Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Anfänge der Reform unter Benedikt VIII. Er stirbt (1024). Sein Bruder Romanus als Johann XIX. Heinrich II. stirbt 1024. Zustand Italiens. Johann XIX. ruft Konrad II. von Deutschland nach Rom. Schauspiel der Römer jener Zeit. Kaiserkrönung (1027). Wütender Aufstand der Römer. König Knut in Rom.

Benedikt zeigte sich als ein Papst von nicht gemeiner Kraft. Wider die Überlieferungen seines Hauses hatte er eine enge Verbindung mit dem Kaisertum hergestellt, um sich selbst im Besitze Roms zu behaupten und die feindlichen Mächte in Italien zu bezwingen. Das Papsttum war durch ihn wieder in Beziehung zur Welt gesetzt und strebte nach dem verlorenen Einfluß auf die Landeskirchen. Man darf Benedikt VIII. sogar als einen der ersten Reformatoren der Kirchenzucht rühmen; denn schon er begann gegen die Priesterehe und den Kauf geistlicher Würden durch Synodaldekrete einzuschreiten. Indes die Kraft, welche er der Kirche einflößte, war nur eine persönliche, und diese wie das Papsttum versank nach seinem Tode in einen Zustand wildester Barbarei.

Als er im Juni 1024 gestorben war, blieb der Päpstliche Stuhl bei seinem Hause. Sein Bruder Romanus, bisher Senator aller Römer, legte dreist die päpstlichen Gewänder an, nachdem er die Wahlstimmen erkauft oder erzwungen hatte. Im Frühjahr 1024 wurde er als Johannes XIX. ordiniert. Einmal im Besitz der Würde des Senators, scheint er sie auch als Papst behalten zu haben; denn in keiner Urkunde findet sich sein Bruder Alberich mit ihr bekleidet, obwohl sie auf ihn hätte übergehen sollen. Er hieß nur Pfalzgraf und Konsul wie zuvor.

Der neue Papst schien sich an Byzanz anschließen zu wollen: er war geneigt, dem griechischen Patriarchen den Titel eines ökumenischen Bischofs zu gestatten, als der Kaiser Basilius II., der größte Mann der makedonischen Dynastie, ihm reiche Geschenke schickte. Aber die Bischöfe Italiens und die Kongregation Clunys erhoben sich heftig gegen dies Vorhaben; wahrscheinlich wurde dem Papst erst jetzt die Bedeutung jenes Titels klar. Der Senator aller Römer hatte in seiner glücklichen Unwissenheit die pseudoisidorischen Dekretalen kaum dem Namen nach gekannt und die Geschichte der Kirche zu studieren sehr wenig Gelegenheit gehabt.

Der Kaiser Heinrich II. starb am 13. Juli 1024. Bei der Ungewißheit, wem die deutsche Krone zufallen werde, regte sein Tod die Hoffnung Italiens flüchtig wieder auf. Doch die Großen wagten es nicht mehr, aus ihrer Mitte einen Nationalkönig zu wählen; sie trugen die Krone ohne Erfolg Hugo, dem Sohne des Königs Robert von Frankreich, ja selbst dem Herzog Wilhelm von Aquitanien an. Denn diesem mächtigen Fürsten gab seine Vermählung mit Agnes, der Enkelin des ehemaligen Königs von Italien, Adalbert, einen Schein der Legitimität. Italien war in so viele Herrschaften und Parteien zersplittert, daß es ein gemeinsames Nationalinteresse nicht verfolgen konnte. Die deutsche Partei blieb auch in der Lombardei stark, wo sie von den Bischöfen, Kreaturen oder Begünstigten der Kaiser, gehalten wurde. Die Großen wiederum, welche diese durch die vermehrte bischöfliche Macht geschwächt hatten, waren unter sich uneinig wie die aufblühenden Städte.

Der Salier Konrad II., der am 8. September von den Deutschen gewählte König, empfing daher bald die Huldigungen der lombardischen Bischöfe, vor allem des mächtigen Aribert von Mailand. Er hielt den Grundsatz aufrecht, daß jeder deutsche König auch Herr Italiens und designierter Kaiser der Römer sei, worin ihn die Bischöfe bestärkten. Auch Johann XIX. rief ihn; er sandte ihm den Bischof von Portus und den Römer Berizo von der Marmorata mit der Fahne St. Peters, sie im Ungarnkriege zu tragen, und seine Briefe versicherten ihn des ruhigen Besitzes der Kaiserkrone, die seiner wartete.

Im Frühjahr 1026 nahm Konrad II. die Eiserne Krone zu Mailand aus den Händen Ariberts. Er rächte sich an der mutigen Stadt Pavia, welche die Pfalz Heinrichs II. zerstört hatte und ihm selbst die Tore schloß, durch die Verwüstung ihres Gebiets; hierauf ging er nach Ravenna, wo sich das Volk erhob, die Fremdlinge zu ermorden, bis dieser Ausbruch des Hasses in Blutströmen erstickt ward. In unserem Jahrhundert können wir das Schauspiel der Romzüge unserer Vorfahren nicht durchaus mit Freude betrachten; wir müssen Italien beklagen, welches sie verschuldete, aber auch länger als 300 Jahre erlitt. Wenn die deutschen Könige mit ihren Heeren und glänzenden Gefolgschaften die Alpen herabkamen, waren die Städte verdammt, diese Massen zu nähren und zu beherbergen, den kaiserlichen Hof zu unterhalten, und selbst die ordentliche Gerichtsbarkeit hörte beim Erscheinen des Oberrichters auf. In die leeren Truhen des Kaisers flossen als Geschenke oder Erpressungen die Schätze der Städte oder der Schweiß der von geistlichen wie weltlichen Vasallen bedrückten Kolonen und die eingezogenen Güter der Hunderte von Rebellen. Das kaiserliche Heer, zusammengesetzt aus rohen Kriegsknechten nordischer, selbst slawischer Länder, schreckte die nüchternen, von der Natur des Südens mit feinem Takt begabten Italiener, die zu allen Epochen durch höfliche Sitte alle Völker übertroffen haben. Was Wunder, wenn beim Anblick der Völlerei jener Truppen, welche Italien nur als sklavische Provinz ihres Königs betrachteten, die Italiener mit Ingrimm sich fragten, warum ihr Land zu ewiger Fremdherrschaft verdammt sei, und wenn sie sich mit wildem Haß alle Augenblicke in den Städten erhoben, durch die sich der Romzug weiter wälzte. Aber die eiserne Majestät eines Kaisers des Mittelalters warf kaum einen Blick des Erbarmens auf rauchende Städte, zertretene Felder, mit Leichen bedeckte Straßen, von Majestätsverbrechern gefüllte Kerker. Er nahm als zum Romzug gehörige Szenen hin: die edelsten Bürger einer Gemeinde vor seinem Throne sich niederwerfen zu sehen, zitternd, mit nackten Füßen, ein bloßes Schwert am Halse hangend, während die Flamme der noch brennenden Stadt ihre blassen Gesichter beleuchtete.

Den Waffen des tapferen Konrad beugten sich zuletzt die feindlichen Städte, selbst Pavia; die Markgrafen von Este, von Susa und Toskana hatte er zum Gehorsam gebracht, und ungehindert zog er in Rom ein. Seine und seiner Gemahlin Gisela Krönung vollzog Johann XIX. im St. Peter am 26. März 1027 unter vielem Pomp und im Beisein zweier Könige, Rudolfs III. von Burgund und Knuts von England und Dänemark. Die Feierlichkeit wurde durch den kindischen Ehrgeiz der Erzbischöfe von Mailand und Ravenna gestört, von denen jeder den Vortritt beanspruchte; der Zwist dieser hochmütigen Prälaten teilte sich ihrem Gefolge mit; Rom wurde durch einen Straßenkampf zwischen Ravennaten und Mailändern in Schrecken versetzt, und noch war die gewöhnliche Schlußszene der Krönungsfeste nicht vor sich gegangen. Sie blieb nicht aus: ein zufälliger Zank um eine elende Rindshaut zwischen einem Römer und Deutschen reichte hin, das Volk in Wut zu bringen. Nach einem greuelvollen Gemetzel »unzähliger« Römer standen wieder vor dem Thron des Kaisers im Palast am St. Peter die edelsten Bürger der Stadt, zitternd, barfuß, ein bloßes Schwert am Halse hangend, und sie flehten zu seinen Füßen um Schonung.

Der Anblick dieser Greuel konnte das gläubige Herz des Königs Knut erschrecken, nicht weil seine Bildung über die Zeit erhaben, sondern weil ihm ein schöner Traum zerstört worden war. Nach einer langen Sehnsucht und einem frommen Gelübde war er als Pilger mit Ranzen und Stab nach der heiligen Stadt gekommen und fand statt des Asyls der Liebe und des Friedens, was Rom dem Begriffe nach hätte sein sollen, nur einen wüsten Tummelplatz für alle Faktionen und Furien. Die Stadt Rom, man muß es sagen, war während des Mittelalters nur die schreckliche Karikatur einer erhabenen Idee. Von seiner Anwesenheit in ihr hinterließ Knut selbst ein naives Denkmal in seinem an das englische Volk von dort datierten Brief. Er meldete ihm, daß er alle Heiligtümer Roms verehrt habe und darüber um so glücklicher sei, weil ihn die Weisen (d. h. die Priester) gelehrt hatten, daß Petrus vom Herrn die Macht empfangen habe, zu binden und zu lösen, weshalb es viel fruchte, in dem Schlüsselträger des Himmels einen Anwalt bei Gott zu besitzen. Er erzählte mit kindlicher Freude, daß er von der erlauchten Versammlung aller Fürsten, die vom Garganus bis zum tuszischen Meer sich um Papst und Kaiser geschart, ehrenvoll bewillkommnet und daß ihm die abgabenfreie Romfahrt für alle Angeln und Dänen, für Pilger wie Kaufleute zugestanden worden sei. Der verständige Fürst befreite auch die Erzbischöfe seiner Reiche von den großen Gebühren für das Pallium, aber er versprach die richtige Einlieferung des Peterspfennigs nach Rom. Selbst die Schreckensszenen, die er dort mit Augen gesehen hatte, minderten die Ehrfurcht eines Barbarenkönigs vor der heiligen Stadt nicht. In der frommen Aufwallung seines Gemüts erklärte er seinen Untertanen, daß er in Rom Gott gelobt habe, seine Völker gerecht zu regieren und die Fehltritte der Jugend durch die Vernunft seiner reifen Jahre zu sühnen. Ein trefflicher Brief und ein denkwürdiger Beweis von der unermeßlichen moralischen Gewalt des Glaubens an die Heiligkeit Roms in jener Zeit.


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