Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Johann auf der Synode von Troyes. Der Herzog Boso wird sein Günstling. Er begleitet ihn nach der Lombardei. Seine Pläne scheitern. Karl der Dicke wird König Italiens, auch in Rom zum Kaiser gekrönt, im Jahre 881. Ende Johanns VIII. Seine kühnen Entwürfe. Sein Charakter.

Johann VIII. kam am Pfingstfest in Arles an und wurde hier vom Herzog Boso empfangen und weitergeleitet. In Troyes traf er anfangs September mit dem Könige Ludwig zusammen: er bannte auf dem dortigen Konzil am 14. September Lambert und Adalbert, die geächteten Römer und den Bischof Formosus, welcher damals hin und her wandernd bei Hugo, dem Abt von St. Germain, eine Zufluchtsstätte gefunden hatte und in Person vor dem Konzil erscheinen mußte. Er krönte dann den stammelnden Ludwig zum Könige Frankreichs und unterhandelte wegen der italienischen Angelegenheiten. Die Untauglichkeit Ludwigs schlug seine Hoffnungen nieder, aber ein kräftiger Emporkömmling belebte sie. Boso, im Besitze des Herzogstitels der Lombardei, ehedem Schwager Karls des Kahlen und Gemahl Irmingards, der einzigen Erbin des Kaisers Ludwig II., um welche er, nachdem er sein erstes Weib vergiftet hatte, aus Politik geworben, war ein so mächtiger Mann, daß er dem Papst geeignet schien, Karlmann in Italien die Spitze zu bieten. Der kluge Johann hoffte, sich seiner für seine Absichten bedienen zu können; er schloß mit ihm einen Vertrag; er bot ihm seine Unterstützung zur Erlangung des Königstitels in der Provence, zeigte ihm in der Ferne die Kaiserkrone, erklärte ihn zu seinem Adoptivsohn und empfing das Versprechen seines tätigen Auftretens in Italien. Man erkennt, in welches Labyrinth politischer Umtriebe die Päpste durch ihre weltliche Stellung geraten waren. Johann VIII., heißblütig und rachevoll wie kaum ein anderer seinesgleichen, übereilte sich in blinder Leidenschaft; seine Unternehmungen scheiterten, und er selbst sank, sobald er den Boden Frankreichs betreten hatte, von seiner Höhe für immer herab.

Fast ein Jahr lang blieb er dort, dann kehrte er, von Boso geleitet, nach Italien zurück. In Pavia versuchte er, die Lombarden von Karlmann abwendig zu machen, und weil nun Engelberga Bosos Schwiegermutter geworden war, konnte er sich ihres Einflusses bedienen. Aber die Grafen und Bischöfe Oberitaliens, geführt von Berengar von Friaul und von Anspert von Mailand, konnten nicht gesonnen sein, den König Karlmann mit einem Abenteurer zu vertauschen. Die lombardischen Bischöfe, namentlich der stolze Metropolit von Mailand, waren damals noch weit davon entfernt, die Gebote des Papsts anzuerkennen; sie betrachteten mit Argwohn seine Schritte in ihrem Lande und hinderten sie. Unverrichteter Sache kehrten daher Boso nach der Provence und Johann VIII. bitter getäuscht nach Rom zurück. Wenn man die Briefe dieses Papstes liest, so wird man seine diplomatische Gewandtheit bewundern. Er besaß eine Fähigkeit für politische Verwicklungen, welche wenige Päpste mit ihm geteilt haben. Mitten in den schwierigsten Verhältnissen, wie sie die Zersplitterung des Reichs und die Menge der Prätendenten erzeugt hatten, war er auf jede mögliche Kombination achtsam. Er schloß und löste Bündnisse mit dem leichtesten Mut; aus Furcht vor den Sarazenen, in der Hoffnung, das verlorene Bulgarien wiederzuerhalten, und zugunsten eines Vertrages mit den Byzantinern machte er sich kein Gewissen daraus, den von der Kirche verdammten Photius wieder als Patriarchen anzuerkennen und mit Lob zu ehren. Er trotzte dem Urteil der orthodoxen Mit- und Nachwelt, welche ihn deshalb mit Verwünschungen überschüttet hat, denn die weltlichen Vorteile standen ihm höher als die dogmatische Spitzfindigkeit des filioque. Er würde vielleicht dem Beispiel einiger unteritalischer Städte gefolgt sein und Rom wieder dem Namen nach unter das Byzantinische Imperium gestellt haben, wenn das noch möglich gewesen wäre. Der klägliche Fall der Karolinger bildete freilich einen grellen Gegensatz zu der glänzenden Dynastie der Mazedonier, die mit Basilius I. im Jahre 867 den griechischen Thron bestiegen hatte. Wenn je eine Zeit günstig erschien, Italien wieder byzantinisch zu machen, so war es unter der Regierung dieses Fürsten. Allein die Zerrüttung des Reichs, die er vorfand, und die Bulgaren und Sarazenen hinderten ihn an der Ausführung solcher Ideen. Er begnügte sich, die römischen Kaiser in Briefen lächerlich zu machen; er nahm zwar Bari an sich und streckte seine Hände nach Capua und Benevent aus, aber er hinderte nicht den Fall des heldenmütigen Syrakus unter die Araber am 21. Mai 878; sein Sohn, der sogenannte Philosoph Leo, konnte den Untergang der erlauchten Stadt nur in weibischen Anakreontiken beseufzen.

Nach Rom zurückgekommen, welches er ruhig fand, weil auch Lambert sich vor Boso gefürchtet hatte, dachte Johann VIII. an eine endliche Entscheidung. Nun war er willens, seinen Adoptivsohn fallen zu lassen, nun lockte er aus Not Ludwig von Deutschland, den Bruder des kranken Karlmann, mit der Kaiserkrone. Aber er wollte wenigstens einen Kaiser als sein Geschöpf und maßte sich sogar an, über die italische Königskrone aus seiner Wahl zu verfügen. Denn so wirkte das System Nikolaus' I., welches er kühn weiterführte. Er berief für den Mai eine Synode nach Rom, wozu er den Erzbischof von Mailand einlud. »Weil Karlmann«, so schrieb er ihm, »wegen seiner schweren Krankheit das Königreich nicht behaupten kann, so ist es durchaus notwendig, daß Ihr zur festgesetzten Zeit anwesend seid, damit wir alle zugleich über einen neuen König beraten. Ihr dürft daher ohne unsere Zustimmung keinen zum Könige aufnehmen. Denn derjenige, welchen wir zum Imperium erheben werden, soll von uns zuerst berufen und erwählt sein«. Der Mailänder verachtete diese Aufforderung und kam nicht zur Synode, worauf ihn Johann in den Bann tat.

Diese endlosen Schachzüge päpstlicher Diplomatie wurden so entschieden: die drei Brüder Karlmann, Karl und Ludwig kamen überein, dem Mittelsten von ihnen Italien zu überlassen, und noch im Jahre 879 stieg Karl der Dicke mit einem Heer nach der Lombardei herab, wo er die Krone Italiens in Pavia nahm. Nun blieb Johann nichts mehr übrig, als diesem deutschen Fürsten, wenn auch widerwillig, die Kaiserkrone zu geben, nachdem er zuvor lange mit ihm unterhandelt und in Ravenna eine persönliche Zusammenkunft gehabt, seinen Adoptivsohn Boso aber, welcher sich in Arles zum König der Provence aufgeworfen, nun sogar für einen Tyrannen erklärt hatte. Karl war seiner Hoffnungen versichert. Die Stimmen Italiens und Roms waren ihm zugefallen; die ihm gefährliche Kaiserin Engelberga hatte er aus ihrem Kloster bei Brescia aufgehoben und nach Deutschland geschickt, und jetzt kam er am Anfange des Jahres 881 nach Rom, wo er ohne Kampf und Mühe die Kaiserkrone aus den Händen des Papsts empfing. Allein die Hoffnung Johanns, nunmehr einen Kriegszug gegen die Sarazenen zustande kommen zu sehen, wurde vereitelt; der Kaiser haßte die politische Vergangenheit des Papsts, er erhob seinen schwachen Arm nicht, ihm zu helfen, er überließ Rom aus eigener Ohnmacht sich selbst, denn nicht einmal seinen Legaten schickte er nach der Stadt, wo er die Kaiserrechte völlig verfallen ließ.

Den Rest seines Pontifikats brachte der ruhelose Johann mit immer neuen Klagen hin; sie galten nicht den Sarazenen allein, sondern auch seinen Feinden in Rom und Spoleto, welche die Kirche zu bedrängen fortfuhren. Zwar war Lambert, den er bei der Wendung seiner Politik vom Bannfluch gelöst hatte, gestorben, doch Guido, sein Nachfolger im Herzogtum, verfuhr nicht weniger gewaltsam. Er riß Güter der Kirche an sich, und die gefangenen päpstlichen Einsassen streckten vergebens ihre verstümmelten Arme zum Papst nach Rettung aus. Vergebens beschwor Johann den Kaiser, ihm seine Boten zu schicken, ihm Ruhe im Dukat, Ruhe in Rom zu geben. Seine Bitten waren nutzlos, und so hin und her getrieben, bald nach dem Norden, bald nach dem Süden, wo seine kühnen Pläne gleichfalls gescheitert waren und wo ihm Neapel, Amalfi und die Sarazenen keinen Augenblick der Rast ließen, wurde er endlich aus seinem drangvollen Pontifikat durch den Tod erlöst. Er starb am 15. Dezember 882. Wenn der vereinzelten Angabe eines Chronisten zu trauen ist, wurde ihm zuerst von einem seiner Verwandten Gift gereicht, und weil dies zu langsam wirkte, das Haupt mit einem Hammer eingeschlagen.

Johann VIII. war der letzte ausgezeichnete Papst in der Reihe seiner Vorgänger, denn mit ihm schließt schon die kurze Epoche des fürstlichen Glanzes, zu welchem das Papsttum nach der Stiftung des weltlichen Staats unter den Karolingern sich erhoben hatte. Gleich Nikolaus I. war er von einem hohen Bewußtsein der päpstlichen Gewalt erfüllt, doch ganz und gar Zwecken weltlicher Herrschaft hingegeben. Er zog das Papsttum tief in das politische Treiben der Faktionen Italiens herab. Er machte ihm zuerst das Kaisertum unterwürfig, erfuhr aber dann augenblicklich die Folgen von dessen Schwächung. Kaum hatte er die Kaisergewalt erniedrigt, als er auch daran dachte, das italienische Königtum von sich abhängig zu machen, und überhaupt wollte er auf den Trümmern des Reichs den Stuhl Petri erhöhen, um dann die Bischöfe und Fürsten des in eine römische Theokratie vereinigten Italiens als seine Vasallen zu beherrschen. Jedoch niemals kamen diese kühnen Entwürfe zur Ausführung: weder das diplomatische Genie Johanns VIII. noch irgendeines anderen Papsts war imstande, das italienische Chaos zu bewältigen. Die Bischöfe Lombardiens, die Lehnsherzöge, welche alle der Fall des Kaisertums groß machte, die Fürsten Unteritaliens, die Sarazenen, die deutschen Könige, der rebellische Adel Roms, alle diese Feinde mußten auf einmal bekämpft und eine Aufgabe gelöst werden, welche die Kräfte eines einzelnen Geistes überstieg. Wie nun auch immer Johanns VIII. zweideutiger, ränkevoller, sophistischer und gewissenloser Charakter beurteilt werden mag, er war der Sohn seiner Zeit und durch die trostlosesten Zustände Italiens gedrängt; aber seltene Gaben des Verstandes und eine so große Energie des Willens zeichneten ihn aus, daß sein Name in der weltlichen Geschichte des Papsttums zwischen Nikolaus I. und Gregor VII. königlich erglänzt. In einem Zeitalter, wo die kirchlichen Tugenden erloschen waren und es nur darauf ankam, unter tausend widerstreitenden Gewalten mit ränkevoller Kunst sich zu behaupten, erhebt sich Johann VIII., wenn man von dem priesterlichen Amt ganz absieht, um so höher, je tiefere Ohnmacht seine Nachfolger auf dem Apostolischen Stuhl umgeben hat.


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