Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Alexander bemächtigt sich der Länder der Colonna. Lucrezia Regentin im Vatikan; Gemahlin Alfonsos von Este. Piombino ergibt sich Cesare. Alexander teilt die Güter der lateinischen Barone unter zwei Kinder Borgia. Vermählung Lucrezias mit dem Erbprinzen von Ferrara und ihre Abreise dorthin Januar 1502. Cesare Tyrann in Rom. Der Papst schifft mit ihm nach Piombino. Astorre Manfredi wird ermordet. Cesare überwältigt Urbino und Camerino. Sein gutes Regiment in der Romagna. Vergiftung des Kardinals Ferrari. Libell gegen den Papst.

Der Fall Neapels bot dem Papst die ersehnte Gelegenheit, unter den Baronen Latiums aufzuräumen. Die Macht dieser Herren stammte aus der Zeit des Reichs, und sie fiel auch mit der Reichsgewalt. Da sie sich nicht mehr an den Kaiser anlehnen konnten, suchten sie ihre Stütze bei der Krone Neapels oder Frankreichs. Die Colonna hatten sich schon seit dem Zuge Karls VIII. enge an die aragonische Dynastie angeschlossen, während die Orsini zu Frankreich standen. Aus Furcht hatten jene noch vor dem Beginn des letzten Krieges viele ihrer Kastelle dem Kardinalskollegium übergeben, darunter auch Subiaco. Doch der Papst wollte nichts von Verträgen wissen. Er ließ die colonnischen Burgen besetzen und zog nach dem Falle Capuas in Person nach Sermoneta.

Es geschah damals, daß er für die Zeit seiner Abwesenheit seiner Tochter den Vatikanischen Palast und auch die Geschäfte übergab, mit der Befugnis, einlaufende Briefe zu öffnen, wobei sie in schwierigen Fällen den Kardinal von Lissabon zu Rate ziehen sollte. In der Geschichte des Papsttums gibt es in Wahrheit nichts, was einen tieferen Grad schamloser Verweltlichung offenbaren konnte als diese Tatsache. Wir wissen nicht, welchen Eindruck dies auf die Römer machte, sie vergnügten sich wahrscheinlich mit Pasquinaden und beklatschten die Späße, die der Kardinal von Lissabon über den schönsten Sekretär machte, der je in einem Kabinett tätig war. Madonna Lucrezia verwaltete ihr Amt nur kurze Zeit, denn anfangs August kehrte der Papst zurück, und bald darauf erfuhr Rom, daß seine Tochter mit Alfonso von Ferrara vermählt werden sollte. Die heiß ersehnte Botschaft von der Einwilligung des stolzen Hauses Este in diese Verbindung wurde in Rom mit Kanonendonner und Beleuchtung gefeiert. Die künftige Herzogin Ferraras hielt am 7. September einen glänzenden Aufzug nach S. Maria del Popolo, wobei vier Bischöfe ihr voraufritten und 300 Reiter ihr Gefolge bildeten. Gaukelspieler durchzogen die Stadt mit dem Ruf: Es lebe die erlauchte Herzogin von Ferrara! Es lebe der Papst Alexander!

Auch Cesare kam aus Neapel nach Rom am 15. September 1501, und hier erfuhr er, daß seine Truppen Piombino eingenommen hatten. Während seiner Anwesenheit im Vatikan wurde über dasjenige Beschluß gefaßt, was mit den Gütern der Colonna geschehen sollte. Die Häupter dieses Hauses befanden sich noch im Königreich Neapel; denn Fabrizio und Prospero waren erst dem Könige nach Ischia gefolgt und hatten dann, von ihm entlassen, sich nicht gescheut, als Condottieri in den Dienst Consalvos zu treten. Am 20. August hatte der Papst Colonna und Savelli geächtet und ihre Güter konfisziert. Sodann teilte er am 17. September sämtliche Besitzungen der Colonna, Savelli und Gaëtani, der Barone von Pojano und Magenza und der Estouteville unter zwei kleine Kinder Borgia. Rodrigo, der zweijährige Sohn Lucrezias und des ermordeten Alfonso, erhielt Sermoneta, Ninfa, Norma, Albano, Nettuno, Ardea, nebst andern Orten. Ein zweites Kind, Johann Borgia, der eigene Sprößling des Papsts, wurde mit Nepi, Palestrina, Paliano, Rignano und andern Städten ausgestattet. Palestrina, Nepi und Sermoneta erhob der Papst zu Herzogtümern; die Abtei Subiaco mit ihren achtzehn Kastellen sprach er für alle Zeit dem Geschlechte der Borgia zu. Diese Bulle unterzeichneten die neunzehn damals anwesenden Kardinäle, unter ihnen auch Caraffa, Sanseverino, Cesarini, Farnese, Pallavicini und Medici, welcher von seiner Vergnügungsreise in Deutschland und Frankreich nach Rom zurückgekehrt war. Nicht einer wagte Widerspruch. Auf diese Weise hatte Alexander VI. den ghibellinischen Adel Latiums erdrückt, dessen er sich zuvor gegen die Orsini bedient hatte. Später sollte auch an diese guelfischen Herren die Reihe kommen; denn für jetzt dienten sie noch als brauchbare Werkzeuge im Heere Cesares oder sie standen im Solde Frankreichs. Fast der ganze Kirchenstaat war nunmehr ein Besitz der Borgia; die Romagna und andere Gebiete besaß Cesare, die alten Erbländer der römischen Barone besaßen andere Mitglieder des Hauses. In den Annalen der Kirche war dies ein vollkommen neuer Zustand.

Am 25. September ging der Papst mit Cesare nach Nepi und Civita Castellana, und wiederum vertrat Madonna Lucrezia seine Stelle im Vatikan.

Der Sturz Aragons, die Frevel, welche ihn begleiteten, die Anwesenheit Cesares, die schamlose Erhöhung des Hauses Borgia und endlich das beispiellose Glück dieser Menschen: all dies schien damals in Rom wie im Palast des Papsts auch die letzte Schranke entfernt zu haben, welche Vorsicht zwischen dem Verbrechen und seiner Öffentlichkeit zu halten pflegt.

Die Vermählung Lucrezias mit dem Erbprinzen von Ferrara, Witwer durch den Tod der Anna Sforza, war auf das Begehren des Papsts durch den König von Frankreich zustande gebracht, welchem sich die Este ganz ergeben hatten. Dies älteste Haus Italiens konnte sich durch die Verbindung mit der Bastardtochter Borgias, einer schon dreimal vermählten Dame von zweideutigem Ruf, nur verunehren, doch Furcht zwang Ercole und seinen Sohn, trotz der Abmahnung des Kaisers nach langem Sträuben endlich einzuwilligen. Der Papst selbst gewann an Ferrara eine Stütze für Cesare. Er hoffte, ihm Florenz zu erobern, und für diese Unternehmung schlug der ferrarische Orator Pozzi sogar den Erbprinzen Alfonso vor.

Zur Einholung seiner Gemahlin kamen dessen jüngere Brüder Sigismund, Ferdinand und der Kardinal Hippolyt. Diese Herren, viele hundert Pferde stark, hielten bei Ponte Molle; dort empfingen sie die Magistrate der Stadt mit zweitausend Reitern und Volk zu Fuß. Sodann erschien Cesare auf einem Pferde, dessen Schmuck 10 000 Dukaten Wert besaß. Ihm zogen vorauf zweitausend Mann und folgten andere zweitausend. An der Porta del Popolo warteten neunzehn Kardinäle, von denen jeder ein Hofgefolge von zweihundert Reitern mit sich führte. Zwei Stunden lang dauerten die Zeremonien der Begrüßung, dann rückte diese festliche Kavalkade, ein ganzes Heer, unter dem Donner der Geschütze nach dem Vatikan.

Die Vermählung durch Prokura Fernandos von Este wurde am 28. Dezember vollzogen. Klänge der Musik riefen Lucrezia aus ihrem Palast am St. Peter. Die bezaubernde Tochter Alexanders erschien in einem goldbrokatenen Gewande, dessen Schleppe junge Ehrendamen trugen, gefolgt von fünfzig edlen Römerinnen. Ihr goldfarbenes, über die Schultern herabwallendes Haar umschlang nur ein dünnes Band von schwarzer Seide; ihren Hals eine Perlenschnur. So wurde sie von den Brüdern Este zu ihrem Vater in die Aula Paolina geführt, wo die Zeremonie vor dreizehn Kardinälen stattfand. Der Kardinal Hippolyt reichte der schönen Schwägerin kostbare Ringe und ein Kästchen dar, worin ein funkelnder Brautschmuck von Juwelen, das Fideikommiß des stolzen Hauses Este, lag. Nach dem Vermählungsfest und Bankett wurden mehrere Tage hindurch Wettrennen, Turniere, Stierjagden und Komödien aufgeführt, auf Kosten der murrenden Stadt Rom.

Am 6. Januar 1502 verließ Lucrezia mit ihrem Ehrengefolge den Vatikan. Der päpstliche Hof, die Kardinäle, die Gesandten, Edle und Volk geleiteten sie durch die Porta del Popolo. Der Kardinal von Cosenza, Francesco Borgia, übernahm die artige Pflicht, Madonna als Reise-Legat durch den Kirchenstaat zu führen. Sechshundert Reiter beschützten sie. Der Reisezug wurde überall auf Kosten der Städte nicht allein verpflegt, sondern durch Schaugepränge geehrt. In Foligno stellte man Triumphwagen dar mit der Geschichte des Paris: dieser mythische Prinz widerrief voll Galanterie sein klassisches Urteil; er erkannte jetzt Lucrezia den Apfel zu, weil sie alle Göttinnen an Schönheit übertreffe. Von Spoleto ab geleitete sie der Herzog von Urbino, Cesare zu gefallen, der ihm diesen Ritterdienst bald genug lohnen sollte. In Bologna empfingen sie die Bentivogli: Furcht erpreßte überall diese Ehren und prachtvollen Feste.

Als Lucrezia am 2. Februar in Ferrara wie eine Königin einzog, kam sie nicht mit leeren Händen. Außer ihrer Aussteuer von 100 000 Golddukaten brachte sie dem Gemahl als Geschenk ihres Vaters die Städte Cento und Castel della Pieve und noch mehr, die Sicherheit seiner eigenen Staaten. Ferrara feierte Vermählungsfeste märchenhafter Pracht, wobei der ganze Olymp des Heidentums in Bewegung gesetzt ward. Aber die hochzeitliche Stimmung war gezwungen und kalt. Die Tochter Borgias nahm eine peinvolle Vergangenheit mit sich, und sie fand Gerüchte vor, deren bloßes, auch unbegründetes Dasein jedes edle Weib in sinnverwirrende Schwermut hätte stürzen müssen. Sie konnte froh sein, Rom mit dem minder lasterhaften Ferrara vertauscht zu haben, und hier überdauerte sie den Sturz der Borgia. Wenige Frauen der Geschichte haben einen so tiefen Reiz auf die Phantasie der Mitwelt und Nachwelt ausgeübt als dieses junge Weib, welchem nur die großen Verhältnisse fehlten, um zu einer Kleopatra zu werden. Die Gestalt dieser Tochter eines Papsts zwischen dem furchtbaren Vater und Bruder, halb ihr tragisches Opfer und des Mitleids wert, halb eine verführerische Sirene, endlich eine büßende Magdalena, bezauberte stets die Einbildungskraft durch die Mysterien, welche sie umgeben und in deren Dunkel Schuld und Unglück miteinander streiten, während der Hintergrund für diese aufregende Erscheinung der Vatikan in Rom ist. Lucrezia Borgia entsagte als Herzogin von Ferrara den Leidenschaften ihres früheren Lebens; sie ergab sich, wie ihre Mutter Vanozza, christlicher Andacht und Werken der Frömmigkeit. So lebte sie ruhige Jahre neben Alfonso, dem sie mehrere Kinder gebar, bis zu ihrem Tode am 24. Juni 1519. Doch hat niemand während dieser Zeit in ihre Seele geblickt, wo die schrecklichen Schattenbilder ihrer Erinnerung schwerlich je zur Ruhe kamen.

Cesare blieb jetzt der alleinige Gebieter über den Willen seines durch ihn isolierten Vaters. Diesen selbst setzte er zu seinem Werkzeuge herab. Er war damals der unumschränkte Tyrann des von seinen Häschern und Spionen erfüllten Rom. Ihn auch nur mit Worten zu beleidigen, war Majestätsverbrechen. Eine Maske büßte ihre Freiheit mit einer abgehauenen Hand und der Zunge, welche an jene geheftet wurde. Einen Venetianer, der ein Pamphlet verbreitet haben sollte, vermochte der Botschafter Venedigs nicht zu retten: er ward erwürgt und in den Tiber geworfen. Der Papst selbst, sonst in solchen Dingen unempfindlich, tadelte bei dieser Gelegenheit seinen Sohn. Was er sagte, ist sehr merkwürdig. Der Herzog, so erklärte er dem Botschafter, ist ein gutmütiger Mensch, aber Beleidigungen kann er nicht ertragen. Ich habe ihm manchmal gesagt, daß Rom eine freie Stadt sei und hier jeder schreiben und reden dürfe, was er wolle. Es wird ja auch von mir übel gesprochen, doch ich lasse das auf sich beruhen. Der Herzog entgegnete mir: wenn Rom gewohnt ist, zu schreiben und zu reden, so ist es gut, aber ich will solche Leute schon Reue lehren. Der Papst erinnerte endlich daran, wie vielen er selbst verziehen habe, zumal bei der Invasion Karls VIII. so vielen Kardinälen, welche der König selbst seine Verräter nannte. Ich hätte, so sagte er, den Vizekanzler und den Kardinal Vincula umbringen können, doch ich habe niemand wehe tun wollen, und vierzehn großen Herren habe ich verziehen.

Am 17. Februar schiffte er mit seinem Sohne und sechs Kardinälen nach Piombino. Er wollte die Festungen sehen, welche Cesare dort bauen ließ, und vielleicht auch erkunden, was man wegen Pisa und Florenz wagen dürfe. Ruhig konnte er Rom verlassen; denn nie erhob sich die Stadt weder im Namen der Sittlichkeit noch der Freiheit gegen die Borgia. Er nächtigte in Palo, dann in Corneto, wo er den Palast Vitelleschis bezog. Man gab ihm Feste in Piombino; er sah dem Tanz schöner Weiber zu, was er schon als junger Kardinal zu sehen geliebt hatte. Am 25. Februar schiffte er auch nach Elba, am 1. März segelte er wieder von Piombino ab. Das stürmende Meer drohte ihn bei der Heimkehr an denselben Küsten zu verschlingen, wo er einst bei seiner Rückkehr von der spanischen Legation Schiffbruch gelitten hatte. Mit Not erreichte er Porto Ercole. Er verschmähte hier, ein englisches Schiff zu besteigen, welches ihn sicher durch den Sturm geführt hätte. Das Meer ging noch hoch, als er am 5. März weiterfuhr; aber ruhig saß er an Bord und verzehrte Fische, die man ihm vorlegte. Über Palo, wo er nächtigte, setzte er seine Reise nach Rom zu Pferde fort. Am 11. März kam er zurück. Niemand begrüßte ihn, weil es Nacht war und er nicht empfangen sein wollte. Nur die Familie des Palasts ließ Trompeten und Pfeifen erschallen.

In Rom bewehrte Alexander damals die Engelsburg mit Geschütz, welches er aus dem Inventar des Exkönigs Federigo von Ischia für 50 000 Dukaten gekauft hatte. Dieses Kastell war nach der Pulverexplosion hergestellt und jetzt neben der Torre di Nona das schreckliche Gefängnis, worin Hunderte von Opfern der Borgia schmachteten. Es saß noch darin der junge Astorre Manfredi, mit ihm sein Bruder Oktavian und andere Unglücksgefährten. Am 9. Juni zog man ihn und diese aus dem Tiberstrom, wohin Cesare die Erwürgten hatte werfen lassen. Wohl hat kein anderes Opfer dieses Ungeheuers ein gleiches Mitleid verdient, als der schuldlose und schöne Jüngling von Faenza.

Sodann verließ Cesare Rom am 13. Juni (1502), um sein blutiges Werk in der Romagna fortzusetzen. Viel war gelungen, viel noch zu tun. Das römische Gebiet samt der Stadt gehorchte jetzt, in Grabesstille versenkt, den Borgia. In Latium war die Macht aller Barone zertrümmert; sie wanderten als Exilierte in der Welt umher. In Tuszien standen die Orsini zu den Borgia; doch auch ihre Stunde sollte schlagen. In Mittelitalien besaß Cesare schon einen großen Teil der Romagna, deren Landschaften die eiserne Hand seines gräßlichen Statthalters Don Ramiro d'Orco niederhielt. In der Maremma bildete Piombino die Grundlage für Pläne gegen Pisa und Florenz. Am Po deckte Cesare das verschwägerte Haus der Este. Nun galt es, mit aller Kraft um sich zu greifen und dann als König auf den Thron Mittelitaliens zu steigen.

Die letzte Hälfte des Jahres 1502 und die erste des folgenden umfassen das fürchterliche Schauspiel der Taten Cesares diesseits wie jenseits des Apennin. Er erscheint darin in der Gestalt eines Würgeengels von so höllischer Arglist, daß sie über die Abgründe menschlicher Natur schaudern macht. Aber seine Opfer wecken kaum das Mitgefühl. Die meisten waren in ihrer eignen Sündenblüte reif für die Sichel eines solchen Schnitters. Diese kleinen Tyrannen glichen alle in ihren Kreisen Cesare Borgia an Tücke und Bosheit. Die gräßliche Tragödie der Baglioni in Perugia, die Blutnacht am 14. Juli 1500, wo Carlo Barciglia seinen Verwandten Guido, dessen Söhne Astorre und Gismondo und andere im Schlaf ermordete, und die furchtbare Rache, welche darauf Giampolo nahm, sind hinreichend, zu zeigen, in wie hohen Blutwogen damals der Frevel italienischer Dynasten ging, und daß er einen Würger forderte, wie Cesare war.

Erst bemächtigte er sich Urbinos durch den frechsten Betrug, nach dem Muster jenes von Consalvo in Neapel verübten. Guidobaldo, getäuscht durch Briefe des Papsts und seines Sohns, entwaffnete sich selbst, um diesen mit Truppen zu unterstützen, und sah dann den Verräter plötzlich als Feind in Cagli stehen. Er entfloh über Berge und Flüsse irrend, bis er Mantua erreichte. Auf andern Wegen rettete sich sein junger Erbe Francesco Maria Rovere. Am 21. Juni 1502 besetzte Cesare den ganzen wehrlosen Staat Urbino. Er selbst ging nach Urbino, wo er sich in dem prachtvollen Palast Federigos aller Kostbarkeiten bemächtigte. Man schätzte sie auf 150 000 Dukaten. Auch die reiche Bibliothek ließ er zum Teil einpacken und nach Cesena fortschaffen, wo er selbst bereits eine Bibliothek gesammelt hatte. Durch gleichen Verrat erlangte er Camerino. Den dortigen Dynasten Giulio Cesare Varano, den Mörder seines Bruders Rodolfo, ließ er nebst zwei Söhnen ins Gefängnis werfen. Von jetzt ab nannte er sich: Cesare Borgia von Frankreich, durch Gottes Gnade Herzog der Romagna und von Valence und Urbino, Fürst von Andria, Herr von Piombino, Gonfaloniere und Generalkapitän der heiligen römischen Kirche. Die Städte zitterten, die Magistrate krochen vor ihm im Staube. Schmeichler erhoben ihn als neuen Caesar zu den Sternen. Sein Regiment war kraftvoll und gut. Zum ersten Male genoß die Romagna Ruhe und Freiheit von ihren Blutsaugern. Im Namen Cesares verwaltete die Justiz Antonio da Monte Sansovino als Präsident der Ruota von Cesena, ein allgemein beliebter Mann. Es war auch damals, wo einer der größten Geister Italiens es nicht verschmähte, in seine Dienste zu treten: Leonardo da Vinci wurde sein Architekt und Ingenieur und sollte für ihn die Festungen der Romagna ausbauen. Diesen Kraftmenschen zog vielleicht die dämonische Natur Cesares an, und außerdem hatte er schon im Dienst des Lodovico Sforza Schreckliches genug erlebt. Die Menschen von damals atmeten eine andere moralische Luft als wir.

Bei seinen Unternehmungen unterstützten den Herzog viele kleine Dynasten in seinem Solde, wie Vitellozzo Vitelli und die Orsini. Vitellozzo, am 1. Mai 1502 vom Papst zum Grafen von Montone erhoben, Todfeind der Florentiner, hatte schon im Juni Arezzo genommen und eroberte im Juni auch Borgo S. Sepolcro im Namen Cesares. Giampolo Baglione, die verbannten Medici und Pandolfo Petrucci, erster Tyrann Sienas, verbanden sich mit ihm zum Verderben von Florenz. Unter dem Vorwande, die Medici zurückzuführen, wollte sich Cesare Toskanas bemächtigen. Die Florentiner riefen den Schutz Frankreichs an und Ludwig XII., der das Umsichgreifen des Emporkömmlings mit Mißmut betrachtete, gebot ihm auch diesmal Halt, indem er Truppen nach Toskana schickte.

Eilboten verkündigten jeden Erfolg des Sohnes dem Papst. Er ließ die Stadt beleuchten, als er den Fall Camerinos vernahm. Damals starb gerade der Kardinal Ferrari, ein Mensch von harpyenhafter Raubsucht und zuvor das tätigste Werkzeug des Papsts in Finanzgeschäften. Seine Reichtümer wurden die Beute der Borgia, nachdem ihr unfehlbares weißes Pulver ihn getötet hatte. Auf den Sarg des Kardinals regnete es Grabschriften; man streute sie im Vatikan aus. Burkard hat fünfundzwanzig der witzigsten gesammelt, und noch heute versetzen sie den Leser in die Stimmung der Zeit. Niemand war mehr im Vertrauen Alexanders gewesen als dieser Modenese; er durfte, einige Monate vor seinem Tode, es wagen, dem Papst ein Libell vorzuweisen, welches gegen diesen selbst geschrieben war, und vielleicht wurde ihm diese Dreistigkeit verhängnisvoll. Die Anklageschrift kam, wie es hieß, aus Deutschland in Gestalt eines gedruckten Briefs, welchen ein verbannter Römer aus dem spanischen Lager vor Tarent an Silvio Savelli gerichtet hatte, der sich am Hofe Maximilians im Exil befand. Burkard hat diese Schrift gleichfalls aufbewahrt; sie ist ein authentisches Aktenstück über die Zustände Roms unter dem Regiment der Borgia. Keine andere Schrift hat die Frevel dieser Menschen, ihre Politik im Großen und Kleinen und den Schrecken so treffend gezeichnet, unter dem die von Meuchelmördern erfüllte Stadt damals bebte. Der Verfasser, vielleicht ein Colonna, rief am Schlusse die Fürsten Europas auf, die Welt von dieser Pest zu befreien.


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