Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel

1. Sergius II. Papst. Der König Ludwig kommt nach Rom. Seine Krönung; seine Zerwürfnisse mit dem Papst und den Römern. Siconolf in Rom. Die Sarazenen überfallen und plündern St. Peter und St. Paul. Sergius II. stirbt im Jahre 847.

Rom wurde alsbald durch eine zwiespältige Papstwahl aufgeregt. Klerus und Adel (die Fürsten der Quiriten, wie sich das Buch der Päpste mit römischem Anstande auszudrücken beginnt) wählten den Kardinal Sergius von St. Martin und Silvester, aber ein ehrgeiziger Diaconus Johannes wurde durch bewaffnetes Landvolk gewaltsam in den Lateran geführt.

Der Adel unterdrückte diesen Aufruhr; Sergius II. wurde ordiniert. Er selbst war aus einem vornehmen Römergeschlecht, daher er die Optimaten für sich hatte. Seine Weihe erfolgte ohne die Zustimmung des Kaisers, wahrscheinlich, weil der Tumult in Rom zur Eile trieb. Aber Lothar, den diese Verletzung seiner Kaiserrechte erzürnte, befahl dem Könige Italiens, mit einem Heer nach Rom zu gehen. Ludwig brach dorthin auf, begleitet vom Bischof Drogo von Metz, einem Sohne Karls des Großen, und von vielen anderen Prälaten und Grafen. Gewalttaten während des Marsches durch den Kirchenstaat kündigten seinen Zorn schon von ferne an. Als er sich der Stadt näherte, schickte ihm Sergius ein sehr festliches Ehrengeleit entgegen. Am 9. Meilenstein wurde der König Italiens von allen Judices, eine Millie vor Rom von allen Scholen der Miliz und dem Klerus eingeholt. Es war Sonntag nach Pfingsten. Auf den Stufen des St. Peter vom Papst begrüßt und umarmt, schritt er an dessen rechter Hand durch das Atrium zur silbernen Türe der Basilika. Sie war jedoch, es waren alle Türen verschlossen. Dem betroffenen Könige sagte der kluge Papst: »Wenn du mit reinem Sinn und Wohlwollen, zum Heil der Republik, der ganzen Stadt und dieser Kirche gekommen bist, so sollen dir diese Türen aufgetan werden, wenn anders, so werden sie weder ich noch mein Geheiß dir öffnen.« Der König erklärte, daß er in guter Absicht gekommen sei; die Türen des Doms öffneten sich, und den Eintretenden scholl der feierliche Gesang entgegen: Benedictus qui venit in nomine Domini. Der Papst und Ludwig beteten am Apostelgrabe; denn an dieses wurden die Fürsten zuerst geführt, und oftmals ward ihr Zorn als unschädlicher Blitz von dem bronzenen Sarkophag des heiligen Petrus aufgefangen.

Das fränkische Heer lagerte vor den Mauern, wahrscheinlich auf dem Neronischen Feld; es verlangte Aufnahme in der Stadt, aber Sergius hielt die Tore verschlossen. Man eilte, Ludwig und sein Kriegsvolk loszuwerden. Zuerst wurde die Wahl des Papstes auf einer Synode geprüft; die fränkische Partei bestritt ihre Gültigkeit, beruhigte sich jedoch und anerkannte Sergius. Hierauf salbte und krönte dieser den Sohn Lothars am 15. Juni zum Könige Italiens. Kaum war dies geschehen, als Ludwig Ansprüche machte, welche die Befugnisse seines Königstums weit überschritten. Er begehrte, daß ihm dieselbe Gewalt über Rom zugestanden werde wie dem Kaiser, und forderte deshalb den Eid der Treue von den römischen Großen. Doch diese verweigerten das mit Festigkeit. »Ich will gestatten«, so erklärte Sergius, »daß die Römer ihrem Herrn und großen Kaiser Lothar den Eid leisten, doch weder ich noch der römische Adel werden zugeben, daß derselbe seinem Sohn geleistet werde.« Rom wollte nicht zu einer königlichen Stadt herabsinken: ein feierlicher Eid wurde im St. Peter dem Kaiser Lothar neu geschworen, und der Versuch des italienischen Königs, sich die Stadt und das Papsttum zu unterwerfen, mißlang. Sergius verstand sich jedoch dazu, den Bischof Drogo zum apostolischen Vikar in Gallien und Deutschland zu ernennen. Er anerkannte feierlich die fränkische Obergewalt in Rom, und ihr Einfluß stellte sich auch in Süditalien wieder her. Denn gerade in dieser Zeit erschien Siconolf, der Fürst von Benevent und Salerno, mit einem heergleichen Gefolge. Von den Sarazenen bedrängt, eilte er nach Rom, mit Ludwig einen Vertrag zu schließen. Er bekannte sich als Vasallen des Königs von Italien, indem er sich zu einem Tribut von 10 000 Goldsolidi verpflichtete. Ludwig zog bald darauf nach Pavia ab, was die Römer sehr gerne sahen. Es war einer der wenigen Augenblicke in der Geschichte der Stadt, wo Papst, Adel und Volk nur einen Willen zeigten, und dieser Widerstand gegen die Absichten des Königs steigerte das römische Nationalgefühl.

Auch Siconolf verließ damals Rom. Nach seines Bruders Sicard Ermordung im Jahre 840 war dieser Prinz aus seinem Kerker in Tarent befreit worden; er hatte Radelchis, der den Thron eingenommen, in Benevent erfolglos belagert und sich endlich auf den Besitz Salernos beschränkt. Das schöne Reich des Arichis zerfiel seither in drei Stücke, Benevent, Salerno und Capua, und dieser Zwiespalt bahnte den Sarazenen den Weg ins Herz Italiens. Radelchis selbst hatte diese Raubhorden zu seiner Rettung nach Bari gerufen, wo sie sich zuerst festsetzten, von wo aus sie Tarent an sich rissen und ganz Apulien verheerten.

Während sich diese Araber auf dem südlichen Festlande einnisteten, durchkreuzten die Flotten Kairawans oder Palermos das Meer, alle Inseln bedrohend und zum Teil besetzend; sie nahmen im Angesicht Neapels im Jahre 845 das alte Misenum in Besitz. Die Wünsche dieser kühnen Piraten waren auf Rom gerichtet; hier hofften sie die Fahne des Propheten auf dem St. Peter aufzupflanzen und die mit Schätzen der Kirche angefüllte Stadt auszuplündern.

Im August 846 segelte eine sarazenische Flotte in die Tibermündung; die päpstlichen Wachen in Neu-Ostia wurden übermannt oder verachtet. Während ein Schwarm von Civitavecchia anrückte, schiffte ein anderer den Fluß hinauf, und zu gleicher Zeit drangen die Sarazenen auf dem Wege von Ostia und Portus vor. Wir wissen nicht, ob sie Rom wirklich bestürmten, da kein Chronist davon erzählt; aber es ist sehr wahrscheinlich, daß die Römer ihre Mauern gut verteidigten, während der mauerlose Vatikan und St. Paul preisgegeben wurden. Zwar wehrten sich Sachsen, Langobarden, Friesen und Franken, welche am vatikanischen Borgo angesiedelt waren, aber sie erlagen der Übermacht, worauf die Sarazenen ungehindert den St. Peter plünderten. Dieser Tempel war durch ein halbes Jahrtausend seines Bestehens und durch große Akte der Weltgeschichte der ganzen Christenheit heilig geworden. Die Fußstapfen der Jahrhunderte, die Spuren vom Leben, Pilgern und Sterben der Menschheit auf Erden schienen dem nie entweihten Boden dieser Basilika eingedrückt. Wie viele Kaiser und Könige waren in ihr, und zu welchen Zeiten, ein- und ausgegangen, deren Namen verschollen und deren Reiche schon zerfallen waren, und wie viele Päpste ruhten dort in ihren Grüften. Keine geweihtere Stelle kannte die Ehrfurcht des Abendlandes, und dies Schatzhaus des christlichen Kultus, welches weder Goten, noch Vandalen, noch Griechen oder Langobarden angetastet hatten, wurde jetzt die Beute eines Räuberschwarms von Afrikanern.

Die Vorstellung reicht nicht hin, den Reichtum der dort aufgehäuften Schätze zu fassen. Seit Constantin hatten die Kaiser, die Fürsten des Abendlandes, die Karolinger, die Päpste dort prächtige Weihgeschenke gestiftet, so daß der St.-Petersdom im Abendlande als das größte Museum der Kunstwerke von fünf Jahrhunderten betrachtet werden konnte. Aus ihnen ragten einige durch Gestalt oder geschichtliche Merkwürdigkeit hervor, wie das alte goldene Kreuz auf dem Sarge des Apostels, der große Pharus Hadrians, der silberne Tisch Karls mit dem Abbilde von Byzanz. Alle diese Schätze wurden von den Sarazenen hinweggeführt. Sie rissen selbst die silbernen Platten von den Türen, die goldenen vom Boden der Konfession und schleppten auch den Hochaltar mit sich fort. Sie verwüsteten die Gruft des Apostels; da sie den großen Bronzesarg nicht fortbringen konnten, werden sie ihn aufgebrochen und, was sich in ihm vorfand, fortgeworfen und vernichtet haben. Man muß sich vorstellen, daß diese geheimnisvolle Gruft nach dem Glauben der ganzen Welt die Leiche des Apostelfürsten umschloß, dessen Nachfolger sich die Bischöfe Roms nannten und vor dessen Asche alle Völker und Fürsten ihre Stirn in den Staub zu werfen kamen; man muß sich dies vergegenwärtigen, um das Ungeheure der Schändung selbst und den Jammer der Christenheit zu begreifen.

Auch St. Paul wurde geplündert, das dortige Apostelgrab gleichfalls verwüstet. Zwar leisteten hier die Römer und das Landvolk einigen Widerstand, doch ohne Erfolg. Nach dem Bericht des Chronisten Benedikt suchten sich die Sarazenen im vatikanischen Gebiet festzusetzen, wo sie alle Kirchen ausraubten; allein seine Angaben über eine ihm schon fernliegende Zeit sind verworren und ungenau. Er läßt sogar den Kaiser Ludwig vom Monte Mario herabkommen, worauf er eine schimpfliche Niederlage auf dem Feld des Nero erleidet. Er preist den Markgrafen Guido von Spoleto, der, vom Papst gerufen, seine streitbaren Langobarden heranführte und mit den Römern vereint die Heiden in einem furchtbaren Kampf geschlagen und bis Civitavecchia verfolgt habe. Guidos Entsatz, ein verzweifelter Kampf im Borgo oder an der Brücke St. Peters, wo die Mohammedaner in die Stadt einzudringen hofften, ist nicht zu bezweifeln. Die Räuber zogen endlich ab, nachdem sie die Campagna verwüstet, die Domuskulte und auch das Bistum Silva Candida dem Erdboden gleichgemacht hatten. Von Guido verfolgt, wandte sich ein Teil mit der Beute und den Gefangenen nach Civitavecchia, während ein anderer unter unsagbarem Verheeren die Appische Straße nach Fundi hinunterzog. Ein Sturm verschlang viele Raubschiffe, und die Wellen warfen Sarazenenleichen an den Strand, die aus ihren Taschen manches Kleinod wieder herausgaben. Den landwärts Abziehenden folgte das langobardische Heer bis unter die Mauern Gaëtas, wo sich eine Schlacht entspann, aus der nur das Erscheinen des tapfern Caesarius, eines Sohns des Magister Militum Sergius von Neapel, den Markgrafen vom Untergang rettete. Der unglückliche Sergius II. starb am 27. Januar 847; in demselben Aposteldom, dessen Verwüstung ihm vielleicht das Herz gebrochen hatte, fand er seine Gruft.


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