Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel

1. Konklave. Hadrian VI. Papst 9. Januar 1522. Seine frühere Laufbahn. Freude Karls über seine Erwählung. Verwirrung in Italien und Rom. Schlacht bei Bicocca 27. April 1522. Die Franzosen aus Italien verjagt. Plünderung Genuas. Anarchie in Rom. Pest. Das Stieropfer im Colosseum. Romfahrt und Einzug Hadrians VI.

Der Tod Leos X. rettete viele Fürsten, die dem Verderben schon nahe gebracht waren. In wenig Tagen konnte Francesco Maria wieder von Urbino Besitz nehmen. Mit seiner Hilfe kehrten auch die Baglioni nach Perugia und Sigismondo Varano nach Camerino zurück. Der hart bedrängte Herzog von Ferrara nahm die meisten seiner Städte in der Romagna wieder; eine Münze ließ er prägen mit der Aufschrift De Manu Leonis. Die Petrucci von Siena, die Orsini und Colonna waren in Bewegung. Auch die Franzosen hofften, sich in der Lombardei zu halten.

Rom regierten zeitweise drei Kardinäle und der Stadtgovernator Vincenzo Caraffa, Erzbischof von Neapel. Das Heilige Kollegium befand sich in verzweifelter Mittellosigkeit. »Wenn ich«, so berichtete damals Castiglione aus Rom, »die Entblößung dieses Kollegium schildern wollte, so würde mir niemand glauben. Abgesehen von den Schulden des verstorbenen Papsts hat man nach seinem Tode alle Juwelen, alle die köstlichen flandrischen Tapeten, die Mitren und Tiaren, selbst das Silbergeschirr versetzt.« Die politischen Verhältnisse machten die neue Papstwahl schwierig und hochwichtig. Wenn es dem Kaiser gelang, einen Papst aufzustellen, so konnte er als Herr Italiens, ja Europas betrachtet werden; wenn ein französischer Papst gewählt wurde, so konnte Franz I. seine verlorene Machtstellung wiedergewinnen. Der Wahlkampf aber mußte sich innerhalb dieser beiden Parteien bewegen und die kaiserliche war stark und rührig genug. Valle, Vich, Piccolomini, Jacobazzi, Campeggi, der Kardinal von Sitten, Farnese, Lorenzo Pucci und Julius Medici galten als die entschiedenen Anhänger Karls. Ihre französisch gesinnten Gegner waren Petrus de Accoltis von Ancona, Carvajal von S. Croce, Thomas de Vio von der Minerva und Soderini von Volterra. So arg trieb es die kaiserliche Partei, daß Prospero Colonna es sich erlaubte, den französisch gesinnten Kardinal Ferrerio, welcher von Turin zum Konklave reisen wollte, in Mailand zu verhaften. Mit unverschleierter Gier streckte, wer sich nur für möglich hielt, seine Hand nach der Tiara aus. Man sah nie so viel Kandidaten des Papsttums; der venetianische Botschafter Luigi Gradenigo zählte deren achtzehn. Manuel staunte als ein Neuling in den Ränken der Papstwahl über das Schauspiel, welches sich ihm in Rom darbot. »Hier ist«, so schrieb er an Karl, »alles auf Habsucht und Lüge gegründet: die Hölle selbst kann nicht so viel Haß und so viele Teufel bergen, als es unter diesen Kardinälen gibt.« In den Banken schloß man Wetten auf die Papstwahl ab.

Nach dem Papsttum strebte Carvajal; doch die bloße Erinnerung an Alexander VI. machte die Erhebung eines Spaniers unmöglich. Es strebten darnach der feingebildete Grimani, der reiche Farnese. Wolsey in England, enge mit der Politik des Kaisers verbunden, von dem er Gehälter bezog und der ihn schon in Dover mit der Hoffnung auf das Papsttum verblendet hatte, bot goldene Berge für seine Wahl. Mehr Aussicht als alle andern hatte Julius Medici. Man hielt ihn für einen großen Geist und schrieb ihm alle Unternehmungen Leos X. zu. Kaum hatte er dessen Tod erfahren, so war er von Mailand nach Rom geeilt, wo er am 11. Dezember eintraf, und alsbald zog er sechzehn Kardinäle an sich, meist jüngere aus der großen Kardinalsernennung. Karl V. wünschte seine Wahl. Außer seiner Frankreich feindlichen Richtung fiel sein Reichtum wie seine Verbindung mit Florenz stark ins Gewicht. Denn der neue Papst mußte den Schatz der Kammer leer finden; die anerkannten Schulden Leos X. betrugen 850 000 Dukaten, die ungekannten vielleicht 300 000. Aber die älteren Kardinäle, Feinde des Verstorbenen, widerstrebten der Wahl seines Vetters; auch machte sich die Ansicht geltend, daß man durch sie das Papstturn in dem Florentiner Hause gleichsam erblich machen würde. Schon vor dem Konklave stellte es sich heraus, daß Medici zwanzig Stimmen gegen sich hatte; er versprach daher Manuel, wenn er selbst unmöglich sei, seine Stimme einem andern kaiserlichen Kandidaten zuzuwenden. Als diesen schlug der Botschafter Hadrian von Utrecht vor, der sich eben als Statthalter Karls in Spanien befand.

Am 28. Dezember 1521 bezogen neununddreißig Kardinäle das Konklave, während der Witz Roms geschäftig war, die Statue des Pasquino mit beißenden Epigrammen auf jeden der Wähler zu bedecken. Sie beschworen die Bulle Julius' II. gegen simonistische Papstwahlen und doch machten sie alle, so berichtete der venetianische Gesandte, ohne Scheu Bewerbungen für das Papsttum. Der Wahlkampf war lebhaft und lange unentschieden. Noch am 6. Januar wußte Manuel nicht, wer Papst sein werde; selbst ein Franzose konnte möglich sein. In diesem Fall, so schrieb der Botschafter an Karl, dürfte es geraten sein, mit Frankreich Frieden zu schließen. An demselben Tage hatte Farnese die meisten Stimmen; wenn ihm Aegidius und Colonna die ihrigen gegeben hätten, wäre er Papst geworden.

Alle übrigen, zumal Soderini, alle Römer, zumal Pompeo Colonna, bekämpften Medici, und so blieb dieser seiner Zusage getreu, indem er die Stimmen auf Hadrian zu wenden suchte. Der Kardinal von Tortosa war in Rom kaum dem Namen nach gekannt; man spielte ihn auf gut Glück wie eine Karte aus, und er gewann das Spiel. Am 9. Januar fand es sich, daß er mit Farnese die gleiche Zahl von fünfzehn Stimmen hatte. Medici verfocht ihn, Caetanus, welcher in Deutschland seine Frömmigkeit und Gelehrsamkeit hatte rühmen hören, empfahl ihn aus Rücksicht auf die lutherische Ketzerei, und der unbekannte Ausländer ging an demselben Tage mit allen Stimmen außer einer als Papst hervor. Als das Unerhörte Tatsache geworden war, daß ein von Rom abwesender Kardinal, ein »Barbar«, ein armer kaiserlicher Dienstmann, für welchen niemand eine Verpflichtung hatte, von dem niemand eine Gunst erwarten durfte, Papst war, überlief das ganze Konklave ein panischer Schrecken. Ihre schamlose Beschämung zu verschleiern, redeten diese Kardinäle von einer Eingebung des Heiligen Geistes. Nach vollzogener Wahl schrieb Medici mit bebender Hand ein paar Zeilen an den Marchese Gonzaga: »Ich will nicht ermangeln, Ew. Exzellenz zu benachrichtigen, wie in diesem Augenblick zum Papst ausgerufen ist der Kardinal: ich werde seinen Namen auf der Adresse schreiben.«

Ganz Rom erhob einen Schrei der Wut. Das Volk zischte die Wähler aus, als sie mit gesenkten Blicken über die Engelsbrücke zogen, und lächelnd dankte Gonzaga den Schreiern, daß sie sich mit Schimpfreden begnügten, statt die öffentliche Schmach durch Steinwürfe zu rächen. Auf Häusern schrieb man: Rom ist zu vermieten. Mit dieser Stimmung begrüßte die Stadt Leos X. die Wahl eines Mannes, welchen Apostel und Heilige nach so vielen frevelhaften Papstkönigen als einen würdigen Nachfolger Petri würden geehrt haben. Nur die kaiserliche Partei jubelte. Wenn Medici mit lakonischem Widerwillen dem Marchese Gonzaga die Wahl gemeldet hatte, schrieb an denselben Generalkapitän der Kirche Manuel frohlockend: »Heute um die 20. Stunde hat Gott unser Herr aus seiner Gnade uns unsern Kardinal von Tortosa zum Papst gegeben: und dieser wurde es durch die Gunst des Königs. Gott sei für immer gepriesen, denn für den Frieden und das Wachstum der Kirche wie der Macht des Königs gab es keine besser geeignete Person als diesen Papst, welcher ein heiliger Mann und seiner Kaiserlichen Majestät Geschöpf ist.«

Der Unglückliche, welchem das Los zugefallen war, der Nachfolger Leos X. zu sein, war ein Flamländer niedriger Abkunft, Adrian Dedel, Sohn eines Schiffszimmermanns Floriß Boyens Dedel aus Utrecht und dort am 2. März 1459 geboren. Sein armseliges Jugendleben erinnert an seinen Vorgänger im XII. Jahrhundert, Hadrian IV. Als Stipendiat studierte er zu Löwen fast in derselben Zeit, als sich der Chorschüler Luther in Erfurt sein Brot mit Singen verdiente. Er erwarb durch die Gunst Margaretas, der Regentin von Flandern, erst eine Pfarrei, dann einen Kanonikat in Löwen; endlich wurde er Vizekanzler der dortigen Universität. Maximilian wählte den frommen Scholastiker zum Lehrer seines Enkels Karl, dessen Erzieher der berühmte Staatsmann Wilhelm von Croy, Herr von Chièvres, war. Der künftige Kaiser machte seinem Lehrmeister nicht zu viel Ehre, denn Hadrian brachte ihm kaum das hinreichende Verständnis des Lateinischen bei, aber er flößte dem Zögling eine streng katholische Gesinnung ein. Chièvres, auf den Einfluß des Präzeptors eifersüchtig, entfernte ihn bald nach Spanien, wohin ihn Maximilian im Jahre 1515 an den alternden Ferdinand schickte, um dem jungen Karl dort die Nachfolge zu sichern. Hier wurde Hadrian mit dem Bistum Tortosa belohnt und endlich auf des Kaisers Empfehlung zum Kardinal von St. Johann und Paul ernannt. Nachdem Karl den spanischen Thron bestiegen hatte, schenkte er seinem Lehrer die höchste Gunst. Während seiner Abwesenheit in Deutschland, nach seiner Kaiserwahl, ernannte er ihn zum Regenten von Spanien, und dies empörte Land wußte Hadrian, ohne die Talente des Staatsmannes zu besitzen, durch Milde zu beruhigen.

Karl V. empfing die überraschende Kunde von der Wahl seines Günstlings am 20. Januar 1522 zu Brüssel: am 26. dankte er dem Heiligen Kollegium für diese ihm erwiesene »Wohltat«. Der Gewählte selbst erfuhr seine Berufung zu Vittoria in Biscaya, und er war mehr erschreckt als froh. Alsbald suchten manche Kardinäle seine Gunst vorwegzunehmen, indem sie sich als Urheber seiner Wahl darstellten, andere Kollegen aber bei ihm anschwärzten. Carvajal schrieb ihm, daß er ihm die Papstkrone aufs Haupt gesetzt, während Manuel sein Gegner gewesen sei; Medici, welcher schon am 11. Januar nach Florenz ging, beschuldigte denselben Botschafter, dem Kaiser geschrieben zu haben, daß die Wahl Hadrians Colonna zu verdanken sei. Man bestürmte den Gewählten mit Forderungen und Ratschlägen.

Am 9. Januar 1522 meldete ihm das Heilige Kollegium seine Erhebung und die Absendung der Kardinäle Colonna, Orsini und Cesarini: unverzüglich möge er nach Rom kommen, wo der verwirrte Zustand seine Gegenwart fordere. Am 11. Januar schrieb ihm Manuel. Er riet ihm, sich an Medici zu halten, welcher mächtig und kaiserlich gesinnt sei; außerdem könne er sich auf Valle, Sitten und Campeggi stützen; es sei passend, daß er sich Hadrian VI. nenne; denn die Päpste dieses Namens seien große Männer gewesen. Hadrian I., so sagte der Botschafter, hat zuallererst den Kreuzzug gegen die Türken unternommen, welchen ich auch von Ew. Heiligkeit erwarte. Wenn der ehemalige Zögling des Professors von Löwen in die Geschichte Roms besser eingeweiht war als sein Botschafter, so konnte er sich an die innigen Beziehungen zwischen Karl dem Großen und Hadrian I. erinnern und sie auf sich selbst und den neuen Papst anwenden, was auch diesem naheliegen mußte. Er schickte seinen Kammerherrn Lope Hurtado de Mendoza, ihm seine Freude darüber auszudrücken, daß er durch Gottes Fügung die Krone des Reichs von einem Spanier und seinem eigenen Jugendlehrer empfangen solle; ihr beider Glück sei unzertrennlich verbunden; den Papst werde er stets als seinen wahren Vater und Beschützer anerkennen. Hadrian antwortete mit dem Ausdruck gleicher Gesinnungen.

Karl legte Gewicht darauf, den Papst wenn auch nicht als sein Geschöpf, so doch aus Rücksicht auf ihn gewählt darzustellen, aber mit gutem Takt erklärte Hadrian: er glaube wohl, daß die Kardinäle bei seiner Wahl Karl berücksichtigt hätten, doch er selbst sei glücklich, daß er nicht durch des Kaisers Bitten zum Papsttum gelangt sei, dessen Wahlakt fleckenlos sein müsse. Trotzdem war Hadrian mit Argwohn gegen Manuel erfüllt, von dem er glaubte, daß er ihm widerstrebt habe und der ihm wie ein Protektor Ratschläge gab. Er beschwerte sich bei Karl. Der Botschafter rechtfertigte sich: nächst Gott habe ihn der König allein zum Papst gemacht, ihn vorgeschlagen; Medici sei mit den kaiserlich Gesinnten verbunden gewesen, die Franzosen aber hätten seine Wahl rückgängig zu machen gesucht.

Der Mißmut der Kardinäle war so groß, daß sie dies wirklich versuchten. Zuerst hatten sie gehofft, daß Hadrian die Wahl nicht annehmen werde. Dann sagten sie: er sei tot oder er komme nicht nach Rom. Viele fürchteten ein zweites Avignon in Spanien. Manuel schrieb an Karl, es sei dringend nötig, daß Hadrian nach Rom eile, wo alles in Auflösung gerate; denn nach Wohlgefallen raubten die Kardinäle den Vatikan aus, wo man alles Kostbare, selbst das Silber aus der Sakristei entrafft habe. Der Palast war schon nach Leos Tode geplündert worden: selbst seine Gemmensammlung ward vermißt; seine Schwester Madonna Lucrezia, die Gemahlin Jacopo Salviatis, eines Hauptgläubigers des Verstorbenen, hatte tüchtig zugegriffen.

Hadrian verschob seine Abreise, weil Karl eine Zusammenkunft mit ihm begehrte und deshalb nach Spanien kommen wollte; auch verzögerte sich die Ausrüstung der Schiffe in Barcelona. Dem Senat und Volke Roms schrieb er aus Vittoria am 19. Februar, daß er kommen werde, sobald die Flotte gerüstet sei; als seinen Prokurator sandte er an die Kardinäle Wilhelm Enkevoirt. Monate vergingen, während die größte Uneinigkeit im Kardinalskollegium und allgemeine Verwirrung in Italien herrschte. Zu den Revolutionen in Urbino und der Romagna, in Perugia und anderswo, zu den Anschlägen Francesco Marias auf Siena, der Bentivogli und Guido Rangones auf Bologna kam der Krieg der Liga in der Lombardei. Die Landsknechte unter Frundsberg schlugen das Schweizer Kriegsvolk am 27. April 1522 in der grimmigen Schlacht bei Bicocca, worauf die Bundesgenerale Prospero Colonna, Pescara und Sforza den Marschall Lautrec zum Abzuge nach Frankreich zwangen. Genua, worin Ottaviano Fregoso und der jetzt den Franzosen dienende Pedro Navarro mit 5000 Korsen lagen, wurde am 30. Mai erobert. Die herrliche Stadt erfuhr die greuelvollste Plünderung. Mit ihren Spießen maßen die Landsknechte das geraubte Tuch, Samt und Seide auf; Spanier und Deutsche wurden von der Beute reich. Als sich die französische Armee endlich im Juli aus Italien zurückzog, blieben nur die Festen in Mailand und Cremona in der Gewalt Franz' I., während das Reich seine Rechte auf Oberitalien wieder in Besitz nahm. In Genua ward Antonio Adorno als Doge eingesetzt; dort wie in Mailand regierten jetzt Lehnsvasallen des Kaisers.

In Rom schrie man nach dem Papst, ohne dessen Gegenwart die Stadt zur Einöde werden müsse. Das Heilige Kollegium war in heftiger Spaltung; die französisch Gesinnten verhandelten mit Frankreich: ihr Haupt war Soderini. Fruchtlos versuchte eine monatlich abwechselnde Behörde von drei Kardinälen die Ordnung aufrechtzuhalten. Colonna und Orsini waren im Streit: eine neapolitanische Bande verübte Frevel, die man nicht strafte; ihr Hauptmann stand sogar im Schutz der Orsini von Monte Giordano. Im Juni wurde der junge Sigismondo Varano von Camerino, dessen Gemahlin die Nichte des Kardinals Colonna war, bei Storta überfallen und ermordet. In Tuszien und Umbrien, in Todi, Terni und Spoleto war die orsinische Partei in Waffen. Bei Baccano wegelagerten Korsen im Dienste Renzos von Ceri; so daß die Colonna Familienrat in Cave hielten, um den Orsini entgegenzutreten. Im Juni brach die Pest aus. Tausende starben, Tausende ergriffen die Flucht. Bei dieser Gelegenheit zeigte ein sonderbarer Vorfall, wie weit hier das Heidentum um sich gegriffen hatte: ein Grieche Demetrius durchzog die Stadt mit einem Stier, den er durch Zauberei wollte gebändigt haben; im Colosseum opferte er ihn nach antikem Gebrauch, die feindlichen Dämonen zu versöhnen. Dies erschreckte denn doch die Geistlichkeit; sie veranstaltete eine Bußprozession, ihrerseits den Gott der Christen zu versöhnen. Zahllose Menschen durchzogen die Straßen, sich geißelnd, mit dem Geschrei: Misericordia! So fiel Rom aus dem Heidentum in das dunkelste Mittelalter zurück.

Erst am 8. Juli konnte der Papst von Tortosa aufbrechen, erst am 7. August von Tarragona in See gehen, mit fünfzig Schiffen, welche 4000 Mann Kriegsvolk, viele Prälaten und Höflinge, auch einige Gesandte mit sich führten. In seiner Begleitung war auch Aleander, der vom Wormser Reichstag her bekannte Nuntius. Alle Welt erstaunte, daß Hadrian Karl V. nicht abwartete, ja, sich entschuldigte, als der Kaiser in Santander landete, um ihn noch zu treffen. In Frankreich sah man in dieser Selbständigkeit ein Zeichen, daß der neue Papst unparteiisch bleiben wolle. Er legte im Hafen Genuas an, wo ihn Prospero, Pescara und der Herzog Sforza begrüßten und um Absolution wegen der Plünderung dieser Stadt baten. Aber Hadrian antwortete ihnen voll Abscheu: ich kann und darf und will es nicht! In Livorno empfingen ihn die Kardinäle Medici, Piccolomini, Petrucci, Ridolfi und der päpstliche Generalissimus Federigo Gonzaga. Am 28. August gelangte die Flotte nach Ostia. Da man hier keine Pferde vorfand, mußten viele Prälaten auf schlechten Karren nach Rom fahren, viele sogar zu Fuße gehen.

Acht Kardinäle begleiteten den Papst zu Pferde nach St. Paul, wo er nächtigte. Am Freitag, dem 29. August, holte ihn die Kurie dort ein; er empfing die Kardinäle zur Huldigung, dankte ihnen für das Vertrauen ihrer Wahl, entschuldigte sein spätes Eintreffen, bat sie als eine Gunst, ihm zu versprechen, in ihre Paläste keine Banditen aufzunehmen und der Justiz gegenüber auf das Asylrecht zu verzichten. Die Römer hatten am Tor St. Paul einen Triumphbogen zu errichten begonnen; Hadrian untersagte dies, denn solche Triumphe seien heidnisch, nicht christlich. Der Aufwand des Einzuges war schon deshalb dürftig, weil die Pest Rom verheert, Leo X. aber die Kurialen zugrunde gerichtet hatte. Die halbe Kurie war aus der Stadt geflohen; eine ausgeleerte Abtei nannte Castiglione Rom. Wie verschieden waren der Einzug und die Krönung Hadrians von den Festen seines Vorgängers! Die Höflinge spotteten: die Barbarei halte ihren Einzug in Rom. Daß der Papst trotz der Pest kam, machte einen guten Eindruck im Volk. Man empfing ihn sogar mit Jubelrufen; viele Frauen weinten.

Als Hadrian VI. in diese üppige Stadt Leos X. einzog, konnten ihn Gefühle bestürmen wie einst Gregor XI. und Urban V., die avignonesischen Päpste, welche gleich ihm von Ostia her gekommen waren. Jene schauderten damals vor der bettelhaften Versunkenheit der Stadt Rom zurück, diesen erschreckte ihr heidnischer Glanz; jene fürchteten das verwilderte und trotzige, noch republikanische Römervolk, dieser den im Müßiggang versklavten Pöbel und mehr noch die Schwärme gieriger Kurialen und die hochmütige, lasterhafte Prälatenkaste.

Diese verdorbene Welt Leos X. kam der flamländische Asket zu reformieren und wieder christlich zu machen. Die Kirche fand er in eine üppige Kurie, die Priester des Herrn in profane Höflinge verwandelt. In Spanien hatte er gesagt: ich will die Kirchen mit Menschen, nicht die Menschen mit Kirchen versorgen. »Aber laßt nur diesen wohlgesinnten Papst erst aus dem römischen Lethe trinken, und dann wollen wir nach seinen heiligen Gesinnungen fragen. Die Natur duldet keine plötzliche Umwandlung, und die Kurie ist verderbter als je zuvor.«

Am 30. August wurde Hadrian VI. auf den Stufen des St. Peter ohne Prunk gekrönt. Er nahm mit Widerwillen Wohnung im Vatikan; am liebsten würde er in einem Kloster oder einem Bürgerhause gewohnt haben. Mit Staunen hatten die Römer hören müssen, daß ihr Papst vor seiner Ankunft geschrieben habe, ihm ein einfaches Haus mit einem Garten einzurichten. Der schönste Palast der Welt erschien ihm als der Sitz eines neuen Heidentums. Bei jedem Schritte begegneten ihm dort abstoßende Erinnerungen an die Borgia, die Rovere und Medici. Sein Ohr schien hier noch das Gelächter zu vernehmen, von dem dieser Papstpalast erscholl, wenn darin Leo X. die Calandra und andere unzüchtige Lustspiele aufführen ließ. Wenn er die prachtvollen Säle betrachtete, an den Wänden die glänzenden Gestalten des Olymp, in den Galerien die nackten Statuen der Heiden sah, seufzte er mit St. Bernhard: »Hier bist du der Nachfolger Constantins, nicht St. Peters«. Die Gestalt Hadrians VI. in dem unmittelbaren Gegensatze zu Leo X. und auf dem wetterleuchtenden Hintergrunde der deutschen Reformation, ist eine der am meisten tragischen des Papsttums überhaupt.


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