Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Stephans IX. Pläne und sein Tod. Benedikt X. Nikolaus II. Hildebrand holt normannische Hilfe., Das neue Wahldekret. Fortschritte der Normannen. Sie leisten dem Papst den Lehnseid. Sturz Benedikts X.

Während Stephan IX. mit aller Kraft die Reform betrieb, trug er sich zugleich mit kühnen weltlichen Plänen. Das deutsche Königtum sollte aus Italien verdrängt, ein italienisches Reich unter Gottfried errichtet, der Kirchenstaat erweitert werden. Sein fürstlicher Sinn zeigt sich klar in der Legende »Felix Roma«, welche eins seiner Bleisiegel trägt; nach einer langen Periode schmückte so ein Papst die altersgraue Roma wieder mit einem Titel, den ihr zum letztenmal der Gote Theoderich gegeben hatte. Die Normannen haßte Stephan, denn er war Leos IX. Unglücksgefährte bei Civitate gewesen; er hoffte mit den Waffen seines Bruders Rache zu nehmen und dann die Ansprüche der Kirche auf Süditalien zu verwirklichen. Aber er selbst war mittellos, er forderte deshalb die Geschenke des Kaisers Constantin zurück, welche er einst aus Byzanz mit sich gebracht und in Monte Cassino niedergelegt hatte; selbst den Klosterschatz jener Abtei begehrte er. Die Mönche brachten weinend ihr Silber und Gold nach Rom, indes der Papst stellte ihnen ihren Schatz wieder zurück. Aufregung verzehrte sein Leben mitten unter riesigen Entwürfen; er wollte nach Florenz zu seinem Bruder; bevor er abreiste, verpflichtete er die Römer, im Falle seines Todes keine Wahl vorzunehmen, ehe Hildebrand aus Deutschland zurückgekehrt sei. Und kaum in Florenz angekommen, starb er am 29. März 1058. Wenn Stephan IX., ein Mann von großer Natur, länger Papst gewesen wäre, so würde er im Verein mit seinem Bruder Italien eine andere Gestalt gegeben haben. Mit ihm endete die Reihe von fünf deutschen Päpsten, die seit Clemens II. den Stuhl Petri bestiegen hatten.

Sein Tod veranlaßte sofort eine Reaktion des Adels in der Stadt und dem Stadtgebiet. Die tuskulanische Partei ergriff die Gelegenheit, Patriziat und Papstwahl wieder an sich zu reißen; selbst die Crescentier vereinigten sich mit ihr, und alle Faktionen, welche die Reformstrenge der fremden Päpste hervorgerufen hatte, alle die erbitterten Gegner Hildebrands unter dem beweihten simonistischen Klerus erhoben sich. Haupt der tuskulanischen Familie war damals noch Gregor, Sohn Alberichs und Bruder Benedikts IX.; mit ihm verbanden sich der Graf Gerard von Galeria, Rainers Sohn, die Söhne des Grafen Crescentius von Monticelli bei Tivoli und viele vornehme Römer. Sie drangen nachts in die Stadt und erhoben am 5. April Johannes Mincius, den Kardinalbischof von Velletri, als Benedikt X. gewaltsam auf den Päpstlichen Stuhl. Die fliehenden Kardinäle, an ihrer Spitze Pier Damiani, schleuderten machtlos ihr Anathem auf die Eindringlinge; Rom erscholl vom Tumult des bewaffneten Überfalls, und das mit Gold, selbst mit dem geplünderten Schatz St. Peters beglückte Volk huldigte wieder einem tusculanischen Adels-Papst.

So war das mühsame Werk so vieler Konzile plötzlich zerstört; die Kapitäne der Campagna besaßen wieder die patrizische Gewalt, und das ganze Jahr 1058 saß Benedikt X. als Papst im Lateran. Gottfried von Toskana hinderte ihn nicht; aber die Kaiserin Agnes schickte Hildebrand als ihren Bevollmächtigten im April nach Florenz. Er verständigte sich auf einer Synode zu Siena mit Gottfried und Beatrix in der Wahl des Florentiner Bischofs Gerhard am 18. Dezember. Die augenblickliche Not zwang die Priesterpartei, die Bestätigung der deutschen Regentschaft zu erbitten, und selbst der römische Adel von der den Tusculanen feindlichen Faktion hatte Gesandte nach Deutschland geschickt und erklärt, dem einst Heinrich III. geleisteten Eide unter allen Umständen treu bleiben zu wollen. Nun trug die Kaiserin Gottfried auf, den Gewählten nach Rom zu führen; der Markgraf rüstete ein Heer, aber wie zur Zeit Heinrichs III. sollte erst in Sutri ein Konzil gehalten werden.

Wibert, Kanzler und seit dem Tode Victors II. kaiserlicher Vikar in Italien, begleitete den Herzog nach Sutri, wo die Absetzung Benedikts am Ende des Jahrs ausgesprochen und Gerhard in aller Form anerkannt wurde. Man brach sodann nach Rom auf, und hier waren die Kapitäne entschlossen, ihren Papst tapfer zu verteidigen. Indes, es gelang Hildebrand, einen Teil der Römer, selbst aufständische Grafen zu bestechen, und ehe sich noch das Heer Rom. näherte, kämpften dort die Parteien mit wilder Wut. Die Trasteveriner oder ihr Haupt jüdischer Abkunft, Leo de Benedicto Christiano, öffneten das Tor, worauf die Truppen Gottfrieds die Leonina und die Insel besetzten. Hildebrand enthob eigenmächtig den bisherigen Präfekten Petrus seines Amts und gab dies einem Edlen aus Trastevere, Johannes Tiniosus, während die Truppen des Markgrafen den Lateran erstürmten. Nun floh Benedikt X. ins Kastell Passarano, welches Regetellus, der Sohn des Präfekten Crescentius, besaß, und von dort nach einiger Zeit zum Grafen von Galeria.

Gerhard von Florenz, ein Burgunder, wurde demnach am 24. Januar 1059 ungehindert als Nikolaus II. eingesetzt, worauf Hildebrand nach Kampanien eilte, ein vorläufiges Bündnis mit den Normannen schloß und 300 ihrer Ritter mit sich nach Rom führte. Sie verbanden sich mit den päpstlichen Söldnern, bestürmten den Gegenpapst in Galeria, mußten jedoch die Belagerung des Kastells aufheben, um später verstärkt wiederzukehren.

Der plötzliche Umsturz ihres Systems durch den Stadtadel verdoppelte die Energie der Reformpartei unter der Führung Hildebrands, des jetzt allmächtigen Ministers in Rom. Nun mußte die Befreiung der Papstwahl vom Einfluß des römischen Adels und, wenn möglich, auch der deutschen Krone durchgesetzt werden. Nikolaus II. versammelte daher (im April 1059) 113 fast nur italienische Bischöfe zu seinem ersten Konzil: der Adelspapst Benedikt X. wurde hier verdammt, das Verbot der Priesterehe und Simonie erneuert, endlich ein neues Gesetz über die Papstwahl erlassen.

Dies berühmte Dekret von der Hand und aus dem Geiste Hildebrands erhob das Kollegium der römischen Kardinäle zu einem kirchlichen Senat, aus dessen Mitte die Päpste mit der Zeit allein hervorgehen mußten. Es bestimmte, daß jene nach ihren Graden als Bischöfe des Stadtgebiets, als Presbyter und Diakonen der römischen Titelkirchen die eigentliche Wahl vornehmen sollten, welcher hierauf Klerus und Volk nur beizustimmen hätten.

Während also der Stadtadel die Ansprüche machte, noch immer der römische Senat zu sein, setzte der Papst diesen Konsuln oder Senatoren das Kardinal-Kollegium entgegen, und schon Damiani verglich seit jenem Wahldekret die sieben Kardinalbischöfe des Lateran mit dem Senat des alten Rom. Ein monarchischer Geist ergriff die Kirche, welche mehr und mehr die abgeschlossene Form eines politischen Körpers annahm. Zwar schloß das Dekret die drei alten Wahlstände ( Clerus, Ordo, Populus) noch nicht völlig vom Wahlrecht aus, aber die nachträgliche Zustimmung war seither nur eine traditionelle Form. Das Volk wurde von der Wahl hinweggedrängt, deren uralte demokratische Grundlage in der Gemeinde zerstört und die Ernennung des obersten Bischofs das Privilegium einer aristokratischen Priester-Minorität in Rom. Um endlich die Papstwahl der Gewalt städtischer Revolutionen zu entrücken, wurde festgesetzt, daß sie nicht mehr an das Lokal der Stadt gebunden sei, sondern daß selbst einer Minderzahl von Kardinälen es zustehe, an einem andern Ort den Papst kanonisch zu wählen. Auch könne er einer nicht römischen Kirche angehören.

Das patrizische Recht der deutschen Krone, welches der Kanzler Wibert nicht wollte schmälern lassen, wagte man noch nicht aufzuheben, doch es wurde mit Geschick beschränkt und zu einer nur persönlichen Ehre herabgesetzt. In zweideutigen Worten wurde gesagt, daß die Wahl durch die Kardinäle geschehen solle, »unbeschadet der schuldigen und schon zugesagten Ehrfurcht gegen unseren geliebten Sohn Heinrich, den gegenwärtigen König, und so Gott will, künftigen Kaiser, wie gegen seine Nachfolger, die vom Päpstlichen Stuhl dieses Recht persönlich würden erhalten haben.«

Nachdem im Lauf der Zeit der Kreis der Wählenden Schritt für Schritt sich verengert hatte, wurde die Wahl des obersten Bischofs der Christenheit in die Hände weniger römischer Kurbischöfe und Priester gelegt, die damals noch nicht den Purpur trugen, aber mit der Zeit die weltliche Herrschaft mit dem Papst als seine Pairs teilten und stolzer als die alten Senatoren den Rang geborener Fürsten beanspruchten. Die Konstitution dieses Kollegium war unter den Metamorphosen, welche die Kirche erlitt, vielleicht diejenige, wodurch ihre Verfassung von ihrem evangelischen Ursprunge am weitesten entfernt wurde. Obwohl ein natürliches Prinzip für das allgemeine Wahlrecht spricht, so setzt dessen praktische Ausübung doch entweder primitive Zustände oder eine allgemein gewordene Bildung voraus; und im Grunde werden zu jeder Zeit nur die wenigen Mächtigen oder Weisen in Wirklichkeit wählen und auch herrschen. Ein guter Patricius oder Kaiser wie Heinrich III. konnte gute Päpste wählen, eine einsichtige Wahl-Aristokratie dasselbe tun; kurz, das Wahlgesetz Nikolaus' II. konnte die Kirche nicht vor schlechten Päpsten bewahren, aber es wurde für die Freiheit des Papsttums von unermeßlicher Wichtigkeit. Es entzog den bedeutendsten Akt der städtischen Geschichte Roms für immer dem römischen Volk und sehr bald auch der kaiserlichen Gewalt. Beim Leben Heinrichs III. würde kein Papst diesen Schritt gewagt haben, doch die Kardinäle benutzten geschickter als die Patrizier und Senatoren aller Römer jede Pause der Erschlaffung des Deutschen Reichs, und das bewundernswürdige System der Hierarchie glich bald einer Riesenfestung von hundert konzentrischen Wällen, die sich gegenseitig deckten.

Ihre Kühnheit würde Nikolaus und Hildebrand besorgter gemacht haben, wenn sie nicht bereits des Schutzes von Bundesgenossen versichert gewesen wären. Zu jener Zeit, wo die römische Kirche ihren Kampf auf Leben und Tod mit dem deutschen Königtum voraussah, fand sie sich in einer Lage wie etwa während des Bilderstreites mit Byzanz. Um die Langobarden und die Exarchen abzuwehren, hatte sie Pippin und Karl, Emporkömmlinge und Usurpatoren, in ihrem Königtum bestätigt, nach Italien gerufen und zu Advokaten des Heiligen Stuhles gemacht. Jetzt von den deutschen Patriziern und vom römischen Adel zugleich bedroht, richteten die Päpste ihre Hoffnung auf eben jene Normannen, die noch im Banne der Kirche standen. Der Blick Hildebrands erkannte, daß dies aufstrebende Geschlecht eine Dynastie in Italien bilden werde und daß von ihr, wenn sie bedingungsweise anerkannt werde, zweierlei zu gewinnen sei: ein Vasallenstaat der Kirche und ein kräftiger Schutz gegen die Stadt Rom und das Deutsche Reich.

Seit ihrem Siege über Leo IX. hatten die Normannen schnelle Eroberungen gemacht; schon gehorchte ihnen fast ganz Apulien und Kalabrien. Der Plan Stephans IX., sie aus Italien zu vertreiben, zerfiel mit seinem Tode, und die Anarchie im Papsttum begünstigte die Unternehmungen des kühnen Robert Guiscard, der nach niedrigen Anfängen des Wegelagerers seit 1056 die normannische Soldatenrepublik in Apulien als Graf regierte, Nachfolger seines Bruders Humfried, dessen Söhne er treulos verdrängte. Die Ohnmacht des Kaisers in Byzanz, die Schwäche Deutschlands unter der Regentschaft, die Bedürfnisse des Papsttums, die eigenen der Normannen kamen zusammen, ein Reich zu gründen. Im Jahre 1058 entriß Richard von Aversa dem letzten Langobardenfürsten Capuas, Landulf V., diese berühmte Stadt. Bald nachher überwältigte Robert Guiscard das feste Troja, worauf der Papst Ansprüche erhob. Nikolaus II. tat ihn als Räuber des Kirchengutes in den Bann. Die Päpste, welche ihre Besitzungen durch Truppen zu verteidigen selten imstande waren, griffen schon seit dem IX. Jahrhundert mit Erfolg in das unerschöpfliche Arsenal lateranischer Bannstrahlen und verwandelten geistliche Strafen, die nur moralische Vergehen treffen sollten, dreist in Waffen ihrer irdischen Politik. Wenn auch eine Exkommunikation nicht immer wie ein Cherub mit dem Flammenschwert sich vor das bedrohte Patrimonium stellte, so machte sie doch die Angreifer bestürzt, denn ihre mystische Wirkung auf das Gemüt jener Zeit war mindestens so ängstigend wie die einer Sonnenfinsternis. Ein herrschsüchtiger Kriegsheld fürchtete vielleicht weniger für das Heil seiner Seele als das seiner geraubten und unter seinem Joch sich sträubenden Provinzen, welche der Papst ihm leicht verwirren konnte, wenn er den Räuber von Gottes wegen als rechtlos erklärte. Roberts Eroberungen waren außerdem groß genug, ein Reich zu bilden, welchem nach dem Glauben jener Zeit die päpstliche Anerkennung eine vollgültige und göttliche Berechtigung verlieh. Beide Teile, einander suchend, näherten sich. Zu Melfi, wo Nikolaus im Sommer 1059 ein Konzil hielt, stellten sich ihm die Sieger von Civitate dar, Richard von Aversa und Robert Guiscard, beide kühn, treulos und gewissenlos, mit Blut bedeckte Bandenführer, große Räuber, unbeschädigt von vielen Kirchenflüchen, unbesiegbare Helden. Sie empfingen dort ihre Eroberungen, mit Ausnahme Benevents, als Lehen des Heiligen Stuhls. Die Rechte der beraubten Herrscher wurden dabei so wenig beachtet als die sogenannte Oberhoheit des Deutschen Reichs. Man sah eine Legitimität verschwinden, eine andere aus einem Raube entstehen. Die Legitimität hat zu allen Zeiten dem Eigennutz dienen und weichen müssen, und auch der Kirchenstaat entstand nur, indem sich die Pippiniden über die Rechte der Merowinger, die Päpste über jene der Byzantiner hinwegsetzten. Nur darf die Zuversicht eines Papsts befremden, der fremde Provinzen wie sein Eigentum Fremden verlieh, ja selbst noch zu erobernde Länder ihnen vorweg bestätigte. Richard wurde als Fürst von Capua anerkannt, Guiscard als Graf und Herzog mit Apulien und Kalabrien beliehen und auch Sizilien ihm zugesprochen, sobald er diese Insel Arabern und Griechen würde entrissen haben. Die Normannen leisteten dem Papst den Vasalleneid unter Verpflichtung jährlichen Tributs; sie schworen, der Kirche zur Erhaltung ihrer Besitzungen und den Päpsten, welche die besseren Kardinäle kanonisch würden gewählt haben, zum Pontifikat behilflich zu sein. So wurde das Wahldekret Nikolaus' II. in den bewaffneten Schutz der Normannen gestellt und von diesen neuen Fürsten zuerst anerkannt.

In Kraft des Vertrages zu Melfi führten Nikolaus und Hildebrand ein Normannenheer mit sich nach Rom. Die Grafen von Tusculum, von Praeneste und der Sabina wurden sofort zum Gehorsam gebracht und der Gegenpapst zum zweitenmal in Galeria belagert. Dies Kastell, 15 Millien von Rom entfernt, an der Via Clodia und dem Fluß Arrone in der Diözese Silva Candida, war die ehemalige Domusculta des Papsts Zacharias und stand seit dem XI. Jahrhundert unter Grafen, die seinen erblichen Besitz an sich gerissen hatten. Der Graf Gerard, welcher dort Benedikt X. schützte, war einer der mächtigsten kleinen Tyrannen im römischen Tuszien, Haupt der gegenhildebrandischen Partei, von mehreren Päpsten, zuletzt noch von Nikolaus unter den schrecklichsten Flüchen gebannt. Er hielt sich mannhaft in seiner Burg, und erst nach manchem Sturm wurde er gezwungen, den Gegenpapst auszuliefern. Benedikt X. unterhandelte von den Mauern herab; dreißig römische Edle schworen ihm persönliche Sicherheit zu, und er bezog die Wohnung seiner Mutter bei S. Maria Maggiore in der Stadt. Ein Konzil, wobei Hildebrand seine ränkevolle Kunst zum Sturze Benedikts wirken ließ, setzte diesen nochmals ab, stieß ihn aus dem Priesterstande und verbannte ihn auf Lebenszeit in das Kloster St. Agnes bei Rom.


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