Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel

1. Leo VI. und Stephanus VII. Der Sohn Marozias besteigt als Johannes XI. den Päpstlichen Stuhl. Der König Hugo. Marozia bietet ihm ihre Hand und Rom an. Ihre Vermählung. Die Engelsburg. Revolution in Rom. Der junge Alberich bemächtigt sich der Gewalt.

Zwei schattenhafte Päpste folgten auf Johann X., ohne Zweifel Kreaturen der jetzt allmächtigen Marozia, welche ihren eigenen Sohn wegen seines jungen Alters auf den Stuhl Petri noch nicht erheben durfte. Leo VI., Sohn des Primicerius Christophorus, war nur wenige Monate lang Papst, während sein gewaltsam abgesetzter Vorgänger noch im Kerker schmachtete. Nach ihm wurde Stephan VII., Römer wie er, auf den Apostolischen Sitz erhoben. Obwohl er diesen über zwei Jahre, bis zum Februar oder März 931, behauptete, sind doch seine Handlungen unbekannt; und in so tiefes Stillschweigen war das Dasein dieser beiden Päpste verloren, daß selbst ihr jüngerer Zeitgenosse Liutprand sie übersehen und auf Johann X. gleich Johann XI. folgen lassen konnte. Mit diesem Papst aber begann die unumschränkte Herrschaft Marozias.

Johann XI. war der Sohn dieser berüchtigten Römerin, welche sich Senatrix, selbst Patricia nennen ließ, weil sie in der Tat die weltliche Herrin der Stadt war und auch die Päpste ernannte. Man hielt für seinen Vater Sergius III., was indes ungewiß ist. Ein Weib tyrannisierte jetzt die Kirche und Rom. Damals war ihr zweiter Gemahl, Guido von Tuszien, welchen die Römer ohne Zweifel zum Patricius ernannt hatten, gestorben, seine Markgrafschaft aber an dessen Bruder Lambert gefallen. Kaum verwitwet, sann Marozia auf eine dritte Ehe, und ihre immer kühneren Wünsche erhoben sich bis zu Hugo, dem Könige Italiens. Lambert war jung und kräftig und nach großen Dingen begierig; er wurde deshalb eben diesem Fürsten gefährlich, welcher sich beeilte, ihn zu beseitigen und die dargebotene Hand der Patricia Roms zu ergreifen.

Ränkevoll und arglistig, wollüstig und habgierig, kühn und gewissenlos, mit den treulosesten Mitteln danach strebend, sein italienisches Königtum zu erweitern, war Hugo der wahre Repräsentant jener Zeit. Staat und Kirche zeigten sich in Frankreich wie in Italien in der tiefsten Auflösung begriffen, während Deutschland nur flüchtig von dieser romanischen Pest berührt wurde. Weil es das Prinzip der Sittlichkeit und des Rechts in sich bewahrte, wurde dieses Land dazu berufen, das Reich Karls samt der Kirche wiederaufzurichten. Aber noch war die Zeit nicht reif, und Italien sollte bis zum äußersten Verfalle gebracht werden. Wäre es uns erlaubt, lange außerhalb Rom zu verweilen, so würden wir dartun, wie jener Hugo die Bistümer und Abteien Italiens verkaufte, mit frechen Günstlingen besetzte, jeder Begier den Zügel nahm und jedes Gefühl für das Recht erstickte. Der Bischof Liutprand lebte als Page am Hof dieses Königs in Pavia, welchen er durch den Wohlklang seiner Stimme gewonnen hatte; es war hier, wo er die Neigung zum frivolen und geistreichen Wesen einsog, die seinen Schriften zum Teil aufgedrückt ist. Er hat den Tyrannen Hugo so mit Lob ausgezeichnet wie später Machiavelli den Cesare Borgia. Dankbarkeit, politische Absicht und die Erinnerung an jene höfischen Jugendjahre beeinflußten sein Urteil; er rühmte Hugo als klug, kühn und freigebig, die Geistlichen und die Wissenschaften liebend, und nannte ihn dreist einen Philosophen. Außerordentliche Gaben besaß dieser Fürst gewiß; seine Zügellosigkeit bedeckte er mit ritterlichen Formen; er verkehrte sogar viel mit Heiligen wie Odo von Cluny und war zugleich der frechste Lüstling seiner Zeit. Selbst ein Liutprand, in dessen Augen alle Frauen nur Metzen zu sein schienen, mußte seine sinnlichen Ausschweifungen tadeln, aber er fand Wohlgefallen an dem Witze des Volks, welches den Mätressen Hugos Namen von Göttinnen beilegte; denn Pezola hieß Venus, Rosa Juno und die schöne Römerin Stephania Semele. Die Verbrechen Hugos machten bei dem gewissenlosen Bischof nicht jede Stimme der Wahrheitsliebe stumm; er selbst berichtet, daß die Absicht des Königs auf die Hand Marozias ihn zur Beschimpfung seiner eigenen Mutter verleitete. Die kanonischen Gesetze untersagten die Ehe zwischen Verschwägerten als Blutschande, und Marozia war die Gemahlin von Hugos Stiefbruder Guido gewesen. Als es nun nichts fruchtete, daß er öffentlich erklärte, die drei Kinder seiner Mutter Berta seien untergeschoben, weil Lambert nach der Sitte jener Zeit durch einen Zweikampf als Sieger seine legitime Abkunft erwiesen hatte, so lockte Hugo eines Tags seinen Stiefbruder in sein Netz. Er ließ ihn blenden, stieß ihn in den Kerker und verlieh die Markgrafschaft Toskana seinem Bruder Boso (von demselben Vater). Sodann machte er sich nach Rom auf, die Hochzeit mit Marozia zu vollziehen, wozu ihm der Tod seines Weibes Alda die Hand freigegeben hatte.

Die ehrgeizige Marozia setzte sich über alle religiösen Bedenken hinweg, denn sie hatte weder Zensur noch Bannstrahl von einem Papst zu fürchten, der ihr eigener Sohn war. Bald nach Guidos Tode hatte sie Boten an Hugo geschickt, ihm ihre Hand und den Besitz Roms anzutragen, wo die weltliche Gewalt dem Papst nicht mehr gehörte. Sie selbst fühlte sich in der Herrschaft der Stadt nicht sicher, ein Weib konnte mit Hilfe von Männern, ihren Vasallen oder Anbetern, vorübergehend eine Rolle spielen, aber sie mußte fürchten, daß die beschämten Römer über lang oder kurz ein so schimpfliches Joch abwerfen würden. Ihrem grenzenlosen Ehrgeiz schmeichelte der Gedanke, den Titel Senatrix oder Patricia mit dem einer Königin zu vertauschen, und sie sah sich bereits im Purpur der Kaiserin glänzen, denn ihr Sohn, Johann XI., durfte sich nicht weigern, seinem baldigen Stiefvater, dem Könige Italiens, die Kaiserkrone aufs Haupt zu setzen. Die Ereignisse, die jetzt eintraten, gaben der Geschichte Roms einen neuen Charakter; sie führten zum erstenmal zu einer Tyrannis wie im Altertum in den Städten Griechenlands oder im späteren Mittelalter in denen Italiens.

Als Hugo im März 932 an der Spitze eines Heers vor der Stadt eintraf, ließ er, dem Beispiele seiner Vorgänger oder den Gesetzen Roms folgend, seine Truppen außerhalb der Mauern ein Lager beziehen. Er selbst zog mit einem Gefolge von Rittern ein, umgeben vom Klerus und Adel, die ihn mit königlichen Huldigungen begrüßt hatten. Die Vermählung mit Marozia sollte in einem antiken Grabmal gefeiert werden, worin Hochzeitssaal und Brautkammer bereitet waren. Dies Grabmal, die damalige Stadtburg, war jenes des Kaisers Hadrian, dessen porphyrner Sarkophag noch in der Gruftkammer stand. Es gibt kein Gebäude in der Welt, welches eine gleich wechselvolle, tragische Geschichte aufzuweisen hätte wie die Engelsburg, und sie hat noch nicht ausgespielt, sondern wird sich noch durch lange, aber wohl nicht mehr finstere Jahrhunderte fortsetzen. Wir haben das Mausoleum Hadrians seit Honorius oft in der Geschichte der Stadt genannt und zuletzt von ihm geredet, als der Papst Gregor I. über diesem Monument die himmlische Vision des Erzengels erblickte. Wohl schon im VIII. Jahrhundert hatte man zur Erinnerung an sie auf seiner Spitze dem St. Michael eine Kirche gebaut, die von ihrer Lage St. Angeli usque ad coelos, bis zum Himmel, hieß. Der Kultus des Erzengels war damals schon weit verbreitet, und seit dem Anfange jenes Jahrhunderts bestand auch sein Heiligtum in Avranches. Zur Zeit Marozias war die ursprüngliche Bestimmung der Engelsburg fast vergessen, denn sie diente seit Jahrhunderten als Kastell und war das festeste Schloß Roms. Es ist daher merkwürdig, daß Liutprand, der die Moles Hadriani mit Augen sah, sie nur noch schlechtweg Festung nennt, ohne ihr auch nur den Namen Hadrianeum zu geben. Ebensowenig nannte er sie das Haus Theoderichs, mit welchem Namen das Mausoleum von ihm gleichzeitigen fränkischen Chronisten benannt wurde. Indem er die Geschichte jener Ereignisse schrieb, lag es ihm wie dem Procopius, als dieser vom Sturm der Goten erzählte, nahe, diese Burg zu beschreiben; aber der Blick für das Altertum war erloschen, und Liutprand wußte nur dies zu sagen: »Am Eingange der Stadt Rom steht eine Festung von bewundernswerter Arbeit und Stärke; vor ihrem Tor ist eine köstliche Brücke über den Tiber gebaut, welche diejenigen überschreiten, die in Rom ein- und ausgehen, wenn es die Festungswache erlaubt. Die Festung selbst, um vom übrigen zu schweigen (dies ist eben unser Kummer!), ist so hoch, daß die auf ihrer Spitze sichtbare, dem Erzengel Michael erbaute Kirche St. Angeli bis zum Himmel genannt wird.« Das Grabmal mußte also noch herrlich genug aussehen, noch viel von seiner Marmorbekleidung haben. Man las sicherlich noch die Inschriften der dort begrabenen Kaiser, welche der Mönch von Einsiedeln abgeschrieben hatte; aber die Zeit hatte wohl kaum eine seiner Statuen oder Säulenreihen anders als in kläglichen Resten übriggelassen, und schwerlich standen auf der Brücke Hadrians noch jene Bildsäulen, welche sie einst verzierten.

Hugo wurde in die Engelsburg eingelassen und vollzog seine Vermählung mit Marozia, die wahrscheinlich ihr eigener Sohn, der Papst Johann XI., einsegnete. Die Chronisten schweigen von den Festlichkeiten dieser seltsamen Hochzeit; sie berichten sonderbarerweise nicht ein Wort von den Anstalten zur Kaiserkrönung. Wenn diese, wie nicht zu bezweifeln ist, im Werke war, so machte sie ein plötzlicher Umschwung der Dinge in Rom unmöglich. Hugo, im Besitz der Burg und seine nahe Erhebung vor Augen, begann hochfahrend den Herrn zu spielen: er behandelte die römischen Großen mit Geringschätzung, er beleidigte tödlich seinen jungen Stiefsohn Alberich, welcher die Vermählung seiner Mutter hassen mußte, weil sie ihm selbst im Wege stand. Der ränkevolle Hugo hatte schon den Plan gefaßt, sich bei passender Gelegenheit des jungen Römers zu entledigen, und Alberich fürchtete dies. Von seiner Mutter angehalten, dem Stiefvater Pagendienste zu leisten, goß der Jüngling eines Tages mit trotzigem Ungeschick das Waschwasser über die Hände des Königs aus. Er erhielt einen Schlag ins Gesicht, er stürzte aus der Engelsburg, rief racheflammend die Römer zusammen und begeisterte sie durch eine Rede, worin er ihnen zeigte, daß es eine unwürdige Schmach sei, einem Weibe zu gehorchen und sich von Burgundern, rohen Barbaren und ehemaligen Sklaven Roms, beherrschen zu lassen. Er gab seinen Worten durch die Erinnerung an die Größe des alten Rom Nachdruck, und diese Reminiszenzen, hier unsterblich wie die Monumente der Vergangenheit, entzündeten stets in ähnlichen Lagen die Römer, wie zur Zeit Alberichs, so zur Zeit des Crescentius, des Arnaldo, des Cola di Rienzo, des Stefano Porcári und der Republikaner von 1798 und 1848. Die längst zum Aufstande vorbereiteten Römer wurden zur Wut hingerissen. Die Sturmglocken lärmten; das Volk griff zu den Waffen, es verrammelte die Tore der Stadt, den Truppen Hugos das Einrücken zu verwehren; es stürmte die Engelsburg. Hugo und Marozia fanden sich im Grabmal Hadrians eingeschlossen. Ohne Hoffnung, sich gegen die Belagerer lange zu halten, beschloß der König die Flucht; er ließ sich nachts wie ein flüchtiger Galeerensklave an einem Seil von der Burg auf die Leonische Stadtmauer hinab, und froh, dem Tode entronnen zu sein, eilte er ins Lager seiner Truppen, von wo er dann aufbrach, mit Schimpf und Schande nach der Lombardei abzuziehen, hinter sich lassend seine Ehre, sein Weib und eine Kaiserkrone.

Dies unerwartete Ende fand das königliche Hochzeitsgepränge Marozias in Rom. Die Stadt aber war frei und voll Jubel. Mit einemmal hatten die Römer das Königtum, das Kaisertum, die weltliche Gewalt des Papsts von sich geworfen und die städtische Unabhängigkeit erlangt. Sie ernannten Alberich zu ihrem Fürsten, und die erste Tat des jungen Herrschers von Rom war, daß er seine Mutter in ein Gefängnis verschloß und seinen Bruder, den Papst Johann XI., im Lateran bewachen ließ.


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