Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Krönung Friedrichs I. Erhebung des römischen Volks. Schlacht in der Leonina. Hinrichtung Arnolds von Brescia. Sein Charakter und seine Bedeutung. Abzug Friedrichs in die Campagna. Heimzug nach Deutschland.

An demselben Tage zog Friedrich, unbegrüßt von den Römern, in Schlachtordnung vom Monte Mario in die Leonina ein, wo ihn der vorausgegangene Papst erwartete. Die Krönung fand sofort im militärisch besetzten St. Peter statt. Wie Donner hallte der Jubelruf der Deutschen durch den hohen Dom, als der junge Cäsar Schwert, Zepter und Krone des Reiches nahm. Aber Rom erkannte ihn nicht als Kaiser; die Stadt blieb gesperrt, das Volk tagte auf dem Kapitol, dessen Senatspalast vor kurzem ausgebaut worden war. Nichts beweist mehr, wie schattenhaft das mittelalterliche Kaisertum in Rom selber war, als diese Krönungen, die in der päpstlichen Vorstadt vollzogen wurden, während man voll Aufregung erwartete, daß die Römer, von denen die Kaiser ihren Titel trugen, mit geschwungenen Waffen über die Tiberbrücken hervorstürzen würden. Eine unausfüllbare Kluft der Bildung, der Bedürfnisse, der Abstammung trennte die Kaiser germanischer Nation von den Römern. Wenn diese den Fremdling Hadrian IV. als ihren Landesherrn haßten, so konnten sie ihn doch als den Papst verehren, aber Friedrich mußte ihnen gerade in dieser Zeit völlig unerträglich sein. Die Gesetze der Stadt, welche alle Kaiser zu beschwören pflegten, hatte er nicht beschworen, die Wahlstimme der Römer oder doch die hergebrachte Akklamation weder gehört noch mit Geschenken bezahlt, und mit gutem Grunde fanden sie sich in ihren Rechten verletzt. Die Forderung, ihre Verfassung anzuerkennen, war billig, und unklug, dies nicht zu tun. Es kam eine Zeit, wo der Kaiser es bereute und wo er den verachteten Bürgern Eide schwor. Nachdem die Päpste aufgehört hatten, Kandidaten der Wahlstimme des römischen Volkes zu sein, sah sich dieses auch um den Anteil an der Wahl seines Kaisers gebracht; in jener Zeit aber, wo antike Traditionen die bürgerlichen und politischen Rechtsbegriffe ganz durchdrangen, konnten sich die Römer nicht zu der Erkenntnis herabstimmen, daß die Ewige Stadt nur noch den Ort bedeute, wo Kaiser und Papst ihre höchste Weihe erhielten. Während andere Städte durch Reichtum und Macht glänzten, war der einzige Stolz dieser, Rom zu sein. Gregor VII. hatte dem Papsttum die Aufgabe zugewiesen, die Weltmonarchie darzustellen, und die Römer ihrerseits träumten davon, dies durch die Majestät des Volks und des von ihm eingesetzten kaiserlichen Amts zu tun.

Ihre ererbten Ansprüche und ihre Kämpfe gegen die Päpste, die den politischen Begriff der Stadt auszulöschen strebten, haben ihrer Geschichte für Jahrhunderte einen tragischen Charakter aufgedrückt, welcher ohnegleichen in der Menschheit ist. In diesem noch bis zum heutigen Tage, wo wir diese Geschichte der Stadt unter seinem Eindrucke schreiben, fortgesetzten Ringen mit einem und demselben Schicksal waren die alleinigen Bundesgenossen der Römer die Aurelianischen Mauern, der Tiber, die Malaria und die Schatten wie die Monumente der großen Ahnen. Erst heute, wo die Stadt Rom nichts mehr begehrt, als zu dem gewöhnlichen Range der Hauptstadt eines Landes herabzusteigen, hat sie an der italienischen Nation selbst ihren Helfer und Bundesgenossen gefunden.

Der gekrönte Kaiser begab sich nach seinem Lager im Neronischen Felde, während der Papst im Vatikan verblieb. Da stürzten bald nach Mittag die wutentbrannten Römer über die Tiberbrücken in die Leostadt. Sie hieben dort nieder, wen sie von vereinzelten Feinden vorfanden, plünderten Geistliche, Kardinäle und Anhänger der Kaiserpartei und fielen endlich auf das Lager Friedrichs aus, wo sie vielleicht ihren Propheten Arnold zu befreien hofften. Der Kaiser und das Heer sprangen vom Krönungsmahl auf; es hieß, Papst und Kardinäle seien in der Gewalt des Volks. Heinrich der Löwe zog durch die Mauern, welche einst Heinrich IV. durchbrochen hatte, in die Leonina und warf sich schnell in den Rücken der Römer, aber es kostete selbst dem mannhaftesten Heer Mühe, die römischen Bürger zu überwinden. Ihre glänzende Tapferkeit zeigte, daß die Errichtung der Republik nicht etwas durchaus Phantastisches gewesen war. An der Engelsbrücke und mit den Trasteverinern an dem alten Fischteich wurde bis zur Nacht mit wechselndem Glücke gekämpft, dann wichen die Bürger der Übermacht. Man konnte, so schreibt der deutsche Geschichtschreiber, die Unsrigen sehen, wie sie die Römer niedermähten, als wollten sie sagen: »Hier, o Rom, nimm deutsches Eisen für arabisches Gold; so kauft Deutschland das Kaisertum!« Gegen tausend Römer wurden erschlagen oder im Fluß ertränkt, mehr verwundet, gegen 200 gefangen, die übrigen nahm in schneller Flucht die fest ummauerte Stadt auf, während die Engelsburg neutral blieb, da sie sich im Besitz der Pierleoni befand.

Am Morgen erschien der Papst im Lager des Kaisers; er bat ihn um die Freilassung der Gefangenen, welche dem Präfekten Petrus überliefert wurden. Aber so unvollkommen war der blutige Sieg gewesen, daß auch dieser große Kaiser, welcher sich als den rechtmäßigen Herrn der Welt betrachtete, hinwegziehen mußte, ohne Rom auch nur betreten zu haben. Die Römer zeigten sich damals ihrer Freiheit vollkommen würdig; männlich trotzten sie dem Kaiser hinter ihren Mauern, weigerten ihm den Markt der Lebensmittel und wollten den Kampf fortsetzen. Deshalb brach Friedrich schon am 19. Juni das Lager ab. Er nahm den Papst und alle Kardinäle als Flüchtlinge mit sich und zog zunächst nach dem Soracte; überall auf dem Marsch durch die römische Landschaft ließ er die Türme zerstören, welche die Großen Roms auf ihren Landgütern errichtet hatten.

Es ist wahrscheinlich, daß damals, und zwar in jener Landschaft am Soracte, die Hinrichtung Arnolds stattgefunden hat. Das Ende des berühmten Demagogen ist so dunkel wie jenes des Crescentius, denn die Zeitgenossen eilen flüchtig, wie voll Scheu darüber hinweg. Nach seiner Auslieferung war er dem Stadtpräfekten übergeben worden; dieser und sein mächtiges Capitanen-Geschlecht, reich begütert in der Grafschaft Viterbo, hatte lange mit der römischen Gemeinde Krieg geführt, großen Schaden durch sie erlitten und war daher gegen Arnold tief aufgebracht. Er verurteilte ihn, sicherlich mit Zustimmung des Kaisers, zum Tode als Ketzer und Rebell, nachdem ihn ein geistliches Gericht verdammt hatte. Der Unglückliche weigerte mutig den Widerruf; er erklärte, daß seine Lehren richtig und heilsam seien und er für sie in den Tod zu gehen bereit sei. Er bat nur um eine kleine Frist, um Christus seine Sünden zu bekennen; er betete kniend mit zum Himmel erhobenen Händen und empfahl Gott seine Seele. Selbst die Henker rührte er zum Mitleid. So berichtet ein neu entdecktes Gedicht, dessen Verfasser ein kaiserlich gesinnter Brescianer gewesen ist. Auch dieser Autor sagt wie andere Zeitgenossen, daß Arnold gehenkt und dann verbrannt wurde, damit keine Reliquie von ihm zu den Römern komme, und dies beweist, wie sehr ihn das Volk vergöttert hatte. Nach anderen wurde seine Asche in den Tiber gestreut. Der Ort der Hinrichtung ist nirgends genau bezeichnet worden.

Der Rauch vom Scheiterhaufen Arnolds verfinsterte die junge, schon blutige Majestät des Kaisers, dessen augenblicklichen Bedürfnissen er zum Opfer fiel; aber schon lebten seine Rächer, die Bürger der lombardischen Städte, die einst Friedrich zwingen sollten, das ruhmvolle Werk der Freiheit anzuerkennen, wozu der Geist Arnolds so mächtig mitgewirkt hatte. Die Hand der Gewaltigen hat oftmals die Werkzeuge großer, sie selbst überflutender Bewegungen zertrümmert, ohne dies einmal zu ahnen. Vor Friedrich stand Arnold von Brescia nicht in der Gestalt da, in welcher er uns heute erscheint, und nur wenig mochte er von ihm gehört haben. Was kümmerte ihn das Leben eines einzelnen Ketzers? War er aber über ihn aufgeklärt, so konnte er, nachdem er mit den Städten Oberitaliens und auch mit Rom in Kampf geraten war, für diesen Lombarden, den politischen Neuerer, nimmer günstig gestimmt sein. So zerstörte er eine glänzende Kraft, die ihm später sehr dienstbar hätte sein können. Wenig Voraussicht bewies Friedrich in Rom; statt die römische Demokratie mit ernstem Wohlwollen auf ein ihm bequemes Maß zu beschränken (was ihm leicht geworden wäre), sie aber dann dem Einfluß des Papstes zu entziehen und unter Reichsautorität zu stellen, stieß er sie voll blinder Verachtung von sich, verfeindete sich mit vielen andern Städten und sah endlich doch alle seine übertriebenen Pläne zu Grunde gehen.

Arnold von Brescia eröffnet die Reihe der berühmten Märtyrer der Freiheit, welche auf dem Scheiterhaufen starben, deren kühner Geist jedoch wie ein Phönix den Flammen entstieg, um durch die Jahrhunderte fortzudauern. Man könnte ihn einen Propheten nennen, so klar blickte er in das Wesen seiner Zeit, so weit eilte er ihr voraus einem Ziele zu, welches Rom und Italien erst 700 Jahre nach ihm zu erreichen hofften. Das schon gereifte Bewußtsein seines Zeitalters stellte in ihm die geniale Persönlichkeit des Reformators auf, und der erste politische Ketzer des Mittelalters ging folgerichtig aus dem Investiturstreit hervor. Der Kampf der zwei Gewalten und die Umgestaltung der Städte waren die großen praktischen Erscheinungen, die ihm als geschichtlicher Boden dienten. Eine innere Notwendigkeit mußte ihn dorthin führen, wo die Wurzel aller Übel lag. Arnold, nicht an Rom sich versuchend, nicht hier endend, wäre nur eine unvollständige Gestalt seiner Zeit. Aber Rom, vom Gewicht der antiken Größe und der zwei höchsten Weltmächte zugleich bedrückt, konnte die bürgerliche Freiheit auf die Dauer nicht behaupten. Die Verfassung, an welcher Arnold viel Anteil als Gesetzgeber haben mochte, blieb jedoch noch lange nach ihm bestehen; die Schule der Arnoldisten oder Politiker starb dort niemals aus. Was immer philosophisch oder praktisch gegen die Weltlichkeit des Priestertums streitet, hat in Arnold dauernd den geschichtlichen Charakter gefunden; dies um so mehr, weil seine Absicht von keinem gemeinen Motiv getrübt worden ist. Denn selbst seine heftigsten Gegner bekannten, daß ihn nur begeisternde Überzeugung trieb. Arnold überragt durch die Größe seiner Zeit wie durch die Macht seines Gedankens alle Kämpfer für die Freiheit Roms, die nach ihm aufgetreten sind. Savonarola, mit dem man ihn verglichen hat, macht mönchisches Wesen und wunderhaftes Treiben für jeden männlichen Geist oftmals widerlich, aber vom Freunde Abälards werden nicht Orakel noch Wunder erzählt; er erscheint gesund, männlich und klar, sei es, weil er es wirklich gewesen ist, oder weil die Geschichte viel verschwiegen hat. Seine Lehre war von solcher Lebensfähigkeit, daß sie noch im Jahre 1862 zeitgemäß ist, und Arnold von Brescia wäre noch heute der volkstümlichste Mann Italiens. Denn so hartnäckig ist der Bann des Mittelalters, in welchem Rom und Italien festgehalten blieben, daß der Geist eines Ketzers aus dem XII. Jahrhundert noch nicht zur Ruhe gekommen ist, noch heute in Rom umgehen muß.

Bei Magliano setzte Friedrich über den Tiber und rückte über Farfa wie vor ihm Heinrich V. nach der Lukanischen Brücke. Hier wurde das Fest Peter und Paul in den Zelten mit großem Pomp gefeiert, wobei der Papst die deutschen Truppen von jeder Schuld des in Rom vergossenen Blutes absolvierte. Die Städte der Campagna beeilten sich, dem Kaiser das drückende Foderum zu reichen, andere ihm zu huldigen, um sich in seinen Schutz zu begeben, und Tivoli, welches sich aus Haß gegen Rom unter die päpstliche Fahne gestellt hatte, hoffte jetzt auch die Gewalt des Papstes abzuwerfen. Boten der Gemeinde (sicherlich standen jetzt Konsuln an ihrer Spitze) übergaben die Schlüssel der Stadt dem Kaiser als ihrem Oberherrn. Er wollte schon aus Rache gegen die Römer eine dem Senat feindselige Stadt stärken, aber Hadrian beanspruchte die Rechte der Kirche, und der Kaiser entband die Tivolesen ihres eben erst geleisteten Untertaneneides und gab ihre Stadt ihm zurück. Dies war die ärmliche Abfindung des Papsts, welchem er seine Zusage, ihn zum Herrn Roms zu machen, nicht erfüllen konnte.

Er brach weiter nach Tusculum auf und blieb noch bis zur Mitte des Juli mit Hadrian im Albanergebirg. Er machte Miene, von hier aus Rom zu bekämpfen, aber sein Zug war zwecklos; weder auf die Forderung, Wilhelm I. in Apulien zu bekriegen, konnte er eingehen, weil seine großen deutschen Vasallen mit Recht sich dagegen sträubten, noch durfte er in dieser Jahreszeit etwas gegen die Römer unternehmen. Als nun die Klimafieber im murrenden Heere ausbrachen, mußte er umkehren und nicht ohne peinvolle Beschämung den Papst sich selbst überlassen. Er gab die Gefangenen in seine Hände, nahm von ihm Abschied in Tivoli und trat über Farfa den Rückweg an. Auf seinem Heimzuge wurde die altberühmte Langobardenstadt Spoleto mit barbarischer Wut zu Asche verbrannt. Wie Demetrius im Altertum konnte dieser große Hohenstaufe mit Recht der »Städteverwüster« heißen.


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