Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Buch

Vom Beginn der Regierung der Exarchen bis auf den Anfang des VIII. Jahrhunderts

Erstes Kapitel

1. Rom verfällt. Die römische Kirche steigt aus den Trümmern des Reiches auf. St. Benedikt. Subiaco und Monte Cassino. Cassiodorus wird Mönch. Anfang und Ausbreitung des Mönchtums in Rom.

Mit dem Untergange des gotischen Reichs beginnt der Zerfall der antiken Gestalt Italiens und Roms. Die Gesetze, die Denkmäler, selbst die geschichtlichen Erinnerungen sinken in Vergessenheit. Die Tempel stürzen ein. Das Kapitol erhebt noch auf seinem öden Hügel eine verlassene Wunderwelt von Prachtmonumenten des größten Staats der geschichtlichen Menschheit. Der Kaiserpalast, noch in seinen Hauptmassen unzerstört, ein riesiges Labyrinth von Hallen und Höfen, von Tempeln und tausend kunstvollen Räumen, die vom feinsten Marmor strahlen und noch hie und da mit golddurchwirkten Teppichen bekleidet sind, zerfällt und wird zu einer geisterhaft ausgestorbenen Burg. Nur in einem kleinen Teile des Palatium wohnt der byzantinische Dux, ein Eunuch vom Hofe des griechischen Kaisers oder ein halbasiatischer General mit seinen Schreibern, Dienern und Wachen. Die Prachtfora der Cäsaren und des römischen Volks veröden und werden sagenhaft. Die Theater und der große Circus Maximus, wo die Wagenspiele, die liebste und letzte Ergötzung der Römer, nicht mehr gefeiert werden, füllen sich mit Schutt und Gras. Das Amphitheater des Titus steht unerschüttert, aber seiner Zierden beraubt; die unermeßlichen Thermen der Kaiserzeit, von keiner Wasserleitung mehr versorgt und nicht mehr im Gebrauch, gleichen in der Wildnis verfallenen Städten, welche der Efeu zu umspinnen beginnt. Die kostbare Marmorbekleidung ihrer Wände stürzt herunter, oder sie wird gewaltsam abgerissen, und die musivischen Fußböden lösen sich. Noch stehen in schön gemalten Hallen antike Badesessel von lichtem oder dunklem Stein und prächtige Wannen von Porphyr oder von orientalischem Alabaster; die Priester Roms holen diese wie jene nach und nach, damit sie in den Sanktuarien ihrer Kirchen als Bischofstühle dienen, in der Konfession die Gebeine irgendeines Heiligen aufnehmen oder in der Taufkapelle als Becken verwandt werden. Aber ihrer manche und viele Statuen bleiben verlassen stehen, bis sie das einstürzende Gemäuer erschlägt oder der Schutt für Jahrhunderte begräbt.

Der menschliche Geist ist unfähig, sich in die Seele des Römers aus der Zeit des Narses zu versetzen und nachzuempfinden, was er empfand, wenn er das verwitternde Rom durchwanderte und die weltberühmten Werke des Altertums, alle die zahllosen Tempel, Triumphbogen, Theater, Säulen oder Standbilder zugrunde gehen oder schon hingestürzt liegen sah. Die Verödung Roms nach der epochemachenden Katastrophe unter Totila, in der ersten Zeit der byzantinischen Herrschaft, als sich das an Zahl geringe Volk, von Hungersnot und Pest gegeißelt und vom Schwert der Langobarden bedroht, in der weiten Stadt der Cäsaren verlor, zu schildern, mag sich die Phantasie bemühen, doch ihr wird die Kraft versagen, ein so furchtbares Nachtgemälde darzustellen. Rom verpuppte sich zugleich und verklösterte sich auf seltsame Weise. Die Metropole der Welt wurde eine geistliche Stadt, worin Priester und Mönche rastlos Kirchen und Klöster bauten und das ganze städtische Leben beherrschten. Aber das bürgerliche Volk der Römer, jeder politischen Kraft beraubt, tief herabgekommen, ein Haufe moralischer Ruinen, scheint in den Trümmern des großen Altertums einen Schlaf von Jahrhunderten zu schlafen, bis es im VIII. Jahrhundert durch die Stimme des Papsts zu neuer Tätigkeit erweckt wird.

Der Papst hat während dieser Zeit den Bau der römischen Hierarchie aufgeführt. Das allmähliche Wachstum und Emporsteigen dieser geistlichen Macht aus dem Schutte des antiken Staats, unter den schwierigsten Verhältnissen, wird als eine der größten Verwandlungen in der Geschichte ewig das Erstaunen der Nachwelt sein. Doch dies zu verfolgen, ist die Aufgabe des Geschichtschreibers der Kirche, nicht des Annalisten der Stadt Rom, und wir begnügen uns daher, den Gang dieser Dinge im allgemeinen anzudeuten.

Das politische Leben Roms wurde mit dem Sturze jener Goten beschlossen, welche noch die Staatseinrichtungen der Römer eine Zeitlang aufrechtgehalten hatten. Indem wir nun die Geschichte der Stadt fortsetzen, treten wir schon in die Periode ihres päpstlichen Mittelalters ein. Denn alle Lebenskraft, die noch den Römern geblieben war, wurde jetzt in den ausschließlichen Dienst der Kirche hinübergeleitet, während die bürgerlichen Triebe abstarben. Nachdem die Herrlichkeit Roms versunken war, stand nur sie, die Kirche, lebenskräftig da. Sie allein hielt die moralische Einheit Italiens zusammen, sobald der römische Staat zertrümmert war; und dies verlieh ihr eine imperatorische Kraft. Die geistliche Macht pflanzte ihr heiliges Banner auf dem Schutte des Altertums auf, und sie verschanzte sich hier hinter den Mauern Aurelians, deren weltgeschichtliche Wichtigkeit wir schon bemerkt haben. Sie rettete in diesen Mauern auch das lateinische Prinzip der Monarchie, das römische Zivilgesetz und die Überlieferungen der antiken Kultur. Sie unternahm von hier aus den großen Kampf mit den Barbaren, welche das große Reich zertrümmert hatten; sie zivilisierte diese durch das Christentum und unterwarf sie dem Kanon der Kirchengesetze. Ihre kulturgeschichtliche Aufgabe wäre unmöglich gewesen, wenn die in Italien herrschenden Germanen auch die Stadt Rom erobert hätten. Sie belagerten dieselbe wiederholt; aber die Erhaltung Roms erscheint als ein historisches Gesetz. Selbst die italienischen Eroberungen der Langobarden, welche die römische Kirche mit dem Untergange bedrohten, dienten schließlich zu deren Siege. Sie schwächten die Macht der Byzantiner, die ihnen übrigens zwei Jahrhunderte lang in Ravenna widerstand; sie zwangen die römischen Bischöfe, mit Aufbietung aller Kraft eine selbständige Politik zu treiben, aus der sich allmählich die italienische Machtstellung des Papsttums ergab; sie belebten auch den Nationalgeist der Römer wieder, welche sie aus der tiefsten Ohnmacht zur bewaffneten Selbstverteidigung aufriefen. Bald konnte die römische Kirche die Langobarden katholisieren, und in sich selbst fest gegründet, auch von Italien geschützt, in einen dogmatischen Kampf mit Byzanz sich einlassen, der zur politischen Revolution wurde. Aus ihr ging sie dann als eine reiche, weltliche Macht und Herrin der ewigen Stadt hervor. Das Resultat des langen Kampfes der Päpste mit den Langobarden wie mit der griechischen Staatsgewalt war dies, daß diese von Europa ausgestoßen, die Freiheit der Kirche errungen und das abendländische Reich als ein feudales, christliches Imperium der vereinigten Lateiner und Germanen geschaffen wurde.

Mitten aus dem Schutte des Reichs und der Stadt der Römer erhebt sich zuerst, noch in der letzten Gotenzeit, die ernste Gestalt eines lateinischen Heiligen, welcher der Charakter jener Übergangsepoche gewesen ist; denn sein Leben und Wirken eröffnet die finstern Jahrhunderte, die wir jetzt zu schildern haben. Dieser merkwürdige Mann war Benedikt, der Sohn des Euprobus, im umbrischen Nursia um das Jahr 480 geboren, der Patriarch des abendländischen Mönchtums. Als Knabe von vierzehn Jahren kam er nach Rom, um sich daselbst in den Wissenschaften auszubilden, und man bezeichnet noch heute in Trastevere die kleine Kirche San Benedetto in Piscinula als die Stelle, wo das Haus seines begüterten Vaters soll gestanden haben. Der Jüngling wurde unter dem Schrecken der zusammenfallenden Römerwelt von unwiderstehlicher Neigung ergriffen, ihr zu entfliehen und sich in der Einsamkeit der Betrachtung des Ewigen zu weihen. Er entwich nach Subiacus, wo der Anio eins der schönsten Täler Italiens durchfließt. Hier lebte er in einer Höhle, von einem Anachoreten Romanus mit Speise versorgt. Der Ruf seiner Heiligkeit wurde laut. Gleichgesinnte Weltflüchtlinge strömten ihm zu, und bald konnte er in jenen Bergen zwölf kleine Klöster errichten. Dort lebte er viele Jahre, durch seine Schwester Scholastica ermuntert und beschäftigt mit der Feststellung seiner Ordensregel. Selbst angesehene Patrizier brachten ihm ihre Kinder zur Erziehung; der Senator Equitius führte ihm seinen Sohn Maurus, Tertullus seinen Sohn Placidus zu; und in diesen Jünglingen erzog sich Benedikt seine Apostel für Gallien und Sizilien. Aber der Ruhm des Ordensstifters erregte den Neid der Priester in Varia oder Vicovaro, welche sich verschworen, den Heiligen zu vertreiben. Die Legende erzählt, daß sie eines Tages sieben schöne Hetären in das Kloster brachten, worauf einige der Schüler Benedikts der Versuchung zur Sinnenlust erlagen. Der Heilige aber beschloß, das entweihte Subiaco zu verlassen; von drei Raben begleitet, von Engeln über seinen Weg unterrichtet, wanderte er auf den Berg des Castrum Casinum in Kampanien. Er fand dort noch Heiden, denn so wenig hatten die Gesetze der letzten Kaiser den antiken Götterdienst zu vertilgen vermocht, daß selbst noch Theoderich ein Edikt gegen die Anhänger der Idole hatte erlassen müssen. Nicht so bald war Benedikt in Casinum angelangt, als er die Altäre der Götzen umstürzte und den letzten Apollotempel, von dem die Geschichte redet, zerstören ließ. Aus seinen Trümmern errichtete er ein Kloster, ohne Furcht vor dem Dämon, der, auf einer umgeworfenen Säule sitzend, den Bau zu hindern suchte. Das Kloster, die spätere Abtei Monte Cassino, wurde im Laufe der Zeit die ehrwürdige Metropole aller Benediktinerklöster des Abendlandes; es hat durch das finstere Mittelalter als ein einsamer Leuchtturm der Wissenschaft sein segensreiches Licht verbreitet. Ein Hauch der Musen rettete sich aus dem zerstörten Apollotempel in diese Akademie betender und zugleich studierender Mönche. Ihre Stiftung durch Benedikt fällt merkwürdigerweise in dasselbe Jahre 529, in welchem der Kaiser Justinian die letzten Philosophen aus der Platonischen Schule in Athen vertrieb.

Dort war es auch, wo der Held Totila den Heiligen besuchte, den er vergebens in einer Verkleidung zu täuschen hoffte, und wo er aus seinem Munde die Prophezeiung seiner Schicksale vernahm; dort gab endlich Benedikt jene Weissagungen über die Zerstörung Roms durch die Elemente, welche spätere Schriftsteller anzuführen pflegen, um die Goten von gehässigen Beschuldigungen zu befreien. Der heilige Patriarch starb daselbst um das Jahr 544, bald nach dem Tode seiner frommen Schwester. Das merkwürdige Leben des Vaters des abendländischen Mönchtums hat die Legende mit Dichtungen geziert, welche Maler des Mittelalters in zahllosen Fresken in der oberen Felsenkirche zu Subiaco dargestellt haben. Sie zeichnen sich durch Anmut und Sauberkeit der Phantasie aus; frei von der Grellheit der Martergeschichten wie vom Unsinn späterer Legenden, sind sie das wahre Heiligenepos des Mönchtums zu nennen. Schon der Papst Gregor, ein jüngerer Zeitgenosse Benedikts, widmete der legendären Geschichte des Heiligen das zweite Buch seiner Dialoge, und mehr als zwei Jahrhunderte später sühnte der Langobarde Warnefried oder Paul Diaconus als Mönch in Monte Cassino die Schuld seines Volks, welches dies Kloster zerstört hatte, durch kunstvolle Distichen, in denen er die Wunder Benedikts verherrlichte.

In einer Zeit, wo sich die politische Ordnung des Römischen Reiches auflöste, die bürgerliche Gesellschaft in Trümmer ging und viele Menschen einem instinktartigen Drange in die Einsamkeit folgten, hatte sich jener außerordentliche Mann erhoben und zum Gesetzgeber in dieser Sphäre des christlichen Gefühlslebens aufgeworfen. Es gab freilich schon vor Benedikt Mönche im Abendlande. Sie lebten nach der Regel des Griechen Basilius oder des Equitius aus der Valeria, des Honoratus von Fundi, des Hegesippus vom Kastell Lucullanum in Neapel oder nach anderen Ordnungen, zum Teil umherschweifend und ohne Zusammenhang. Nun aber trat Benedikt mit einer römischen Reform des Klosterlebens auf, und er gab diesem eine bleibende Gestalt. Die lateinische Kirche erhielt durch ihn die erste selbständige Klosterorganisation, wodurch sie sich vom Einfluß des Orients befreite. Dies gibt Benedikt eine durchaus nationale Bedeutung für Rom und das Abendland.

Wenn man das Institut der Klöster aus den Grundsätzen der heutigen Gesellschaft beurteilt, so kann man einem Manne wie Benedikt nicht gerecht werden, aber faßt man es aus den Bedürfnissen seiner Zeit auf, so gehört er zu den größten Erscheinungen des frühen Mittelalters, dessen Pythagoras er gewesen ist. Beiden Gesetzgebern schwebte ein soziales Ideal vor; jenes des großen Griechen sollte sich in einem Bruderbunde freier und philosophischer Menschen verwirklichen, welche alle Pflichten des Lebens in Familie und Staat zu erfüllen hatten. Die Mönchsrepublik Benedikts hatte dagegen die engsten sozialen Grenzen; er konnte sie nur auf Kosten der bürgerlichen Gesellschaft durchführen. Indem er jene christlichen Ideen der Verleugnung des Staats in seine Gesetze aufnahm und die Ehe verwarf, schuf er nur einen Bruderbund von Anachoreten, und diese Genossenschaften waren klein an Zahl, inselartig zuerst in der Einsamkeit der Berge, dann auch in den Städten abgesperrt. Die Freiheit von der Welt trat nur in der peinvollen Gestalt der Knechtschaft auf, denn die sie genossen, waren gelobte Sklaven des Herrn. Das Problem, ob es möglich sei, das Himmelreich auf Erden darzustellen, sollte in Klostervereinen gelöst werden, und diese Demokratie der Heiligen wurde durch Schuld der irdischen Bedürfnisse mit der Zeit eine Karikatur. Die furchtbare Beschränkung des Menschen in einer bloß mystischen Freiheit, worin er vom Kampf mit den Leidenschaften der Welt wie vom Genusse ihres Reichtums ausgeschlossen ist, liegt außer der Bestimmung der Natur, doch nicht außerhalb der Grenzen der menschlichen Verfassung. Und je liebloser, unfreier und unglücklicher die Gesellschaft im allgemeinen ist, desto häufiger werden diejenigen sein, welche gezwungen oder freiwillig einer häßlichen Welt entsagen und zu den Idealen ihrer innern Sehnsucht fliehen. Der hochgesinnte Benedikt sammelte die religiösen Triebe jener schrecklichen Zeit in seiner Republik von Heiligen und formte sie als ein Gesetzgeber; es war seine Absicht, die christlichen Prinzipien des Gehorsams vor dem moralischen Gesetz, der Demut und Liebe, der Selbstlosigkeit, der sittlichen Freiheit und endlich der Gütergemeinschaft in praktischen Schulen zu verwirklichen. Dies ist schon das Große in seinem Orden, daß er zeigte, wie jene Grundsätze nicht bloße Ideale seien, sondern wirklich durchgeführt werden können; und wenn man dem für die Kultur einst so wichtigen Mönchtum ein gerechtes Lob erteilen will, so ist es dies, daß es in einer barbarischen Zeit den rohen Begierden des Egoismus eine Gemeinschaft tätiger und entsagender Menschen entgegenzustellen vermocht hat. Benedikt ließ seine Mönche nicht in träger Beschaulichkeit die Tage verschlafen; sie mußten nach dem sozialen Prinzip der Arbeitsteilung arbeiten, mit Hand und Kopf, und die Benediktiner wurden Lehrer des Ackerbaus, des Handwerks, der Künste und Wissenschaften in vielen Ländern Europas – das bleibende Verdienst dieses menschlichsten aller Orden, die dem Christentum entsprungen sind. Er diente schon seit seinem Entstehen der Gesellschaft als Zufluchtsstätte; Söhne reicher und angesehener Familien traten in ihn ein, so daß er schon dadurch und vollends durch Bildung und Beschäftigung mit der Wissenschaft ein vornehmes Gepräge erhielt. Die Benediktiner waren in der Tat die Aristokratie des Mönchtums. Ihre Klöster breiteten sich schnell über das Abendland aus; Spanien, Gallien, Italien, England und seit dem VIII. Jahrhundert auch Deutschland wurden mit ihnen erfüllt. Die römische Kirche benutzte sie alsbald zu ihren eigenen Zwecken; denn sie wurden für dieselbe, was für das alte Rom die Militärkolonien gewesen waren, und kaum war das Reich zertrümmert, so drangen römische Mönche barfuß, den Strick um die Lenden, ohne Furcht bis zum äußersten Thule und in jene wilden Gegenden des Westens als Eroberer ein, welche einst die alten Konsuln an der Spitze ihrer Legionen nur unvollkommen bezwungen hatten.

Um diese Zeit entstanden in allen Teilen Italiens neue Klöster. Unter ihnen betreten wir eins mit wahrer Ehrfurcht, denn es ist das letzte Asyl des Cassiodor. Nachdem dieser Staatsmann dreißig Jahre lang unter Theoderich, Amalasuntha, Athalarich und Vitiges Italien verwaltet und von den Italienern für so lange Zeit der Barbarei abgewehrt hatte, zog er sich, lebensmüde und an der Welt verzweifelnd, aus dem untergehenden Rom zurück; mit sich selbst hat er dann die Wissenschaft und die Staatsweisheit des Altertums in der Zelle eines Klosters begraben. Er gründete das Monasterium Vivariense im Jahre 538 in seiner kalabrischen Vaterstadt Squillace, deren reizende Lage (er vergleicht sie einer von den Felsen herabhängenden Weintraube) er selbst geschildert hat. Nachdem er der Theologie durch einige Schriften einen klassischen Geschmack einzuflößen versucht hatte, starb er mehr als hundertjährig im Jahre 545: ein Zeitgenosse des Boëthius und des Benedikt, welche Männer man nur nebeneinander zu nennen braucht, um die Kontraste jener Zeit zu begreifen. Cassiodor, als der letzte Römer in einer Mönchskutte sich zum Sterben niederlegend, ist eine tief tragische Gestalt, denn in ihm hat sich das Schicksal der Stadt Rom selber ausgesprochen.

In Rom bestanden um jene Zeit bereits viele Klöster; seitdem daselbst Athanasius von Alexandrien, der Schüler des Ägypters Antonius, um die Mitte des IV. Jahrhunderts das Mönchtum eingeführt hatte, war dieses schnell verbreitet worden. Schon zur Zeit des Rutilius gab es sogar im Tyrrhenischen Meer keine noch so kleine Insel, wie Igilium, Caprara und Gorgona, Palmara und Monte Cristo, wo nicht »lichtscheue« Anachoreten sich angesiedelt hatten. Augustinus spricht von Klöstern in Rom, und Hieronymus zählt hier mit Genugtuung viele Mönche und Nonnen. Er hat in einem Brief an die fromme Römerin Principia anziehende Aufschlüsse besonders über die Entstehung der Nonnenklöster in der Stadt gegeben. Die Pflegetochter der berühmten Marcella hatte ihn um einen Lebensabriß dieser Matrone gebeten, und Hieronymus wußte die Heilige nicht besser zu ehren, als indem er von ihr rühmte, daß sie die erste Nonne Roms aus adligem Geschlecht gewesen sei. Marcella, einer Familie angehörend, welche eine Reihe von Konsuln und Präfekten zu ihren Ahnen zählte, hatte im siebenten Monat ihrer Ehe den Gemahl verloren, die Bewerbungen des Konsuls Cerealis abgewiesen und das Nonnenleben erwählt. Mit kühner Seele hatte sie sich über die Schmach hinweggesetzt, welche ihr ein so unerhörter Schritt in den Augen vornehmer Frauen zuzog. Es war nicht lange nach der Zeit, als Athanasius und später Petrus von Alexandrien, vor der Verfolgung durch die Arianer flüchtig, nach Rom gekommen waren. Die Ansichten, welche diese Menschen hier verbreitet hatten, und die wunderbaren Erzählungen von dem Leben des Pachomius und Antonius, der Nonnen und Mönche in der Felsenwüste der Thebais, entzündeten die schwärmerische Phantasie Marcellas, und die fromme Witwe hätte in ihrer Begeisterung alle Frauen der Stadt in ein Kloster vereinigen mögen. Es dauerte Jahre, ehe ihre Propaganda wirkte, dann aber zählte sie mit Stolz unter ihren Akolythen die edlen Römerinnen Sophronia, Paula und Eustochium. Sie lernte endlich Hieronymus selbst in Rom kennen und unterhielt mit ihm fortan einen lebhaften brieflichen Verkehr. Es ist ungewiß, ob Marcella das erste römische Nonnenkloster in ihrem Palast auf dem Aventin angelegt hat; denn anfangs lebte sie nicht in der Stadt, sondern erwählte sich ein Landgut zum Kloster, wo sie mit ihrer Schülerin Eustochium wohnte. »Ihr lebtet dort lange«, so schrieb Hieronymus; »durch euer Beispiel sind viele bekehrt, und Rom hat sich zu unserer Wonne in Jerusalem verwandelt; denn zahlreich sind dort die Klöster der Jungfrauen, unzählbar ist die Menge der Mönche.«

Wo es in der Stadt Kirchen gab, begann man auch Klöster daneben einzurichten; so hatte schon Leo I. eins am St. Peter gebaut und St. Johann und Paul geweiht. Das Auftreten Benedikts gab dieser Richtung der Zeit eine neue Kraft. Reiche Patrizier stifteten Konvente: Gregor vom berühmten Geschlecht der Anicier verwendete das Vermögen seines Hauses dazu, in dem Anicischen Palast auf dem Clivus Scauri ein Kloster zu errichten, welches er dem Apostel Andreas weihte. Es dauert noch neben der Kirche St. Gregors auf dem Zölischen Berge fort. Als dieser berühmte Mann Papst wurde, war die Menge der Mönche und Nonnen, sei es in wirklichen Klöstern, sei es in einzelnen Zellen, schon so groß, daß er allein 3000 Nonnen zählen konnte, welche aus dem Kirchengut jährliche Austeilungen erhielten.


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