Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Wahl Gregors I. zum Papst. Seine Vergangenheit. Die Pestprozession. Die Legende von der Erscheinung des Erzengels Michael über dem Grabmal Hadrians.

Nach dem Tode des Pelagius fiel die einstimmige Wahl des Klerus und Volks auf Gregor, einen Mann, der unter den größten Päpsten unsterblich geworden ist. Er stammte vom alten Hause der Anicier, welches alle andern Geschlechter Roms in den letzten Zeiten des Reichs überstrahlt hatte. Sein Großvater war der Papst Felix, sein Vater hieß Gordianus, seine Mutter Silvia, die neben S. Saba auf dem Aventin einen Palast besaß: auch seine Muhmen väterlicher Seite, Tarsilla und Emiliana, waren heilige Jungfrauen, während die dritte Schwester Gordiana es vorgezogen hatte, in der Welt zu leben. Gregor wuchs in der schrecklichsten aller Zeiten auf, wo die Langobarden sein Vaterland unterjochten, vor Rom selbst erschienen und mit wilder Zerstörungswut die letzten Reste der lateinischen Kultur vernichteten. In der Jugend für die zivile Laufbahn bestimmt, erwarb er sich alle diejenige rhetorische und dialektische Bildung, welche in Rom gelehrt wurde, wo ihm kaum noch jene Schulen zugute kommen konnten, die einst Theoderich gepflegt hatte. Er bekleidete die städtische Präfektur, ein Amt, welches nicht erloschen war. Was aber konnte in jener Zeit ein edler Römer im Staate leisten, zu welcher Ehrenstufe in der Republik sich emporschwingen? Das höchste Ziel, welches dem Nachkommen der Anicier winkte, konnte nur der Thron des Bischofs sein. Von den politischen Zuständen Roms abgestoßen, nahm Gregor wie Cassiodorus das Mönchsgewand; der Mann, »welcher im seidenen, von Edelsteinen schimmernden Prachtkleide in der Stadt daherzuschreiten gewohnt war, wurde in geringer Kutte dem Dienst des Herrn geweiht.« Wir hörten, daß er sein Vermögen zur Stiftung von Klöstern verwendete; er errichtete deren sechs in Sizilien, und dies beweist, daß seine Familie dort reich begütert war. Pelagius machte ihn zum Diaconus und Nuntius in Konstantinopel, und ganz Rom wählte ihn endlich einstimmig zum Papst.

Niemand schien geeigneter, die Kirche in so großer Bedrängnis zu lenken, als der angesehenste, wohltätigste Bürger der Stadt, ihr ehemaliger Präfekt. Aber der Erwählte suchte dem hohen Beruf auszuweichen; er forderte den ihm befreundeten Kaiser Mauritius durch Briefe auf, seine Wahl nicht zu bestätigen. Sie wurden vom Stadtpräfekten Germanus aufgefangen und mit dringenden Ermahnungen, diese Wahl gutzuheißen, vertauscht. Während der Vakanz des Heiligen Stuhls lag die Verwaltung der Kirche in den Händen des Archipresbyters, des Archidiaconus und des Primicerius der Notare; es scheint, daß man Gregor allein die Stellvertretung übergab. Denn ehe er noch geweiht war, befahl er die Abhaltung einer dreitägigen Bußprozession, den Himmel um Erlösung von der Pest anzuflehen. Diese wütete noch fort; er selbst sagte in seiner Bußpredigt, die er in der Kirche S. Sabina am 29. August hielt, daß die Römer in Menge dahinstarben und die Häuser leer blieben. Die Prozession wurde in folgender Weise angeordnet: die Bevölkerung hatte sich nach Alter und Klassen in sieben Gruppen zu teilen und jeder Zug in einer Kirche sich zu versammeln, um von dort aus nach dem gemeinsamen Ziel, der Basilika S. Maria (Maggiore) zu pilgern. Die Kleriker zogen aus von St. Cosma und Damianus mit den Presbytern der sechsten Region; die Äbte mit ihren Mönchen von St. Gervasius und Protasius (S. Vitale) mit denen der vierten Region; von St. Marcellinus und Petrus gingen die Äbtissinnen mit allen Nonnen und den Pfarrern der ersten Region; alle Kinder Roms von St. Johann und Paul auf dem Coelius mit den Presbytern der zweiten Region; alle Laien von St. Stephan auf dem Coelius mit den Presbytern der siebenten; die Witwen von St. Euphemia mit denen der fünften Region; und endlich alle verheirateten Frauen von St. Clemens mit den Presbytern der dritten Region. Indem nun diese Trauerchöre des ganzen römischen Volks die Lüfte mit ihren Hymnen erschütterten, während sie sich zwischen Ruinen durch die verödete Stadt bewegten, schienen sie das antike Rom selbst zu Grabe zu bestatten und die Augurien jener trostlosen Jahrhunderte zu begehen, welche jetzt folgen sollten. Mit der Prozession des Jahres 590 könnte man in der Tat das Mittelalter Roms beginnen.

Die Pest begleitete diese Züge; Menschen stürzten tot zu Boden; aber eine überirdische Vision beschloß tröstend Litanei und Plage. Gregor war im Begriff, mit der Prozession nach dem St. Peter zu ziehen und auf die Brücke gekommen, als sich vor den Augen des Volks ein himmlisches Bild entfaltete. Der Erzengel Michael schwebte über dem Grabmal Hadrians; er steckte ein flammendes Schwert in die Scheide, zum Zeichen, daß die Pest erloschen sei. Von dieser schönen Legende trug jenes Grabmal schon im X. Jahrhundert den Namen der Engelsburg, nachdem auf seiner Spitze in ungewisser Zeit, aber wohl schon im VIII. Jahrhundert, die Kapelle St. Michaels erbaut worden war; und die bronzene Gestalt des Erzengels, welcher sein Schwert in die Scheide steckt, schwebt noch heute mit ausgebreiteten Flügeln über dem merkwürdigsten aller Grabmäler der Welt.

Andere Legenden schreiben das Aufhören der Seuche dem Bildnis der Jungfrau zu, welches der Papst in der Prozession einhertragen ließ. Von den sieben Madonnenbildern, die kein geringerer Maler als der Apostel Lukas selbst in Farben ausgeführt hat, zeigt man vier in Rom; für das älteste gilt das Bildnis in Aracoeli. Dort sah man einst auch die Pestlegende auf der silbernen Türe abgebildet, die das Heiligenbild verschloß. Dies Werk gehörte dem XV. Jahrhundert; aus einem spätern stammt daselbst ein Gemälde auf Schieferstein. es stellt eine Prozession dar, im Begriff, das auf einer Bahre getragene Bildnis über die Brücke zu führen, hinter welcher das Kastell emporragt.


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