Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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8. Treue um Treue

»Ihr habt des Nachts meinen Schlaf bewacht, lieber Herr. Nun sollt Ihr schlafen; und ich wache über Euch! – Es ist ohnehin schon wieder zu heiß zum Weiterwandern . . .«

Gertrud blickt ihn an, ob er einwillige. Er nickt müde; und da sie gerade an einer hohen Wegböschung stehen, über welche, Schatten und Kühle verheißend, großblätteriges Gebüsch hereinwuchert, so steigen sie hinauf und finden nach kurzem Suchen ein ebenes Plätzchen. Aus dem Kissen, das Gertrud aus ihrem Reisebündel herrichtet, legt Albrecht sein Haupt zur Ruhe und versinkt alsbald in einen tiefen Schlummer.

Sie aber kauert neben ihm und betrachtet schweigend seine Züge, die seit ihrem Weggang von Hause soviel männlicher geworden sind.

33 Solange er vor ihr steht und auf sie herunterblickt, fühlt sie seit einiger Zeit eine Furcht vor ihm, die sie früher nicht kannte; jetzt, wo er so friedlich daliegt, wächst ein mütterliches Gefühl in ihr groß, das ihn ganz umgeben möchte. Hat nicht seine Mutter ihn ihr anvertraut? Und wie könnte sie der gütigen Frau, die sie, die Waise, einst an ihren Herd nahm, besser danken, als indem sie von ihrem einzigen Sohn, soweit es nur immer in ihren Kräften steht, alle Gefährdung fernhält? Mehr noch, als selber das heilige Land zu sehen, gilt ihr das Glück, Albrecht eines Tages wieder seiner Mutter zuführen zu können und dabei, stolz auf ihre Tat, wie eine jüngere Schwester vor die ältere hintreten zu dürfen.

Sie neigt sich über ihn und schaut in sein schlafendes Gesicht, das der Spiegel einer in ihr Innerstes zurückgezogenen, ganz nur mit sich selbst beschäftigten Seele ist; und sie spürt seinen gesund und stark ausströmenden Atem ihr entgegenfächeln. Da tritt ihr auf einmal wieder ihr eigenes Bild vor das geistige Auge, als sie unter dem jähen Überfall durch den gierigen Kerl hilflos auf der Erde lag, bis er sie von ihm befreite; und eine heiße Wallung steigt in ihr auf und zwingt ihr den Mund bis nahe auf seine Lippen hernieder, um ihm dafür im Kusse zu danken. Aber ist er nicht ihr Herr und sie seine Magd, die nur geben darf, was von ihr verlangt wird? Und so hält sie sich zurück und bleibt, mit einem leisen Lächeln vor sich hinsinnend, neben ihm sitzen.

In diesem Hüten und Hegen findet sie ein wundersames, noch nie bisher gekanntes Glück; aber gleichzeitig lauscht sie durch die weite Sonnenstille des Landes, die sich außerhalb des Gebüsches breitet, in die Welt hinein und fragt sich bang, was ihnen noch alles begegnen wird. Wo immer sie in den letzten Tagen durchkamen, 34 da gaben die Menschen, sichtlich von größeren Sorgen erfüllt, kaum auf sie acht: höchstens erkundigten sie sich dunkel lachend, wenn sie sie nach dem Wege fragten, ob sie auch zu dem Kreuzheer stoßen wollten, das der Papst gegen die Ketzer aufgeboten habe. Mehr aber noch als die Erinnerung an die schwer verständlichen Reden der Menschen sagt ihr das eigene, unmittelbare Gefühl, daß unter diesem Himmel und in diesem Volke die Willen, einmal entfesselt, wie Blitze gegeneinander zucken müssen; ja, daß hier selbst die Liebe noch ein Tröpfchen Haß beigemischt enthält und Gefahren in sich birgt, die nicht leicht zu hoch eingeschätzt werden.

Da kommen, wie einmal die größte Hitze gebrochen ist, unten auf der Straße wieder die ersten Wanderer dahergegangen. Sonnverbrannte Bauern mit ihren beladenen Eseln ziehen vorüber; ein Bettler in seinen Lumpen hinkt vorbei, der kein Ziel mehr in dieser Welt hat, weil er doch überall nur seine Armut findet. Und jetzt treten in den Bereich ihrer forschenden Blicke vier Mädchen von adeligem Aussehen, welche vornehme, aber schon stark abgenutzte Gewänder tragen, und vier Jünglinge in Knappentracht, die ebenfalls ganz grau sind vom Staub: sie machen alle verdrossene Gesichter, werfen einander Blicke des Vorwurfs zu und zeigen sich, so wie sie auch in zwei Gruppen marschieren, vom Geiste der Zwietracht erfüllt.

». . . War es denn wirklich nötig, daß wir zuerst unsere und dann ihr eure Pferde verkauftet?« tönt es aus der Schar der erhitzt dahinschreitenden Ritterfräulein.

»Da euer Stolz es nicht über sich bringt, fromme Gaben anzunehmen, wie die andern Kreuzfahrer es auch tun, so blieb uns wahrlich nichts anderes übrig!« klingt es höhnisch von der Knappenseite zurück.

35 »Ihr hättet es ja tun können für uns!« giftelt eines der Mädchen, dem das schwarze Haar feucht an der Stirne klebt. »Aber gelt, euch war bald einmal nicht mehr wohl im Sattel aus Furcht, man könnte uns erkennen und abfangen!«

»Und euch ist nicht wohl, wenn ihr nicht jede Nacht in einem Federbett schlafen könnt wie zu Hause. Aber das hättet ihr euch selber sagen können, daß ein Kreuzzug keine Vergnügungsreise ist!«

»Ja, ihr seid die rechten Ritter ohne Furcht und Tadel, die ihr eure Damen im Staub der Straße wandern läßt, nur damit wir nichts mehr vor euch voraushaben! Zuletzt werden wir euch noch die Bündel tragen müssen!«

»Wer hat uns denn zu dem ganzen Abenteuer überredet, wenn nicht ihr? Und gehen wir etwa nicht auch zu Fuß, so gut wie ihr? Wenn euch unser Dienst nicht mehr recht ist, so entlaßt uns doch und seht allein zu, wie ihr nach dem heiligen Lande oder nach Hause kommt . . .«

Die weiteren Reden hinüber und herüber kann Gertrud nicht mehr verstehen; sie sieht nur noch dann und wann eine ihrer Armbewegungen, mit denen sie die scheltenden Worte begleiten, bis sie allmählich im Flimmerdunst der Ferne verschwinden. Die sind gewiß ohne den Reisesegen einer Mutter von Hause fortgelaufen! denkt sie. Wie sollte da auch ein Segen auf ihrer Reise liegen? Und sie freut sich ihres eigenen guten Gewissens und blickt wieder auf Albrecht, der sich eben im Schlafe nach ihrer Seite gedreht hat und träumend ihre Hand ergreift, die sie ihm willig überläßt.

Aber da zieht er sie plötzlich an seine Lippen und küßt ihre Finger, während sein Körper sich leise windet. Sie erkennt, daß er etwas anderes als nur ihre Hand in seinen Armen zu 36 halten glaubt; und sie ist nur noch von der einen Sorge erfüllt, ihn, den sie im Banne des Schlummers willenlos den Mächten des Blutes preisgegeben sieht, zur Herrschaft über sich selbst zurückzurufen. Sie schlägt ein fröhliches Lachen an und bedeutet ihm, wie er erwachend sich aufrichtet und mit fast zorniger Miene sich die Augen ausreibt, daß die größte Mittagsglut vorbei und damit wieder die Zeit zum Weiterwandern gekommen sei.

Und sie erheben sich und schreiten aufs neue stundenlang mit frohem Gleichmut und stiller Zuversicht in den warmen Nachmittag hinein. Gertrud freut sich über Albrechts Rüstigkeit, welche ihm die im Schlafe zurückgewonnene Kraft verlieh; und in dem holden Wahne, daß sie ihm diese Erquickung geschenkt habe, vergißt sie ihre eigene Müdigkeit. Endlich sehen sie vor sich auf dem milden Abendhimmel den Umriß einer grauen Stadt sich abzeichnen, wie man es ihnen am Morgen vorausgesagt hatte.

»Dort finden wir sicher wieder gute Leute. Dann kannst auch du schlafen!« meint Albrecht und streichelt ihr, die den breitrandigen Hut abgenommen hat, wie einer Schwester dankbar über das Haar.

Aber sie schüttelt zweifelnd den Kopf, von einem eigentümlichen Vorgefühl befallen. Ihr ist, als läge Blut- und Brandgeruch in der Luft; als warne sie etwas. Warum nur?

»Lieber Herr, laßt uns nicht hineingehen!« versetzt sie plötzlich und schaut ihn mit großen, ängstlichen Augen an. »Mir bangt vor diesen Menschen, wir könnten in ihren Krieg hineingeraten! – Die Nacht wird lind sein. Wollen wir nicht im Freien den neuen Tag erwarten?«

Und sie lassen die Stadt zu ihrer Rechten liegen und wandern nicht mehr weiter als bis zu einem bewaldeten Felshügel, an 37 welchem sie unversehens wie zwei Zugvögel hangen bleiben und sich alsbald zur Ruhe niederlassen.

Und jetzt ist die Reihe wieder an Albrecht, zu Häupten Gertruds unter dem bestirnten Himmel Wache zu halten und zu empfinden, wie beseligend es ist, wenn in dieser weiten, unheimlichen Welt ein Mensch dem andern seinen Schlaf anvertraut. . . .

 


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