinen Füßen hingeschmiegt, längst mit unbeschwerter Seele ihre Müdigkeit ausschlafen?

Über den fernen, dunklen Wäldern, die den Horizont säumen, ist die Sonne aufgegangen und überflutet die Erde mit einem purpurnen Lichtmeer, in welchem Wiesen und Äcker, Straße, Ochsen, Wagen für einen Augenblick ertrinken und vom Golde der Schönheit getauft werden, ehe die Lebenshärte eines neuen Tages über sie hinweggeht . . .

 


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