Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

1. Lage Italiens nach dem Zuge Karls VIII. Maximilians mißglückter Feldzug gegen Florenz. Alexander VI. beginnt den Kampf mit den Tyrannen im Kirchenstaat. Krieg mit den Orsini. Die Päpstlichen bei Soriano geschlagen Januar 1497. Friede mit den Orsini. Tod des Virginius Orsini. Consalvo erobert Ostia. Giovanni Sforza entflieht aus Rom. Juan von Gandía wird Herzog von Benevent. Seine Ermordung 14. Juni 1497. Eindruck dieses Ereignisses auf den Papst. Untersuchung über den Mörder. Cesare Borgia geht als Legat nach Neapel und krönt Federigo. Er kehrt nach Rom zurück.

Der Eroberungszug Karls VIII. zwang die Großmächte zur ersten Liga von europäischem Charakter, woraus unter langen Kriegen der Prozeß der modernen Staatenbildung sich ergab. Spanien-Habsburg und Frankreich traten dabei in den Vordergrund, während Italien, noch infolge von Tatsachen und Prinzipien des Mittelalters, der Gegenstand und Preis dieses großen Kampfes blieb.

Der französische König hatte Italien in der tiefsten Umwälzung zurückgelassen. Zunächst war dieses Land in zwei Parteien zerspalten worden: in die Liga zwischen Rom, Mailand und Venedig mit Anlehnung an die beiden Großmächte und in die französische Partei, wozu Savoyen, Montferrat, Ferrara, Florenz und Bologna, die Orsini und der Stadtpräfekt gehörten. Sodann war alles Bestehende erschüttert worden. Die Dynastie Aragon konnte nie mehr in Neapel fest werden, wo sie zu ihrer Rettung bereits Spanien und Venedig herbeigerufen hatte; Florenz, welches Pisa und andere Städte verloren hatte, bedrohten die Medici mit Rückkehr und Despotie, und Lodovico Sforza mußte in dem von ihm herauf beschworenen Sturme untergehen. Nicht minder erschüttert war der Kirchenstaat, aber er besaß im Papsttum ein Prinzip der Herstellung des Fortbestandes. Nur die Republik Venedig war noch die einzige große Macht Italiens, wo sie jetzt zur Herrschaft zu gelangen hoffte. Für ihre dem Hause Aragon geleisteten Dienste hatte sie Brindisi, Trani, Gallipoli und Otranto in Besitz genommen.

Noch war im Sommer 1496 der Krieg mit den französischen Statthaltern in Neapel nicht beendigt, und Karl VIII. sprach von seiner Rückkehr nach Italien. Aus Furcht zogen die Verbündeten Heinrich VIII. in ihre Liga, und so machte der Zutritt Englands diese zum europäischen Bunde. Auch bei der Reichsgewalt suchte der Papst Schutz. Jetzt wollte er Maximilian zum Kaiser krönen; am 6. Juli ernannte er Carvajal zum Krönungslegaten. Der römische König komme, so sagte er, als Advokat der Kirche, die Franzosen zu vertreiben, welche noch Ostia und einige Plätze in Neapel besetzt hielten, die Kaiserkrone zu nehmen, Italien zu befriedigen und endlich den Türkenkrieg auszuführen.

Maximilian folgte den Einladungen Italiens, wohin er wie so viele Kaiser vor ihm als Messias gerufen wurde. Er kam im August ohne Heer und ohne Geld. Seine Hoffnung, beides von den Bundesgenossen zu erhalten, war nichtig. Weder dem Papste, noch dem Sforza trauend, wollte er sich nicht nach Mailand begeben, obwohl dort die Szene für seine lombardische Krönung schon gerüstet war. In Crema empfing er Carvajal und den Herzog Lodovico, worauf er nach Genua reiste, um von dort nach Toskana aufzubrechen. Denn Pisa, welches venetianische und mailändische Hilfstruppen aufgenommen hatte, rief ihn dringend, und er selbst hoffte, diese alte Ghibellinen-Stadt dem Reiche zu gewinnen. Ihr Kampf um ihre Freiheit war so heldenmütig und so wichtig, daß augenblicklich dort der politische Schwerpunkt für alle Mächte lag. Auf der andern Seite setzte die Republik Florenz ihre letzte Kraft ein, Pisa wieder zu erobern; aber auch ihr Kampf war für sie selber schon ein Todeskampf.

Als Maximilian am Ende Oktober mit kaum dreitausend Mann in Pisa erschien, fand er bei seinen Bundesgenossen nur Eifersucht und Widerspruch. Er belagerte fruchtlos Livorno: seine Schiffe zerstörte ein Sturm, und er selbst ging schon am Ende des Jahres 1496 nach Deutschland zurück, ruhmlos und mißachtet und gegen Venedig tief aufgebracht.

Unterdessen versuchte Alexander, die neapolitanische Restauration für seine Hauspolitik auszubeuten. Seit dieser Zeit begann die zweite, schreckliche Epoche seines Pontifikats. Wenn früher seine Schuld mehr Unentschlossenheit und Passivität war, griff er jetzt handelnd ein. Er nahm zuerst die Unternehmungen Vitelleschis und Sixtus' IV. auf, und daß er dies tat, war wohl begreiflich. Das Schreckliche liegt nur in dem, wozu er dabei fortgerissen wurde. Im Kirchenstaat sollte mit den Baronen endlich aufgeräumt, mit den Orsini begonnen, mit ihren Gütern die Familie Borgia bereichert werden. Virginius, das Haupt jenes Hauses, war in Neapel erst der Gefangene Karls, dann am Taro entronnen, dann in die Dienste der Medici getreten. Er selbst, seine Söhne Johann Jordan und der Bastard Karl, der junge Bartolomeo d'Alviano vom Haus der Atti aus Todi und andere orsinische Herren hatten darauf wider den Willen des Papsts Sold von Karl VIII. genommen. Sie hefteten ihr Glück an das der französischen Armee in Neapel, während ihre Erbfeinde Colonna auf die Seite Aragons traten, sobald Ferrante wieder Herr Neapels geworden war. Als nun Montpensier im August 1496 bei Atella die Waffen streckte, hatte Ferrante II. auch Virginius in diese Kapitulation eingeschlossen, aber ihn bald auf Begehren des Papsts als Rebellen der Kirche festgesetzt. Auch Johann Jordan und Alviano waren in den Abruzzen festgenommen worden. Dies erleichterte den Plan Alexanders, welcher einen alten Groll gegen das Haus der Orsini hegte, da sie einst nach dem Tode Calixts III. seinen Bruder Pietro aus Rom verjagt hatten. Schon im Juni 1496 hatte er alle ihre Güter konfisziert. Mit ihnen wollte er seinen Sohn Don Juan, den Herzog von Gandía, ausstatten, welcher im August desselben Jahres, von seinem Vater gerufen, aus Spanien zurückgekehrt war. Er wollte diesen unfähigen Menschen zum Herrn des Patrimonium machen, ihm dazu noch Ostia, Corneto und Civitavecchia geben. Im September 1496 entzog er sogar Alexander Farnese die Legation im Patrimonium, und verlieh er seinem Sohne die Regierung dieses Landes und Viterbos; sodann machte er ihn am 26. Oktober mit großer Feierlichkeit zum Bannerträger der Kirche. Da er Guidobaldo von Urbino in seine Dienste genommen hatte, übertrug er beiden den Krieg wider die Orsini und gab ihnen den Kardinal Lunate als Legaten bei.

Die Päpstlichen rückten am 27. Oktober in das Patrimonium, wo die Orsini ihre Stammgüter besaßen. Bereitwillig schlossen sich ihnen Fabricius Colonna und Antoniello Savelli an, als Werkzeuge des Papsts. Die Orsini gaben alsbald Anguillara, Galera, Sutri und andere Orte preis, aber sie behaupteten das feste, durch den See gedeckte Bracciano. Dies verteidigte tapfer Alviano, welcher seiner Gefangenschaft entronnen war, und sein amazonenhaftes Weib Bartolomea, die Schwester des Virginius. Das orsinische Kriegsvolk schlug nicht nur die Päpstlichen ab, sondern streifte bis vor Rom, und beinahe glückte es den Reitern Alvianos, den Kardinal Cesare am Monte Mario aufzuheben. Die Belagerten erhielten bald Entsatz; denn Carlo Orsini und Vitellozzo, der Tyrann von Città di Castello, beide im Dienste Frankreichs, kehrten aus der Provence zurück, sammelten ein Heer und zwangen die Päpstlichen, ihnen entgegenzurücken. Bei Soriano wurden diese am 23. Januar 1497 aufs Haupt geschlagen: der Herzog von Urbino ward gefangen, Gandía verwundet, und der Kardinal Lunate floh in solcher Hast, daß diese Anstrengung seinen Tod nach sich zog. Die Truppen des Papsts zerstreuten sich in wilder Flucht.

Dieser glänzende Sieg machte alle Feinde der Borgia jubeln; denn jetzt waren die Orsini Herren von Tuszien, und sie reichten der französischen Besatzung die Hände, die noch unter dem biscayischen Korsaren Monaldo de Guerra in Ostia lag. Nur der alte Virginius erfuhr nicht mehr den Triumph seines Hauses, denn ihn hatte schon am 18. Januar Fieber oder Gift im Gefängnis zu Neapel hingerafft. Das Denkmal dieses berühmten Mannes ist das Schloß zu Campagnano, welches er um 1490 erbaut hatte. Der Papst, voll Scham und Wut, rief jetzt Consalvo und Prospero Colonna von Neapel zu Hilfe; aber die Gesandten Venedigs bewogen ihn doch zu einem Frieden, aus welchem die Orsini siegreich hervorgingen. Kraft des Vertrages vom 5. Februar 1497 zahlten sie dem Papst 50 000 Goldgulden, behielten aber ihre Güter und durften auch im Solde Frankreichs weiter dienen. Die Söhne des Virginius wurden aus Neapel entlassen, kehrten am 22. April nach Bracciano zurück und bestatteten die Leiche ihres Vaters feierlich in Cervetri. So schamlos war Alexander, daß er nichts für den gefangenen Guidobaldo tat, sondern sich selbst mit dem Golde bezahlt machte, womit sich dieser Herzog von den Orsini loszukaufen hatte. Guidobaldo war kinderlos; die Borgia sannen schon darauf, ihn zu beerben, und so büßte der Sohn Federigos damals zuerst sein Vergehen, sich in den Dienst jener begeben zu haben.

Der erste Versuch des Papsts, die eine der großen Adelsfaktionen niederzuwerfen, war demnach vollkommen gescheitert. Er sparte seine Rache an jenen Herren für später auf. Indes kam Consalvo zur Fastenzeit nach Rom, um dem Papst Ostia zu erobern. Man holte ihn feierlich ein; er ritt zwischen Gandía und Giovanni von Pesaro nach dem Vatikan. Ostia kapitulierte alsbald; Monaldo mußte in Ketten voraufgehen, als Consalvo nach Rom zurückkehrte. Froh eilte der Papst, die Burg des verhaßten Kardinal Julian zu betreten, und so wichtig war ihm ihre Eroberung, daß er Consalvo mit Ehren überhäufte. Der stolze Spanier verschmähte die Osterpalme aus den Händen des Papsts, weil er sie nicht nach dem Herzog von Gandía empfangen wollte, aber er nahm von ihm die goldene Rose, ein Geschenk für Könige. Diese mit Moschus betropfte Blume, das anmutigste Sinnbild im christlichen Kultus, stellte die reine Tugendblüte dar, von deren Duft die Kirche erfüllt sein sollte, doch in den Händen Borgias konnte sie nur als das Symbol heidnischer Lüste erscheinen. Der freimütige Kriegsmann hielt dem Papst die Verderbnis der Kurie wie sein eigenes sündhaftes Leben vor und ermahnte ihn zur Reformation. Nie hatte Alexander eine empfindlichere Beschämung erduldet. Er war damals in Rom schon tief verhaßt, wo man die übermütige Herrschaft der Katalanen wiedergekehrt sah. Nur seine dreitausend spanischen Söldner vermochten das murrende Volk in Zaum zu halten. Am Karfreitag gab es einen ersten Auflauf; die Römer verschanzten sich auf dem Campo de' Fiori: die Kardinäle beschwichtigten endlich ihre Wut gegen die Spanier und den spanischen Papst. Der Kardinal von Gurk, welcher sich nach Perugia gezogen hatte, sagte damals dem florentinischen Gesandten: »Wenn ich an das Leben des Papsts und einiger Kardinäle denke, so schaudert mir vor dem Aufenthalt an der Kurie: ich will nichts davon wissen, wenn Gott nicht seine Kirche reformiert.«

In derselben Osterzeit entwich Giovanni Sforza, der Gemahl Lucrezias, aus Rom, um sich drohenden Gefahren zu entziehen; denn schon hatte der Papst beschlossen, auch diese Ehe seiner Tochter aufzulösen. Die Ränke, die Verbrechen, die Trauerspiele des Hauses Borgia begannen nun, und sie wurden durch einen einzigen Menschen in Bewegung gesetzt: durch Cesare, welcher erst geheimnisvoll hinter der Szene stand, bis er offen hervortrat.

In seiner Hoffnung getäuscht, Gandía mit der Beute der Orsini auszustatten, wollte der Papst ihn auf Kosten der Kirche groß machen. Der junge Borgia besaß damals das ganze Herz des Vaters; allen weltlichen Glanz dachte er auf diesen Sohn zu übertragen. Am 7. Juni verlieh er ihm Benevent als erbliches Herzogtum nebst Terracina und Pontecorvo. Dies sollte für ihn die Stufe zu einer noch größeren Höhe in Neapel sein. Unter siebenundzwanzig Kardinälen wagte nur Piccolomini Widerspruch, die andern beugten sich dem Willen des Papsts. Denn nach der Restauration hatten sich die französisch Gesinnten mit Alexander versöhnen müssen; die Colonna und Savelli standen zu ihm; Ascanio hatte sich ihm genähert; Orsini war machtlos; Julian und Gurk lebten im Exil. Außerdem hatte Alexander schon im Februar 1496 vier Spanier aus Valencia ins Kollegium gebracht: Martini, de Castro, Lopez und seinen Schwestersohn Juan Borgia.

Zwei Tage nach der Belehnung Gandías ernannte er Cesare zum Legaten für Neapel, wohin er abreisen sollte, Federigo zu krönen. Beide Brüder, der Kardinal und der Herzog, sollten dorthin am Anfange des Juli gehen und im September zurückkehren. Dann sollte Gandía sich nach Spanien begeben und seine Schwester Lucrezia mit sich nehmen, deren Ehe mit Pesaro der Papst aufzulösen vorhatte. Wenn jetzt beide Brüder ihr Glück miteinander abwogen, so mußte Cesare das Los Gandías beneidenswert erscheinen. Er selbst war nur mit Widerwillen in den geistlichen Stand getreten. Wenn er auch als Kardinal den höchsten Einfluß gewann und Schätze aufhäufte, so durfte doch der Bastard eines Papsts niemals den Stuhl Petri zu besteigen hoffen. Dagegen konnte der Herzog von Benevent von der Gründung einer Dynastie, ja vom Throne Neapels träumen. Er empfing jetzt die Huldigung Roms zu seiner neuen Würde, die er in prachtvollen Aufzügen zur Schau trug; aber ein schreckliches Verhängnis stürzte ihn schon nach sieben Tagen in das Nichts. Der Anteil, den die Welt an diesem Trauerspiel eines fluchbeladenen Hauses nahm, hat noch eine Spur im Gedächtnis der Geschichte zurückgelassen, und wenn auch der Tod eines unbedeutenden Menschen nicht die Teilnahme erwecken kann, welche noch der Untergang des Germanicus erregt, so ist er doch als ein tragisches Geheimnis aus den fürchterlichen Zeiten der Borgia berühmt geworden.

Am 14. Juni 1497 speisten Cesare und sein Bruder mit Freunden, worunter auch der Kardinal Monreale war, bei ihrer Mutter zur Nacht, in einem Weinberg bei S. Pietro ad Vincula. Nach beendigtem Mahl bestiegen beide ihre Maultiere, um nach dem Vatikan zurückzukehren. Gandía verabschiedete sich von Cesare beim heutigen Palast Cesarini, wo der Vizekanzler Ascanio wohnte, um, wie er sagte, geheimen Geschäften nachzugehen. Es begleiteten ihn nur ein Stallknecht und eine maskierte Person, welche ihn seit einem Monat im Vatikan zu besuchen pflegte. Er nahm die Maske hinter sich, ritt bis zum Platz der Juden zurück und befahl hier dem Diener, ihn eine Stunde lang zu erwarten, dann aber nach dem päpstlichen Palast zurückzukehren, wenn er selbst nicht gekommen sei. Der Morgen kam, der Herzog erschien nicht. Der Papst erschrak, glaubte jedoch, daß sein Sohn, bei einer Geliebten aufgehalten, am Abend zurückkehren werde. Auch am Abend kam der Herzog nicht, und jetzt wurde die Aufregung des Papsts groß. Häscher meldeten, daß der Stallknecht des Vermißten auf dem Platz der Juden zum Tode verwundet aufgehoben sei, ohne daß er über das Schicksal seines Herrn Auskunft zu geben vermochte. Alsbald ging eine Rede durch Rom: Gandía sei ermordet und in den Tiber gestürzt worden. Dieses Gerücht hatte nichts für sich als die gewöhnliche Erfahrung nächtlicher Meuchelmorde. Man ergriff an der Ripetta, wo schon damals Sklavonier Kohlen feilboten, einen Menschen dieses Gewerbes und fragte ihn, was er in der Dienstagsnacht gesehen habe. »Ich sah«, so antwortete derselbe, »gegen ein Uhr nachts zwei Männer aus der Gasse links vom Sklavonier-Hospital zum Tiber kommen, nahe an der Fontäne, wo man Kehricht in den Fluß wirft; sie blickten umher, dann gingen sie zurück. Bald darauf erschienen zwei andere, schauten ebenfalls um und gaben ein Zeichen. Hierauf kam ein Reiter auf einem weißen Pferde, einen Toten hinter sich, dessen Kopf und Arme von der einen, dessen Füße von der anderen Seite herabhingen. Er ritt an den bezeichneten Ort, worauf seine Begleiter die Leiche mit aller Kraft in den Strom warfen. Der Reiter fragte: Habt ihr ihn wohl hineingeworfen? Ja, Herr! so antworteten sie. Er blickte hinter sich in den Fluß, und da er den Mantel des Toten obenauf schwimmen sah, warfen jene Steine darnach, ihn untersinken zu machen.« Auf die Frage, warum er, was er gesehen, nicht dem Governator angezeigt habe, antwortete der Kohlenhändler: »Ich habe in meinen Lebtagen wohl hundert Leichen nachts dort in den Fluß werfen sehen, und niemals hat man sich weiter darum bekümmert.«

Hunderte von Fischern fischten sofort im Tiber nach dem Sohne des Papsts: ein Schauspiel so seltsam und spannend, daß es ganz Rom in Aufregung hielt. Am folgenden Tage um die Mittagszeit zog man den Herzog aus den Wellen. Er war vollkommen angekleidet, mit Stiefeln und Sporen, in Samtkleid und Mantel, durchbohrt von neun Stichen, an Kopf, Leib und Schenkeln und mit einer Todeswunde am Halse. Seine Hände waren zusammengebunden; eine unangetastete Börse mit dreißig Dukaten trug er bei sich. Eine Barke brachte den Toten nach der Engelsburg, und hier kleidete man ihn in die Gewänder des Feldhauptmanns der Kirche und legte ihn auf eine Bahre. Das Volk wogte auf den Straßen; alle Läden schlossen sich. Viele verbargen kaum Haß und Schadenfreude; nur die Spanier gingen mit gezogenen Schwertern durch die Stadt, weinend oder fluchend. Spät am Abend trug man den toten Papstsohn nach S. Maria del Popolo. Dieser schreckliche Leichenzug bewegte sich mit zweihundert Fackeln am Tiber fort und der Stelle vorbei, wo Gandía in den Fluß gestürzt worden war. Prälaten, Kammerherren und Bediente des Palasts schritten dem Toten voran, unter lautem Weinen. Die Römer blickten voll Grauen in das vom Fackellicht umflackerte Angesicht des Ermordeten, der einem Schlummernden ähnlich auf offener Bahre dalag. In S. Maria wurde der Herzog beigesetzt, wohl in der Familienkapelle seiner Mutter Vanozza. Gandía, kaum vierundzwanzig Jahre alt geworden, war der einzige der Söhne Alexanders, der ein Geschlecht begründete. Er hinterließ einen Sohn Juan, welcher mit seiner Mutter Donna Maria Enriquez in Spanien geblieben war, und von diesem stammte dort eine zahlreiche und glänzende Nachkommenschaft von Herzögen Gandías, von Prälaten und Kardinälen. Ein seltsamer Zufall fügte es, daß ein Enkel des Ermordeten, der Herzog Francesco von Gandía, der dritte General des Jesuiten-Ordens wurde. Er starb im Jahre 1572 und wurde heiliggesprochen.

Das gräßliche Ende seines Sohnes, der Hohn der Welt und viele andere schreckliche Gedanken machten den Papst fast sinnlos. Er verschloß sich im Palast. Man hörte ihn im Gemache weinen. »Ich weiß seinen Mörder!«, so soll er ausgerufen haben. An seiner Türe flehte der Kardinal Segobia und flehten andere Höflinge. Endlich öffnete er. Er aß und trank nicht und schlief nicht vom Donnerstagmorgen bis zum Sonntage.

Am 19. Juni berief er ein Konsistorium. Alle Kardinäle kamen außer Ascanio. Auch die fremden Gesandten waren anwesend. Mit atemloser Spannung hörte man die Rede, die der Papst hielt. Wenn ich sieben Papsttümer hätte, so rief er, ich wollte sie alle für das Leben meines Sohnes hingeben. Er erklärte, nicht zu wissen, wer der Mörder sei; er lehnte die Gerüchte ab, welche Pesaro oder Squillace oder Urbino verdächtigten. Ganz erschüttert sagte er, daß er weder mehr an das Papsttum, noch an sein Leben, nur an die Reform der Kirche denken wolle. Er setzte eine Kommission von sechs Kardinälen dazu ein und proklamierte sie auf der Stelle. Als er seine Rede beendigt hatte, erhob sich der spanische Botschafter Don Garcilaso de la Vega, entschuldigte das Ausbleiben Ascanios, sprach in dessen Namen sein Beileid aus und trat dem Gerücht entgegen, daß der Kardinal der Tat schuldig sei oder sich zum Haupt der Orsini gemacht habe; nur aus Furcht vor Exzessen der Spanier sei er zurückgeblieben, werde aber auf den Ruf des Papsts sofort erscheinen. Alexander antwortete, daß er niemals Verdacht gegen Ascanio gefaßt habe, den er wie seinen Bruder betrachte. Die Gesandten bezeugten der Reihe nach ihr Beileid, und der Papst hob dies staunenerregende Konsistorium auf.

An demselben 19. Juni teilte er den Mächten Italiens wie des Auslandes das Unglück mit, welches ihn betroffen und die heiligen Entschlüsse, die er auf diesen Wink Gottes gefaßt habe. Sie antworteten durch Beileidsbriefe. Aufrichtiger wohl als der Papst mochten sie im Tode seines Sohnes eine Mahnung des Himmels sehen. Maximilian ermahnte ihn, seine guten Vorsätze auszuführen. Der Papst wollte fortan keine Benefizien mehr verkaufen, sondern sie nur an würdige Personen austeilen. Die Kardinäle sollten jeder nur ein Bistum haben, nur 6000 Gulden Einkünfte beziehen, nicht mehr als achtzig Personen an ihrem Hof behalten. So zerknirscht zeigte sich Alexander, daß er dem spanischen Könige sogar von Abdankung schrieb; aber diese flüchtige Regung seines Gewissens hatte keine Macht über die dämonischen Verhältnisse, in die er unrettbar verstrickt war. Kaum erließ jene Kommission einige Reformgesetze, als Alexander ihr mit der Erklärung entgegentrat, daß dadurch die päpstliche Freiheit beschränkt werde.

Wer war der geheimnisvolle Mörder des Papstsohnes? Tausend Gerüchte wurden in Rom laut. Die Polizei ließ alle Häuser durchsuchen, wo der Ermordete verkehrt hatte. Man folterte die Dienerschaft, man verdächtigte Personen hohen Ranges, wie die schöne Tochter des Grafen Anton Maria von Mirandola, dessen Palast nahe an der Stelle lag, wo der Herzog ertränkt ward. Doch nichts ergab sich. Einige bezeichneten den entflohenen Pesaro als Anstifter des Mordes aus Rache wie aus Eifersucht, weil Gandía mit Lucrezia, seiner eigenen Schwester, ein frevelhaftes Verhältnis unterhalten habe. Andere beschuldigten Ascanio: der Herzog habe dessen Kämmerer gewaltsam entführen und im Vatikan erwürgen lassen, und diese Beschimpfung habe der stolze Kardinal gerächt. Aber wenige Tage nach dem Morde ging Ascanio unter Bürgschaft der Botschafter Spaniens und Neapels zum Papst, mit dem er sich vier Stunden lang unterredete. Alexander kannte seine Schuldlosigkeit sehr wohl, doch hielt es der Kardinal für gut, anfangs Juli sich nach Grottaferrata zu begeben. Von dort kam er im August zurück, weil Lunate im Sterben lag, und er verkehrte wieder mit dem Papst. Sodann verließ er aus Vorsicht Rom im September, indem er nach Loreto ging.

Der Papst mußte über das schreckliche Geheimnis aufgeklärt sein, denn hätte er sonst wohl die Nachforschungen über den Mörder seines Sohns schon nach zwei kurzen Wochen einstellen lassen? Oder wollte er die furchtbare Tat überhaupt im Dunkel begraben, weil die angestellten Untersuchungen die gräßlichsten Gerüchte über die Mysterien des Hauses Borgia in Umlauf brachten? Man darf auch dies bezweifeln. Er kannte den Mörder, und das war, wenn nicht für die tatsächliche, so doch die moralische Überzeugung, sein eigener Sohn, der Bruder des Ermordeten. Das sittliche Gefühl sträubt sich gegen den Glauben jener verderbten Zeit, daß Lucrezia der Gegenstand der verbrecherischen Liebe und der Eifersucht ihrer Brüder, ja noch einer anderen Person gewesen sei; aber das Urteil nicht gegen die Vorstellung, daß die glanzvolle Stellung seines Bruders für den Ehrgeiz Cesares ein unerträgliches Hindernis gewesen ist. Dies hat er hinweggeräumt, um sich seinen Weg zu bahnen. Man hielt ihn bald genug für den Mörder, nur wagte man sich nicht mit dieser Ansicht hervor. Burkard deutet mit keiner Silbe den Brudermord an; er brach vielleicht absichtlich sein Diarium mit dem 14. Juni ab. Erst drei Jahre später sprach es der venetianische Botschafter ganz offen aus, daß Cesare seinen Bruder ermordet habe, und zu dieser Überzeugung bekannten sich die ersten Geschichtschreiber und Staatsmänner Italiens. Der Tod Gandías befreite Cesare von einem Nebenbuhler in der Gunst des Papsts und machte es ihm möglich, das Gewand des Priesters abzulegen, wozu sein Plan längst gefaßt war. Noch mußte er freilich ein Jahr lang die geistliche Maske tragen, denn dies gebot ihm die Rücksicht auf den Argwohn der Welt. Der Vater stand bereits im Banne der schrecklichen Willenskraft seines Sohns, vor dem er selbst zu zittern begann. Kein Zeuge sah ihre erste Zusammenkunft nach jener Tat. Doch das ist sicher, daß Cesare noch fünf Wochen lang in Rom blieb, ehe er seine Reise nach Neapel antrat.

Er verließ Rom in Begleitung Burkards am 22. Juli. Am 1. August befand er sich in Capua, wo er vom königlichen Hofe mit hohen Ehren gefeiert wurde. Hier erkrankte er, worauf Don Jofré mit seiner Gemahlin am 8. August Rom verließ, um zu ihm zu reisen. Der letzte der Könige vom Hause Aragon empfing am 10. August die verhängnisvolle Krone aus den Händen Cesare Borgias, und dieser furchtbare Mensch berechnete wohl in demselben Augenblick die Mittel, dieses Diadem demjenigen zu entreißen, den er als Legat damit krönte.

Am 4. September 1497 kam er zurück. Die Kardinäle begrüßten den jetzt Allmächtigen mit furchtsamen Huldigungen bei S. Maria Nuova, und sie geleiteten ihn nach dem Vatikan. Der Papst empfing ihn im Konsistorium; er küßte ihn; Vater und Sohn sprachen miteinander kein Wort. Doch der Vater liebte seinen Sohn; schon jetzt dachte er daran, ihn in einen weltlichen Fürsten zu verwandeln; schon sprach man davon, daß Cesare entweder die Witwe des Königs Fernando oder seine Schwägerin Sancía heiraten werde, die junge Gemahlin des Dort Jofré, welcher dann an seiner Stelle Kardinal werden sollte.

Der Mord Gandías hatte der Papst tief erschüttert, aber weil der Tote nicht mehr auferstehen konnte, verzieh der Vater seinem Sohne Cesare den Frevel mit der größten Liebe. So abgestumpft war sein Gewissen, daß er diesem Cesare die kostbare Einrichtung und die Juwelen des Ermordeten gerichtlich überließ, um sie für dessen Erben Juan zu verwalten. Der klagende Geist des Toten ließ sich freilich noch im Vatikan vernehmen, doch kam auch er zum Schweigen. Das Volk glaubte an diese Erscheinungen. Dämonische Mächte, so sagte man sich, walteten in der Nähe des Papsts. Große Zeichen, so schrieb Malipiero, geschehen in der Zeit Alexanders: er hat den Blitz in seinem Vorzimmer gehabt, er hat die Tiberflut gehabt, sein Sohn ist ihm ermordet worden, und jetzt ist auch die Engelsburg in die Luft geflogen. Am 29. Oktober 1497 fiel nämlich der Blitz in die dortige Pulverkammer; die Explosion zerstörte die oberen Teile der Burg, zertrümmerte den marmornen Engel und schleuderte mächtige Steine weit in den Borgo hinein.

Die Logik des Verbrechens wirkte weiter fort: die Zeit war gekommen, wo Cesare Borgia in den Vordergrund trat, über den eigenen Vater emporwuchs und dieser zum Bekenntnis zwang, daß er, der Sohn, sein Meister sei.


 << zurück weiter >>