Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Leo II. Papst 682. Benedictus II. Verhältnisse der Papstwahl. Johannes V. Papst. Zwiespältige Wahl nach seinem Tode. Konon. Klerus, Exercitus, Populus. Sergius I. Papst. Der Exarch Platina kommt nach Rom im Jahre 687.

Ein Jahr und sieben Monate nach dem Tode Agathons wurde Leo II. Papst, am 17. August 682. Das Buch der Päpste bemerkt, daß ihn die Bischöfe von Ostia, Portus und Velitrae ordinierten, von denen der letzte der Stellvertreter des Bischofs von Albano war. Es folgt daraus, daß die päpstliche Weihe durch diese drei suburbanen Bischöfe sich bereits als kanonischer Gebrauch festgestellt hatte. Leo II. war Grieche aus Sizilien. Die griechische Sprache und Literatur war damals in Rom so gründlich vergessen, daß ihre Kenntnis hier als etwas Außerordentliches galt und der griechisch wie lateinisch redende Papst als ein Wunder von Gelehrsamkeit angestaunt wurde. Er starb schon im Sommer 683.

Die längere Vakanz des Heiligen Stuhls läßt auf Unruhen in Rom oder Ravenna schließen, denn Benedikt II., ein Römer, wurde erst ein Jahr nach dem Tode seines Vorgängers ordiniert. Da die Bestätigung jedes Papstes der Regel gemäß entweder beim Exarchen oder direkt beim Kaiser eingeholt werden mußte, was langwierig und kostspielig war und außerdem die römische Kirche vom byzantinischen Hofe abhängig machte, so suchten die Päpste sich davon zu befreien. Doch das gelang ihnen nicht, obwohl Benedikt II. ein kaiserliches Reskript erhalten haben soll, welches dem Klerus, Volk und Heere Roms, also den drei Wahlkörpern, die sofortige Ordination des von ihnen erwählten Papsts erlaubte. Dies wichtige Zugeständnis konnte nur eine augenblickliche Bewilligung des orthodox gesinnten Kaisers Constantin Pogonatus sein, und so betrachteten es auch dessen Nachfolger. Constantin hatte wahrscheinlich zu Benedikt ein persönliches Verhältnis, welches wir nicht mehr kennen; er ließ seine eigenen Söhne, Justinian und Heraclius, von ihm adoptieren, indem er ihm nach der seltsamen Sitte jener Zeit Haarlocken der Prinzen überschickte, welche Symbole in einer Kapelle des Lateran feierlich niedergelegt wurden.

Die schnelle Aufeinanderfolge der Päpste in dieser Epoche ist eine sehr befremdende, ja unheimliche Erscheinung. Pontifikate von dreizehn und mehr Jahren Dauer wie jene Gregors des Großen, Honorius' I. und Vitalians bilden eine Ausnahme, denn die meisten Päpste im VI. und VII. Jahrhundert regierten nur ein, zwei oder drei Jahre. Wurden diese Männer im höchsten Greisenalter erwählt? Oder gab es andere schreckliche Ursachen ihres so flüchtigen Daseins? Wir wissen es nicht. Benedikt II. starb am 7. Mai 685, worauf ein Syrer aus Antiochia, Johannes V., zuvor Nuntius in Konstantinopel, den Heiligen Stuhl bestieg; doch er starb schon am 1. August 686. Mit ihm begann eine Reihe von Syrern oder Griechen den päpstlichen Sitz einzunehmen, was kein Zufall sein konnte, vielmehr bewies, daß der Exarch oder der Kaiser die römische Wahl vollkommen beherrschte.

Rom spaltete sich über der Wahl des Nachfolgers Johanns V. in zwei Parteien. Der Kandidat des Klerus war der Archipresbyter Peter, der des Heers der Presbyter Theodor. Dieses sogenannte Heer ( Exercitus) tagte in St. Stephan auf dem Coelius und hielt zugleich den Lateran besetzt, um den Klerus abzuhalten, den von ihm Gewählten dort auf den bischöflichen Thron zu führen. Nach langen Unterhandlungen zwischen beiden Parteien ließ die Geistlichkeit ihren Kandidaten fallen und erwählte Konon, einen Griechen von Geburt. Die Richter (Judices) und die Primaten des Heers traten ihm zu, und bald stimmte auch das ganze Heer bei; die Wahlakten wurden sodann von allen drei Wahlkörpern unterzeichnet und an den Exarchen Theodor geschickt.

Aus diesem ausführlichen Bericht im Buch der Päpste ergibt sich folgendes: die Stadt Rom zerfiel damals in drei große Klassen der Bevölkerung, Klerus, Exercitus, Populus; und diese haben wir im Reskript Constantins an Benedikt II. als die bei der Papstwahl beteiligten Körperschaften erkannt. Dem Klerus wurde das Prädikat venerabilis, dem Exercitus felicissimus beigelegt, und überhaupt sind Klerus und Exercitus die beiden machthabenden Klassen in Rom. Sie erzeugten sich durch die christliche Kirche, welche eine so unverhältnismäßig große und bald so mächtige Kaste von Geistlichen erschuf, so daß die ganze Bevölkerung naturgemäß sich in Laien und Geistliche unterscheiden mußte. Als der Papst die Haarlocken der griechischen Prinzen empfing, wurde auch neben dem Klerus nur das Heer erwähnt. Dieser Exercitus, noch vom Kaiser besoldet, wie wir beim Aufstande des Mauritius erfahren haben, bestand aus den zu Pferde als Milites dienenden Adeligen und andern zu Fuß dienenden begüterten Bürgern. Er war überhaupt Repräsentant der vermögenden Klasse, ja die gesamte vollfreie römische Bürgerschaft erscheint bisweilen unter dem Begriff Exercitus zusammengefaßt. Wir werden später sehen, wie im VIII. Jahrhundert die schola militiae oder der florentissimus atque felicissimus Romanus exercitus im besondern gegliedert war. Für jetzt erkennen wir, daß die ganze militärische Körperschaft ihre Wahlstimme behauptete, abgesondert von den »Primaten des Heeres«. Diese aber waren die ritterliche Aristokratie des Exercitus. Sie folgten dem Klerus in der Akklamation des Konon, und dann erst gab nach einigen Tagen das Heer nach. Neben den Primates Exercitus sehen wir auch die Judices oder Zivilrichter am allgemeinen auftreten, das heißt sowohl die höheren Beamten als überhaupt die Vornehmen, und diese hatten eben Ansprüche auf die Ämter im Zivil und Militär und führten bisweilen den Titel Konsul. Judices und Primates Exercitus bildeten demnach den Adel Roms ( Optimates oder Axiomati), eine zivile und militärische Beamtenhierarchie. Sie entsprachen der Allgemeinheit des Exercitus geradeso wie die Proceres der Kirche der Allgemeinheit des Klerus.

Man unterschied die Judices de Militia (den Laienadel) von den Judices de clero, dem mit Jurisdiktion in anderen Kreisen begabten Stande geistlicher Würdenträger. Es bildete sich in dieser Epoche ein neuer Adel in Rom. Seit dem Falle des Reichs waren die altrömischen Geschlechter untergegangen; denn nirgends finden sich mehr die Namen der Patrizier, welche noch in der Gotenzeit genannt worden sind. Die Probus, Festus, Petronius, Maximus, Venantius, Importunus sind für immer verschwunden und an ihre Stelle Namen byzantinischen Klanges getreten wie Paschalis, Sergius, Johannes, Constantin, Paulus, Stephanus, Theodorus, und diese dauern von jetzt ab in Rom bis in das IX. Jahrhundert fort. Sie sind unzweifelhaft durch den herrschenden Einfluß der Byzantiner zu erklären. Wenn einige nur aus der Taufe von griechischen Heiligen herstammen mochten, deuten doch andere auf wirkliche Einwanderung von Griechen, die sich dann in Rom nationalisierten. Zur Zeit der byzantinischen Herrschaft, wo manche Griechen auf den Papstthron gelangten, geriet die Stadt Rom in Gefahr, ihr lateinisches Gepräge zu verlieren. Nicht nur basilianische Mönche siedelten sich in vielen Klöstern an, sondern auch griechische Handelsleute gründeten hier ihre Kolonien, während vornehme Byzantiner militärischen und zivilen Ranges in Stadt und Land Güter erwarben. Da seit den Zeiten Justinians die große Weltstadt am Bosporus der Mittelpunkt der gesamten Kultur des Abendlandes war, so konnte auch das in Barbarei gesunkene Rom nur von dort her die feinere Sitte und Bildung, die Wissenschaft und die Kunst entlehnen.

Im Lauf der Zeit kamen also durch Besitzverhältnisse, durch kaiserliche und kirchliche Würden, selbst schon durch päpstlichen Nepotismus neue römische Familien empor, welche byzantinischen, lateinischen und germanischen Ursprunges waren. Auch Abkommen edler Goten, die sich latinisiert hatten, gab es in Rom. Aus dem Adel aber gingen die ersten Würdenträger in der Kirche und im Staat als Judices hervor.

Die Akten der Wahl Konons wurden »dem Gebrauche gemäß« dem Exarchen zur Einsicht und Bestätigung überschickt, und dies beweist, daß jenes Zugeständnis des Kaisers Constantin Pogonatus nicht mehr zu Recht bestand. In der Tat hatte sein Nachfolger Justinian II. dasselbe wieder aufgehoben. Wie groß überhaupt der Einfluß des Exarchen auf die Papstwahl damals war, macht folgende Tatsache unzweifelhaft. Konon war krank geworden; man erwartete seinen Tod, und sein ehrgeiziger Archidiaconus Paschalis eilte, sich beim Exarchen um die Nachfolge zu bewerben, wofür er ihm ein Geldgeschenk bot. Johannes Platina ging darauf ein; er gab den Judices, »die er für Rom ernannte, um die Stadt zu verwalten«, den Auftrag, nach dem Tode des Papsts jenen Paschalis zur Wahl zu bringen.

Als nun Konon, ein edler und gebildeter Mann, am 21. September 687 starb, spaltete sich das römische Volk wieder in zwei Parteien: die eine wählte den Archipresbyter Theodor, die andere den Archidiakon Paschalis. Beide Gegner und ihre Faktionen hatten sich im Lateranischen Palast festgesetzt. Wir erfahren nicht genau, welchen Klassen die streitenden Teile diesmal besonders angehörten. Aber auch jetzt verständigten sich die Judices und Primaten des Heers mit den Würdenträgern der Kirche, der weltliche mit dem geistlichen Adel. Sie zogen nach dem Palatin und vereinigten sich in der Wahl des Presbyters Sergius, den sie dann aus dem im Cäsarenpalast gelegenen Oratorium des heiligen Caesarius mit Gewalt nach dem Lateran führten. Hierauf huldigte ihm Theodor freiwillig, doch Paschalis, welcher nur gezwungen Verzicht leistete, schickte heimlich Boten nach Ravenna und rief den Exarchen zu seiner Hilfe herbei.

Johannes Platina eilte nach Rom, wo er unerwartet erschien. Er überzeugte sich, daß die Wahl des Sergius kanonisch sei und die große Mehrheit für sich habe; aber er forderte von dem Gewählten 100 Pfund Goldes, so viel, als ihm Paschalis aus dem Kirchenschatz zu zahlen versprochen hatte. Der widerstrebende Sergius mußte diese Summe hergeben, worauf er die Bestätigung des Exarchen und am 15. Dezember 687 die Weihe empfing. Sein Gegner Paschalis wurde entsetzt und in ein Kloster verbannt.


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