Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Stellung Gregors in bezug auf die Stadt Rom. Seine Sorge für das Volk. Verwaltung der Kirchengüter.

Der Einfluß Gregors überwog die Macht der kaiserlichen Beamten, denn die Römer ehrten in ihm ihren Herrn und Erhalter, der die Würde des Bischofs mit dem Glanze des berühmtesten Patriziergeschlechts in seiner Person verband. Seitdem der Sturz des Gotenreichs das letzte öffentliche Leben der Stadt mit sich gerissen hatte, war diese völlig verändert. Weder Konsuln, noch Senat, noch Spiele erinnerten mehr an das weltliche Reich; die aristokratischen Häuser waren fast alle erloschen; in den Briefen Gregors ist von keinen begüterten Familien alten Geschlechts die Rede, wenn nicht von solchen, die nach Konstantinopel ausgewandert waren, während sich antike Namen in Besitzungen finden, die der Kirche bereits angehörten. Die religiösen Dinge hatten die bürgerlichen in den Hintergrund gedrängt, und wir haben das römische Volk bereits in einem völlig geistlichen Gewande gesehen. Es gab keine öffentlichen Feste mehr als die kirchlichen; alles, was irgend als Ereignis das müßige Volk beschäftigte, war solcher Natur. Die Kirche selbst hatte angefangen, ein großes Asyl der Gesellschaft zu sein; unter dem Einfluß unerhörter Schrecknisse der Natur und des Krieges war der Glaube an das nahe Ende der Welt allgemein geworden und der Zudrang zum Kloster und geistlichen Stande übermäßig groß. Der Bedürftige fand dort Nahrung und Obdach, der Ehrgeizige aber Würde und Rang in einer Zeit, wo der Titel Diaconus, Presbyter und Bischof für die Römer das geworden war, was ihnen einst Tribunat, Prätur und Konsulat gegolten hatten. Selbst Krieger verließen ihre Fahnen und nahmen die Tonsur; derer, die Kirchenämter begehrten, waren aus allen Ständen so viele, daß Gregor Einhalt zu tun suchte, während der Kaiser Mauritius im Jahre 592 durch ein Edikt den Übertritt der Soldaten ins Kloster und der Zivilbeamten in ein kirchliches Amt verbot. Die Armut Roms streckte nicht vergebens nach den Schätzen der Kirche die Hände aus. Die Zeiten, wo der Konsul Geld unter das Volk ausstreute und der Präfekt für die öffentlichen Austeilungen an Getreide, Öl, Fleisch und Speck von Staats wegen sorgte, waren nicht mehr; der Schrei des Volks nach Panem et Circenses wurde nur noch halb gehört. Es verlangte Brot, und der Papst gab es ihm reichlich. In seinem Kloster auf dem Clivus Scauri hatte er noch als Mönch die Armen täglich gespeist; er fuhr auch jetzt fort, das Volk zu nähren. Am Anfange eines jeden Monats teilte er Getreide, Kleider und Geld an die Bedürftigen aus, an jedem Hauptfeste gab er den Kirchen und milden Anstalten Geschenke. Wie Titus hielt er den Tag für verloren, an dem er nicht den Hunger gestillt und die Blöße bedeckt hatte, und als er einst hörte, ein Bettler sei auf einer Straße Roms gestorben, verschloß er sich voll Scham und wagte einige Tage lang nicht als Priester an den Altar zu treten.

Die Römer hatten einst in Säulenhallen, Theatern und öffentlichen Speichern des Staats ihre Verpflegung erhalten, jetzt drängten sie sich an die Vorhöfe der Basiliken und Klöster, um Kleidung und Speise von geistlichen Beamten zu empfangen. Die Scharen der Pilger, welche über See kamen, fanden schon in Portus das alte Pilgerhaus, welches der Senator Pammachius, der Freund des Hieronymus, gestiftet hatte, zu ihrer Aufnahme bereit, und was in die Tore Roms zog, sei es als Wallfahrer, sei es als Flüchtling vor den Langobarden, fand in Krankenhäusern oder Herbergen Lager und Kost. Die christliche Liebe gab, und das wirkliche Bedürfnis empfing die wahrhafte Wohltat.

Gregor verwendete die Güter der Kirche, welche ihr nach und nach aus dem Privatbesitz als Schenkungen zugefallen waren, im Sinne dieser gewissenhaft. Und solcher Güter waren bereits viele und große, so daß der Papst, wenn er auch nicht über Herzogtümer gebot, doch der reichste Landbesitzer in Italien war. Hier befand er sich als Eigentümer auf dem erblichen Grund und Boden der Kirche, wo er auch eine gewisse beschränkte Jurisdiktion ausüben durfte. Dies machte ihn einem großen Fürsten ähnlich. Das Besitztum der römischen Kirche, dem Apostel Petrus zugeschrieben, war in vielen Ländereien zerstreut: in Sizilien, Kampanien, in ganz Süditalien, in Dalmatien, Illyrien, Gallien, Sardinien und Korsika, in Ligurien und den Cottischen Alpen besaß sie ihre Patrimonien oder Domänen. Der Papst schickte dorthin, wie ein König in die Provinzen, seine Diakonen und Subdiakonen ( Rectores Patrimonii), welche die Eigenschaft geistlicher und weltlicher Aufseher oder Regierungsräte in sich vereinigten. Ihre Rechnungen wurden strenge untersucht, denn der würdige Mann wollte nicht, daß »der Säckel der Kirche mit schändlichem Gewinn besudelt werde.«

Die vielen Briefe, welche Gregor an jene Rektoren der Patrimonien gerichtet hat, geben Einsicht in die Verhältnisse des römischen Bauernstandes, die sich jahrhundertelang unverändert erhielten. Die Güter der Kirche wurden von Kolonen bebaut, Menschen, die, an ihre Scholle gebunden, einen Zoll in Geld oder Früchten zahlten. Er wurde pensio genannt und von den Conductores oder Zinspächtern eingetrieben. Diese bedrückten oftmals die Kolonen, indem sie das Getreidemaß willkürlich erhöhten; sie zwangen die Bauern bisweilen, den Modius von den rechtmäßigen 16 Sextaren oder 24 römischen Pfunden auf 25 Sextare zu steigern und von 20 Scheffeln der Ernte einen abzugeben. Gregor steuerte solchen Bedrückungen: er setzte den Modius auf 18 Sextare fest und bestimmte, daß von 35 Scheffeln einer abzuliefern sei. Diese Verordnungen betrafen Sizilien, noch immer die Kornkammer Roms, von wo jährlich in der Regel zweimal, im Frühling und Herbst, eine Getreideflotte nach Portus auslief, um die Magazine der Stadt zu versorgen. Wenn diese Lieferung im Schiffbruch verunglückte, fiel der Schaden freilich den armen Kolonen zur Last, auf welche der Ersatz verteilt wurde; nur warnte Gregor die Rektoren, nicht die günstige Zeit der Seefahrt zu versäumen, sonst müßte der Verlust ihnen angeschrieben werden. Die ökonomische Ordnung war musterhaft; für jeden Kolonen wurde ein Register seiner Leistungen oder Libellus securitatis geführt, auf welches er sich berufen konnte, und wenn ihn Mißwachs oder Bedrückung in Not brachte, konnte er darauf rechnen, daß ihm die Billigkeit des Papsts mit einem neuen Inventar von Kühen, Schafen und Schweinen zu Hilfe kam. Die Güter St. Peters in Sizilien gediehen, manche heilsame Verbesserungen wurden getroffen, und der große Papst konnte sich auch einen ausgezeichneten Landwirt nennen, und wenn er in Prozession zu Pferde saß, sich rühmen, daß ihm seine Zelter die Gestüte der Kirche von derselben alten Trinakria lieferten, deren siegreiche Rosse einst Pindar besungen hatte. Freilich hegen wir leise Zweifel, ob Pindar die Enkelrasse apostolischer Pferde würde einer Ode würdig befunden haben. »Du hast mir«, so schrieb Gregor einmal an den Subdiaconus Petrus, »ein erbärmliches Pferd und fünf gute Esel geschickt: das Pferd kann ich nicht reiten, weil es elend ist, und auf den guten Eseln nicht sitzen, weil sie Esel sind.«

Die Güter des Apostels Petrus im Stadtgebiete Roms zu beiden Seiten des Tiber umfaßten vier Gruppen: das Patrimonium Appiae, welches alle Ländereien zwischen der Via Appia und dem Meer bis zur Via Latina hin begriff; das Labicanense zwischen der Via Labicana und dem Anio; das Tiburtinum zwischen der Via Tiburtina und dem Tiber; endlich das Patrimonium Tusciae, das größte von allen, welches die weiten Landstrecken auf dem rechten Ufer des Tiberstroms umfaßte. Außerdem bildeten Besitzungen in der Stadt selbst, wo die Kirche Häuser, Gärten und Weinberge erworben hatte, ein eigenes Patrimonium urbanum. Die Gruppen der großen Patrimonialbezirke zerfielen in Wirtschaften, die man Fundus oder Massa nannte. Man bezeichnete mit dem Begriff Fundus ein Grundstück, wozu casae oder casales für die Kolonen gehörten. Mehrere Fundi zusammen bildeten eine Massa, oder nach dem heutigen römischen Ausdruck eine Tenuta, und mehrere Massae wiederum ein Patrimonium.

Die Kirche war in Besitz eines großen Teils des Ager Romanus gekommen. Goten, Griechen und Langobarden hatten schon seit 200 Jahren das Gefilde der Stadt zerstampft, und die Spuren des Feindes zogen sich in Trümmern um Rom. Basiliken und Abteien, aber auch noch adlige Grundherren bepflanzten kümmerlich den Boden, auf dem es noch einige Olivenkultur gab. Noch standen auf der Campagna verödete Flecken in Ruinen da, wie der Vicus Alexandri und Subaugusta. Klöster mit einigem Anbau und sehr viele Katakombenkirchen, die heute verschwunden sind, mischten sich unter die zerstörten Villen der römischen Großen. Die Säulen und Marmorsteine dieser Lusthäuser schleppte man fort, um mit ihnen die Landkirchen zu schmücken, wie man die Monumente der Stadt plünderte, sie zum Bau der Stadtkirchen zu verwenden. Im ganzen war die Campagna Roms, das stilvollste und erhabenste Gefilde der Welt, schon im VI. Jahrhundert eine unbebaute Wüste.

Die römische Kirche gebot also über weite Landschaften in Latium, in der Sabina und in Tuszien wie in entfernteren Provinzen Italiens. Sie war deshalb schon längst eine weltliche Macht, ehe der politische Kirchenstaat entstand, und für diesen bildeten jene Patrimonien die wirkliche Grundlage. Der Reichtum ihres Schatzes war unerschöpft, während der Privatbesitz immer mehr zusammenschwand. Aus diesen Mitteln vermochte der Papst fast unerschwinglich scheinende Leistungen zu bestreiten: die Erhaltung der Kirchen, die Verpflegung Roms, die Loskaufung der Kriegssklaven, endlich die Friedensgelder, welche er den Langobarden zu zahlen hatte. Den Schätzen des Bischofs verdankte Rom seine Rettung sowohl von diesen Feinden, als zeitweise seine fast unabhängige Stellung Ravenna gegenüber, während die Kirche vor dem Kaiser die Miene der Armut annahm und mit unterwürfigem Dank die Gaben von einigen Pfunden empfing, welche er dann und wann als goldene Tropfen des Erbarmens auf den Schutthaufen Rom fallen ließ.

Durch Krieg, Hunger und Pest zusammengeschmolzen, mit Konstantinopel nur durch einige Beamte in Verbindung, von Ravenna durch die Langobarden abgeschnitten, vom Exarchen kaum beaufsichtigt und militärisch fast gar nicht geschützt, fand also Rom im Papst Gregor ein nationales und selbstgewähltes Oberhaupt.


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