Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Heinrich in Pisa. Er schickt Boten an den Prinzen Johann und den König Robert. Marsch nach Rom. Seine ghibellinischen Bundesgenossen. Einzug in Rom. Zustand der Stadt. Die Schanzen der Guelfen und der Ghibellinen. Heinrich bemächtigt sich vieler Aristokraten. Übergabe ihrer Burgen. Fall des Kapitols. Straßenkrieg. Heinrich will im Lateran gekrönt sein. Volksbeschlüsse. Die Kardinallegaten krönen den Kaiser im Lateran.

Am 16. Februar 1312 ging Heinrich mit geringer Truppenmacht, begleitet von den Krönungs-Kardinälen, von Genua in See. Stürme zwangen ihn dreizehn Tage lang bei Porto Venere zu ankern, und erst am 6. März landete er in Pisa. Diese unerschütterlich treue Verbündete der deutschen Kaiser, immer der Hafen, Sammelplatz und Stützpunkt der Romzüge, empfing ihn mit gleichem Jubel, wie sie Konradin empfangen hatte. Sie übertrug ihm die Signorie und bot ihm reichliche Geldmittel; die Ghibellinen Toskanas und der Romagna eilten unter seine Fahnen. Zu schwach, um den Bund der toskanischen Guelfen zu bekriegen, begnügte sich Heinrich, deren Hauptorte in die Reichsacht zu tun, während bereits hinter ihm in der Lombardei abtrünnige Städte seine Vikare verjagten und trotzig in Waffen standen. Boten meldeten von Rom, daß der kaiserliche Anhang bedrängt, der einzige freie Zugang, Ponte Molle, in Gefahr sei und frische Streitkräfte vom Guelfenbunde heranzögen. Heinrich entließ deshalb Stefan Colonna nach Rom und schickte auch Gesandte an Robert, die Vermählung seiner Tochter Beatrix mit dem Sohne dieses Königs abzuschließen. Zugleich befahl er dem Bischof Nicolaus und dem Notar Pandolfo Savelli, nach Rom zu eilen und den Prinzen Johann aufzufordern, seinen friedlichen Einzug nicht zu hindern, da ihm König Robert versichert habe, daß sein Bruder nur nach Rom gekommen sei, um dem Krönungsfeste beizuwohnen. Die Boten erreichten Rom am 30. April. Der Prinz gab ihnen zur Antwort, daß neuere Briefe seines königlichen Bruders ihm befohlen hätten, sich dem Einzuge wie der Krönung Heinrichs mit aller Gewalt zu widersetzen, daß er die Ghibellinen zu bekämpfen fortfahren werde, dem Könige Fehde ansage, seine Truppen aber von Ponte Molle aus strategischen Gründen abziehen lasse. Die bestürzten Gesandten verließen die Stadt unter dem Sicherheitsgeleit des Gentile Orsini und eilten dem heranziehenden Könige entgegen.

Am 23. April war Heinrich von Pisa aufgebrochen, mit 2000 Reitern außer dem Fußvolk, einer dürftigen Waffenmacht im Vergleich zu jener, an deren Spitze einst die Kaiser einhergezogen waren. In seiner Umgebung befanden sich die drei Kardinallegaten, Arnold Pelagru von der Sabina, Nepot des Papsts, Nicolaus von Ostia, Toskaner aus Prato, von Gesinnung Ghibelline, ehemals Legat Benedikts XI. in Florenz, wohin er die Weißen hatte zurückführen wollen, und Lucas Fieschi von Santa Maria in Via Lata, derselbe Kardinal, welcher einst Bonifatius VIII. in Anagni befreit hatte. Als Räte oder Generale umgaben den König sein Bruder Balduin, sein Vetter Theobald von Lüttich, Rudolf, Herzog von Bayern, Amadeus von Savoyen, Guido, Dauphin von Vienne, der Marschall Heinrich von Flandern und dessen Sohn Robert, Gottfried, Graf von Leiningen, Landvogt im Elsaß, Diether, Graf von Katzenellenbogen, Heinrich, Abt von Fulda. Das Heer zog sorglos durch die Maremmen, setzte dann, ohne auf die Guelfen zu stoßen, bei Grosseto über den Ombrone und erreichte am 1. Mai Viterbo. Im Landgebiet zwischen dieser Stadt, dem See von Bracciano und Sutri waren das Präfektenhaus von Vico und die Grafen Orsini-Anguillara mächtig; sie nahmen den König ehrenvoll auf, denn Manfred von Vico, damals Stadtpräfekt, ein Sohn jenes zur Zeit des Königs Manfred so berühmten Petrus, war erklärter Ghibelline und der Graf Anguillara durch Verschwägerung mit Stefan Colonna verwandt. Alle diese Magnaten, auch die von Santa Fiora und der Hohenstaufe Konrad von Antiochien stellten sich unter die Fahnen Heinrichs; nicht minder schickten Todi, Amelia, Narni und Spoleto Kriegsvolk. Man zog durch Sutri auf der Via Claudia über Baccanello weiter wie durch Freundesland, ungerüstet, fast waffenlos, bis bei Kastell Isola auf den Trümmern Vejis die von Rom zurückeilenden Boten meldeten, daß Prinz Johann die Krönung hindern wolle. Der erstaunte König ließ das Heer haltmachen und kampfbereit im Felde lagern.

Am Morgen, dem 6. Mai, brach man in Schlachtordnung nach Rom auf. Nirgends zeigte sich ein Feind. Die Kaiserlichen sahen sich nach kurzem Marsch im Angesicht von Ponte Molle. Diese Brücke hatten die Colonna schon ein Jahr zuvor besetzt; der Übergang war frei, denn Johann hatte seine Truppen zurückgezogen und nur den nahen Turm Tripizon mit Pfeilschützen bewehrt. Als das kaiserliche Heer dem Fluß nahte, sah man die neapolitanische Ritterschaft vom Vatikan heraufziehen, doch zum Gefecht kam es nicht. Furchtlos ritt der König über die Brücke, und nur einige Pferde des Nachtrabs wurden von Pfeilen getroffen. Er lagerte nachts zwischen Ponte Molle und der Stadt, auf dem Schauplatz vergessener Heldenkämpfe Belisars. Am folgenden Morgen hielt er seinen Einzug durch das Tor del Popolo, vom ghibellinischen Adel, von vielem Volk und der Geistlichkeit eingeholt. Man vermied die Guelfenviertel; man zog durch das Marsfeld und über S. Maria Maggiore nach dem Lateran. Auf diesen Wegen mitten durch Rom, auf denen noch kein König der Römer einhergezogen war, sah Heinrich überall starrende Barrikaden, verschanzte Türme, durch den Bürgerkrieg in Ruinen liegende Häuser und trotziges Volk in Waffen. Der Anblick der halb noch zerstörten Basilika St. Johann und des Bauplatzes umher mußte den traurigsten Eindruck machen. Trümmer umgaben den König, unter Trümmern hielt er im Lateran, bekleidet mit dem Domherrngewande, sein erstes Gebet. Vom Lateranischen Palast, wo er Wohnung nahm, blickte er mit Verwunderung in das grauenvolle Labyrinth der Stadt. War es nicht ein bitterer Hohn auf alle seine hohen Träume, wenn er hier erst von Ruine zu Ruine, von Barrikade zu Barrikade, von Turm zu Turm zum St. Peter sich hindurchschlagen mußte, um die Kaiserkrone auf sein Haupt zu setzen? Die Kirche, welche den meisten seiner Vorgänger diese Krone streitig gemacht hatte, bot sie ihm willig dar; die Kardinallegaten des Papsts begleiteten ihn, aber es verboten ihm die Krönung einige römische Magnaten und ein namenloser Prinz, der sich des Vatikans bemächtigt hatte. War dies das von den Kaisern verwaiste Rom, welches ihm mit so heißer Sehnsucht zugerufen hatte: »Warum, mein Cäsar, bist du nicht bei mir?« Die ganze Stadt zeigte sich in zwei feindliche verschanzte Gebiete getrennt; der Mittelpunkt der Ghibellinen der Lateran, der Mittelpunkt der Guelfen der Vatikan. Dies Viertel mit der Engelsburg, Trastevere, alle Brücken, Monte Giordano, Campo di Fiore, die Minerva, viele andere Monumente und Türme, kurz mehr als die am besten bevölkerte Hälfte Roms, befanden sich in der Gewalt des Prinzen Johann und der Orsini unter ihren Häuptern Gentile und Ponzello. Die Ghibellinen unter Sciarra und Stefano Colonna hielten die Viertel Monti, den Lateran, S. Maria Maggiore, das Pantheon, das Mausoleum des Augustus, die Porta del Popolo und Ponte Molle. Das Kapitol nebst dem Milizenturm war noch im Besitz der ehemaligen Vikare Ludwigs, des Richard Orsini und des Johann Annibaldi, welche, wie andere Große, eine unentschiedene Stellung zwischen den Parteien einnahmen. Die Conti hielten ihren Riesenturm, die Annibaldi das Colosseum, den Aventin und den Turm S. Marco, die Frangipani den Palatin, die Savelli das Theater des Marcellus. Barrikaden, zum Teil fest aufgemauert, an Türme angelehnt, und verschanzte Häuser bildeten in beiden Lagern ebenso viele Festungen, welche mit 30 bis zu 100 Mann besetzt waren und viertelsweise unter der Aufsicht von Hauptleuten standen.

Der erste Blick auf Rom machte Heinrich zweifeln, daß er den St. Peter bald erreichen werde. Er forderte deshalb schon am 10. Mai die Kardinäle auf, ihm den freien Durchzug nach dem Dom auszuwirken, oder, wenn dies unmöglich sei, ihn im Lateran zu krönen. Als er sich gezwungen sah, mit den Waffen zu erobern, was friedliche Unterhandlung nicht gewährte, beschloß er, Rom schrittweise zu erkämpfen. Der blutige Straßenkrieg um die Kaiserkrone des Luxemburgers ist von Zeitgenossen mit Genauigkeit geschildert worden, aber er bietet eine mehr örtliche als geschichtliche Wichtigkeit dar. Der Turm Tripizon fiel schon am 13. Mai in die Gewalt Balduins von Trier und Roberts von Flandern, und dieser erste Sieg belebte das Pfingstfest, welches Heinrich im Lateran beging. Wenige Tage später brachten Boten die Antwort des Königs Robert, welche so übertriebene Bedingungen enthielt, daß Heinrich sie verwerfen mußte. Es galt jetzt, das Kapitol zu nehmen. Die Stadtburg war bald nach der Ankunft des Königs von den Vikaren Ludwigs dem Prinzen Johann für Geld übergeben worden, und derselbe hatte das Kloster Aracoeli und den großen Turm des Stadtkanzlers am Fuß des Kapitols besetzen lassen. Um nun dieses zu erobern, mußten erst der Turm S. Marco auf der einen und der Milizenturm auf der andern Seite im Besitze Heinrichs sein. Der König – ihm selbst unbewußt – das Haupt der Ghibellinen geworden, nahm zur List seine Zuflucht. Zum Mahl in den Lateran geladen, kamen offene Freunde und versteckte Feinde. Nach geendigter Tafel erhob sich Heinrich und sprach: »Meine Sache und mein Recht zwingen mich, in dieser Not zu Euch zu reden; doch fast hemmt Staunen meine Zunge, wenn ich erwäge, was mich aus meiner erlauchten königlichen Stadt in dies Italien geführt hat. War es etwas anderes als die Sehnsucht, das schon erloschene Reich wieder aufzurichten, als den Römern, welche kaum noch von Barbaren gekannt werden, unter dem Schilde der kaiserlichen Majestät die Weltherrschaft wieder zu verleihen? Was erbaten von mir so viele Briefe und eilende Boten? Dies, daß ich meinen teuern Senat und das römische Volk besuche, um unter dessen Jubelruf auf das Kapitol zu ziehen. Kam ich nun als gewaltsamer Eindringling, daß man mich von der Schwelle des Apostels Petrus zurückweist? Nein, hier sind die Zeugen, drei Kardinäle, die Legaten des gnädigsten Papsts, meine Geleitet, die Vollstrecker kanonischer und kaiserlicher Satzungen. Ich wende mich daher nochmals an Euch, Ihr Römer, und frage: rieft Ihr mich, daß ich fruchtlos und als Gespött der Welt erscheine? Bei dieses Mahles Vertraulichkeit will ich erfahren, welches Eure offenen Entschlüsse sind, was Ihr im Geheimen sinnt, kurz, wer von Euch mir Helfer sein will; und was ein jeder sich erwählt, das mag er nun frei erklären.« Die Antwort der Großen, welche Heinrich zu Protokoll nehmen ließ, war in bezug auf ihren Beistand bejahend, doch hie und da zweideutig an Bedingungen geknüpft. Stefan Colonna stellte dem Könige sich und seine Burgen aufrichtig zur Verfügung, gab Geiseln und wurde freundlich entlassen. Nicolaus Conti erklärte, daß Ehrfurcht ihm verbiete, gegen Robert zu streiten, von welchem er den Rittergürtel empfangen habe. Annibaldo Annibaldi, Johann Savelli und Tebaldo von Campo di Fiore gelobten Gehorsam, doch mit einiger Verwahrung. Der aufgebrachte König verlangte Bürgschaft, behielt endlich diese Herren in Gewahrsam und zwang sie, ihre städtischen Festungen ihm auszuliefern. Annibaldo, des Vikars Johann Bruder (und dieser selbst befand sich noch im Kapitol), übergab den Milizenturm, dessen Gemächer der König sofort zu seiner eigenen Wohnung instandsetzen ließ. So kam die stärkste Stadtburg in seine Hände, nicht minder der Turm von S. Marco, der Grafenturm, der Aventin und das Colosseum. Das Kapitol wurde nun enger eingeschlossen. Um dessen Entsatz durch die Orsini zu verhindern, zwang der König Johann Savelli, seine eigenen Häuser und Straßen abzusperren. Seither dienten auf seiten Heinrichs als Hauptleute in den einzelnen Stadtvierteln, auf Barrikaden, Türmen, Brücken und Toren außer Sciarra, Stefan und Johann Colonna auch Petrus und Johann Savelli, Tebaldo von S. Eustachio, Richard und Petrus Annibaldi und Stefan Normannus Alberteschi.

Ein ansehnlicher Zuzug ließ unterdes den Prinzen Johann hoffen, das bedrängte Kapitol zu retten; denn am 21. Mai rückten Guelfen von Florenz, Lucca, Siena und Perugia unter Johann von Biserno in den Vatikan, einige tausend Mann, trefflich gerüstetes Volk. Dies trieb Heinrich zur Eile. Am 21. und 22. Mai schlug man sich am Kapitol um den Turm des Kanzlers Malabranca und um die Wohnung des Richard Annibaldi. Die Guelfen drangen bis hinter die Minerva, das Kapitol von hier aus zu entsetzen. Die Kaiserlichen schlugen sie zurück. Die Bayern nahmen den Neffen des Kanzlers, Petrus Malabranca, gefangen, und auch der Graf von Biserno geriet in Gefangenschaft. Die eroberten Türme und Häuser wurden niedergebrannt; das Viertel der Minerva ging zum Teil in Flammen auf. Die Kaiserlichen, welche von den Franziskanermönchen begünstigt wurden, bemächtigten sich sodann zuerst des Klosters Aracoeli, worauf die Besatzung des Kapitols am 25. Mai an Ludwig von Savoyen sich ergab. Heinrich bestätigte ihn als Senator, und Ludwig machte Nicolaus Bonsignore von Siena zu seinem Vikar.

Am folgenden Tage stürmte man die Schanzen im Marsfeld und in den Regionen Ponte und Parione, um sich den Weg nach dem St. Peter zu bahnen. Wie im finstersten Mittelalter kämpften gepanzerte Bischöfe und Geistliche, das Schwert in der Faust, um Straßenschanzen. Die große Barrikade des Laurentius Statii von Campo di Fiore fiel durch Sturm. Die Kaiserlichen trieben die Orsini vor sich her; ihre geplünderten Paläste brannten. In wilder Wut drang man schon bis zur Engelsbrücke, wo jenseits des Flusses im Grabmal Hadrians sich der Prinz Johann mit den Guelfenhäuptern befand. Ein heftiger Ausfall aus diesem Kastell schlug die Kaiserlichen zurück; sie wichen unter großem Verlust in das Viertel der Colonna, und siegreich drangen jetzt die Guelfen vor. Die Glocken auf dem Kapitol läuteten Sturm; der Vikar rief das Volk zu den Waffen; gegen Abend ward es still, und Guelfen wie Ghibellinen nahmen wieder ihre Stellungen ein. So war die Absicht der Kaiserlichen, zum St. Peter sich durchzuschlagen, mißlungen.

Die Straßenschlacht vom 26. Mai kostete manchem tapfern Herrn das Leben. Egidius von Warnsberg, Abt von Weißenburg im Elsaß, Graf Peter von Savoyen, des Senators Bruder, und viele Ritter waren erschlagen. Theobald von Bar, den Bischof von Lüttich und des Königs Vetter, welchen seine Würde nicht abgehalten hatte, in diesem blutigen Gewühl rnitzukämpfen, hatte ein guelfischer Ritter gefangen, auf sein Roß gesetzt und zum Prinzen Johann entführt; ein Katalan stach den heiligen Mann vom Pferde; er starb bald darauf in der Engelsburg. In den Basiliken Aracoeli und Santa Sabina auf dem Aventin kann der Deutsche noch nach einem halben Jahrtausend an grauen Leichensteinen stehen, die Wappenschilder der erschlagenen Freunde Heinrichs VII. betrachten und ihren Namen wie Todestag in wohlerhaltenen Inschriften lesen.

Das Mißlingen jenes Kampfes wirkte nachteilig auf die kaiserliche Partei. Der Stadtpräfekt Manfred, die Grafen von Anguillara und Santa Fiora, Konrad von Antiochien, die Mannschaften von Spoleto, Todi und Narni verließen Rom. Auch eine Flotte, welche die Pisaner mit Belagerungsgeschoß ausgerüstet hatten, wurde von dem feindlichen Admiral aufgefangen und nach Neapel entführt. Der ermüdete König drang jetzt in die Kardinäle, ihm durch Unterhandlung den Weg zur Krönung zu öffnen; doch dies blieb ohne Erfolg. Prinz Johann und die Guelfen standen trotzig zwischen ihm und der Krone, die nach ihrer Ansicht fortan kein deutscher König mehr tragen sollte; sie wußten wohl, daß Clemens V. die Krönung Heinrichs mit Argwohn sah und mit Lauigkeit betrieb. Mußte nicht der Papst fürchten, daß der Kaiser seinen Thron in dem »verwitweten« Rom aufschlagen werde? In Wahrheit hat sich die Stadt niemals mit weniger Schwierigkeit zum Kaisersitz dargeboten als während des avignonesischen Exils. Es waren demnach die Guelfen, welche mit den Waffen in der Hand und mit der geheimen Bewilligung des Papsts verhinderten, daß der Kaiser den Platz einnahm, den jener leer gelassen hatte.

Die Stimmung in der ghibellinischen Partei verdüsterte sich; der tägliche Straßenkrieg, die Verwüstung der Stadt, der Mangel, das unablässige Bauen von Barrikaden erschöpften die Geduld der Römer. Heinrich war jetzt gezwungen, sich an die Volksgunst zu wenden. Er berief ein Parlament, und mehr als 10 000 Bürger erschienen auf dem Platz vor dem Kapitol. Nicolaus Bonsignore sprach zu ihnen im Namen des Königs; er verhängte die Acht über alle diejenigen Römer, die sich nicht bis zu bestimmter Frist unterwerfen würden, und verhieß den Gehorsamen Amnestie. Die Volksversammlung bestätigte das Edikt und forderte sofortige Erneuerung des Kampfs. Aber Heinrich verschob ihn. Er hatte sich zuvor durch den Senat das Recht erteilen lassen, Gerichtsbarkeit in Rom auszuüben, worauf er in seinem Vertrage mit dem Papst verzichtet hatte; denn so tief war die kaiserliche Majestät gesunken, daß dies Recht, in Zivil- und Kriminalsachen über Römer zu richten, welches frühere Kaiser selbstverständlich ausgeübt hatten, erst durch eine förmliche Bewilligung des Senats an Heinrich übertragen ward. Seine Herolde luden zuerst die Trasteveriner vor das kaiserliche Tribunal. Wenige gehorchten; doch stellten sich wider Erwarten einige hervorragende Edle aus der Gegenpartei, wie der junge Ursus, Petrus de Montenero, und Annibaldus, welcher seit der Übergabe des Milizenturms zu seinem Bruder nicht hatte zurückkehren wollen. Dies belebte die Hoffnung der Ghibellinen und minderte die Zuversicht der Guelfen.

Ein Sturm auf die Engelsburg mißlang. Die letzte Hoffnung, nach dem Sankt Peter vorzudringen, war somit vereitelt. Ermüdet und ungeduldig begehrte jetzt Heinrich die Krönung im Lateran, wo sie schon einmal unter ähnlichen Verhältnissen ein Kaiser empfangen hatte. Die Legaten weigerten sich: sie seien vom Papst bevollmächtigt, Heinrich im St. Peter zu krönen, und das Krönungsformular beziehe sich nur auf diesen heiligen Dom. Um nun den Widerstand der Kardinäle zu brechen, berief man sich auf den Willen des Volks; denn die Römer behaupteten, daß es ihr uraltes Recht sei, über die Kaiserkrönung eine Stimme zu haben, und die Verlegenheit, in der sich Heinrich befand, nötigte ihn, ein demokratisches Prinzip zu seiner Hilfe aufzurufen. Senat und Volk faßten demnach den Parlamentsbeschluß, daß die Krönung im Lateran geschehen dürfe und die Kardinäle dazu durch den Volkswillen zu zwingen seien. Zehn Abgeordnete forderten die Ausführung des Plebiszits; doch die Legaten erklärten, daß sie erst den Papst befragen müßten. So gingen unter täglichen Kämpfen zwei Wochen hin, bis die hartnäckige Weigerung der Kardinäle, welche durch wiederholte Gesandtschaften bestürmt wurden und die Aufreizung durch Heinrichs Anhänger endlich das Volk zum Aufstand trieb. Es stürmte am 22. Juni nach dem Milizenturm und bedrohte die Legaten mit dem Tod. Heinrich beschwichtigte den Aufruhr, worauf sich jene zur Krönung bereit erklärten, wenn in acht Tagen keine Nachricht vom Papst eingegangen sei. Da man diese vergebens erwartete, sollte der feierliche Akt am Peter- und Paulsfest im Lateran vollzogen werden. Eine Krönungssteuer, welche Heinrich von den Römern forderte, wurde zurückgewiesen, nur die römische Judenschaft bezahlte sie. Am Vorabend begab sich der König in den Palast der S. Sabina, denn von dort sollte der Krönungszug ausgehen, wie dies auch am 4. Juni 1133 geschehen war, als Lothar, durch die Partei Anaklets II. von St. Peter ausgeschlossen, die Krone im Lateran hatte nehmen müssen. Auf weißem Roß, in weißen Gewändern, sein blondes Haar lang herabwallend, zog Heinrich VII. am Morgen des 29. Juni vom Aventin zum Circus Maximus. Er beschwor hier dem Herkommen gemäß die Erhaltung der römischen Republik und ihrer Gesetze an einer Brücke, wahrscheinlich am Bach Marrana. Prozessionen der Geistlichkeit empfingen ihn am Wege; die Juden huldigten durch Abgeordnete ihrer Synagoge und reichten ihm den Pentateuch dar. Der Sitte gemäß warfen zwei Kämmerer einige Gold- und Silbermünzen unter das Volk, Symbole eher der Dürftigkeit als des Reichtums dieses ohnmächtigen Kaisers. Im Lateran vollzogen die Kardinäle die Krönungszeremonie unter Protest, daß sie zu diesem nicht ritualgemäßen Akt vom Papst nicht ermächtigt, aber vom Volke gezwungen seien.

Diese flüchtige Feierlichkeit konnte das Gemüt des Kaisers nicht erheben. Sie fand nicht im geheiligten St. Peter, sondern unter Trümmern im Lateran statt, der noch im Aufbau begriffen war. Zum erstenmal, solange das Reich bestand, fehlte der Papst bei einer Handlung, welcher nur er allein, nach dem Vorstellen der Menschen, die rechte Weihe geben konnte. Keine großen Reichsfürsten, keine großen Vasallen Italiens, noch Städteboten umgaben den Kaiser. Als er nach vollendeter Krönung bei der Tafel auf dem Aventin saß, fielen Wurfgeschosse höhnender Feinde selbst auf die Höhe dieses Hügels und störten die mäßige Freude des Festmahls.


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