Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Verhältnis des Kaisers Gratian zum Heidentum. Streit um den Altar der Victoria. Eifer des Kaisers Theodosius gegen den heidnischen Kultus. Noch heidnischer Charakter der Stadt. Fall der alten Religion zur Zeit des Honorius. Die Tempel, die Bildsäulen. Angaben über deren Menge.

Gratianus, der Sohn Valentinians, war der erste römische Kaiser, welcher die hergebrachte Würde eines Pontifex Maximus oder doch ihre Insignien verschmähte; er trat mit Entschiedenheit gegen das Heidentum auf. Während die uralte Religion der Vorfahren von den Armen und Mittelklassen bereitwillig mit der neuen Lehre vertauscht wurde, welche die Tröstung der Unterdrückten war, hielt noch eine starke Minorität der römischen Aristokratie hartnäckig an dem Kultus der Väter fest. Es waren darunter edle, für die Größe Roms begeisterte Patrioten, reiche, um den Staat hochverdiente Männer aus den erlauchtesten Geschlechtern. Der Stolz mancher Senatoren wurde wohl auch durch die Vorstellung beleidigt, daß sie Gott mit dem Pöbel gemein haben sollten, und die demokratischen und kommunistischen Grundsätze des Christentums, die Ideen der Gleichheit und Brüderlichkeit, welche den Unterschied zwischen dem Herrn und dem Sklaven aufhoben, widersprachen den legitimen Institutionen der Aristokratie. Diese sah mit Recht im Christentum eine soziale Revolution, die den Untergang des alten Staates selbst herbeiführen mußte. Viele durch die antike Literatur und Philosophie gebildete Rhetoren und Schriftsteller blieben aus Enthusiasmus für den Genius des Altertums eifrige Anhänger des heidnischen Kultus, so im Orient Libanius und Zosimus, in Rom Symmachus, Ammianus, Eutropius und Ausonius, Claudian, Macrobius und andere.

Nun gab der Kaiser Gratian im Jahre 382 den Befehl, den Altar der Victoria aus dem Senatshause zu entfernen, und um dieses religiöse und politische Symbol der Größe Roms entspann sich jener merkwürdige Kampf, welcher eine der ergreifendsten Szenen aus dem Trauerspiel des sterbenden Heidentums ist. Die Victoria war die eherne Statue einer geflügelten Jungfrau von erhabener Schönheit, welche, einen Lorbeerkranz in der Hand, auf der Weltkugel stand. Dies tarentische Meisterwerk hatte einst Caesar in seiner Curia Iulia über dem Altar aufgestellt; Augustus hatte denselben mit den Spolien Ägyptens geschmückt, und seit jener Zeit wurde keine Senatssitzung ohne Opfer vor diesem Nationalheiligtum, »der jungfräulichen Hüterin des Reichs«, eröffnet. Der Altar derselben war indes bereits von Constantius entfernt, von Julian jedoch wieder aufgestellt worden. Als ihn nun Gratian hinwegschaffen ließ, übermannte die heidnischen Senatoren ein patriotischer Schmerz. Sie schickten den Präfekten und Pontifex Quintus Aurelius Symmachus, einen ehrwürdigen Mann von berühmtem Geschlecht, das Haupt der heidnischen Partei, mehrmals an den Hof in Mailand, um von diesem die Wiederherstellung des Kultus der Siegesgöttin zu erlangen. Die bewegte Rede, welche Symmachus für seine zweite Gesandtschaft im Jahre 384 aufsetzte, doch nicht hielt, ist einer der letzten Proteste des sterbenden Heidentums. »Es scheint mir«, so sagte dieser edle Römer den Kaisern Gratian und Valentinian II., »als stehe Roma vor euch und als spreche sie also zu euch: trefflichste Fürsten, Väter des Vaterlandes, habt Ehrfurcht vor dem Alter, zu welchem mich die heilige Religion gelangen ließ. Es sei mir vergönnt, dem Kultus der Väter zu folgen; ihr werdet es nicht zu bereuen haben. Laßt mich meiner Weise gemäß leben, denn ich bin frei. Dieser Kultus hat die Welt meinen Gesetzen unterworfen, diese Mysterien haben Hannibal von den Mauern und die Semnonen vom Kapitol zurückgetrieben. Soll ich dazu erhalten sein, um in meinem Greisentum zurechtgewiesen zu werden? Das wäre eine zu schimpfliche Belehrung des Alters.«

Die verzweifelte Rhetorik des Hohenpriesters des machtlos gewordenen Jupiter erlag dem Geiste der neuen Zeit und der Redekunst des großen Bischofs Ambrosius von Mailand. Prudentius weissagte später auf Grund dieses Streites in einer begeisterten Apostrophe, welche er die alternde Roma an die Kaiser Arcadius und Honorius richten ließ, daß die christliche Religion Rom ein neues Leben und eine zweite Unsterblichkeit verleihen werde. Ein dritter Versuch der altrömischen Partei beim Kaiser Theodosius war nicht minder fruchtlos. Aber nachdem der Senat in sieben Gesandtschaften vor vier Kaisern erschienen war, gelang ihm dennoch unverhofft, nach der Ermordung Valentinians II. durch den Franken Arbogast im Jahre 392, die feierliche Wiederherstellung des Altars der Victoria. Der Rhetor Eugenius, welchen jener mächtige Minister und General auf den römischen Thron gesetzt hatte, eilte, in den Anhängern des Heidentums sich eine Stütze zu sichern. Er selbst war Christ; aber das Haupt der Partei, die ihn erhoben hatte, der hochangesehene Senator Flavianus, war eifriger Heide. Dieser unternahm sofort die Wiederherstellung der alten Religion. Ihr Kultus wurde freigegeben, die umgestürzten Statuen des Zeus richteten sich wieder auf, und der Altar der Victoria wurde von neuem in der Kurie aufgestellt. Man sah wieder die antiken Götterpompe in Rom, denn Flavianus, welcher im Jahre 394 Konsul wurde, beging öffentlich die Feste der Isis, der Magna Mater und die Lustration der Stadt, und all dies mußte Eugenius geschehen lassen. Zwar wagte er nicht, die von Gratian im Jahre 383 eingezogenen Tempelgüter dem heidnischen Dienste zurückzugeben, doch er schenkte sie dem Flavianus und andern altgläubigen Senatoren. Es war die letzte Reaktion der Religion des Heidentums und der Kampf der Eugenianer mit Theodosius ihr Todeskampf. Theodosius, erst Heide, dann fanatischer Christ, seit dem Jahre 378 Mitregent des Gratianus im Osten, war jetzt der Mann der Zukunft. Er hatte in dem ermordeten Valentinian seinen eigenen Schwager zu rächen, und sein Triumph war schnell und vollkommen. Die Heiligen halfen ihm zugleich die Götter, die Aristokraten und die Usurpatoren überwinden. Nachdem ihm ein ägyptischer Eunuch das Orakel des Anachoreten Johannes von Lykopolis überbracht hatte, daß er einen blutigen Sieg gewinnen werde, brach er mit seinem Heere aus dem Orient nach Italien auf. Vergebens stellte Flavianus dem heranziehenden Feinde auf den julischen Alpenpässen die goldene Bildsäule des Zeus entgegen; der Gott schleuderte keine Blitzstrahlen mehr. Die Schlacht in der Nähe Aquilejas im September 394 entschied den Untergang des Heidentums. Der gefangene Eugenius wurde enthauptet, Arbogast gab sich selbst den Tod, Flavianus, welchem Theodosius das Leben zu erhalten wünschte, kam in derselben Schlacht um.

Der bigotte Sieger hielt seinen Einzug in Rom, wo das gewaltsam hergestellte Heidentum sofort erlosch. Die Priester des alten Kultus wurden vertrieben, die geöffneten Tempel für immer geschlossen. Die Statuen des Flavianus wurden umgestürzt, und erst im Jahre 431 befahlen Theodosius II. und Valentinian III., das Andenken jenes berühmten Senators durch die Wiederaufrichtung seiner Bildsäule im Forum Traianum zu ehren. Die Christen in Rom triumphierten. So weit ging, wie Zosimus klagte, ihr Übermut, daß Serena, die Gemahlin Stilichos, in den Tempel der Rhea drang, vom Halse der Göttin den kostbaren Schmuck nahm und ihn sich selber anlegte. Die letzte Vestalin sah mit Tränen der Verzweiflung diesen Frevel; sie sprach den Fluch der Göttin über Serena und ihr ganzes Geschlecht aus, und dieser Fluch erfüllte sich. Die heilige Flamme der Vesta erlosch für immer; die Stimme der Sibyllen und das Delphische Orakel redeten nicht mehr; kaum ein Rhetor wagte noch den verdammten Kultus der Götter öffentlich zu verteidigen. Sollte nun der Frömmler Theodosius die Statue der Victoria in der Kurie gelassen haben? Es ist immer möglich, daß er sie als ein unschädlich gewordenes Symbol nationaler Erinnerung fortdauern ließ, denn noch später redet der Dichter Claudian von ihr wie von einer beim Triumph des Stilicho und Honorius anwesenden Göttin. Ihr Altar freilich wurde umgestürzt und entfernt, doch fuhren die Kaiser fort, das Bildnis der alten Siegesgöttin Roms auf ihren Münzen abzuprägen.

Soviel ist übrigens gewiß, daß in den Tagen desselben Theodosius, welcher das Christentum gewaltsam zur Staatsreligion erhob, trotz allen Edikten und trotz dem Verschließen der Tempel der öffentliche Charakter Roms noch immer ein heidnischer war. Zu derselben Zeit, als bereits die seit 341 in Rom eingewanderten Mönche, die Jünger des ägyptischen Anachoreten Antonius, zwischen den noch wohlerhaltenen Tempeln der Götter einhergingen, um nach der kaum erst gegründeten Basilika St. Peters zu ziehen oder sich an andern Gräbern der Märtyrer niederzuwerfen, feierten die Heiden noch ihre antiken Feste. Denn im Widerspruch zu den Gesetzen des Staats, welche jedes heidnische Opfer verboten, wurden selbst noch im V. Jahrhundert die alten Opferpriester ( sacerdotes) ernannt, deren Amt es war, dem Volk die Spiele im Circus und Amphitheater zu geben. Noch standen in den Straßenvierteln die Kapellen der Kompitalischen Laren, und der christliche Dichter Prudentius klagte, daß Rom nicht etwa einen, sondern viele tausend Genien habe, deren Bildnisse und Zeichen überall auf Türen, Häusern und Thermen und in jedem Winkel zu sehen seien. Noch Hieronymus erzürnte sich über die List der Römer, welche, vorgebend, es geschehe zur Sicherung ihrer Häuser, Wachskerzen und Laternen vor die alten Schutzgottheiten hängten.

So hatten die strengen Gesetze des Theodosius weder die heidnische Partei in Rom, welche Symmachus und sein edler, vom Volk vergötterten Freund Praetextatus vertraten, noch den Kultus der Götter ganz zu unterdrücken vermocht, und die wiederholten Gebote, die Tempel zu schließen, die Altäre und Bildsäulen zu entfernen, beweisen klar genug, daß selbst in den Provinzen der Tempeldienst hartnäckig fortdauerte. Auch Honorius und Arcadius, die Söhne des Theodosius, fuhren fort, solche Edikte zum Schutze der öffentlichen Monumente zu erlassen, und es war erst mit dem Beginne des V. Jahrhunderts, daß die heidnische Religion wie ein morschgewordenes Prachtgewand von den Schultern der alten Roma fiel. Das wichtige Säkularisationsgesetz vom Jahre 408 zog alle heidnischen Kirchengüter ein, um mit einem modernen und verständlichen Ausdruck zu reden; die Einkünfte ( annonae) aus Steuergefällen, Tributen und Grundstücken, woraus seit alters der heidnische Kultus und die öffentlichen Feste bestritten wurden, kamen an den Fiskus. Dasselbe Edikt, welches die alte Religion aller Existenzmittel beraubte, erklärte zugleich, indem es Altäre und Idole zu vernichten befahl, die Tempel selbst zum Eigentum des Staats und entzog sie dadurch als öffentliche Gebäude der Zerstörung. Freilich folgte noch siebzehn Jahre darauf das aus Konstantinopel datierte Edikt der Kaiser Theodosius und Valentinian III., worin sie erklärten: »Alle Kapellen, Tempel und Heiligtümer, wenn solche noch gegenwärtig unversehrt geblieben sind, sollen auf Befehl der Obrigkeiten zerstört und durch Aufpflanzung des Zeichens der heiligen christlichen Religion gereinigt werden«; aber daß der Ausdruck zerstören ( destrui) nicht wörtlich genommen werden darf, zeigt schon der gleich folgende epochemachende Zusatz, welcher die Tempel in christliche Heiligtümer zu verwandeln befiehlt. Sooft dies geschah, ließ man die antiken Inschriften und selbst die heidnischen Reliefs auf den Tempelfriesen unversehrt.

Nun konnte Prudentius ausrufen:

Ihr Völker jubelt allzumal,
Judäa, Rom und Graecia,
Ägypter, Thraker, Perser, Skythen,
Ein König herrscht ob allen.

Das Heidentum war als öffentlicher Charakter verschwunden; die Reste seiner Verehrer nährten die verbotene Flamme des alten Götterdienstes nur in geheimen Zusammenkünften, auf den Feldern und in Schluchten der Gebirge. Die Tempel in Rom waren indes stehengeblieben, man darf sagen alle, welche irgend Größe und Pracht in den Schutz des Nationalstolzes und des Gefühls für Kunstwerke gestellt hatte; und wenn man auch von den geringeren Heiligtümern nicht wenige zerstört hatte, so beweist selbst noch die Gegenwart, daß viele von solchen noch im V. Jahrhundert aufrecht standen. Wir betrachten heute in Rom mit Verwunderung die wohlerhaltene Rotunde der sogenannten Vesta und ihren Nachbar, den Tempel der Fortuna Virilis, und wir beklagen den Mißgriff der Zeit, welche diese kleinen Kapellen des Altertums bestehen ließ, während sie das Kapitol, den Tempel der Roma und Venus und alle andern Wunder antiker Herrlichkeit entweder vom Erdboden vertilgte oder nur in kümmerlichen Resten erhielt, um welche sich die Sage, die Unwissenheit oder die Wissenschaft dem Moose gleich angeklammert haben. Aber alle Tempel waren geschlossen; sie hörten auf, die immer sparsamere Gunst der Wiederherstellung mit Thermen und Theatern zu teilen, und sie verfielen, allen zerstörenden Einflüssen der Natur und des Lebens preisgegeben. So konnte sich die Phantasie eines in Jerusalem wohnenden Kirchenvaters das verödete Rom vorstellen, wie seine prächtigen Heiligtümer der Ruß überzog und die Spinne um die strahlenden Häupter der verlassenen Götter ihre grauen Schicksalsfäden wob.

Viel leichter als mächtige Tempel und Paläste waren die zarten Werke hellenischer oder römischer Bildhauerkunst zu zerstören. Sie verzierten in unzählbarer Menge Gebäude, Plätze, Hallen und Bäder, Straßen und Brücken, da im Lauf der Zeit gleichsam Nationen von Göttern und Menschen aus Erz und Stein in dieser ungeheuren Stadt aufgestellt worden waren; sie boten die Tätigkeit des Genies, die maßvolle Schönheit wie die mißgeformte Ausgeburt der Phantasie von Jahrhunderten in einer nicht zu sagenden Mannigfaltigkeit der Anschauung dar. Constantin, welcher die Städte Europas und Asiens plünderte, um das neue Rom am Bosporus mit Kultusbildern und Prachtwerken jeder Art auszustatten, hatte zuerst römische Bildsäulen hinweggeführt. Er hatte davon allein im byzantinischen Hippodrom sechzig ohne Zweifel besonders ausgezeichnete Werke aufgestellt, unter ihnen ein Standbild des Augustus. Er hatte auch eine hundert Fuß hohe Monolithsäule von ägyptischem Porphyr aus Rom nach Konstantinopel bringen lassen, zu welcher Überfahrt drei volle Jahre gebraucht wurden. Diesen prachtvollen Koloß stellte er dort in seinem Forum auf, und er ließ, wie man wenigstens wissen wollte, in der Basis der Säule das Palladium verschließen, welches er aus dem Tempel der Vesta in Rom heimlich entführt hatte. Aber hier war die Menge der Kunstwerke so unerschöpflich, daß der Raub Constantins kaum fühlbar wurde. Wenn nun auch unter seinen Nachfolgern dem frommen Eifer der Christen manche schöne Götterstatue zum Opfer fiel, so haben doch im allgemeinen die Kaiser die öffentlichen Bildwerke Roms zu schützen gesucht. Der Dichter Prudentius läßt sogar den glaubenseifrigen Theodosius zum heidnischen Senat diese Worte sagen:

Wascht, o Väter, die Bilder von Marmor, ekel besprengte,
Lasset gereinigt bestehen die Statuen, Werke von großen
Künstlern; und unserer Stadt zur köstlichen Zierde gereichen
Mögen sie hier. Kein Mißbrauch darf, kein schändlicher, irgend
Gottlos machen die Kunst, und beflecken der Kunst Monumente.

Demnach gebot selbst der fanatische Besieger der heidnischen Partei des Eugenius, daß die Bildsäulen der Götter, nachdem sie aufgehört hatten, Gegenstände der Verehrung zu sein, als öffentlicher Schmuck der Stadt erhalten bleiben sollten. Wir haben Beweise, daß sogar noch gegen das Ende des V. Jahrhunderts beschädigte Götterstatuen auf Befehl der Stadtpräfekten wiederhergestellt wurden. Schriftsteller des IV. und V. Jahrhunderts zeigen uns die Plätze, die Bäder und Säulenhallen der Stadt voll von Bildwerken. Der öffentliche Schmuck Roms blieb heidnisch wie der Konstantinopels; denn auch in dieser christlichen Hauptstadt des Ostens waren der Kaiserpalast, der Hippodrom, die Bäder des Zeuxippus, der Palast des Lausus und der des Senats und die Fora mit antiken Figuren der Götter und Heroen noch im V. und VI. Jahrhundert erfüllt. Beide Städte wurden, nachdem die alte Religion erloschen war, zu Kunstmuseen. Auch in den Palästen Roms gab es noch reiche Sammlungen von Werken der Plastik und Malerei. Die fürstlichen Prunkgemächer, selbst der Bassus, Probus, Olybrius, Gracchus und Paulinus, welche zum Christentum übergetreten waren, erfreuten noch ihre Gäste durch den Anblick nackter Gestalten der heidnischen Mythologie. Doch die Zeit nahte, wo edle Römer aus Furcht vor Christus oder vor Alarich manche metallene oder marmorne Lieblingsgötter gleich Schätzen in die Erde versenkten, aus welcher sie dann erst nach langen Jahrhunderten hervorgezogen wurden. Seitdem die Götter Griechenlands in ihren verschlossenen Tempeln eingekerkert waren, wurden auch die Werkstätten der Künstler verlassen. Sie hatten keine Aufträge mehr; wenige christliche Meister verzierten Sarkophage mit biblischen Szenen, aber heidnische Künstler stellten weder mehr eine Venus noch einen Apollo dar, noch schufen sie kunstvolle Tempelfriese oder schönstilisierte Säulen. Der Verfall ihrer Werkstätten und ihrer Kunst war die Folge des Falles der antiken Religion; zahllose Marmorblöcke aus den Steinbrüchen des Staats in Griechenland, Asien und Afrika blieben auf der Marmorata am Tiber unbenutzt liegen; man gräbt sie heute an Ort und Stelle aus, so daß es scheint, es sei irgendeine finstere Katastrophe über die Werkstätten der Römer hereingebrochen, für welche jenes kostbare Material einst bestimmt gewesen war.

Wollen wir endlich aus der kurzen Aufzählung am Schlusse der Notitia erfahren, wie groß die Anzahl nur der hervorragenden öffentlichen Bildwerke in Rom zur Zeit des Honorius gewesen war, so hat sie verzeichnet, daß dort noch gesehen wurden zwei Kolosse, zweiundzwanzig große Reiterstatuen, achtzig vergoldete Götterstatuen und vierundsiebzig von Elfenbein. Sie hat nicht bemerkt, wie viele Bildsäulen die sechsunddreißig Triumphbogen, die Brunnen, Theater, Portiken und Thermen verzierten, aber eine spätere Aufzeichnung aus der Epodie Justinians beweist, daß man, wenn nicht zur Zeit, wo dieselbe verfaßt wurde, so doch im V. Jahrhundert 3785 eherne Bildsäulen der Kaiser und großen Römer in der Stadt gezählt hat. Wir werden uns zu überzeugen Gelegenheit haben, daß Rom, wenn es auch mit den Trümmern jener Pracht überstreut war, mit welcher Augustus und Agrippa, Claudius und Domitian, Trajan, Hadrian und Alexander Severus die Weltstadt ausgestattet hatten, dennoch selbst nach den Plünderungen durch Goten und Vandalen bis in die Zeit Gregors des Großen hinein an öffentlichen Kunstwerken reicher war, als es heute alle Hauptstädte Europas zusammengenommen sind.


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