Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Tiberüberschwemmung 1230. Die Römer rufen Gregor IX. zurück. Friede zu S. Germano 1230. Erstes massenhaftes Ketzergericht in Rom. Der Senator Annibaldo erläßt ein Edikt wider die Ketzerei. Ketzerverfolgung und Inquisition überhaupt.

Gregor IX. blieb noch den Winter über in Perugia, ohne andere Aussicht, nach Rom heimzukehren, als welche ihm die Versöhnung mit dem Kaiser würde geboten haben. Doch ehe diese abgeschlossen wurde, führten ihn unverhofft die Elemente in den Lateran zurück. »Die Katarakten des Himmels« öffneten und entleerten sich über der »gottlosen« Stadt; am 1. Februar 1230 trat der Tiber aus; die Leonina und das Marsfeld wurden von den Fluten bedeckt, die Brücke der Senatoren ( Ponte Rotto) stürzte ein, und die Überschwemmung erzeugte Hungersnot und Pest. Die Chronisten schildern sie als eine der furchtbarsten, die Rom je erlebte. Die Römer, welche während des langen Exils ihren Papst vergessen, die Geistlichkeit geplündert, die Ketzer aufgenommen hatten, erinnerten sich jetzt mit abergläubischer Angst, daß der heilige Vater ihr Landesherr sei. Boten eilten nach Perugia: Petrus Frangipane, der Kanzler der Stadt, und der alte mannhafte Exsenator Pandulf von der Subura warfen sich dem Papst zu Füßen, baten um Gnade für das irrgeführte Volk und um Rückkehr in die verwaiste Stadt. Als Gregor hierauf am 24. Februar vom Jubelruf der Römer empfangen und nach dem Lateran geführt wurde, konnte er einen Blick der Verachtung auf ein Volk werfen, welches seit mehr als einem Jahrhundert gewohnt war, seine Päpste zu verjagen, um sie dann unter Lobgesängen wieder aufzunehmen. Wenn diese Päpste aus ihrem Exil in »die Stadt des Bluts« zurückkehrten, so erkauften sie eine flüchtige Ruhepause nur durch Gold. Der Lebensbeschreiber Gregors IX. zählt gewissenhaft die vielen Tausende von Pfunden auf, welche gerade dieser Papst den Römern hergab, sooft sie ihm die Rückkehr bewilligten.

Gregor fand Rom in tiefem Elend, in völliger Verwilderung und vom »Unkraut« der Häretiker angefüllt, denen selbst ein Teil des Klerus geneigt war. Er beschloß daher, ein strenges Strafgericht ergehen zu lassen, sobald er mit dem Kaiser Frieden geschlossen hatte. Dieser wurde zu S. Germano am 23. Juli 1230 vollzogen, nach langen Unterhandlungen mit dem großen Deutschmeister Hermann und unter dem Papst so günstigen Bedingungen, daß man wohl erkannte, wie wenig Friedrich die gewaltige Macht seines Gegners unterschätzte. Der Kirchenstaat ward hergestellt; selbst einige Städte Kampaniens, darunter Gaëta, blieben dem Papst noch für ein Jahr als Pfand; die Wahlfreiheit und die Exemtion des Klerus sollte fernerhin im Königreich Sizilien nicht verletzt werden.

Nachdem der Kaiser am 28. August in der Kapelle der heiligen Justa bei Ceprano vom Banne gelöst war, geleiteten ihn die Kardinäle zum Papst nach Anagni. Die beiden Feinde begrüßten dort einander am 1. September voll Höflichkeit, verschleierten ihren Haß, tafelten mitsammen und unterredeten sich in den drei ersten Septembertagen im Familienpalast der Conti, und sie schieden trotz ihrer freundschaftlichen Erklärungen mit der Überzeugung, daß zwei Menschen ihrer Art in Italien nebeneinander nicht Raum haben könnten.

Als nun Gregor IX. im November wieder nach Rom kam, suchte er die Römer durch Wohltaten sich geneigt zu machen. Er ließ die Brücke der Senatoren herstellen, die Kloaken reinigen, Getreide herbeischaffen, Geld unter das Volk verteilen, ein Armenhaus im Lateran bauen. Dies gewann ihm die Masse und erleichterte seinen Hauptschlag gegen die Ketzer, von denen er die Stadt gründlich säubern wollte. Die Vernichtungskriege Innocenz' III. gegen die Häretiker, ihre von ihm gebotene Ausrottung in allen Städten schienen nur die Ketzerei vermehrt zu haben. Tausende von Menschen gürteten ihre Lenden mit dem Strick des heiligen Franziskus, aber ihrer mehrere fielen vom Glauben ab. Im Kirchenstaat, in Viterbo, in Perugia, in Orvieto waren die Ketzer zahlreich. Die Lombardei war von ihnen angefüllt; im guelfischen Mailand befand sich ihre Hauptkirche. Nutzlos loderten Scheiterhaufen. In Rom selbst sammelten sie sich während des Exils des Papsts. Politische Ansichten verbanden sich hier leicht mit religiösen, und unter den römischen Ketzern war die ghibellinische Sekte der Arnoldisten sicherlich zahlreicher als die der Armen von Lyon. Überhaupt wurde die dogmatische Ketzerei von der politischen nicht getrennt, denn die Kirche betrachtete die Angriffe gegen die Freiheit des Klerus und sein Vermögen, wie die Edikte der Stadtmagistrate, welche jenen zu besteuern und vor das weltliche Tribunal zu ziehen suchten, ohne weiteres als Ketzerei.

Es war das erste Mal, daß ein massenhaftes Ketzergericht in Rom gehalten wurde und Scheiterhaufen öffentlich brannten. Die Inquisitoren schlugen ihr Tribunal vor den Türen der S. Maria Maggiore auf; die Kardinäle, der Senator, die Richter nahmen auf Tribünen Platz, und das gaffende Volk umringte dies schreckliche Theater, auf welchem Unglückliche jeden Stands und jeden Geschlechts ihr Urteil empfingen. Viele der Häresie überführte Geistliche wurden ihrer Priestergewänder entkleidet und zur Buße in fernen Klöstern verurteilt, wenn sie ein reumütiges Bekenntnis abgelegt hatten. Andere Ketzer verbrannte man auf Holzstößen, vielleicht auf dem Platz vor der Kirche selbst. Da dies düstere Schauspiel, ein Reflex der Albigenserkriege, auf die Tiberüberschwemmung und die Pest folgte, muß es Rom in große Aufregung versetzt haben. Wenn eine Chronik des XIV. Jahrhunderts Wahres erzählt, so sahen die Römer sogar das unerhörte Schreckbild eines wegen Ketzerei hingerichteten Senators; doch dies ist eine Fabel. Nach seiner Rückkehr wird Gregor einen neuen Senator eingesetzt haben, und dies war Annibaldo Annibaldi, ein Römer aus senatorischer Familie, welche indes erst um diese Zeit zur Blüte kam und ein mächtiges, in Latium reich begütertes Geschlecht bildete. Der berühmte Name Hannibal erschien in einer Adelsfamilie des Mittelalters wieder, aus welcher einige Jahrhunderte lang Senatoren, Kriegsobersten und Kardinäle, aber keine Päpste hervorgingen. Die Annibaldi waren mit den Conti und dem Hause von Ceccano verwandt, gleich ihnen germanischen Ursprungs und in der Campagna wie auf dem Lateinergebirg angemessen, wo noch heute oberhalb Rocca di Papa das Feld des Hannibal an dieses einst so einflußreiche Geschlecht erinnert. Es war sicherlich eine der Bedingungen, die der Papst an seine Rückkehr geknüpft hatte, wenn jener Senator Annibaldo im Jahre 1231 das Ketzeredikt erließ, welches uns noch aufbewahrt ist. Dadurch wurde festgesetzt, daß jeder Senator beim Antritt seines Amts die Ketzer in der Stadt und ihre Anhänger zu ächten, alle von der Inquisition angezeigten Häretiker zu ergreifen und nach gefällter Sentenz innerhalb acht Tagen zu richten habe. Das Ketzergut sollte zwischen die Angeber und den Senator verteilt und zur Ausbesserung der Stadtmauern bestimmt werden; die Ketzerherbergen sollten niedergerissen werden. Auf Verheimlichung der Ketzer ward Geld- oder Leibesstrafe und Verlust aller bürgerlichen Rechte gesetzt. Jeder Senator sollte dies Edikt beschwören und als nicht im Amt betrachtet werden, ehe er darauf vereidigt worden war. Handelte er dem Schwur zuwider, so sollte er zu zweihundert Mark verurteilt und für öffentliche Ämter unfähig erklärt werden. Die verwirkte Strafe war über ihn durch das von der Kirche S. Martina am Kapitol genannte Richterkollegium zu verhängen.

Dies Edikt schärfte den Eifer der Angeber durch die Aussicht auf Gütererwerb; und man mag urteilen, wie geschäftig Habgier und Privathaß waren, Ketzer aufzuspüren. Der Papst zog die Stadtgemeinde in das Interesse der Inquisition und verpflichtete den Senator, ihr seinen weltlichen Arm zu leihen. Er wurde der gesetzliche Vollstrecker des Urteils der Ketzergerichte, wie es übrigens jeder Podestà auch in anderen Städten war. Wenn diese Übertragung des ehemaligen Blutbannes des Präfekten auf ihn seine Zivilgewalt mehrte, so setzte sie ihn doch zum Diener des geistlichen Tribunals herab; der feierliche Schwur, die Ketzer zu bestrafen, band ihn selbst und über seinem eigenen Haupte schwebte das furchtbare Urteil der Inquisition, welche ihn der Verletzung seiner Amtspflicht und deshalb der Häresie schuldig erklären konnte. Das wichtigste Attribut der senatorischen Gewalt wurde also dies, daß sie die Exekution an Ketzern vollzog, und es bezeichnet den Geist der damaligen Zeit, daß die Pflicht ihrer Verfolgung überhaupt als der erste Grundartikel in den Statuten Roms und anderer Städte des Kirchenstaats aufgenommen wurde.

Im übrigen brachte das senatorische Edikt nur die kaiserlichen Krönungserlasse auch für Rom in Anwendung, wo man sich bisher dagegen gesträubt haben mochte. Denn die Inquisition wurde ein neues Mittel in der Hand des Papsts zur Unterwerfung des Volks. Fortan gab es in Rom Inquisitoren, welche anfangs aus dem Franziskanerorden ernannt wurden. Wenn der Inquisitor Ketzer verdammt hatte, trat er auf die Stufen des Kapitols und verlas die Sentenz in Gegenwart des Senators, seiner Richter und vieler Deputierter oder Zeugen aus dem Klerus der Stadt. Den Vollzug der Strafe übertrug er sodann dem Senator unter Androhung der Exkommunikation im Falle der Weigerung oder Fahrlässigkeit.

Wir schrecken vor einer Zeit zurück, deren Ausdruck jene Edikte Gregors IX. waren, welche die Ketzeraufspürung zur obersten Pflicht des Bürgers machten und selbst jedes öffentliche oder Privatgespräch über Glaubensartikel als Verbrechen mit dem Bann bestraften. In jener rohen Zeit neuer Qualen und eines neuen Fanatismus, wo für den Verlust Jerusalems und für den absterbenden Kreuzzugseifer die frommen Leidenschaften in der Ketzerverfolgung Ersatz fanden und wo seit Innocenz III. religiöse Unduldsamkeit das Christentum auf den Standpunkt des fanatischen Gesetzes des Judentums zurückdrängte, eiferten selbst Fürsten und Häupter von Republiken dem Klerus nach. Schuldbelastete Könige schenkten kaum noch Güter an die Kirche; sie fanden es bequemer, zu ihrem Seelenheil Ketzer zu verbrennen, deren Habe sie konfiszierten. Der Flammenschein von Scheiterhaufen wurde bei einigen Königen zur Glorie der Frömmigkeit, während andere aus Furcht oder Berechnung ihre Rechtgläubigkeit durch die wütendsten Ketzerverfolgungen zu beweisen suchten. Selbst Friedrich II., welchen Bildung und freies Denken so weit über sein Jahrhundert erhoben, daß man ihn später einen Vorläufer Luthers nannte, erließ in den Jahren 1220 und 1232 die finstersten Gesetze, die sich in nichts von den päpstlichen Edikten unterscheiden. »Die Ketzer«, so dekretierte er, »wollen den ungetrennten Rock unseres Herrn zertrennen; wir befehlen, daß sie lebendig im Angesicht des Volks dem Flammentod zu überliefern seien.« Er erließ solche Gesetze, sooft er mit dem Papst Frieden geschlossen hatte oder seiner bedurfte, und diese politischen Motive der Ketzerverfolgung schändeten ihn mehr, als es ein blinder, aber aufrichtiger Glaubensfanatismus würde getan haben. Seine Ketzergesetze stehen im grellsten Widerspruch zu der weisen, seinem Zeitalter voreilenden Gesetzgebung, welche er im August desselben Jahrs 1231 dem Königreich Sizilien gab.


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