Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Buch

Die Stadt Rom in der Epoche der Karolinger bis zum Jahre 900

Erstes Kapitel

1. Neue Stellung der Stadt Rom zur Welt. Verhältnis des Kaisers und Papsts zu Rom. Leo reist wieder zu Karl. Ardulf von Northumberland in Rom.

Karl entlehnte den Titel seines Reiches von Rom, aber die antike Form wurde wesentlich mit germanischem Gehalt erfüllt. Wenn man dieses neue Reich das germanisch-römische nennt, so spricht man damit die Verbindung der Gegensätze aus, auf denen die Entwicklung Europas beruht. Die eine Nationalität führte die Geschichte der Menschheit wie in ununterbrochener Erbfolge fort und brachte die Güter der alten Kultur samt den Ideen des Christentums auf die Nachwelt; die andere empfing sie und verjüngte oder entwickelte diese wie jene. Rom hatte die germanische Welt an sich gezogen, die römische Kirche hatte die Barbarei gezähmt, die Völker in ein geselliges System gebracht und endlich an ein gemeinsames kirchlich-politisches Prinzip gebunden, welches seinen Sitz in der Ewigen Stadt behielt. Nun schien an Byzanz die Aufgabe gestellt, das gleiche mit der slawischen Welt zu tun; sie ward nicht gelöst, sowohl weil im Byzantinischen Reiche kein schöpferisches Gesellschaftsprinzip gleich jenem der römischen Kirche tätig war, als weil die slawischen Stämme, nicht befähigt für höhere Ideen des Staats und der Kultur, unvermögend blieben, als Erben der hellenischen Bildung aufzutreten. Der Gedanke eines slawisch-griechischen Reichs lebt daher noch heute in Rußland fort, aber nicht als das nationale Ziel einer unvollkommenen Entwicklung, sondern eher als das Bewußtsein eines geschichtlichen Versäumnisses, welches nicht mehr nachgeholt werden kann.

Während also Byzanz aus der Geschichte des Abendlandes gleichsam verbannt wurde, trat Rom in ein zweites glänzendes Verhältnis zur Welt. Nachdem das cäsarische Rom die politischen Autonomien der Nationen vernichtet hatte, waren durch die Völkerwanderung neue Staatengruppen entstanden, und die Kirche hatte die moralische Gleichheit der Völker oder ihr christliches Bürgerrecht proklamiert. Das Ideal der einen, unteilbaren Menschheit, die christliche Republik, erschien jetzt als der Gedanke einer neuen Zeit. Die alte Hauptstadt des erneuerten Reichs, der apostolische Mittelpunkt der Kirche, nannte sich die Mutter der christlichen Nationen und stellte jetzt als civitas Dei den moralischen Orbis Terrarum dar. Die erste, unvollkommene Form einer durch eine sittliche Idee verbundenen Völkergesellschaft war aufgestellt worden, aber dies »heilige Reich« hatte sich noch zu gestalten, und das ganze Mittelalter war, ja selbst unsre Gegenwart ist nur ein fortgesetzter Kampf des höchsten christlichen Gedankens der die Welt umfassenden Freiheit und Liebe um seine lebendige Gestalt.

Auch im engeren Kreise ihrer Geschichte erhielt die Stadt Rom eine neue Bedeutung. Ihre Rettung aus allen Stürmen der Barbaren, zuletzt noch aus der Gewalt der Langobarden und Griechen, war eine Tatsache von geschichtlicher Wichtigkeit. Nachdem Pippin und Karl dem letzten Germanenkampf um Rom ein Ende gemacht hatten, zogen sie um die befreite Stadt einen Bezirk und machten den Papst darin zum Herrn. Der Frankenkönig, der neue Kaiser, gelobte, diesen dem St. Peter geweihten Tempelstaat als Oberherr gegen innere wie äußere Feinde zu schirmen; denn kein Fürst noch Volk durfte Rom, das Gemeingut der Menschheit, ausschließlich besitzen. Die Metropole des Christentums stellte in höherem Sinne als das antike Rom ein Weltprinzip dar; sie mußte daher frei und allen Völkern gleich zugänglich sein; der Hohepriester in ihr durfte keinem Könige außer dem Oberhaupt des Reichs und der Kirche, das heißt dem Kaiser, untertan sein. Dieser Begriff der Neutralität Roms als des kirchlichen Zentrums der Nationen, bis zu dem die durch politische und soziale Stürme rastlos bewegten Wogen der Menschheit nicht vordringen sollten, war es, welcher dem Papst den kleinen Tempelstaat noch bis heute erhielt, während die große Monarchie Karls und hundert Reiche umher in Staub zerfielen. Wer darf leugnen, daß die Idee einer heiligen Weltstadt des ewigen Friedens innerhalb der kämpfenden Menschheit, eines allgemeinen Asyls der Bildung, des Rechts und der Versöhnung, groß und bewunderungswürdig sei? Wenn das Institut des Papsttums ohne Herrschsucht noch irdische Begier, ohne dogmatische Erstattung, mit den Entwicklungen des sich erweiternden Lebens, mit den sozialen Trieben der Welt, mit der erfindenden Arbeit und Kultur gleichmäßig fortgeschritten wäre, so möchte es kaum eine höhere kosmische Form geben, in welcher die Menschheit ihrer Einheit und Harmonie fortdauernd bewußt sei. Indes nach dem Verflusse seiner ersten herrlichen Epoche wurde das Papsttum in dem Drama der Geschichte wesentlich das retardierende Prinzip: die größte in der Kirche ruhende Idee wurde nicht ausgeführt; aber daß sie einst im Papsttum gelebt hat, reicht hin, dasselbe zur ehrwürdigsten aller Institutionen zu machen, welche die Geschichte gesehen hat, und daß die Stadt Rom das klassische Gefäß jener Idee gewesen war, ist genug, ihr die Liebe der Menschheit für immer zu sichern.

Rom wurde zum zweitenmal die rechtliche Quelle des Kaisertums. Die großen Überlieferungen des Römerreichs als der politischen Ordnung der Welt waren dort bewahrt: Karl nannte sich daher Kaiser der Römer, denn es gab kein anderes Kaisertum als solches, dessen Ursprung und Begriff an Rom gebunden war, weshalb auch die byzantinischen Herrscher fortfuhren, sich römische Kaiser zu nennen. Freilich war Rom eine politisch abgestorbene Ruine, aber ihr Besitz in den Händen Karls war wie der eines echten und durch Alter ehrwürdigen Rechtsdiploms. Gleichwohl wäre der Anspruch der Stadt, noch immer die Wurzel des Reichs zu sein, nur eine antiquarische Erinnerung gewesen, wenn ihr nicht die Kirche den Begriff der Universalität zurückgab. Rom beherrschte durch sie die alten Provinzen der Cäsaren, ehe noch Karl die Kaiserkrone erhielt, durch welche er jene auch politisch wieder zu einem Reiche verband. Die Einheit des antiken Reichs beruhte wesentlich auf dem römischen Recht, aber im neuen wurde ähnliches durch die Kirchengesetze erreicht. Hierarchische Ansprüche ersetzten die politischen Rechte, welche die Stadt nicht mehr besaß, und die Päpste bemühten sich schnell, den Schein der Souveränität, welche das römische Volk bei der Kaiserwahl Karls ausgeübt hatte, zu beseitigen, indem sie den germanischen Cäsar als den Lehnsträger der Kirche und das Kaisertum als den Ausfluß des göttlichen Willens darstellten, der durch die päpstliche Salbung vollzogen worden sei. Wenn nun die Römer jener Zeit die Herrschaft betrachteten, die ihre Stadt vermittels des Systems der Kirche, durch die allgemeine Anwendung des römischen Kanons, durch die in Schulen, Kirchen, Synoden, weltlichen Verhandlungen überall eingeführte lateinische Sprache, endlich durch die Reste der klassischen Wissenschaft und Kunst auf die fernsten Länder ausübte, so mußten sie sich gestehen, daß sie zwar anderer Art, doch kaum geringer sei als jene zur Zeit Trajans.

Indes, Rom war nur das ideale Haupt des Reichs, und die Weltverhältnisse erlaubten der Stadt zum Glücke der Völker nicht mehr, auch wieder ihr politischer Mittelpunkt zu sein. In diesem Falle wären Kaisertum und Papsttum in eine unermeßliche Gewalt zusammengeflossen, und eine hierarchische Despotie, schrecklicher als die alte Cäsarenherrschaft, würde Europa verschlungen haben. Karl verzichtete darauf, Rom zur Hauptstadt seiner Monarchie zu machen, und dies war eine der folgenschwersten Tatsachen der Geschichte. Denn dadurch wurde die selbständige Entwicklung der abendländischen Völker und endlich die der Kirche möglich gemacht. Die erdichtete Schenkung Constantins hatte in Wahrheit die Folgen vorausgesehen, welche für das Papsttum entstehen mußten, wenn das Oberhaupt des Reichs seinen Sitz wieder in Rom nahm. Die furchtbarste Gefahr bedrohte das römische Bistum in dem Augenblick der Erneuerung des Imperium, aber sie wurde zu seinem Glücke entfernt. Die germanisch-römischen Gegensätze trennten für immer die Kaisergewalt von der Gewalt des Papstes; der Zwiespalt dieser beiden Mächte, welche sich gegenseitig behinderten und beschränkten, rettete die Freiheit Europas. Wie der neue Kaiser aus der erobernden Volkskraft der Germanen hervorging, der Papst aber eine Schöpfung Roms und der Lateiner war, so mußten auch beide Nationalelemente jene zwei Weltmächte in sich weiterbilden, der Norden die politischen, der Süden die geistlichen Institutionen, Germanien das Reich, Romanien die Kirche vollenden. Die abendländische Welt, so war der Gedanke Karls, sollte zwei Mittelpunkte haben, um die sich das große System der christlichen Republik bewegte: die päpstliche Stadt, die kaiserliche Stadt, Rom und Aachen, während er selbst, der Kaiser, das alleinige Oberhaupt des allgemeinen Reichs und der Kirche blieb.

Die inneren Gegensätze jedoch und die Triebe der germanischen Individualität, welche das Freiheitsgefühl und den Trotz der Persönlichkeit dem römischen Prinzip der Autorität und des Systems entgegenstellte, zersprengten bald genug die Schöpfung Karls, und auch das Papsttum sank schnell von dem Gipfel herab, auf den es der fromme Monarch erhoben hatte. Die Germanen bekämpften die Verrömerung und den Latinismus; in der Stadt Rom selbst entstand der heftigste Streit der bürgerlichen Triebe mit den geistlichen Vorrechten, und die Geschichte zweier merkwürdiger Jahrhunderte, welche dieser Band umfaßt, wird uns die grellsten Widersprüche im Leben Roms zeigen, bis sie mit der Periode schließt, wo die Sachsen das Papsttum aus dem kläglichsten Verfall wiederaufrichten und das zertrümmerte System Karls in einem Nachbilde herstellen, in welchem jedoch die theokratischen Ideen schon den imperatorischen des alten Rom mehr und mehr gewichen sind.

Nach seiner Krönung blieb Karl den Winter hindurch in der Stadt. Er wohnte nicht im alten Palatium, welches er seinem Verfall überließ, sondern richtete eines der bischöflichen Gebäude am St. Peter zu seinem Palast ein. Alle Karolinger bezogen dort ihre Residenz, wenn sie nach Rom kamen, und auch der kaiserliche Missus wohnte daselbst. Die Entfernung Deutschlands, die Absicht, Rom nicht zu seinem Sitz zu machen, hielt Karl vom Neubau einer kaiserlichen Burg ab; wenn er sich wirklich eine Pfalz in Rom erbaut hätte, so würden die Chronisten nicht verfehlt haben, davon zu reden und sie gleich den Palästen in Aachen und Ingelheim zu beschreiben.

Der Kaiser ordnete die Angelegenheiten Italiens und der Stadt, die er beruhigte, indem er sie seiner Majestät unterwarf. Die Römer, welche er gezwungen hatte, den Papst als ihren Landesherrn anzuerkennen, schwuren ihm zugleich als kaiserliche Leute ( homines imperiales) Treue und Gehorsam. Gleichwohl blieb die imperatorische Gewalt nur wie ein Prinzip in Rom. In einer rohen, aber vom System absoluter Monarchie noch weit entfernten Zeit, zumal bei der seltsamen Doppelnatur des politisch-kirchlichen Wesens, wurde die erneuerte Kaisergewalt weder in Steuern noch im Söldnerdruck empfunden, sondern sie sprach sich, wenige Regalien abgerechnet, nur in der Handhabung des Rechts als des höchsten Begriffs des zivilen Lebens aus. Der Papst ernannte seine Judices, aber der Kaiser war die höchste Rechtsgewalt. Sie vertrat für ihn sein Missus oder Legat, welcher, sooft er nach Rom geschickt wurde, auf Kosten der päpstlichen Kammer beim St. Peter wohnte und hier oder im lateranischen Saal »der Wölfin« Gerichtstage ( placita) hielt. Er schützte den Papst gegen die Angriffe des Adels, aber er nahm zugleich die Kaiserrechte in der Stadt wahr. Er führte den Vorsitz in Gerichten, zog Strafgelder in den Fiskus, beaufsichtigte die päpstlichen Richter in Stadt und Dukat, nahm von ihnen Appellationen an und berichtete über sie an den Kaiser. In wichtigen Fällen schickte dieser einen außerordentlichen Missus nach Rom; Majestätsverbrecher, römische Große und Bischöfe wurden von einem solchen Boten, gewöhnlich vom Herzoge Spoletos, gerichtet und bisweilen über die Alpen ins Exil geführt, eine Strafe, die ehedem unter dem byzantinischen Regiment irgendwo in Griechenland verbüßt wurde. Der Legat des Kaisers war auch Bevollmächtigter bei der Ordination des Papstes, welcher er beizuwohnen hatte; denn obwohl die Papstwahl frei war, so scheint doch fortan das Wahldekret dem Kaiser zugeschickt und dessen Zustimmung eingeholt worden zu sein.

Seine Oberherrlichkeit über Rom und den Kirchenstaat geht auch aus den Münzen hervor. Offenbar wurde nach der Kaiserkrönung zwischen Karl und Leo III. der römische Münztypus in seinen Grundzügen festgestellt. Der Kaiser anerkannte jetzt das päpstliche Münzrecht, oder er verlieh dieses dem mit der Immunität ausgestatteten römischen Bischof. Leo III. setzte deshalb zum Zeugnis seiner Landeshoheit auf die eine Seite des römischen Denars seinen eigenen Namen, auf die andere aber den seines Oberherrn, des Kaisers. Es fand hier ungefähr dasselbe Verhältnis statt wie zwischen der byzantinischen Reichsgewalt und den Gotenkönigen Italiens, welche auf den Avers ihrer Münzen den Kopf des Kaisers, auf den Revers ihren Königsnamen gesetzt hatten. So wurden die wesentlichen Kaiserrechte in Rom, die höchste Rechtsgewalt und die Anerkennung der Papstwahl, fortdauernd behauptet, solange das karolingische Kaisertum in Kraft bestand.

Wenn nun die politische Autorität des neuen Kaisers deutlich ist, so bleibt das landesherrliche Verhältnis des Papsts zur Stadt einigermaßen dunkel. Wir wissen nichts über die städtische Verfassung jener Zeit und nichts von den wahrscheinlich vertragsmäßigen Freiheiten des Adels und seinen Rechten auf die Teilnahme am Regiment weltlicher Natur; nichts vom Gerichtswesen, welches vorzugsweise in den Händen der Großen lag, denn noch hatten sich die Prälaten nicht aller weltlichen Geschäfte bemächtigt. Die Erneuerung des Reichs mußte auch eine bürgerliche Einrichtung der Stadt zur Folge haben, die wohl auch eine neue Einteilung der Milizbezirke und der Regionen in sich begriff. Aber das Schweigen der Chronisten und der Urkunden hat diese Zustände in Dunkel begraben.

Karls besonnener Verstand ließ sich nicht zu Eroberungen im Süden fortreißen. Seine Waffen würden das weltliche Reich leicht bis ans Jonische Meer ausgedehnt haben; wenn der abenteuerliche Sinn für den Orient, den man ihm später beilegte, in ihm gelebt hätte, so würden ihn die Flotten der Byzantiner kaum von Griechenland abgehalten haben. Doch seine Aufgabe war nach dem Westen und Norden gerichtet, wo er den Schwerpunkt des Reichs zu suchen hatte; er übergab daher seinem Sohne Pippin das Königreich Italien, übertrug ihm den Krieg mit Benevent und verließ nach dem Osterfest, am 25. April 801, Rom, um heimzukehren. Zu Spoleto erschreckte ihn in der letzten Aprilnacht ein Erdbeben. Die Erschütterung wurde bis in die Rheinlande gespürt; Italien beklagte den Umsturz einiger Städte, und in Rom wird manches antike Monument zusammengesunken sein. Aber die Chronisten jener Zeit warfen keinen Blick auf die Denkmäler der Alten, während sie fast alle, Deutsche wie Italiener, den Einsturz des Daches der Basilika St. Paul bei Rom als ein wichtiges Ereignis verzeichneten.

Der Kaiser zog nach Ravenna, dann nach Pavia in die Hauptstadt des Königreichs Italien, wo er dem Codex der langobardischen Gesetze einige Kapitularien hinzufügte. Er nannte sich darin: »Karl, durch Gottes Willen Herrscher des Reichs der Römer, durchlauchtigster Augustus«, und fügte seinen Erlassen sogar die Bezeichnung des Konsulats hinzu. Der Hof in Konstantinopel war von Haß gegen Franken und Römer erfüllt. Er sah seine legitimen Rechte durch einen kühnen Barbarenkönig vernichtet, der sich den Titel des Imperators der Römer beilegte, obwohl derselbe nur den Erben Constantins gebührte. Aber die Macht der Franken war furchtbar, die Schwäche der Byzantiner groß und der wankende Thron noch immer von einem Weibe besetzt. Irene, von Rebellen umringt, suchte die Freundschaft Karls, und sie befand sich fast in derselben Lage, welche einst die Gotenkönigin Amalasuntha gezwungen hatte, zu dem Feinde ihres Volks ihre Zuflucht zu nehmen. Der ausschweifende Plan einer Vermählung Karls mit dieser Kaiserin, wodurch das östliche und westliche Reich in der Frankendynastie würden vereinigt worden sein, war unausführbar. Karl aber kam alles darauf an, die beiderseitigen Ansprüche und Grenzen in Italien durch einen Vertrag festzustellen; er empfing deshalb Gesandte Irenes und schickte seine eigenen noch Konstantinopel. Doch diese kamen nur an jenen Hof, um den Sturz der Kaiserin mit Augen zu sehen. Nikephorus, ehemals Schatzmeister des Palasts, nahm in unblutiger Revolution den Purpur, am 31. Oktober 802, und verbannte Irene auf die Insel Lesbos. Der Usurpator war jedoch nicht minder um die Freundschaft der verhaßten Franken bemüht; er gab der Gesandtschaft williges Gehör und schickte mit ihr seine Minister an Karl zurück. Nachdem sie einen Vertrag ausgefertigt hatten, kehrten sie über Rom nach Konstantinopel heim. Auch der Papst wünschte diese Verhältnisse geregelt zu sehen, um die Gefahr eines Krieges zu entfernen; da er seine Legaten nach Konstantinopel geschickt hatte, mochte er nicht allein den Frieden zu vermitteln, sondern sich auch wegen der Krönung Karls zu rechtfertigen suchen. Allein diese schwierigen Verhandlungen zwischen Rom und Byzanz kennen wir nicht.

Im Jahre 804 unternahm Leo III. eine neue Reise zu Karl, wozu ihn dringende Ursachen bewogen. Denn er hatte manche Eingriffe des Königs von Italien in das Eigentum der Kirche und das gebieterische Benehmen kaiserlicher Boten gegen die päpstlichen Duces in der Pentapolis erfahren, und auch die Haltung der Römer machte ihn besorgt. Als der Kaiser in der Mitte November von des Papsts Reise hörte, ließ er ihn durch seinen Sohn Karl in St. Maurice einholen und ging ihm selbst bis Reims entgegen.

In Quierzy feierten sie das Weihnachtsfest, worauf Karl den Papst nach Aachen führte. Hier entließ er ihn reich beschenkt und befahl einigen seiner Großen, ihn durch Bayern nach Ravenna zu geleiten. Im Januar war Leo wieder in Rom. Er hatte nicht alle seine Wünsche erreicht; denn die Streitigkeiten über die Grenzen des Besitzes oder über jene zwischen der kaiserlichen Oberhoheit und der päpstlichen Landeshoheit veranlaßten fortdauernde Mißstimmungen, während der junge Pippin die übermäßigen Ansprüche St. Peters mit Unmut betrachtete. Sie behinderten seine auf die Erschaffung eines mächtigen Königreichs Italien gerichteten Absichten, so daß schon er die Schenkung seines Ahns in der Stille beklagen konnte, wenn auch sein Blick noch nicht die Keime ewiger Zerrissenheit dieses Landes erkannte, die darin verborgen lagen.

Pippin empfing im Jahre 806 seine neue Bestätigung im Königreich Italien. Der alternde Karl aber, die Unmöglichkeit einsehend, die Einheit des großen Reichs unter einem einzigen Zepter zu erhalten, und den Streit seiner Erben fürchtend, beschloß, die Monarchie zu ihrem Unglück unter seine drei Söhne zu teilen. Er ehrte den Papst, indem er ihm die Teilungsurkunde durch Einhard zuschickte, damit er ihr die kirchliche Weihe gebe. Infolge dieses Aktes kündigte Pippin seinen Besuch in Rom an, aber er kam nicht. Ein anderer König erschien statt seiner. Ardulf von Northumberland war im Jahre 808 durch eine mächtige Partei von Thron und Land vertrieben worden; flüchtig kam er an den Hof Karls in Nimwegen, ihn um seine Herstellung zu bitten, dann eilte er mit dessen Willen nach Rom, auch den Papst um Unterstützung anzusehen, und Leo gab ihm den Sachsen Adolf, seinen Diaconus und Nuntius, zur Begleitung in die Heimat mit, wo der Vertriebene von zwei kaiserlichen Legaten in seine Herrschaft wieder eingesetzt wurde. Rom hatte bisher wohl Könige, zumal aus der britischen Insel, gesehen, welche die Kutte zu nehmen gekommen waren, doch Ardulf war der erste Fürst, der im Lateran um die Herstellung einer geraubten Königskrone flehte. Dieser Fall lehrte, welche Ansicht sich im Abendlande von der päpstlichen Gewalt zu bilden begann. Da es seit Pippin die Könige selbst waren, die um irdischer Gewinste willen die Idee des römischen Bistums im Glauben der Völker und Fürsten erhöhten, so darf es nicht befremden, wenn sich diese Bischöfe, vom Begriff geistlicher Vermittlung absehend, bald die göttliche Macht zuschrieben, Kronen geben und auch nehmen zu können.


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