Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Allgemeine Ansicht der Stadt Rom in der letzten Kaiserzeit.

Nachdem wir versucht haben, den Begriff Roms im Altertum und Mittelalter auszudrücken, wollen wir ein Bild der kaiserlichen Stadt, wie sie kurz vor der westgotischen Eroberung sich darstellte, in den wesentlichen Zügen entwerfen. Denn dies ist des Mittelalters wegen notwendig.

Während der Republik war Rom durch wenige Monumente der Religion und des Staats in anspruchsloser Majestät wie durch die Tugenden seiner großen Bürger geziert; erst als die Freiheit unterging, begann mit dem inneren Verfall der äußere Glanz. Augustus übernahm die Stadt als ein eng zusammengebautes Chaos von Häusern und Straßen, welche einige Hügel und deren Täler bedeckten. Er ordnete sie durch die Einteilung in 14 Regionen und schmückte sie im Verein mit Agrippa durch solche Bauten, daß er sich rühmen konnte, er habe eine Stadt aus Ziegelstein vorgefunden und lasse sie aus Marmor zurück. Rom wuchs seitdem fortdauernd während der ersten dreihundert Jahre kaiserlicher Herrschaft und füllte sich mit Tempeln, Portiken, Bädern, Palästen, Lustanlagen jeder Art und mit einer so großen Menge von Standbildern, daß es ein zweites marmornes Volk in sich zu fassen schien. Zur Zeit des Honorius breitete sich die Stadt auf demselben Gebiet wie heute aus, umgeben von fast denselben heutigen Mauerlinien. Der Tiberstrom durchfloß sie zweimal gebogen, so daß auf seiner linken lateinischen Seite dreizehn Stadtviertel, auf seiner rechten tuszischen der vierzehnte Teil, Vatikan, Janiculus und Transtiberim lagen. Die eigentliche Stadt erhob sich im Norden, Osten und Süden auf acht Hügeln, welche ihre Marmortempel, Burgen und Paläste, ihre Gärten und Villen dem Blicke herrlich darboten, auf dem Hügel der Gärten, dem Quirinal, Viminal, Esquilin, Coelius, die alle durch eine breite Wurzel zusammenhängend gegen die Mitte der Stadt verlaufen und Täler bilden, und endlich auf den vereinzelten, von alters her bewohnten Höhen Aventin, Palatin und Kapitol. Am Tiber dehnte sich eine breite Tiefebene aus, die von der mit Triumphbogen geschmückten Via Flaminia und ihrer Fortsetzung, der Via Lata, durchschnitten war. Hier standen viele Prachtgebäude der Kaiser, aber dem Volk diente diese Ebene, deren Hauptteil das Marsfeld hieß, mehr zur Lust als zur Wohnung, während sich im päpstlichen Rom, nachdem einige der alten Hügel verlassen waren, die eigentliche Stadtbevölkerung gerade dort zusammengedrängt hat.

Organisch hatte sich die Stadt von einem Mittelpunkte aus entwickelt. Dieses Zentrum war schon zur Zeit der Republik das Forum und das über ihm aufsteigende Kapitol. Wenn man um beide her eine unregelmäßige Linie zieht, welche den Palatin umkreisend den Zölischen, Esquilinischen und Quirinalischen Hügel streift, so umschließt man ein nicht zu ausgedehntes Gebiet auf der linken Tiberseite, in welchem sich während der Republik wie der Kaiserherrschaft das Herz Roms befand. Denn die genannten Hügel neigen sich von verschiedenen Richtungen her gegen das Forum. Dies Forum selbst war einst die Residenz des freien Volks, Sitz des republikanischen Staatslebens, und über ihm das Kapitol, die Burg der Stadt und die Wohnung ihrer Götter und Gesetze. Auch das öffentliche Vergnügen hatte in der Nachbarschaft sein geheiligtes Lokal, denn der Circus Maximus, Inbegriff der feierlichsten Spiele, lag unter dem Palatin; und so waren das Forum, das Kapitol, die Rennbahn die drei großen Charaktere der Stadt während der Republik.

Die Kaiser fügten jenen ein viertes Monument hinzu, ihre eigene Residenz, die palatinische Cäsarenburg. Obwohl Augustus und seine Nachfolger die alten Staatsheiligtümer des Kapitols erhielten und verschönerten, so erschufen sie doch daselbst nur wenige neue Werke; sie schmückten das Kapitol mit Statuen und umkränzten seinen Fuß gegen das Forum hin mit Standbildern, Säulen und Triumphbogen. Das Forum gestalteten sie durch Prachtbauten völlig um; da es unter dem Kaiserreich seine bürgerliche Bedeutung verlor, blieb es nur, als öffentlicher Platz des Volks, das durch die Tradition geheiligte Monument der republikanischen Vergangenheit, während die Cäsaren ihm andere prachtvoll ausgestattete Plätze an die Seite stellten. Dies waren die Kaiserfora des Caesar, Augustus, Nerva und Domitian und endlich das Forum Trajans. In ihm erreichte die kaiserliche Stadt den Gipfel ihrer Pracht, denn Rom hat nichts Vollkommeneres hervorgebracht. Trajan, in welchem überhaupt das Cäsarenreich gipfelte, vollendete auch den Circus Maximus, und ihm nahe hatten Vespasian und Titus ein riesiges Amphitheater aufgeräumt, jenes Colosseum, das ausdrucksvollste Monument der weltbezwingenden, kriegerischen und grausamen Natur des Römervolks. Wenn man auf der Via Sacra, durch den Titusbogen, am Palatin vorbei, durch das Forum des Volks, am Kapitol vorüber durch die zusammenhängenden Kaiserfora schritt, so überblickte man die architektonischen Hauptgestalten Roms in einer gedrängten und die Betrachtung fast erdrückenden Fülle. Seitdem Hadrian noch den größten Tempel der Stadt, der Venus und Roma, an der Via Sacra errichtet hatte, war im Herzen des alten Rom kaum ein Platz mehr für Bauten übrig; es starrte dort alles in dichten Massen von Tempeln, Basiliken und Arkaden, von Triumphbogen und Ehrenbildern, und über dieses Labyrinth von Gebäuden erhob sich hier das Flavische Amphitheater, dort die Kaiserburg, weiter das Kapitol, und in größerer Entfernung ein zweites Kapitol, der Tempel des Quirinus auf dem Quirinal.

Aus diesem Hauptgebiet heraus wuchs das kaiserliche Rom nordöstlich und südlich über die langen Hügel, nordwestlich über die Flußebene und in das vatikanische und transtiberinische Viertel jenseits des Stroms hinein. Die Hügel, zum Teil schon während der Republik stark angebaut, wie der Aventin, boten der Baulust seit Augustus einen großen Raum dar; der Esquilin, Viminal und Quirinal wurden mit palastreichen Straßen, mit Kunstgärten, Speisemärkten und Thermen bedeckt. Aus der Tiefe, die sich längs des Flusses vom Kapitol forterstreckte, stiegen neue Schöpfungen empor; so das Theater des Marcellus, der Flaminische Circus, das Theater des Pompejus mit seinen großen, mannigfaltigen Anlagen, das erhabene Pantheon des Agrippa mit seinen Thermen, die Prachtbauten der Antonine mit der Säule Marc Aurels, das Stadium Domitians und endlich ein hohes, bergähnliches, mit Bäumen geschmücktes Grab, die Residenz der toten Kaiser, das Mausoleum des Augustus. Ihm entsprach auf der andern Seite des Tiber das zweite Grabmal der Cäsaren, das Wunderwerk Hadrians; es leitete zu dem vatikanischen Gebiet mit seinen Gärten und endlich zu dem weniger schönen Viertel Transtiberim, über welchem die alte Burg des Janiculus sich erhob.

Dies große, in Stein und Metall kunstvoll dargestellte Relief der Weltgeschichte umschloß als Gürtel eine solcher Majestät würdige Mauer. Sie war das Werk Aurelians. Nachdem die Häusermenge längst über den Servischen Wall hinausgedrungen war, setzte dieser Kaiser ihrem Wachstum durch die Ummauerung Roms eine Grenze, indem er zugleich der Stadt eine Schutzwehr gegen die näher und näher dringenden Barbaren gab. Diesen berühmten Mauern Aurelians verdankte Rom noch lange nach dem Fall des Reichs, in schrecklichen Jahrhunderten, seine Fortdauer. Ohne sie würde die Geschichte der Kirche und des Papsttums eine weit andere Gestalt erhalten haben, als sie dieselbe erhalten hat. Nur einen Teil von Transtiberim und das vatikanische Gebiet hatte Aurelian nicht in die Mauern hineingezogen; sonst umgaben sie, durch runde oder viereckige Türme bewehrt, die ganze Stadt mit feierlichem und kriegerischem Ernst, und sie verschönerten, wie Claudian sich ausdrückt, ihr ehrwürdiges Antlitz. Ihre düstern, grauen Massen, im Lauf der Zeiten so oft bestürmt, zerbrochen und erneuert, doch im wesentlichen in denselben Kreislinien fortlaufend, erfüllen uns noch heute mit Ehrfurcht und Bewunderung; die Jahrhunderte haben darauf Namen von Konsuln, Kaisern und Päpsten und tausend Erinnerungen aufgezeichnet. Arcadius und Honorius hatten, aus Furcht vor den Goten, die Mauern Aurelians im Jahre 402 wiederhergestellt, und sieben Jahre später fand die Berechnung eines Geometers, daß ihr Umkreis 21 römische Meilen betrug.

Sechzehn Haupttore führten aus ihnen in das freie Feld. Achtundzwanzig große, mit Basaltpolygonen gepflasterte Heerstraßen (außer den kleineren Verbindungswegen) zogen aus Rom den Provinzen zu. Zu ihren Seiten wurden sie von Grabmälern begleitet, welche in vierfacher Gestalt als Tempel, Rundtürme, Pyramiden, hohe Sarkophage sich erhoben. Die Campagna, eine bald grüne, bald sonnverbrannte Ebene, umgab die Stadt als ein Gefilde von so majestätischer Erhabenheit, daß ihr nichts auf Erden vergleichbar ist. Auf ihr standen unzählige Monumente, Grabmäler, Tempel, Kapellen, Landhäuser von Kaisern und Senatoren, und es durchzogen sie – ein Anblick von hinreißender Größe, wie man noch heute aus den Trümmern begreift – die kunstvollen Aquädukte, welche zum Teil in meilenlangen Linien der Stadt zustrebten. Auf ihren mächtigen Bogen führten sie gefangene Flüsse in die Mauern Roms, um das Volk aus zahllosen, mit Erz und Marmor geschmückten Brunnen zu tränken, die Naumachien, die Gärten, Villen und Teiche zu versorgen und endlich den üppigen Thermen zuzuströmen.

So war die Stadt am Anfange des IV. Jahrhunderts auf dem Gipfel ihrer äußeren Vollendung; als sie sodann die Grenze erreicht hatte, wo Stillstand und Alter beginnen, blieb sie fast zwei Jahrhunderte hindurch in einem wegen ihrer Größe langen und kaum merklichen Übergange zum Verfall. Dieser begann mit Constantin und tatsächlich mit der Erbauung der neuen Hauptstadt am Bosporus, welche der Kaiser ausschmückte und bevölkerte, indem er Rom plünderte und sowohl vieler Kunstwerke als vieler Patrizierfamilien beraubte. Das zur öffentlichen Religion erklärte Christentum führte zugleich den Zerfall der heidnischen Pracht Roms herbei, und wie die monumentale Geschichte der Stadt mit dem Triumphbogen Constantins beschlossen wird, so leitete auch die Geschichte ihres Ruins der Bau der Basilika St. Peters ein, welche aus dem Material des zerstörten Circus des Caligula und wahrscheinlich auch anderer Monumente entstand. Aber so prachtvoll war dies von den Cäsaren verlassene, vom Christentum hier und da angebrochene Rom noch zur Zeit des Kaisers Gratian um 384, daß der Rhetor Themistius ausrief: »Die herrliche und berühmte Roma ist unermeßlich und ein über jedes Wort erhabenes Meer von Schönheit.« Ihren Glanz und die Fülle ihrer Denkmäler priesen noch Ammianus Marcellinus, Claudian, Rutilius und Olympiodor mit hoher Begeisterung.

Nach dem System des Augustus blieb Rom noch jahrhundertelang in vierzehn bürgerliche Regionen mit ihren Straßenvierteln oder Vici, ihren Viertelsmagistraten und Wächterkohorten eingeteilt. Sie waren folgende: I. Porta Capena, II. Coelimontium, III. Isis und Serapis, IV. Templum Pacis, V. Esquiliae, VI. Alta Semita, VII. Via Lata, VIII. Forum Romanum Magnum, IX. Circus Flaminius, X. Palatium, XI. Circus Maximus, XII. Piscina Publica, XIII. Aventinus, XIV. Transtiberim. Dies sind die Namen, welche, wie es scheint, nicht dem amtlichen, sondern dem volkstümlichen Gebrauch entlehnt, durch die sogenannte Notitia und das Curiosum Urbis überliefert worden sind, zwei topographische, aus den Urkunden der Stadtpräfektur gezogene Verzeichnisse der Zeit Constantins und der späteren des Honorius oder Theodosius des Jüngeren. Diese Register umfassen, wenn auch nicht vollständig, die Bauwerke der vierzehn Regionen; am Schluß ist ihnen eine kurze Übersicht der Bibliotheken, Obelisken, Brücken, Berge, Felder, Fora, Basiliken, Thermen, Wasserleitungen und Wege, und überhaupt eine kurze städtische Statistik beigefügt. Ihre Angaben, obwohl manchmal dunkel und zweifelhaft, sind von unschätzbarem Wert als die einzigen authentischen Quellen, die uns für die Gestalt Roms im IV. und V. Jahrhundert dienen. Ihnen mag der Leser hier in Kürze folgen, damit er sich der bedeutendsten Lokale und Monumente in jeder Epoche des Mittelalters bewußt bleibe.


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