Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel

1. Regentschaft Amalasunthas. Ihr Genie, ihre Pflege der Wissenschaften in Rom. Ihre versöhnliche Regierung. Wachsendes Ansehen des römischen Bischofs. Felix IV. baut S. Cosma und Damiano. Die dortigen Mosaiken. Motive des Kultus dieser Heiligen.

Die verhältnismäßig glückliche Lage der Römer währte nach dem Tode Theoderichs noch einige Jahre: so lange nämlich, als seine Tochter Amalasuntha, die Witwe des schon im Jahre 522 gestorbenen Eutharich, die Vormundschaft über ihren jungen Sohn Athalarich führte. Für das Gotenvolk selbst war diese Regentschaft ein Unglück und eine der stärksten Ursachen seines Unterganges. Es zeigte sich sofort, daß die Herrschaft der Fremdlinge in Italien nur auf der persönlichen Kraft des Königs beruht hatte, welcher ihr Stifter gewesen war. Procopius wie Cassiodor haben Amalasuntha das Lob ungewöhnlicher Charakterkraft, staatsmännischer Klugheit und sogar hoher literarischer Bildung erteilt. Wenn Theoderich von den Römern belächelt wurde, weil er die vier ersten Buchstaben seines Namens nur durch eine für ihn angefertigte Metallplatte mit dem Griffel nachzog und aufkritzelte, so setzte sie das Genie einer Gotin in Erstaunen, welche mit den Griechen griechisch, mit den Lateinern lateinisch redete und mit den Gelehrten über die Philosophen und Dichter des Altertums Gespräche führte. Sie mußten sich bald gestehen, daß der Ruhm der Goten die Erhaltung der Zivilisation sei.

Die Erlasse Cassiodors zeigen, daß Amalasuntha auf jede Weise für das Wohl der Römer besorgt war. Beinahe noch eifriger als unter Theoderich wurden während ihrer Regentschaft die Wissenschaften in Rom gepflegt, die Professoren der liberalen Künste, der Grammatik, »der Lehrerin der Sprache, welche dem Menschengeschlecht den Schmuck verleiht«, der Beredsamkeit und des Rechts wurden durch Besoldungen ermuntert. Rom galt noch immer als die hohe Schule der Studien, so daß Cassiodor sagen konnte: »Andere Gegenden liefern Wein, Balsam und duftige Kräuter, aber Rom spendet die Gabe der Rede, die zu hören unendlich süß ist.« Wenigstens noch ein Schatten und Rest der einst von den Antoninen hier gestifteten Universität dauerte in der Gotenzeit fort; Jünglinge zogen dorthin, um die Wissenschaften zu studieren. Man ließ die Römer mit Absicht im Genuß der Künste des Friedens, die Goten im stolzen Gefühle der kriegerischen Mannheit; denn Römer dienten nicht im Heer; in den Städten lagen nur gotische Truppen, nur Goten trugen Waffen. Aber auch unter diesen hatten manche angefangen, die römischen Sitten und das Glück friedlicher Beschäftigung mit den Studien liebzugewinnen, während wiederum manche Römer, sei es aus Schmeichelei gegen die fremden Herren, sei es aus modischer Veränderungssucht, gotische Art und Kleidung zur Schau trugen und selbst die rauhe Heldensprache des Ulfilas nachzustammeln versuchten.

Gleich die erste Regierungshandlung Amalasunthas bezweckte die Versöhnung des durch ihren Vater schwer beleidigten römischen Senats und Volks. Briefe aus der Feder Cassiodors, welcher fortfuhr, dem Enkel Theoderichs als Minister zu dienen, zeigten den Römern den Regierungswechsel in achtungsvoller Form an, und der junge König leistete durch seinen Abgesandten vor Senat und Volk den Eid, die Rechte und Gesetze Roms aufrechtzuerhalten. Dem Senat diesen Geist der Versöhnung durch die Tat zu beweisen, setzte Amalasuntha sofort die Kinder des Boëthius und Symmachus in ihr väterliches Erbe wieder ein. Die letzten grausamen Handlungen ihres Vaters beklagend, suchte sie dieselben aus dem Gedächtnisse zu verwischen, indem sie während der ganzen Zeit ihrer Regierung nie einen Römer am Leben oder Vermögen strafte. Wie zur Zeit Theoderichs wurde die senatorische Körperschaft mit Ehren ausgezeichnet, ihre Zahl jedoch durch gotische Helden vermehrt, ohne daß die Enkel der Scipionen sich verletzt zu fühlen schienen, wenn man ihnen sagte: »es sei passend, dem Geschlechte des Romulus Männer des Mars zu Kollegen zu geben.« Mit ihnen suchte man die gotische Partei im Senat zu verstärken.

Die Ehren der senatorischen Kurie waren nur pomphafter Schein, nicht so die Rechte, welche die gotische Regierung dem Papst zugestand, um das gestörte Verhältnis zu ihm wiederherzustellen. Die Macht dieses Bischofs (er war auch vom Osten schon als Primas der christlichen Kirche anerkannt) wuchs mehr und mehr. Es war ein Vorteil für seine Stellung, daß auch die gotischen Herrscher in Ravenna residierten, und mehr noch, daß sie als Arianer außerhalb der römischen Kirche blieben. So geschah es, daß sich der Papst als Oberhaupt der katholischen Christenheit über diese ketzerischen Könige erhaben fühlte, daß er, zwischen ihnen und dem orthodoxen Kaiser stehend (welchen jene zugleich als ihren kaiserlichen Oberherrn anerkannten), ein Mann von Wichtigkeit wurde, und endlich, daß er einen vergrößerten Einfluß auf die inneren Angelegenheiten der Stadt gewann. Unter den Reskripten beim Cassiodor findet sich ein Edikt Athalarichs, welches den römischen Bischof zum Schiedsrichter in Streitigkeiten zwischen Laien und Geistlichen ernennt. Wer mit einem Mitgliede des Klerus von Rom Streit hatte, sollte fortan zuerst den Richterspruch des Papstes anrufen, und nur dann, wenn dieser die Klage abwies, durfte der Prozeß vor die weltlichen Gerichte kommen; wer sich dem Ausspruche des Papsts nicht fügte, sollte mit zehn Pfund Gold gestraft werden. Es scheint Felix IV. gewesen zu sein, der diese dem Einfluß der römischen Kurie so günstige Verordnung erlangte. Die schiedsrichterliche Gewalt der Bischöfe in Streitigkeiten zwischen Laien und Klerus war allerdings ein schon alter Gebrauch; doch jenes Privilegium konnte als Voraussetzung der Exemtion des Klerus vom weltlichen Forum betrachtet werden, und diese legte den Grund zu dessen politischer Macht. Man erkennt, daß die königliche Regierung nach dem Tode Theoderichs sich unsicher fühlte und die römische Kirche zu versöhnen und zu gewinnen eilte.

Die Chronik der Stadt kann der kurzen Regierung des Papstes Felix IV. (526 bis 530) nicht erwähnen, ohne bei einer merkwürdigen Kirche zu verweilen, der ersten, welche an den Grenzen des Römischen Forum neben der Via Sacra erbaut wurde. Es ist die Basilika der heiligen Cosma und Damianus, arabischer Ärzte und Zwillingsbrüder, welche unter Diokletian den Martertod erlitten hatten. Felix errichtete ihnen eine Kirche auf der Via Sacra, nicht weit vom Forum Pacis, neben dem »Tempel der Stadt Rom«. Da dieser Kirche eine antike Rotunde als Vorhalle dient, durch welche man in die gleichfalls aus einem antiken Gebäude entstandene, einschiffige Basilika gelangt, so hat man in jenem Rundbau den Tempel der Stadt Rom oder des Romulus oder der Zwillinge Romulus und Remus zu erkennen geglaubt; man hat auch eine Stelle des Prudentius herbeigezogen, die sich indes nur auf Hadrians Doppeltempel der Venus und Roma bezieht. Neuere Forschungen bestätigen die Ansicht, daß dieses sogenannte Templum Romuli dem vergötterten Cäsar Romulus von dessen Vater Maxentius, in der Nähe seiner großen Basilika, geweiht worden war. Die Kirche Felix' IV. bestand überhaupt aus zwei antiken Gebäuden, von denen das eine die Kirche und die heutige Sakristei umfaßt. Auf der Wand desselben war der marmorne Stadtplan aus der Zeit des Septimius Severus befestigt. Vespasian hatte es neben dem Templum Pacis errichtet und Severus es hergestellt. Dort scheint sich ein Archiv der Stadtpräfektur befunden zu haben, in dem die Censusregister und die Stadtpläne niedergelegt waren. Jedenfalls ist diese Basilika eine der ersten Kirchen Roms, für die antike, unzerstörte Gebäude verwendet wurden. Sie steht an der Via Sacra, auf einem der merkwürdigsten Lokale der Stadt, wo in unmittelbarer Nähe der berühmte Friedenstempel Vespasians gelegen war, und sie ist in die Tiefen des Schutts am Forum zwischen großartigen Ruinen versunken. Die Porphyrsäulen am Eingange, wie andere Säulenschafte daneben, und die noch antike bronzene Türe sind nicht minder anziehende Gestalten der Vergangenheit.

Der Bau Felix' IV. war dadurch auffallend, daß er vom Charakter der Basiliken abwich. Der Architekt setzte ihn aus heidnischen Gebäuden zusammen, wie er diese eben vorfand; die Rotunde machte er zur Vorhalle und stellte vor sie einen Säulenporticus; er durchbrach sie sodann, indem er einen Durchgang in das saalartige antike Gebäude öffnete, welches reich mit Marmor getäfelt war; hier legte er die Apsis an und machte auch in ihr einen Durchgang zu einem dritten Raum, dem hintern Teile der Aula. Er schmückte Triumphbogen und Nische mit Mosaiken, und diese gehören wegen ihres Alters und Charakters zu den merkwürdigsten in Rom überhaupt. Den Triumphbogen zieren Darstellungen noch antikisierenden Stils, Visionen aus der Apokalypse, welcher man oft malerische Motive entlehnte: Christus als Lamm auf einem kostbaren Throne ruhend, vor dem das Buch mit den sieben Siegeln liegt; zu den Seiten die sieben Leuchter, schlanke Kandelaber von nicht mehr ganz reiner Form; je zwei geflügelte Engel von noch auffallend graziöser Gestalt und je zwei Evangelisten mit ihren Attributen schließen den Bogen an beiden Enden ab. Unterhalb dieser Musive hatte Felix die vierundzwanzig Ältesten abbilden lassen, die Kronen dem Heiland darbietend.

Das große Gemälde der Tribune ist besonders merkwürdig. Die von Goldgrund umflossenen, übermenschlichen Gestalten zeigen einen robusten Stil bei sehr guter Gewandung. Die kolossale Mittelfigur ist eins der trefflichsten unter allen Christusbildern in Rom: er steht, das bärtige, langgelockte Haupt mit dem Nimbus umgeben, kraftvoll und königlich da, in goldgelbem Gewande von einfach-großem Faltenwurf, das er auf dem Arme aufnimmt, in der Linken die Schriftrolle, mit der Rechten segnend. Ursprünglich deutete noch eine Hand mit einem Kranz über seinem Haupte die wirkende Kraft Gottes an, den man damals nur in solchem Symbol und noch nicht als Greisengestalt abzubilden pflegte. Rechts und links stehen Cosma und Damianus, welche Peter und Paul, sie weit überragende Gestalten, dem Erlöser zuführen. Beide Heilige, namentlich der zur Rechten, zeigen Antlitze kraftvoll, düster und magierhaft, mit dämonischen großen Augen, belebt von ehrfürchtigem Schauder, sich Christus zu nahen, und von solcher Glut religiöser Leidenschaft, daß man in ihr die einstige Herrschaft der Kirche über die Welt zu ahnen vermag. Die Handlung ihres wildschüchternen Vorschreitens ist sehr lebendig, und im ganzen: dies sind zwei unbezwingliche Athleten Christi. Ihre markigen Gestalten sind in energische Barbarei getaucht; sie scheinen Männer eines wilden, epischen Wesens aus den blutigen Heldenzeiten des Odoaker, des Dietrich von Bern und des Byzantiners Belisar. Rom besitzt kein Musiv mehr dieses historischen Kraftstils. Die Grazie der Antike ist darin erloschen; jene byzantinische Anmut, welche in den berühmten Mosaiken Ravennas aus der Zeit Justinians sichtbar ist, erscheint hier nicht mehr. Aber das Gemälde ist selbständig römisch, ein Originalwerk des VI. Säkulum. Nach ihm verfällt die musivische Kunst in Rom für lange Jahrhunderte.

Neben jenen Doppelpaaren sieht man noch den Papst Felix IV. (eine ganz erneuerte Figur) und den heiligen Krieger Theodor. Felix ist mit einem goldgelben Gewande über einem blauen Unterkleide und mit der Stola bekleidet; er trägt das Abbild seiner Kirche dem Heiland zu, ein Gebäude mit Vorhalle und ohne Turm. Keine dieser Figuren außer Christus hat den Nimbus, ein Beweis, daß der Gebrauch, die Häupter der Heiligen mit der zirkelförmigen Glorie zu umgeben, am Anfange des VI. Jahrhunderts noch nicht häufig war.

Zwei Palmen neigen zu beiden Seiten ihre schlanken Zweige gegen die Häupter der Figuren; über einem Palmenast schwebt zur Rechten Christi der märchenhafte Vogel Phönix, dessen Haupt ein Stern umschimmert: ein Sinnbild der Unsterblichkeit, eins der schönsten Symbole der Kunst; die Christen entlehnten es von den Heiden, denn der Phönix mit dem Stern findet sich schon auf kaiserlichen Münzen seit Hadrian. Sodann umgibt dieses ausgezeichnete Gemälde unterwärts der strömende Jordan; darunter stehen in der letzten Abteilung des Ganzen zwölf Lämmer, die Apostel, welche hier aus Jerusalem, dort aus Bethlehem zum Heiland ziehn. Denn dieser ist in ihrer Mitte wiederum als Lamm dargestellt, aber aufrecht über einem reich bedeckten Stuhl und den Nimbus um das Haupt. Eine Inschrift in großen Charakteren und Arabesken von Goldmosaik schließen den bildlichen Schmuck der Tribune als Rand sehr wohlgefällig ab.

So hatten sich in jener Kirche an der Via Sacra zwei Araber aus dem fernen Osten eingefunden; sie waren einer Ehre gewürdigt worden, welche in Rom bisher nur römische Märtyrer erlangt hatten. Denn der Kultus der Heiligen war hier, wie wir sahen, zuerst lokal; doch zu den römischen gesellten sich andere aus den Provinzen des Reichs; das Prinzip der Universalität, welches die römische Kirche in Anspruch nahm, sprach sich endlich auch in der Aufnahme orientalischer Heiliger in den städtischen Kultus aus. Nur die spätere Feindschaft, endlich die kirchliche Trennung Roms vom Osten hat dort die Verehrung griechischer Heiliger beschränkt. Der wahre Beweggrund Felix' IV. zu jener Auszeichnung des Cosma und Damianus, welche als die »Anargyri« im ganzen byzantinischen Reich hohe Verehrung genossen, kann immerhin politischer Natur gewesen sein. Es war vielleicht eine diplomatische Huldigung für den orthodoxen Kaiser, zu welchem die römische Kirche damals in freundschaftlichem Verhältnis stand. Es ist auch möglich, daß sie um der Goten willen den Griechen schmeichelte. Außerdem mag die Pest vom Orient her Italien ernstlich bedroht haben. Jene heiligen Zwillingsbrüder, deren bloßes Gebet einst den Kaiser Carinus von einer verderblichen Krankheit befreit haben soll, waren zu jener Zeit als große Wundertäter im besonderen Ruf; ausdrücklich bezeichnet sie die musivische Inschrift als »Ärzte, die dem Volk die Hoffnung des Heiles sichern.« Man wählte für ihren Kultus gerade jene Stelle am Forum, weil hier schon in alter Zeit Ärzte ihren Versammlungsort gehabt hatten; auch der berühmte Galenus soll daselbst gewohnt haben. Zur Zeit Justinians wurden die Anargyri in Cyrus am Euphrat, wo sie bestattet lagen, als neue Äskulape verehrt; sie erhielten Kirchen auch in Pamphylien und in Konstantinopel. Der Orient, die Heimat der Pest, war überhaupt an heiligen Ärzten reich: Cyrus, Johannes und Pantaleon, Hermolaus und Sampson, Diomedes, Photius und andere wurden, nachdem sie Lebende und Tote geheilt und auferweckt hatten, wie Empedokles in den Himmel versetzt.


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