Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Feldzug gegen die Sarazenen. Kämpfe in der Sabina und Campagna. Vertrag Johanns X. mit den unteritalischen Fürsten. Vernichtung der Sarazenen am Garigliano im August 916. Rückkehr des Papsts und Alberichs nach Rom. Stellung Alberichs. Sturz Berengars. Dessen Folgen in Rom. Ungewisses Ende Alberichs.

Die Wirkung der Krönung Berengars zeigte sich in dem glänzenden Feldzuge, welcher sofort gegen die Sarazenen unternommen wurde. Das erwachende Nationalgefühl belebte und einigte die Italiener, so daß sie in Massen zu den Fahnen dieses rühmlichen Kreuzzuges strömten. Der neue Kaiser stellte sich freilich nicht an ihre Spitze. Dringende Angelegenheiten riefen ihn nach Oberitalien zurück, nachdem er mit den unteritalischen Fürsten und den Byzantinern wegen der gemeinsamen Unternehmung übereingekommen war. Er selbst stellte dem Papst Truppen zur Verfügung, nämlich die Toskaner unter dem Markgrafen Adalbert, die Mannschaften Spoletos und Camerinos, welche Alberich führte. Die große Liga war glücklich zustande gekommen; die Fürsten Unteritaliens waren einig; selbst der byzantinische Kaiser unterdrückte seinen Groll und reichte dem Kaiser der Römer die Hand. Der junge Constantin hatte eine Flotte ausgerüstet und unter den Befehl des Strategen Nikolaus Picingli gestellt. Indem ein großer Teil Kalabriens und Apuliens den Griechen wieder gehorchte, welche fortfuhren, ihre dortige Provinz Lombardien zu nennen, war es der byzantinischen Regierung erwünscht, kriegsgerüstet in Unteritalien aufzutreten. Picingli brachte im Frühjahr 916 den Herzögen von Gaëta und Neapel den noch immer begehrten Titel des Patricius, bewog diese ehemaligen Freunde der Sarazenen, an der Liga teilzunehmen, und stellte dann seine Flotte vor der Mündung des Garigliano auf; das süditalische Landheer nahm unterhalb der sarazenischen Festung nach der Meeresseite seine Stellung ein. Von der Landseite rückten die Truppen heran, welche Johann X. in Person führte. Mit unermüdlicher Tätigkeit hatte der Papst die Milizen Roms, aus Latium, römisch Tuszien, der Sabina und allen seinen Staaten aufgeboten und mit denen vereinigt, welche Toskana und Spoleto sandten. Dieses Heer befehligten wohl als Generale der Senator Theophylakt und Alberich. Seine Übermacht schlug die Sarazenen aus der Sabina heraus, und dort wie in der latinischen Campagna entbrannte der erste Kampf. Die Langobarden von Rieti unter Agiprands Führung warfen sich bei Trevi auf die Feinde, die Milizen von Sutri und Nepi fochten tapfer bei Baccano, bis die Mohammedaner gezwungen wurden, nach dem Garigliano zu entweichen, wohin sie ihre bedrängten Brüder ohnedies zurückrufen mochten. Es scheint, daß Johann bei Tivoli und Vicovaro einen Sieg erfocht, dessen Kunde sich als Tradition erhielt. In Terracina traf er sodann die Fürsten Unteritaliens, mit denen ein förmlicher Vertrag geschlossen wurde; denn diese Herren forderten für ihren Beitritt zur Liga Entschädigung. Der Papst mußte auf manche Ansprüche der Kirche im südlichen Kampanien verzichten; der Herzog Johann von Gaëta erhielt außer den Patrimonien in Traetto noch den Dukat Fundi. Jene beiden Ländereien hatten seit langem der römischen Kirche gehört, welche sie durch Beamte vom Laienstande unter dem Titel eines Grafen oder Konsul und Dux verwalten ließ. Aber schon Johann VIII. hatte sie im Jahre 872 aus derselben Veranlassung an Docibilis und Johann von Gaëta abgetreten, und nun mußte Johann X. die Schenkung bestätigen. Dieser Akt wurde am Garigliano, im Lager der Verbündeten vollzogen. Die römischen Großen, als päpstliche Feldhauptleute im Heer befehlend, unterzeichneten ihrerseits das Diplom, welches sie mit Namen aufführt: an ihrer Spitze erst Theophylakt, der Senator der Römer, dann die Herzöge Gratian, Gregor, Austoald (ein Germane), der Primicerius Sergius, der Secundicerius Stephan, Sergius de Euphemia, Adrianus, »Vater des Herrn Papsts Stephanus (VI.)«, der Primicerius der Defensoren Stephanus, der Arcarius Stephan, der Saccellarius Theophylakt. Auf das Gebot Johanns beschworen den Vertrag noch siebzehn andere Edle, die nicht genannt sind; es unterzeichneten ihn auch die Fürsten und Feldherren der Liga, zuerst Nicolaus (Picingli), Stratigus des griechischen Langobardien, dann Gregor, Konsul von Neapel, Landulf, kaiserlicher Patricius, Herzog von Capua, Atenolf von Benevent, Guaimar, Fürst von Salerno, Johann und Docibilis, die »glorreichen« Herzöge und Konsuln von Gaëta.

Im Juni 916 begann der Sturm gegen die Schanzen der Sarazenen, die sich noch zwei Monate lang verteidigten. Ohne Aussicht auf Entsatz von Sizilien her, beschlossen sie endlich, sich einen Weg ins Gebirge zu bahnen. Sie zündeten nachts ihr Lager an und stürzten heraus, aber sie fielen unter das Schwert der ergrimmten Christen oder in Gefangenschaft, und was sich in die Berge gerettet hatte, wurde auch dort vertilgt. So verschwand dies Raubnest am Garigliano, nachdem es mehr als dreißig Jahre lang der Schrecken Italiens gewesen war. Seine Zerstörung ist die ehrenvollste Nationaltat der Italiener im X. Jahrhundert, wie es der Sieg bei Ostia im IX. gewesen war.

Johann X. kehrte jetzt wie ein Triumphator aus einem punischen Kriege nach Rom zurück. Die Chronisten schweigen von den Dankfesten der Stadt und vom Einzuge des Befreiers, welchem im Triumph aufgeführte Sarazenen werden vorangezogen sein; aber wir können ihn gewahren, wie er, den Markgrafen Alberich zur Seite, an der Spitze der edlen Herzöge und Konsuln Roms durch eins der südlichen Tore unter dem Jubel des Volks seinen Einzug hielt. Alberich, mit hoher Auszeichnung von der Stadt begrüßt, wird einen Lohn gefordert und erhalten haben. Es ist wahrscheinlich, daß ihn der Papst nicht nur mit Gütern, sondern auch mit der Würde des Konsuls der Römer belohnte. Schon vorher war ihm Marozia, die Tochter des Senators Theophylakt, vermählt worden, und nach dem Siege am Garigliano mußte ihm eine einflußreiche Stellung in Rom gesichert sein; allein wir wissen von den Taten Alberichs nichts, und nicht einmal über seinen Aufenthalt während einer Reihe von Jahren sind wir aufgeklärt. Auch der Senator Theophylakt verschwindet. Es heißt, daß der Sohn Alberichs im Palast der Familie auf dem Aventin geboren war, und dort mag sich der Markgraf und Konsul aufgehalten haben. Solange die Macht Berengars dauerte und Rom unter dem kräftigen Regiment des ihm befreundeten Papstes ruhig blieb, konnte Alberich keine Gelegenheit finden, ehrgeizige Pläne auszuführen; vielmehr blieb er für einige Jahre die Stütze des Papsts.

Den Zustand Italiens änderte unterdes eine gewaltsame Revolution. Die unruhigen Großen Tusziens und der Lombardei, an ihrer Spitze Adalbert, Markgraf von Ivrea, obwohl Gemahl Giselas, der Tochter Berengars, erhoben gegen den Kaiser die Waffen. Diese kleinen Tyrannen verlachten die Nationalität Italiens, oder sie hatten vielmehr keinen Begriff von ihr und keine höheren Interessen als ihre persönlichen. Von dem alten Fluch getrieben, einen Herrn durch den andern zu verdrängen, riefen sie wieder einen Fremden in das Land, und es waren wiederum die Fürsten und Bischöfe Italiens selbst, welche die Hoffnung nationaler Selbständigkeit ohne Not zerstörten und ihr Vaterland dem Auslande verkauften. Eine so heillose Politik hat kein Volk in seinen Annalen aufzuweisen wie das italienische während langer Jahrhunderte. Wenn es auch unleugbar ist, daß die Päpste die Uneinigkeit des Landes begünstigten, so trifft sie doch schwerlich immer und allein diese Schuld; vielmehr muß das gerechte Urteil bekennen, daß während langer Zeit das Papsttum die einzige Macht Italiens auch in politischer Hinsicht war und dies Land ohne dasselbe in noch tieferes Elend hätte versinken müssen.

Der schuldlose Johann X. sah das Werk, welches er geschaffen hatte, in Trümmer gehen. Der gerufene Rudolf, König im cisalpinischen Burgund, war die Alpen herabgekommen, die ihm dargebotene Krone zu nehmen. Wir schildern nicht die Kämpfe Berengars mit ihm und den italienischen Rebellen; wir bemerken nur flüchtig, daß der unglückliche Kaiser selbst zum Landesverrat gedrängt wurde und in Verzweiflung die furchtbaren Ungarn zu Hilfe rief; sie verbrannten damals Pavia, den alten Sitz des Lombardenreichs, welchen Liutprand so schön nannte, daß er selbst die weltberühmte Roma übertraf. Der Kaiser Berengar, dessen Kraft und Güte die Zeitgenossen rühmten, von dessen Taten aber die Geschichte wenig zu melden hat, fiel in Verona durch Mörderhand in demselben Jahre 924. Er war der dritte und letzte Imperator italienischer Nation, denn seit dem Tode Karls des Dicken hatte diese drei Kaiser aufgestellt, Guido, Lambert und ihn. Seither entwich das Imperium für immer vom italienischen Volk, und durch dessen eigene Ohnmacht und Schuld. Freilich war der Zustand auch anderer Länder um diese Zeit so greuelvoll, daß der Bischof Heriveus von Reims auf dem Konzil zu Trosle im Jahre 909 die Menschen mit den Fischen des Meeres verglich, von denen einer den andern verschlingt; aber Italien befand sich damals in einer so fürchterlichen Auflösung, daß sie die Leiden jedes anderen Volkes überstieg. Von Faktionen, von großen und kleinen, geistlichen und weltlichen Tyrannen zerrissen, vermochte es nicht, seine Unabhängigkeit zu erkämpfen. Jetzt erlosch auch der Titel des römischen Imperators für 37 Jahre, dann aber nahm die Kaiserkrone wiederum ein Fremdling, ein sächsischer Held, auf und vererbte sie den Königen deutscher Nation.

Italien versank in ein Chaos wilder Anarchie. Überall nichts als brennende Städte, auf deren Schutthaufen die unmenschlichen Ungarn ihre Bacchanalien halten; Flucht der Bewohner in die Wildnisse; Kämpfe der Könige, Vasallen und Bischöfe um die blutigen Fetzen der Macht; lachende schöne Weiber, welche diesen wilden Reigen als Furien anzuführen scheinen. Die gleichzeitigen oder wenig späteren Chroniken, alle so verwildert, daß sie der Forschung nur ein Labyrinth darbieten, schweigen von Alberich. Wenn es in der Natur der Dinge liegt, daß ein hochstrebender Mann die günstige Gelegenheit ergriff, seine Macht zu steigern, und wenn es mit allem Grund angenommen werden muß, daß er durch den Ehrgeiz seines Weibes Marozia dazu angestachelt wurde, so dürfte man glauben, er habe nach dem Tode des Kaisers den Patriziat in Rom begehrt, welcher nun gleichsam vakant geworden war. Man dürfte glauben, was spätere Chronisten berichten, er habe sich mit dem Papst entzweit, das Regiment der Stadt an sich gerissen und mit despotischer Gewalt in ihr geschaltet, bis es dem klugen Papste gelang, den Nichtrömer mit Hilfe der Römer zu vertreiben, worauf Alberich sich in Horta, wohl einem Hauptort seiner Besitzungen, verschanzte, die Ungarn zu Hilfe rief und von den erbitterten Milizen Roms in seinem Kastell bezwungen und erschlagen ward. Es ist aber nur zu gewiß, daß die Horden der Magyaren die römische Campagna damals verwüsteten und daß sie seitdem wiederholt vor den Toren der Stadt erschienen.

Das Ende Alberichs bleibt in ein Geheimnis gehüllt; doch seinen Namen, seinen Ehrgeiz, seine Tapferkeit und Klugheit erbte ein glücklicher Sohn, welchem Rom schon nach wenigen Jahren wirklich gehorchen sollte.


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