Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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6. Eindruck der Schlacht in Rom. Die Schweizer retten den Papst. Das Lateranische Konzil 3. Mai 1512. Neue Liga wider Frankreich. Krieg in der Lombardei. Flucht des Johann Medici. Rückzug der Franzosen. Der Papst gewinnt Bologna. Alfonso in Rom. Julius II. bemächtigt sich Reggios und Modenas. Die Exekution des Bundes gegen Florenz. Rückkehr der Medici. Parma und Piacenza ergeben sich dem Papst. Mißstimmung aller Parteien. Die Schweizer Boten in Rom. Matthias Lang in Rom. Kongreß. Bund zwischen Kaiser und Papst wider Venedig. Der Kaiser anerkennt das Lateranische Konzil. Maximilian Sforza in Mailand eingesetzt. Ende Julius' II.

Die Kunde von der Schlacht brachte nach Rom zuerst Ottaviano di Campo Fregoso als Eilbote am 14. April. Da war die Bestürzung im Vatikan groß. Nach Frieden schreiend, warfen sich die Kardinäle dem Papst zu Füßen: alles sei verloren, nur schnelle Unterwerfung könne das Papsttum retten; die nicht ungünstigen Bedingungen, welche der König noch während des Krieges angeboten hatte, müßten sofort unterzeichnet werden. Die Kurie, die Priester, das Volk lärmten in Aufregung und Furcht. Mit Kriegsvolk lagen Pompeo Colonna, Pietro Margano, Roberto Orsini und andere Barone im Solde Frankreichs im Lateiner- und Volskergebirge, die Annäherung der Franzosen erwartend: denn Palisse war, so sagte man, im vollen Marsch auf Rom, wozu ihm der König ausdrücklich den Befehl gegeben hatte. Man riet Julius zur Flucht, und im ersten Augenblick dachte er daran. Dann faßte er sich mit bewundernswerter Kraft. Wenn ihn je der Mut verlassen hatte, stellte ihn am 15. April die Ankunft des Fra Giulio Medici wieder her. Dieser hatte sich mit Bewilligung Sanseverinos zu seinem gefangenen Vetter begeben, der ihn als Gesandten nach Rom schicken durfte. Hier sagte er dem Papst, daß die französische Armee in übler Verfassung sei. Dies war richtig; denn die neuen Befehlshaber Palisse und der ehrgeizige Kardinallegat waren uneinig: Alfonso, welchem man den Oberbefehl angeboten, hatte ihn in kluger Voraussicht abgelehnt und sich in seine Staaten zurückgezogen. Medici stellte dem Papst vor, daß die Schweizer im Begriffe seien, mit Macht ins Mailändische einzufallen, wodurch der Kriegssturm von der Romagna unfehlbar müsse abgezogen werden. Der Papst ließ sofort die Gesandten Spaniens und Venedigs rufen. »Ich will 100 000 Dukaten und meine Krone daran setzen«, so sagte er ihnen, »die Franzosen aus Italien zu jagen.«

Julius täuschte nun die Kardinäle und den König von Frankreich; indem er die Friedensartikel annahm, ließ er den venetianischen und englischen Botschafter Einsprache tun, und er erklärte endlich, sich nicht von der Liga trennen, sondern den Krieg fortsetzen zu wollen. Mit erstaunlicher Gewandtheit steuerte er sein Schiff zwischen den Klippen hindurch, entwaffnete seine Feinde in der Nähe und Ferne, hielt den König mit diplomatischen Künsten hin und setzte einen furchtbaren Bund gegen ihn in Bewegung. In Rom deckte er sich zunächst, indem er aus den Trümmern Ravennas ein paar tausend Mann sammelte. Die Schweizer, »diese guten Ärzte für die französische Krankheit«, waren es, die ihn tatsächlich retteten und dem Könige Ludwig die Früchte des glänzendsten Sieges entrissen. Selten sah man einen gleich wunderbaren Wechsel der Dinge.

Auf die Kunde, daß 20 000 vom Kardinal Sitten geworbene Schweizer die Alpen herabzögen, und auf die Versicherung, der Friede werde abgeschlossen, gab Palisse nicht allein seinen Marsch gegen Rom auf, sondern er verließ sogar die Romagna, um nach der Lombardei zu ziehen. Nun waren auch die römischen Barone, denen sich Julius Orsini und Johann Jordan, des Papsts Schwiegersohn, entgegenstellten, hilflos. Diese Herren, selbst Pompeo und Robert Orsini, steckten die französischen Gelder in ihre Taschen und blieben untätig oder ließen sich vom Papst gewinnen. Nur Pietro Margano blieb ehrlich. Der Schrecken in Rom machte der Gewißheit Platz, daß von der französischen Armee nichts mehr zu fürchten sei.

In völliger Sicherheit, mit geräuschvollem Pomp eröffnete der alte Papst schon am 3. Mai das Lateranische Konzil. Am Abend vorher war er in großer Prozession nach dem Lateran gezogen, und dieser Zug zur Eröffnung eines Konzils war so ganz militärisch, daß am Ende der Prozession sogar schwere Reiterei und neun Kanonen einherrasselten. Die Rhodiser Ritter übernahmen die Ehrenwache des Konzils. Fünfzehn Kardinäle, vierzehn Patriarchen, zehn Erzbischöfe, siebenundfünfzig Bischöfe Italiens und einige Äbte und Ordensgenerale bildeten die kleine Zahl dieser Synode. Keine großen Fürsten sah man dort; anwesend waren nur wenige Gesandte, Hieronymus Vich für Spanien, Francesco Foscari für Venedig, Antonio Strozzi für Florenz, sodann der römische Senator Pietro Squarcialupis, einige Orsini und Marcantonio Colonna. Noch unter dem Eindruck der Schlacht bei Ravenna, hielt der berühmteste Kanzelredner jener Zeit, der Augustinergeneral Aegidius von Viterbo, die Eröffnungsrede. Mit Freimut sagte er, daß der Untergang des päpstlichen Heers ein Wink Gottes sei, damit die Kirche, besiegt, wo sie sich auf ihr nicht ziemende Waffen stützte, siege, indem sie zu denen zurückkehre, die ihr eigen seien: zur Religion und Wahrhaftigkeit, zum Gebet, dem Panzer des Glaubens und dem Schwert des Lichts. Durch Taten der Liebe, nicht durch Eisen und Blut habe sie am Anfange die Welt bezwungen. Der würdige Redner wies auf die tiefe Verderbnis der Zeit und des Priestertums und sprach die schöne, aber eitle Hoffnung aus, daß dies Konzil Italien, der Welt und der Kirche das Heil wiedergeben werde. Wohl mochte der alte Papst über diese Theorien lächeln; sie waren herrlich und evangelisch, aber Provinzen konnte man mit ihnen nicht zurückerobern.

In der zweiten Sitzung hielt der Dominikanergeneral Thomas de Vio die Rede, und diese klang der römischen Kurie angenehmer, denn der gelehrte Scholastiker bewies, daß der Papst der Monarch der Kirche sei und über dem Konzil stehe. In dieser Sitzung wurden die Akte der Synode zu Pisa und Mailand verdammt. Während so Julius das Schisma und den gallikanischen Widerstand mit den Waffen geistlicher Legitimität bekämpfte, stellte er sich auch an die Spitze der zwischen ihm und Spanien, dem schon gewonnenen Kaiser, England und Venedig abgeschlossenen Liga, deren ausdrücklicher Zweck war: die Franzosen aus Italien zu vertreiben, die Kirche und den Kirchenstaat zu sichern. Diese Liga wurde am 17. Mai verkündigt.

Die Macht Frankreichs in Italien schwand wie Nebel dahin. Eine große, siegreiche Schlacht hatte nur Niederlagen zum Erfolge. Dies erklärte sich aus der Weise der Kriegführung jener Zeit, welche heute nur kindlich und roh erscheinen kann. Strategische Pläne machte man kaum. Nichts ward berechnet, nichts vorgesehen; der Krieg war ein blindes Abenteuer und der Zufall entschied. Die Schweizer stiegen anfangs Juni ins Veronesische herab; sie vereinigten sich mit den Venetianern, und ein päpstliches Heer rückte nach der Romagna. Schrittweise zog sich die französische Armee unter Palisse und Trivulzio rückwärts, von den Bündischen verfolgt und dadurch sehr verringert, daß die deutschen Söldner auf ein Gebot Maximilians sich von ihr getrennt hatten. Die oberitalischen Städte warfen das Joch Frankreichs ab; das Volk in Mailand erhob sich und metzelte alles nieder, was französisch war. In diese Stadt, wo man den toten Gaston mit Pomp beigesetzt hatte, war der gefangene Kardinal Medici gebracht worden, als die Schismatiker dort noch ihre Synode hielten. Er hatte ihr Ansehen durch das seine ganz verdunkelt; selbst Feinde waren zu ihm geeilt, Dispense und Absolution zu empfangen, mit deren Vollmacht ihn der Papst ausgerüstet hatte. Jetzt führten ihn die schismatischen Kardinäle, der zurückweichenden Armee folgend, mit sich fort, denn ihr Konzil wollten sie nach Lyon verlegen. Beim Po-Übergang zu Bassignana gelang Medici die Flucht mit Hilfe guter Freunde. Wenn sie ihm nicht glückte, so hätte er wohl in einem Gefängnis in Frankreich den Tag der neuen Papstwahl erlebt.

Unter großen Mühen führten die Marschälle die Trümmer der Armee Gastons über die Alpen nach Frankreich. Dorthin rief sie der König; denn schon bedrängten ihn im eigenen Lande England und Spanien. In nur drei Monaten sah er nach dem Siege bei Ravenna seine Herrschaft in Italien wie durch einen Zauberschlag zerstört. Nur wenige Festungen in der Romagna und Lombardei blieben ihm; Asti fiel, selbst Genua stand auf und rief Giano Fregoso zum Dogen aus. Julius, der noch eben erst an Flucht gedacht hatte, stand wieder auf dem Gipfel des Glücks und der Macht. Rom ließ er festlich beleuchten, am Tage St. Peter und Paul Prozessionen durch die Stadt ziehen; Florenz und andere Städte rief er auf, die Befreiung des Vaterlandes als ein Nationalfest zu begehen. Auf ihn, den Heiland Italiens, blickten alle Patrioten mit Bewunderung. Nun war der Augenblick gekommen, rasch zuzugreifen, den Kirchenstaat zu vergrößern. Am 10. Juni flohen die Bentivogli, und Bologna ergab sich dem Herzog von Urbino. Der Abfall dieser Stadt hatte den rachsüchtigen Papst so erbittert, daß man glaubte, er würde Bologna zerstört und die Einwohner nach Cento verpflanzt haben, wenn ihn der Tod nicht daran gehindert hätte.

Gleich erbittert war er auf Ferrara. Was sollte jetzt Alfonso anders tun, als seine Rettung in schneller Unterwerfung suchen? Die Colonna hatte er für sich gewonnen, denn der gefangene Fabrizio war von ihm mit ritterlicher Artigkeit behandelt und ohne Lösegeld entlassen worden. Mit seiner Hilfe und durch Verwendung seines Schwagers, des Gonzaga von Mantua, hoffte er, sich mit dem grimmigen Papst auszusöhnen. Sie rieten ihm, nach Rom zu gehen und wirkten ihm einen Sicherheitsbrief des Papsts aus. Nachts am 4. Juli traf er hier ein, begleitet von Fabrizio, begrüßt von Federigo Gonzaga, dem Sohne Francescos, auch von einigen Orsini. Er nahm Wohnung beim Kardinal von Mantua neben S. Lorenzo in Lucina. Das Erscheinen des berühmten Herzogs, dem man den Verlust der Schlacht bei Ravenna zuschrieb, machte ein großes Aufsehen. Den Fabrizio Colonna empfing der Papst mit den Worten: »Willkommen, der du einer der Befreier Italiens bist.« Dem Herzog selbst zeigte er in der ersten Audienz eine Freundlichkeit, die bedenklich scheinen konnte. Man unterhandelte über die Formen der Absolution. Mit dem Strick um den Hals, im Büßerhemd werde der Herzog vor den Türen des St. Peter knien und die Züchtigung mit Ruten empfangen: so hieß es im Volk, und dichtgedrängte Scharen füllten erwartungsvoll den Domplatz an. Doch im Vatikan und ohne jene barbarischen Formen wurde Alfonso absolviert. Eine Kommission von sechs Kardinälen sollte das Versöhnungswerk vollenden: da hörte der Herzog, daß Francesco Maria seine Abwesenheit benützt habe, um mehrere seiner Städte, selbst Reggio, für den Papst zu besetzen. Noch mehr erstaunte er, als dieser an ihn die Forderung richtete, Ferrara ihm abzutreten, wofür er mit Asti entschädigt werden sollte. Es war sein Feind, Alberto Pio, mit dem er wegen Carpi in Streit lag, welcher Julius plötzlich umgestimmt hatte. Der Papst blieb einige Tage in der Engelsburg aus keinem andern Grunde, als um Alfonso dorthin zur Audienz zu locken und dann nicht mehr frei zu lassen. Als der Herzog erkannte, daß der Papst ihn mit einer der Borgia würdigen Arglist umgarnte, forderte er kraft des Sicherheitsbriefes die Freiheit, Rom zu verlassen. Julius verweigerte sie; die edlen Herren Fabrizio und Marcantonio überhäufte er nur mit Wutausbrüchen und Schimpfreden, als sie ihn an sein gegebenes Wort erinnerten. Sie erzwangen hierauf den Durchzug durch die Porta S. Giovanni mit Gewalt, nahmen Alfonso in ihre Mitte und entführten ihn (am 19. Juli) glücklich in ihr Schloß Marino. Hier bewahrten sie ihren Gast drei Monate lang, und erst dann konnten sie ihm zur Flucht verhelfen. Verkleidet entkam Alfonso unter vielen Gefahren, erst ins Königreich Neapel, dann über das Meer in die Pomündung, von wo er Ferrara erreichte. Der Papst tobte; kaum hielt ihn der spanische Botschafter zurück, daß er nicht sofort mit Acht und Bann gegen die Colonna einschritt; doch einige Monate später entsetzte er Pompeo aller seiner Würden als Majestätsverbrecher. Im August bemächtigte er sich auch Modenas, welche Stadt wie Reggio bisher dem Herzog von Ferrara, aber unter der Hoheit des Reichs angehört hatte. Vergebens suchte Alfonso, den Grimm des Papsts zu beschwichtigen. Er sandte Ariosto zu ihm. Kaum hatte der gefeierte Dichter sich Julius vorgestellt, als er sein Heil in der Flucht suchen mußte; denn wie einen Hund drohte ihn der Papst im Tiber ersäufen zu lassen.

Auch Florenz sollte jetzt dafür büßen, daß es aus Freundschaft zu Frankreich Pisa den Schismatikern geöffnet hatte. Diese Republik, noch von Soderini regiert, sah ihr Schicksal nahen, die Rückkehr der Medici. Julius, schon um seines Oheims Sixtus willen den Medici anfangs gram, hatte sich mit ihnen ausgesöhnt, besonders auf Grund der innigen Freundschaft seines geliebten Nepoten Galeotto für den Kardinal Giovanni. Dessen Dienste wollte er nun belohnen, die Florentiner aber gerade dadurch am empfindlichsten strafen, daß er ihnen die Medici wieder aufzwang. Im Krieg hatte Florenz eine zweifelhafte Neutralität durchgeführt, nach dem Rückzug der Franzosen die Aufforderung, der Heiligen Liga beizutreten, abgelehnt. Die Verbündeten tagten auf einem Kongreß zu Mantua, wo die italienischen Angelegenheiten geordnet werden sollten, und hier wurde die Exekution gegen Florenz wie die Rückführung der Medici beschlossen: ein Akt so moderner Natur, daß er an die Kongresse in Laibach und Verona erinnert. Julius, sonst nicht zu heucheln gewohnt, verstellte sich diesmal; dem Kardinal Soderini und dem Orator der Florentiner, Antonio Strozzi, sagte er, er hasse die Spanier nicht weniger als die Franzosen, er wolle sie aus Italien treiben und nie zugeben, daß sie auf die Angelegenheiten der Stadt Florenz Einfluß haben sollten. Trotzdem rückte der Vizekönig Cardona, vom Kardinal Medici als Legaten Toskanas begleitet, im Juli von Bologna in das Gebiet der Republik. Er stürmte Prato am 30. August, und diese unglückliche Stadt erfuhr die gräßlichste Plünderung. Dies machte Florenz zittern; schon am folgenden Tag stürzte die Friedenspartei die Regierung: Soderini dankte ab, verließ die Stadt und entfloh vor dem Grimm des Papsts über das Meer nach Ragusa. Das neue Volksregiment erklärte, daß die Medici zurückkehren und als Privatpersonen fortan in Florenz wohnen dürften. Hierauf rückte der Vizekönig am 14. September ein, und mit ihm kamen nach einem Exil von achtzehn Jahren die Medici, erst Julian, dann sein Bruder, der Kardinal, und sein Neffe Lorenzo. Wie Füchse schlichen sie sich ein, immer hinter den Ereignissen einherziehend, lauernd und maskiert. Alsbald ward eine Regierung der mediceischen Partei errichtet, und Julian, durch den Tod seines Bruders Piero jetzt Erbe des Hauses Cosimos, trat an die Spitze des Staats, dessen Seele freilich der Kardinal Giovanni war.

Die Städte in der Romagna unterwarfen sich; Parma und Piacenza, bisher Teile des Herzogtums Mailand, wurden über Nacht am 8. Oktober dem Kirchenstaat einverleibt. Seit der Schenkung Pippins nahm sie der Papst zum ersten Mal in Besitz. Schon im Oktober kamen ihre Boten zur Huldigung nach Rom. Der Orator Parmas hielt im Konsistorium eine kriechende Rede, worin er daran erinnerte, daß jene Stadt ursprünglich Julia geheißen habe und so rechtlich zum zweiten Julius zurückkehre. Er behauptete, gehört zu haben, daß die Vorfahren des Papsts von Parma stammten, obwohl man von einem so unglaublich großen Menschen wie von Antipater sagen müsse: der Himmel sei sein Vaterland. War es ein Wunder, wenn die Päpste nur in weltlicher Herrlichkeit ihren Ruhm suchten oder wenn sie, in den Weihrauch sklavischer Schmeichelei gehüllt, sich selbst den vergötterten Cäsaren gleich dünkten?

Die plötzliche Umgestaltung Italiens barg übrigens den Keim künftiger Kriege und auch der Trennung der Heiligen Liga in sich. Niemand war zufrieden. Zunächst sahen sich die Venetianer bitter getäuscht, denn manche Städte der Terra Firma bestritt ihnen der jetzt allmächtige Bundesgeneral, der spanische Vizekönig, andere wie Verona und Vicenza behielt der Kaiser auf Grund der Rechte des Reichs, während der Papst sie gern im Stiche ließ. Schon damals wollten sie sich von der Liga lossagen; sie näherten sich wieder Frankreich und verwarfen mutig den Friedensvertrag, den ihnen der Kaiser bot. Maximilian wiederum sah die Vergrößerung des Kirchenstaats mit Unwillen, denn Modena und Reggio, Parma und Piacenza waren ohne jedes Recht dazu geschlagen worden. Trotzdem verkaufte er aus Geldgier Siena dem Papst für 30 000 Dukaten; dessen Neffe von Urbino sollte damit beliehen werden, und auch Pesaro, wo das Haus Sforza erloschen war, wies ihm Julius zu. Maximilian wollte Mailand für seinen Enkel Karl behalten, doch der Widerspruch des Papsts und auch der Schweizer verhinderte ihn daran. Diese Eidgenossen waren jetzt wieder zu einer Macht in Italien geworden; der Papst hatte sie mit Ehren überhäuft und, das alte Rom nachahmend, zu »Bundesgenossen und Verteidigern der kirchlichen Freiheit« erklärt. Ihre Abgesandten kamen, ihm im Namen von zwölf Kantonen zu huldigen und fernere Dienste zu geloben. Er empfing sie wie Botschafter einer Großmacht, und jenes starke Gebirgsvolk schien mit Unterwürfigkeit für immer die goldne Kette Roms anzulegen in derselben Zeit, wo schon Zwingli lebte, um diese Kette zu zerbrechen.

Als Botschafter des Kaisers kam Matthias Lang, Bischof von Gurk, sein einflußreichster Staatsmann. Am 4. November hielt er seinen prachtvollen Einzug von S. Maria del Popolo; da dem Papst alles daran lag, den Kaiser zur Anerkennung des Lateranischen Konzils zu bewegen, wurde Gurk mit der Auszeichnung eines Fürsten empfangen. Nun setzte man den Mantuaner Kongreß in Rom fort. Der Kaiser willigte darein, Sforza mit Mailand zu belehnen, aber er forderte Verona und Vicenza von Venedig. Als die Republik dies, wozu der Papst sie dringend aufforderte, verweigerte, schloß er mit Maximilian einen Bund wider dasselbe Venedig, mit welchem er eben verbündet gewesen war; der Kaiser aber versprach ihm, weder Alfonso noch die Bentivogli zu unterstützen und Parma und Piacenza einstweilen bei der Kirche zu belassen. Am 25. November 1512 wurde dieser Bund in S. Maria del Popolo verkündigt. Hierauf erklärte der Gesandte am 3. Dezember den Beitritt des Kaisers zum Lateranischen Konzil, und dies war der höchste Triumph des Papsts. Dann reiste Lang ab, um Sforza in sein Herzogtum einzuführen, während als Botschafter Maximilians beim Konzil Alberto von Carpi zurückblieb.

Am 15. Dezember 1512 hielt der Sohn Lodovicos des Mohren seinen Einzug in Mailand, dessen Zitadelle übrigens noch die Franzosen besetzt hielten. Cardona, Gurk und der Schweizerkardinal Schinner geleiteten ihn als die Vertreter derjenigen Mächte, welche diese Restauration vollzogen hatten. Doch Maximilian Sforza erhielt das Herzogtum seiner Ahnen sehr verkleinert zurück: einige Gebiete rissen die Schweizer ab, andere die Venetianer; Parma und Piacenza besetzte der Papst. Das Kriegsvolk aller beteiligten Mächte blieb an dem unglücklichen Lande als ein Schwarm gieriger Blutsauger haften.

Am Ende des Jahres 1512 konnte Julius II. mit Befriedigung auf seine Erfolge blicken. Er hatte das Konzil zustande gebracht, die Franzosen aus Italien verjagt, den Kaiser zu sich herübergezogen, die französische Opposition vereinzelt. Die Schismatiker in Lyon hatten ihn zwar seiner »Verbrechen« wegen abgesetzt, aber dies war ihm minder gefährlich als dem Könige Frankreichs seine Exkommunikation hätte werden müssen. Julius unterhandelte mit diesem und forderte die Aufhebung der Pragmatischen Sanktion, wogegen sich Frankreich sträubte. Den Kirchenstaat hatte er hergestellt und vergrößert: herrliche Länder, das Herz Italiens, bildeten die Monarchie St. Peters. Das Papsttum hatte er augenblicklich zum Schwerpunkt Italiens, ja der politischen Welt gemacht. Ein kühner Priesterkönig konnte an die Möglichkeit denken, alte guelfische Ideen wieder aufzunehmen und das ganze italische Land unter dem Papstzepter zu vereinigen.

Es ist gesagt worden, daß die Bestrebungen Julius' II. im Gegensatz zu denen Alexanders VI. von einer höheren Idee getragen wurden, von der Kirche, die allein er groß machen wollte. Dies ist nur richtig, wenn man jene von herrschsüchtigen Päpsten eingeführte Begriffsverfälschung ruhig hinnimmt, wonach sie das römische Bistum die »Kirche« nannten. Mit mehr Grund verherrlicht ihn die Idee der italienischen Nationalunabhängigkeit. Vaterlandsliebe ist in einem Papst freilich nur eine zweifelhafte Tugend, und man darf außerdem fragen, ob die Politik, welche Julius II. zur Liga von Cambrai trieb, eine patriotische war. Er wollte ohne Zweifel der Befreier Italiens werden, aber dies große Ziel erreichte auch er nicht. Wenn er oftmals ausrief: »Hinaus mit den Barbaren aus Italien!«, so gab dieser Ruf nur die Verzweiflung seiner Seele zu erkennen: denn am Ende seines Lebens mußte er sich sagen, daß all sein kühnes Streben fruchtlos geblieben war. Die Franzosen hatte er verjagt, aber die Spanier, die Schweizer gerufen; der Kaiser hatte in Oberitalien wieder festen Fuß gefaßt, und der Süden gehörte dem spanischen Könige, welchem Julius die Belehnung Neapels gegeben hatte. Eines Tags bemerkte der Kardinal Grimani voll Ironie dem Papst, es bleibe ihm noch eine große Aufgabe übrig, nämlich die Spanier zu vertreiben; da flammte Julius auf, schüttelte heftig seinen Stock und rief: mit der Hilfe des Himmels soll auch Neapel sein Joch von sich werfen. Sicherlich quälten ihn größere Entwürfe. Schon war er in neue Verwicklungen verflochten, welche neue Kriege erzeugen mußten, und in diesen würden Frankreich, Venedig und Ferrara Verbündete gegen ihn geworden sein.

Julius wurde fieberkrank, am Anfange des Februar 1513. Am 4. rief er Paris de Grassis, sein Leichenbegängnis anzuordnen. Der gewaltige Papst, welcher Michelangelo beauftragt hatte, ihm ein riesiges Mausoleum zu erheben, äußerte Furcht, daß man ihn nach seinem Tode selbst zu kleiden vergessen möchte, wie dies so vielen Päpsten ergangen sei. In seinen letzten Tagen trat das Gesamtbild seines Pontifikats vor seine Seele und erschreckte ihn. Wie manche seiner Vorgänger beklagte auch er, Papst gewesen zu sein. Er berief die Kardinäle und bat sie, für sein Seelenheil zu beten, da er ein großer Sünder gewesen und die Kirche nicht, wie er sollte, regiert habe. Er gebot ihnen, seiner Bulle wider die Simonie gemäß, die fleckenlose Wahl seines Nachfolgers, und diese müsse dem Einfluß des Konzils entzogen werden. Die schismatischen Kardinäle dürften nicht zugelassen werden; als Rovere verzeihe er ihnen, nicht als Julius II. Weinend gab er allen seinen Segen. Es erschien in Rom ein Scharlatan, welcher behauptete, einen unfehlbaren Heiltrank aus flüssigem Golde zu besitzen; der Papst sollte diesen Trank versuchen. Aus Bracciano war seine Tochter Madonna Felice herbeigeeilt; sie wollte ihrem Vater den Kardinalshut für ihren Bruder von mütterlicher Seite abpressen, aber der Sterbende schlug ihr das ab. In der Nacht vom 20. zum 21. Februar 1513 verschied Julius II. Rom fühlte, daß ein königlicher Geist dahingegangen sei. »Nie seit vierzig Jahren, da ich in der Stadt lebe«, so schrieb Paris de Grassis, »sah man bei eines Papsts Totenfeier eine so große Volksmenge. Alle wollten den toten Julius sehen und seinen Fuß küssen. Mit Trauern riefen sie seiner Seele Heil, da er in vollem Sinn ein römischer Pontifex und Vikar Christi gewesen war, Bewahrer der Gerechtigkeit, Mehrer der Apostolischen Kirche, Verfolger und Bändiger von Tyrannen und Befreier Italiens von den Barbaren.« Es gab andere Urteile von solchen, die Italien beglückwünschten, daß in diesem »schrecklichen« Papst die Flamme erloschen sei, welche in der Welt so viele Kriege entzündet hatte.

Auf dem Stuhl Petri war Julius II. eine der profansten und unpriesterlichsten Gestalten und einer der hervorragendsten Fürsten seiner Zeit. Auf ihn wie die meisten Päpste der Renaissance läßt sich das Urteil eines Zeitgenossen von der ruhigsten Gesinnung anwenden: »Es ist sicherlich sehr schwer, zugleich ein weltlicher Fürst und ein Geistlicher sein zu wollen, denn dies sind zwei Dinge, die nichts miteinander gemein haben. Wer das evangelische Gesetz genau betrachtet, wird sehen, daß die Päpste, obwohl sie Statthalter Christi heißen, eine neue Religion eingeführt haben, die von jener Christi nichts als den Namen trägt. Christus gebot die Armut, und sie streben nach dem Reichtum; er gebot die Demut, und sie folgen dem Hochmut; er gebot die Unterwürfigkeit, und sie wollen die Welt beherrschen.« Julius II. würde diese theoretischen Allgemeinheiten lächelnd angehört und den Staatsmann, der sie aussprach, einen Narren genannt haben. Er trat in die Fußstapfen Alexanders VI. und Sixtus' IV., doch ohne ihre Verbrechen zu wiederholen, und so führte er das monarchische Prinzip im Kirchenstaat ein. Er war nicht der erste Papst, welcher Kriege führte, doch kennt die Geschichte keinen, der sie mit so persönlicher und weltlicher Leidenschaft geführt hat. Nach dem Urteil von Zeitgenossen und Späteren trugen diese Kriege mächtig dazu bei, die von Rom sich abwendenden Völker in die Reformation zu treiben. Wenn nun die üblen Folgen der Regierung dieses Papsts, welcher die Mißbräuche der Kurie durch die politischen Bedürfnisse steigerte, in bezug auf den wahren Begriff der Kirche klar sind, so wird trotzdem Julius II. innerhalb der ihm gegebenen Verhältnisse seiner Zeit als geschichtlicher Charakter von großem Stil stets bewundernswert sein. Vielleicht war es das Unglück Italiens, daß ein solcher Mann, statt auf einem weltlichen Fürstenthron auf dem Heiligen Stuhle saß, auf den er seiner Natur nach nur durch Irrtum gekommen schien. Denn als weltlicher Monarch hätte er der Retter seines Vaterlandes werden können. Nun aber griff er das von Alexander VI. an die Borgia verschleuderte Papsttum mächtig, doch ganz äußerlich wieder auf; er machte den Kirchenstaat, dessen zweiter Stifter er wurde, zu dessen Grundlage. Durch diese Neuschaffung der päpstlichen Monarchie am Vorabend der Reformation vermochte er, den Fortbestand der Papstmacht zu sichern; denn dies Julianische weltliche Papsttum ward von Europa anerkannt und in das politische Mächtesystem als Großmacht aufgenommen, während die Verbindung des Geistlichen und Weltlichen, der Kirche mit der europäischen Politik das chronische Übel Italiens blieb und ein neues Problem erzeugt wurde, die Frage nämlich nach dem Verhältnis der Kirche zum Kirchenstaat, der Staatsgewalten Europas und endlich der italienischen Nation zu diesem katholisch-römischen Tempelstaat. Das kühne Werk Julius' II. zu erhalten, mußten die Päpste stets zu diplomatischen Künsten und dem schwankenden System der Bündnisse ihre Zuflucht nehmen und sich in immer neue Kriege stürzen, wodurch die Kirche moralisch zugrunde ging. Die politischen Bedürfnisse des Papsttums förderten mächtig die deutsche Reformation; sie verhinderten zugleich den italienischen Staat; sie verlängerten die Fremdherrschaft in Italien, und sie brachten endlich jenen furchtbaren Zwiespalt mit dem italienischen Volk hervor, welcher in unsern Tagen dessen Einheit durch die gewaltsame Zerstörung der Schöpfung Julius' II. zur Folge gehabt hat.

Als Mensch gehört dieser Papst zu den originalsten Gestalten der an Kraftmenschen so reichen Renaissance: eine echte italienische Mannesnatur von plastischer, ja monumentaler Persönlichkeit. So hat ihn Raffael gemalt. Er steht fast einzig da, weil alle seine Kraft sich in die wenigen Jahre seines Greisenalters zusammendrängt. Wenn das anziehendste Wesen Pius' II. vor seinem Papsttum liegt, so ist das Umgekehrte bei Julius II. der Fall. In den Jahren vor seiner Papstwahl scheint er auf dunklen und falschen Wegen zu irren, dann kommt er zu seinem wahren Selbst als Papst. Alles, was er ergreift, wird im Guten und Schlimmen mächtige Tat. Mit Jugendfeuer, mit Ideen und Schöpfungen zeugender Willenskraft hat dieser Greis nicht allein die politische Welt durchstürmt. Ein Mann, der den St. Peter Roms gewollt und mit kühnem Mut gegründet hat, besitzt schon durch diese eine Tat das Recht, im Gedächtnis der Menschheit fortzuleben. In der Geschichte der Stadt Rom glänzt überhaupt Julius II. durch Anregungen zu großen Werken der Kultur, und diese wollen wir betrachten, um den bleibenden Gehalt seiner Zeit zu würdigen.


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