Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Rückkehr Friedrichs II. nach Sizilien. Friedlicher Besitz des Kirchenstaats durch Honorius III. Die Romagna durch einen kaiserlichen Grafen regiert. Mißverhältnisse in Spoleto. Rom und Viterbo. Demokratische Bewegungen in Perugia. Rom und Perugia. Flucht des Papsts aus Rom. Parentius Senator. Unterhandlungen wegen des mehrmals verschobenen Kreuzzuges. Angelo de Benincasa Senator. Feindliche Stellung der Lombarden zum Kaiser. Spannung zwischen Kaiser und Papst. Bruch zwischen Friedrich und Johann von Brienne. Tod Honorius' III. 1227.

Noch drei Tage lang blieb der Kaiser im Lager am Monte Mario; dann zog er am 25. November über Sutri und Narni nach Tivoli, wo er sich schon am 5. Dezember befand. Der Papst hatte den Orten im römischen Tuszien befohlen, dem kaiserlichen Heere das Foderum zu reichen, aber er bestritt das Recht, dasselbe von der Maritima und Campagna zu erheben, da der Krönungszug diese Landschaften nicht berühre. Wenn frühere Kaiser, so bemerkte er, den Unterhalt von dort unrechtmäßig einforderten, so geschah es nur, sooft sie in das Königreich Sizilien einzufallen eilten. Er wies jedoch den Rector Kampaniens an, das Foderum, diesen letzten kläglichen Überrest der Kaiserrechte, zu gewähren.

Friedrich zog weiter durch Latium, sein sizilisches Erbreich als Kaiser zu betreten, und dieser Zug war es, der die Freude der Kurie trübte, welche ihn im Orient beschäftigt zu sehen wünschte. In Capua versammelte er die Barone Apuliens und ging sofort an die Aufgabe, das Königreich durch neue Gesetze zu ordnen. Er bestätigte dem Papst nochmals den Kirchenstaat und die mathildischen Güter. Er wiederholte nicht das Beispiel Ottos IV., sondern kam seinen Verpflichtungen gewissenhaft nach. Denn Honorius konnte am Anfange des Februar 1221 das Bekenntnis ablegen, daß er mit Hilfe des Kaisers Spoleto, einen großen Teil der mathildischen Grafschaft wie das ganze Patrimonium von der Brücke des Liris bis nach Radicofani in Ruhe beherrsche; während die widerspenstige Mark Ancona an Azzo von Este verliehen und von diesem Lehnsmanne im Namen der Kirche auch wirklich bezwungen war.

Fern von dem Ehrgeize seiner Vorgänger trachtete Honorius III. nur nach dem Frieden zwischen Kirche und Reich und nach der Erfüllung seines frommen Wunsches, Jerusalem zu befreien. Der ruhige Besitz des Kirchenstaats mochte ihm mehr als anderen Päpsten zu gönnen sein. Aber nie hat Dynastien die Herrschaft über große Reiche so peinliche Kämpfe gekostet, als sie den Bischöfen Roms das kleine Gebiet verursachte, auf welchem sie Könige zu sein begehrten. Das Genie von hundert Päpsten, Kraft und Vermögen der Kirche, zahllose Kriege und Bannflüche, Eide und Konkordate wurden aufgewendet, den Kirchenstaat zu schaffen und zu erhalten; und fast ein jeder Papst mußte die Arbeit von neuem beginnen und die Scherben mühsam wieder zusammenfügen, in welche der irdische Leib der Kirche durch den Schwertschlag der Fürsten immer wieder zerschlagen ward. Das ganze Mittelalter hindurch wälzten die Päpste den Stein des Sisyphus.

Als Friedrich den innocentianischen Kirchenstaat mit feierlichen Verträgen bestätigt hatte, war er zuerst gesonnen, ihn bestehen zu lassen. Dies beweisen noch die Urkunden von Capua. Jedoch das tiefe Mißtrauen der Kurie begleitete jede Handlung des Sohnes Heinrichs VI. Er selbst sah in den Absichten jener nur Selbstsucht und ränkevollen Plan. Dies Mißtrauen schadete mehr als eine offene, feindliche Tat. Die Idee von der Universalgewalt des Römischen Reichs kam in beständigen Widerspruch zur Idee von der Universalgewalt der Kirche, und Italien blieb der natürliche Gegenstand des ewigen Konflikts. Die Begier, dieses Land wieder zu unterwerfen, in welchem die Wurzel des Reiches ruhte, ergriff Friedrich II. wie Otto IV. Der Hader der Faktionen, der die in Bruderkrieg entbrannten Städte zerfleischte, forderte den Kaiser auf, unter die Parteien zu treten und daraus Gewinn zu ziehen. Der dauernde Trieb des Zerfalles, welcher in dem Kirchenstaate lag, reizte ihn, seine Hand wieder nach Rechten des Reichs auszustrecken, denen er schon entsagt hatte, während die Kirche wiederum alte Rechte geltend machte, welche Zeit und umwandelnder Besitz, wie die mathildischen Güter, fast unkenntlich gemacht hatten.

Die Zufriedenheit des Honorius endete sehr bald. Der Kaiser setzte schon im Juni 1221 Gottfried von Blandrate als Grafen der Romagna ein, welche Provinz seit den Ottonen durchaus als Reichsland betrachtet wurde; in dieser Landschaft dauerte die Jurisdiktion kaiserlicher Vizegrafen bis 1250, ja noch später, ungehindert fort. In Spoleto, welches sich wie Perugia und Assisi erst damals der Kirche völlig ergeben hatte und vom Kardinal Rainer Capocci regiert wurde, trachtete Berthold, ein Sohn des ehemaligen Herzogs Konrad, nach dem Wiederbesitz des erloschenen Herzogtums seines Vaters. Er verband sich mit dem Seneschall Gunzelin; sie beide traten dort und in der Mark gegen den Kardinal feindlich auf, reizten Städte zum Abfall, verjagten die päpstlichen Beamten und setzten ihre eigenen ein. So kam auch hier das Reichsrecht mit dem neuen päpstlichen Recht in Konflikt. Obwohl nun Friedrich den Handlungen jener Herren Einhalt tat, argwöhnte man doch in Rom, daß er nicht redlich verfuhr.

Die Römer waren unterdes wieder im Kriege mit Viterbo; denn Streitigkeiten um den Besitz von Kastellen boten fortdauernd Gelegenheit zum Ausbruch eines unauslöschlichen Hasses dar. Die Stadt Viterbo erwarb im September 1220 durch Kauf sogar Civitavecchia; sie war damals groß und durch Handel reich; in der tuszischen Maritima konnte nur Corneto mit ihr wetteifern. Sie vermochte 18 000 Gewaffnete aufzustellen. Wie in allen Kommunen kämpften auch dort Adel und Bürger um die Gewalt und erhoben sich Familien, welche diese an sich rissen. Die feindlichen Häuser der Gatti und der Tignosi zogen in ihren Streit die Römer, welche ihre im Friedensschluß von 1201 eroberten Rechte wieder verloren hatten. So begann der Krieg im Jahre 1221 und dauerte lange Zeit fort. Selbst Honorius wurde in ihn hineingezogen, und seine vermittelnde Stellung oder Teilnahme für die Viterbesen, die er gegen die Wut der Römer zu schützen suchte, hatte einen Aufstand zur Folge.

Vorgänge in Perugia erfüllten außerdem die Römer mit Argwohn. Jene blühende Stadt hatte zuerst Innocenz III. gehuldigt und von ihm die Anerkennung ihres munizipalen Statuts erlangt. Der Papst hatte sich erfolglos bemüht, als Protektor Perugias den erbitterten Kampf zwischen Adel und Volk ( Raspanti) zu schlichten; die Volkspartei suchte sogar, sich von der Kirche wieder loszumachen, und nur mit Mühe gelang es dem päpstlichen Rector, Perugia im Jahre 1220 ihr zu erhalten. Während in Rom noch nichts verriet, daß die Zünfte oder Artes schon mächtige Körperschaften waren, bildeten sie in Perugia bewaffnete Eidgenossenschaften unter Rektoren und Konsuln, welche ein demokratisches Regiment einzuführen trachteten. Die Volkspartei erließ Statuten wider die Freiheit des Klerus, den sie besteuerte, und sie bekriegte Adel und Ritterschaft, erbittert über die ungerechte Verteilung der Auflagen. Johann Colonna, Kardinal von S. Prassede, vom Papst mit außerordentlicher Vollmacht nach Perugia gesandt, trat zwischen die Parteien und hob endlich eigenmächtig die Zunftverbände in ihrer politischen Form auf, was Honorius im Jahre 1223 bestätigte. Aus diesem Falle darf nicht geschlossen werden, daß die Päpste überhaupt die Gemeinwesen unterdrückten. Sie waren zu schwach, dies zu tun; sie verbanden sich vielmehr mit den demokratischen Elementen, gegen Friedrich eine Stütze zu finden. Ihm gegenüber durften sie von der päpstlichen Herrschaft sagen, daß ihr Joch leicht und schonend sei, denn dieser Kaiser von streng monarchischen Grundsätzen, welcher alle politischen Individualitäten unter sein Gesetz beugen wollte, war der entschiedene Feind jeder eigenartigen Demokratie; er verbot in seinem Reich Sizilien die Wahl von Podestaten und Konsuln in den Städten bei Todesstrafe.

Daß neben dem Kriege mit Viterbo auch jene Vorgänge mißstimmend auf Rom wirkten, ist nicht zweifelhaft, weil Perugia die Autorität des römischen Senats förmlich anerkannte. Fast das ganze XIII. Jahrhundert hindurch wurde dort das Amt des Podestà durch edle Römer verwaltet. Die uralte römische Kolonie Perugia ehrte selbst das päpstliche Rom noch mit frommer Pietät als ihre erlauchte Mutter und Herrin; denn die alles verwandelnden Jahrhunderte hatten eine geheiligte Tradition nicht auszulöschen vermocht. In staatsrechtlichen Akten, sogar in den ältesten Statuten der Gemeinde Perugias vom Jahre 1279 findet sich die Formel achtungsvoller Anerkennung der Hoheitsrechte des römischen Volks neben jenen des Papsts und nach der Anrufung »zu Ehren« der Heiligen und des Papsts auch die der Alma mater Roma. Die Autorität der Stadt Rom wurde weit über ihren Distrikt hinaus in Umbrien und dem Herzogtum Spoleto anerkannt, woher auch in dortigen Orten, besonders in Orvieto, das Amt des Podestà sehr oft mit Römern besetzt ward. Als noch später, im Jahre 1286, Perugia, Todi, Narni und Spoleto einen Bund auf vierzig Jahre schlossen, nahmen sie in den Vertrag ausdrücklich die Formel auf: »zu Ehren unserer Mutter, der erhabenen Stadt«. Ebenso findet sich eine Formel »zu Ehren der erlauchten Stadt Rom« noch in einem Bundesantrage zwischen Orvieto und Perugia im Jahre 1313.

In den bald ausbrechenden römischen Unruhen wird derselbe Richard Conti sichtbar, welcher schon früher einen großen Anteil an den Stadtfehden gehabt hatte. Diesem mächtigen Grafen hatte Friedrich Sora wieder genommen; er war nach Rom gegangen, fand beim Papst keine Unterstützung und begann nun, mit seinem Anhang die Savelli und andere Freunde des Honorius zu bekämpfen. Der Papst entwich im Mai 1225 nach Tivoli und weiter nach Rieti. Damals war Parentius wiederum Senator. Obwohl dieser Römer einen Märtyrer unter seinen Verwandten zählte, war er doch ein entschiedener Feind des Klerus. Schon als Podestà in Lucca hatte er die Geistlichkeit besteuert oder vertrieben und deshalb den Bann auf sich geladen, von dem er indes absolviert worden war. Honorius mochte ihm die Bestätigung des Senats verweigert haben, und seine gewaltsame Einsetzung durch das Volk wird eine der wesentlichen Ursachen des Aufstandes gewesen sein.

Der Papst befand sich bereits in heftiger Spannung zum Kaiser, der sich weigerte, seine Reformen in Sizilien abzubrechen, um den Kreuzzug anzutreten, mit welchem er unablässig gequält wurde, während er mit List seinen Verpflichtungen auswich. Der Fall Damiettes (am 8. September 1221) hatte das Abendland in Schrecken gesetzt. Kaiser und Papst waren im April 1222 vierzehn Tage lang in Veroli beisammen gewesen, wo ein Kongreß in Verona verabredet wurde, der indes nicht zustandekam. Auf einer neuen Zusammenkunft in Ferentino (im Frühjahr 1223), zu welcher auch Johann von Brienne, König von Jerusalem, der Patriarch und die drei Großmeister sich eingefunden hatten, war sodann die Unternehmung bis zum Sommer 1225 verschoben worden. Um Friedrich noch fester für sie zu verpflichten, bewog ihn der Papst, die Hand Jolanthes, der einzigen Tochter jenes Titularkönigs von Jerusalem, anzunehmen, da seine erste Gemahlin Konstanze am 23. Juni 1222 gestorben war. Das Jahr 1225 kam, ohne daß der sehnliche Wunsch des Papsts in Erfüllung ging, weil die Könige des Abendlandes ihre Unterstützung verweigerten. Die Boten Friedrichs, welche nochmaligen Aufschub begehrten, unter ihnen Brienne selbst, fanden den aus Rom vertriebenen Papst in Rieti. Er bewilligte notgedrungen ihre Vorschläge, und der Kaiser beschwor hierauf am 25. Juli zu S. Germano vor den päpstlichen Legaten, daß er im August 1227 den Kreuzzug antreten werde bei Strafe der Exkommunikation.

Honorius blieb in Rieti den Winter über, während wegen seiner Rückkehr unterhandelt wurde; denn auch jetzt trat der Kaiser, der seine Wünsche erreicht hatte, vermittelnd ein. Im Herbst wurde zwischen der Kirche und der Stadt Friede geschlossen: Parentius trat vom Senat ab, und Angelo de Benincasa nahm seine Stelle ein. Darauf konnte der Papst im Februar 1226 nach Rom zurückkehren. Er lebte hier noch ein Jahr lang in so peinlicher Aufregung, daß sich sein Mißverhältnis zum Kaiser dem Bruche näherte. Friedrich hatte in diesen Jahren alle Hindernisse in Apulien und Sizilien beseitigt, die rebellischen Barone unterworfen, die Sarazenen auf der Insel bezwungen und nach Lucera aufs Festland verpflanzt, die Universität in Neapel gegründet und durch bessere Verwaltung die Kräfte des herrlichen Landes gehoben. Nun aber vereinigten sich viele Umstände, ihn aus dem Frieden mit der Kirche und Italien in die schrecklichsten Kämpfe zu treiben, welche sein ganzes Leben begleiten sollten.

Die lombardischen Städte weigerten die Rechte, die der Konstanzer Friede dem Reiche gelassen hatte; ein Rest alter Reichsherrlichkeit, in seinen Grenzen unbestimmbar, bot ihnen Veranlassung, weniger zu leisten als ihre Pflicht war, und dem Kaiser, mehr zu fordern als ihm zustand, und bald war es seine erklärte Absicht, die kaiserliche Gewalt am Po herzustellen und ganz Italien als »sein Erbe« zurückzufordern. Mächtig gewordene Städte voll Nationalgefühl kämpften wie zu Barbarossas Zeit um Freiheit und Unabhängigkeit. Ihr heldenmütiger Widerstand hätte einen besseren Lohn verdient, doch ihre Uneinigkeit verschuldete den Mangel bleibenden Erfolgs. Als die Lombarden von Friedrichs nahem Heranzuge aus Apulien hörten, erneuerten sie die alte Eidgenossenschaft auf 25 Jahre durch den Vertrag zu Mosio im Mantuanischen am 2. März 1226. Dies hieß der Papst mit Freuden gut. Ihre drohende Haltung, wodurch sie Heinrich hinderten, zu dem nach Cremona ausgeschriebenen Reichstag durch die Alpenpässe zu gelangen, hatte die kaiserliche Acht zur Folge. Ein Kompromiß des von beiden Teilen angerufenen Papsts konnte am wenigsten Friedrich genügen, denn Honorius bewies sich parteiisch für die Lombarden, was sehr natürlich war.

Die Spannung mehrten Streitigkeiten um bischöfliche Investituren Siziliens, welche die Kirche beanspruchte und Friedrich bestritt, der sich kaum als Herr in seinem Erblande fühlte, als er dies vom Papst völlig unabhängig machen wollte. Die Kurie sah mit steigendem Argwohn die weisen Reformen des Kaisers, welche jenes Königreich in eine selbständige Monarchie verwandelten: denn hier schuf Friedrich die Grundlage seiner Macht, und von hier aus schien er seinem Ziele zuzustreben, durch Zerstörung der italienischen Eidgenossenschaften, der Städtefreiheit und des Kirchenstaats ein einiges, monarchisches Italien zu schaffen. So fürchtete man schon damals am päpstlichen Hof.

Dort war auch Johann von Brienne als Kläger aufgetreten. Denn kaum mit Jolanthe, der Erbin Jerusalems durch ihre Mutter Maria, vermählt, nahm der Kaiser den Titel des Königs von Jerusalem an, und sein um alle Hoffnungen betrogener Schwiegervater brachte seine Klagen vor den Thron des Papsts. Honorius benutzte die Talente des ritterlichen Exkönigs, eines Bruders jenes Walther, dessen sich einst Innocenz III. bedient hatte, indem er ihm die weltliche Statthalterschaft in einem großen Teil des Kirchenstaats übertrug. Das armselige Resultat aller leidenschaftlichen Bemühungen des Papsts um einen Kreuzzug war demnach dies: daß der Nachfolger Gottfrieds von Bouillon in die Dienste der Kirche trat, um als Rector des Patrimonium sein Leben zu fristen.

Honorius III. starb schon am 18. März 1227 im Lateran.


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