Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Neue Unruhen in Rom. Johann von Poli Senator 1232. Die Römer wollen die Campagna der päpstlichen Herrschaft entreißen. Der Kaiser vermittelt den Frieden zwischen Rom und dem Papst. Vitorchiano fedele. Neue Rebellion der Römer. Ihr politisches Programm. Sie erheben sich im Jahre 1234 zu dem ernstlichen Versuch, sich frei zu machen.

Das große Ketzergericht machte übrigens auf die Römer so wenig Eindruck, daß sie Gregor IX. schon am 1. Juni (1231) zwangen, sich wiederum nach Rieti zu begeben, wo er bis zum Sommer 1232 blieb. Denn Unruhen, veranlaßt durch den Krieg mit Viterbo, brachen in der Stadt aus. Viterbo war das Veji des Mittelalters für die Römer; sie haßten diesen Ort mit einer an Wahnsinn grenzenden Wut, wollten ihn durchaus erobern und zum Kammergute Roms machen. Mit Genehmigung des Papsts stellten sich die Viterbesen in den Schutz des Kaisers, welcher Rainald von Aquaviva ihnen zur Hilfe sandte. Das römische Volk rächte sich sofort durch Besteuerung der Kirchen und setzte seine Kriegszüge gegen Viterbo auch im Jahre 1232 mit gleicher Furie fort, als Johann von Poli Senator war. Obwohl Gregor IX. verwandt, hatte dieser Sohn Richard Contis dennoch auf Friedrichs Seite gestanden, und seine Wahl war schwerlich mit des Papsts Willen geschehen. Er nannte sich damals Graf von Alba, denn mit diesem marsischen Lande war er von Friedrich beliehen worden.

Mehr Aufmerksamkeit verdient der Versuch der Römer, Latium dem Kapitol zu unterwerfen. Ein neuer Geist beseelte das römische Volk; wie im Altertum zur Zeit des Camillus und Coriolan zog es auf Eroberungsfahrten nach Tuszien und Latium aus. Man sah wieder das römische Zeichen im Feld erscheinen, die uralten Initialen S.P.Q.R. im rotgoldenen Banner, und römische Nationalheere, aus der Bürgerschaft und den Vasallenorten gebildet, unter dem Befehle der Senatoren. Im Sommer 1232 drangen die Römer bis Montefortino im Volskischen; sie bedrohten den Papst selbst unter den Mauern seiner Vaterstadt Anagni, wo er sich seit dem August befand. Er sandte drei Kardinäle mit großen Geldsummen in ihr Lager, aber sie hörten nicht auf, seine Unternehmungen in der Campagna feindselig zu stören. Denn Gregor IX. war so tätig wie Innocenz III., die Patrimonien der Kirche zu vermehren. Er nahm Gemeinden in Pflicht und forderte von ihren Podestaten den Eid der Treue. Er tilgte die Schuld freier Kommunen, machte sie aber dafür zu Vasallen der Kirche und erhielt das Recht, in ihren Ringmauern Burgen anzulegen. Er erlöste verschuldete Barone und setzte sich so in Besitz ihrer Orte, welche sie von der Kirche gern als Feuda zurücknahmen, um nicht in die Gewalt der Stadt Rom zu fallen. Dies geschah auch in Latium, wo er zwei zum Teil den Colonna gehörige Kastelle, Serrone und Paliano, auskaufte, um sie dann als päpstliche Schlösser zu befestigen. Die römische Stadtgemeinde, welche die Jurisdiktion in der Campagna beanspruchte, verbot dies dem Papst; sie drohte sogar, Anagni zu zerstören, doch Gregor baute selbst mitten im Winter an jenen Burgen fort und richtete Serrone, Paliano und Fumone zu Kastellaneien der Kirche ein.

Die Römer kehrten endlich in die Stadt zurück, während Gregor in Anagni blieb. Er suchte die Vermittlung des Kaisers, um den Frieden mit Viterbo abzuschließen und sich selbst mit jenem auszusöhnen. Friedrich konnte keine tätige Hilfe leisten, weil ihn die Empörung Messinas nach Sizilien rief. Doch gaben die Römer seinen Mahnungen nach; denn im März 1233 kam der Senator Johannes Poli nach Anagni, den Papst zur Rückkehr einzuladen. Furchtsame Kardinäle widerrieten ihm, sich »in die Stadt der brüllenden Tiere« zu wagen, aber Gregor ging und ward am 21. März ehrenvoll aufgenommen. Das Volk bot ihm Versöhnung um Gold; er schloß ohne Wissen des Kaisers, der in die Angelegenheiten Viterbos und Roms hineingezogen war, Frieden mit der Stadt, worüber sich jener später als über eine Treulosigkeit beschwerte. Auch mit Viterbo kam im April ein Vertrag zustande: die Stadt Rom erlangte dort die Anerkennung ihrer Oberhoheit, sie blieb auch im Besitze Vitorchianos. Dies Kastell wurde seither ein Kammergut der Stadt, erhielt den Ehrentitel die »Getreue« und das Recht, das Amt der kapitolischen Pedelle zu besetzen, die man fortan »Fideli« nannte.

Ein Dämon, so sagt der Lebensbeschreiber Gregors IX., war aus Rom glücklich ausgetrieben, aber sieben andere fuhren hinein. Die Römer erhoben sich schon im Jahre 1234 zu einem wahren Verzweiflungskampf gegen die Zivilgewalt des Papsts. Sie würden vielleicht glücklicher, aber schwerlich der Achtung werter gewesen sein, wenn sie auf ihre zweifellosen Ansprüche verzichtet hätten; doch in jener Epoche, wo jede Stadt ein Staat war, konnte das Verhältnis Roms zum Papst nicht aufgefaßt werden wie in späteren Jahrhunderten. Die Römer kämpften noch immer um ihre Freiheit von der bischöflichen Gewalt, welche andere Städte längst errungen hatten. Sie sahen diese Städte in zwei großen Eidgenossenschaften blühen und über die ehemaligen Comitate herrschen. Wenn Viterbo mit einer großen Zahl von Kastellen prunkte, die in seinem Gemeindehaus Tribute und Gesetze empfingen, so wird man begreifen, daß Rom seine bürgerliche Ohnmacht nicht ertragen konnte. Der ewige Krieg mit jenem Viterbo war nur das Symbol des Strebens der Römer, sich Tuszien zu unterwerfen. Ihr Verhältnis zum Reich hatte sich damals völlig verändert. Seitdem die Kaiserrechte in Rom den Päpsten abgetreten waren und die Verleihung der römischen Krone an diese gekommen war, fiel die Streitfrage, ob das Recht der Kaiserwahl noch bei der römischen Republik sei oder nicht. Dies Privilegium, welches die Römer noch zur Zeit Barbarossas mit den Waffen in der Hand gefordert hatten, ward im Strom der neuen päpstlichen Macht begraben. Die Römer kämpften nur noch mit dem Papsttum als der obersten Landesgewalt; ihr Hauptziel war, innerhalb der Grenzen des alten Dukats einen mächtigen Freistaat aufzurichten, wie es Mailand, Florenz oder Pisa waren, deren Beispiel sie ermunterte und beschämte. In den Kapitulationen der Kaiser, welche den innocentianischen Kirchenstaat bestätigten, erscheint dieser Dukat zum erstenmal als Einheit unter der Formel »alles Land von Radicofani bis Ceprano«; er eröffnet die namentliche Aufzählung der päpstlichen Provinzen als die alte Grundlage des neuen Kirchenstaats. Den Besitz dieses Landes, wo sie seit alters Patrimonien hatte, konnte die Kirche nicht aus fränkischen Diplomen, sondern nur aus einer im Dunkel der Geschichte verlorenen Tatsache herleiten. Ihre Verwaltung umfaßte dort drei Provinzen, das Patrimonium St. Peters (römisch Tuszien), die Sabina, die Campania und Maritima, ohne daß sie die wirkliche Herrin aller dortigen Städte war. Nur einige bekannten ihr direktes Dominialverhältnis und empfingen die Magistrate vom Papst, wenn sie ihm das »volle Dominium« übertragen hatten; andere anerkannten nur die schutzherrliche Autorität.

Die Stadt Rom nun erklärte alle jene kirchlichen Provinzen als städtischen Distrikt. Sie setzte ihre Ansprüche jedesmal durch, wenn mächtige Gemeindehäupter neben schwachen Päpsten das Regiment führten. Sie sandte dann ihre Richter in die Landstädte, legte ihnen Grundsteuern und das Salzmonopol auf und zwang sie zur Heeresfolge wie zur Teilnahme an den öffentlichen Spielen durch Abgeordnete. Die Ansprüche des Kapitols bestritten jedoch außer dem Papst die freien Städte, wie Viterbo und Corneto im Patrimonium, wie Tivoli, Velletri, Tetracina und Anagni in der Campagna; ferner der erbangesessene Adel, welcher das Dominium von Städten so gut zu erkaufen wußte als der Papst. Die Barone erstanden dies von den Gemeinden selbst oder wurden Milites der Päpste oder der kirchlichen Korporationen für einen oft sehr geringen Jahreszins. In jeder Periode war daher das ganze Land von Radicofani bis Ceprano in viele kleine, oft einander feindliche Individualitäten aufgelöst, und ein Wanderer konnte in kürzester Zeit Gegenden durchziehen, wo bald die päpstliche Kammer, bald die Stadt Rom, bald eine freie Republik, ein Baron, ein römisches Kloster gebot, während er in manchem Ort alle diese Gebieter zugleich mit Herrlichkeitsrechten begabt fand.

Die Stadt Rom versuchte im Jahre 1234, zu ungünstiger Zeit, die päpstliche Herrschaft abzuwerfen und im Umfange jenes Gebiets einen Freistaat zu bilden. Wenn sie dies vermocht hätte, so würde sie eine Ausdehnung erlangt haben, welche etwa dem Gebiete gleichkam, wie es Rom kurz vor den Punischen Kriegen besessen hatte. Es ist sehr merkwürdig, daß die Römer in diesem sehr ernsten Aufstand sich antiker Gebräuche erinnerten, indem sie Marksteine ( termini) aufrichteten und mit der Inschrift S.P.Q.R. versahen, welche die städtische Jurisdiktion bezeichnen sollten.

Sie begehrten vom Papst die freie Senatswahl, das Münzrecht, mancherlei Abgaben, den hergebrachten Tribut von 5000 Pfund. Sie hoben die Gerichtsbarkeit und Immunität des Klerus auf, wie es damals viele, selbst kleine Republiken taten. Sie verlangten, daß der Papst nie einen römischen Bürger mit dem Banne belege, denn die erlauchte Stadt besitze, so sagten sie, das Privilegium der Freiheit von Kirchenstrafen. Wenn diese Römer an Exkommunikationen ihrer Kaiser keinen Anstoß nahmen, so fand doch ihr bürgerlicher Stolz die päpstliche Zensur gegen sie selbst ebenso unanwendbar, wie es bei den Alten die Geißelung eines römischen Bürgers gewesen war.


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