Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Marinus I. Papst. Er stellt Formosus wieder her. Er stürzt Guido von Spoleto. Hadrian III. Papst 884. Die ihm fälschlich zugeschriebenen Dekrete. Stephanus V. Papst. Gebrauch, nach dem Tod eines Papsts das Patriarchium zu plündern. Luxus der Bischöfe. Hungersnot in Rom. Absetzung und Tod Karls des Dicken. Ende des karolingischen Kaisertums. Kampf Berengars und Guidos um die Krone. Guido erneuert das fränkische Kaisertum 891. Tod Stephans V.

Der neue Papst war Marinus I., ein erbitterter Feind des Photius, in dessen Angelegenheiten er dreimal als apostolischer Nuntius Konstantinopel besucht hatte. Die Umstände seiner Wahl sind dunkel wie sein kurzer Pontifikat. Man erkennt aus seinen Akten, daß er zur deutschen Gegenpartei Johanns VIII. gehörte; denn er eilte nicht allein, Photius wieder zu verdammen, sondern löste auch Formosus von dem Eide, niemals Rom zu betreten, und setzte ihn in sein Bistum wieder ein. Mit dem Kaiser hielt er eine freundliche Zusammenkunft in Nonantula, worauf es ihm gelang, den ärgsten Feind des Kirchenstaats zu stürzen. Guido von Spoleto wurde des hochverräterischen Bündnisses mit dem griechischen Kaiser angeklagt; Karl der Dicke setzte ihn ab und befahl dem Grafen Berengar, in sein Herzogtum einzurücken, worauf der flüchtige Guido sich nach Unteritalien wandte, Sarazenen anzuwerben, während seine Freunde eine Rebellion vorbereiteten. Diese dunklen Begebenheiten zeigen die immer tiefere Auflösung Italiens.

Der Päpstliche Stuhl wurde am Anfange des Jahres 884, wo Marinus starb, von Hadrian III. eingenommen, einem italienisch gesinnten Römer aus der Via Lata. Auch von seiner Wahl und den damaligen Zuständen Roms wissen wir nichts, denn nur abgerissene Notizen der Chronisten lassen Tumulte des Adels in der Stadt erraten. Zwei Dekrete, welche Hadrian zugeschrieben werden, sind zweifellos, obwohl die Schwächung der Reichsgewalt in dieser Zeit einige Gründe für ihren wirklichen Erlaß darbietet und sie selbst als Folge der Grundsätze Nikolaus' I. und der Pseudoisidorischen Dekretalen erscheinen. Hadrian soll bestimmt haben, daß der erwählte Papst fortan ohne die Gegenwart der kaiserlichen Gesandten zu ordinieren sei; und ferner, daß nach dem Tode des erblosen Karl des Dicken ein italienischer Fürst die Kaiserkrone empfangen solle. Die Untätigkeit Karls, der Verfall des karolingischen Hauses, die Zerrüttung des sich selbst überlassenen Italiens begünstigten allerdings die Hoffnungen der italienischen Herzöge, zumal Berengars und Guidos, welcher letztere schon am Ende des Jahres 884 zu Pavia vom Kaiser begnadigt und in sein Herzogtum wieder eingesetzt wurde. Karl der Dicke ging am Anfange des folgenden Jahrs nach Deutschland zurück, um wegen der Erbfolge im Reich einen Tag in Worms zu halten. Hadrian war von ihm dorthin berufen worden und reiste ab, nachdem er dem Bischof Johann von Pavia als kaiserlichem Missus den Schutz der Stadt übertragen hatte; aber unterwegs starb er in der Villa Vilczachara oder S. Cesario bei Modena im Sommer 885 und wurde im berühmten Kloster Nonantula begraben.

Die Römer schritten alsbald zur Wahl und Weihe seines Nachfolgers. Der Umstand, daß sie auf das kaiserliche Zustimmungsrecht keine Rücksicht nahmen, unterstützt scheinbar den Glauben an das Dekret Hadrians III.; aber der Zorn des Kaisers über die Umgehung seiner Rechte zeigte, daß er auf sie keineswegs verzichtet hatte. Denn kaum hörte er von der Ordination Stephans, als er den Kanzler Liutward und einige Bischöfe nach der Stadt schickte, ihn zu entsetzen. Er wurde jedoch durch die schnelle Ankunft päpstlicher Legaten beschwichtigt, welche ihm aus der Wahlurkunde dartaten, daß der neue Papst regelrecht erwählt worden sei; er bestätigte ihn, und die Römer hatten nichtsdestoweniger eine völlig freie Wahl durchgesetzt.

Stephan V., zuvor Kardinal der Vier Gekrönten, war Römer von edlem Geschlecht, Sohn des Hadrianus aus der Via Lata, dem damals, wie es scheint, vorzugsweise aristokratischen Stadtviertel. Er war einstimmig erwählt und unter dem Beisein jenes von seinem Vorgänger zurückgelassenen kaiserlichen Missus nach dem Lateran geführt worden. Er fand die Schatzkammern des Palasts ausgeleert. Denn schon seit langem war es Brauch, daß nach dem Tode eines Papsts Diener und Volk über die Gemächer des Toten sich hermachten, nicht allein sie, sondern auch den Palast plünderten, und was sie dort fanden, Gold und Silber, Prachtstoffe und Edelsteine, entrafften. Der sonderbare Zustand von Anarchie, in welchen Rom durch den Tod jedes Papsts versetzt wurde, veranlaßte diesen Exzeß. Das Hinscheiden des Oberhaupts brachte jedesmal ausgelassene Freude unter dem Volk hervor; denn das Schiff Petri schien gestrandet und sein Gut herrenlos und plünderungsfrei. Das gleiche geschah beim Tode der Bischöfe in Stadt und Land, denn auch ihre Paläste wurden ausgeleert. Der fürstliche Luxus, welcher diese Bischöfe umgab, widersprach freilich den Grundsätzen des Christentums. Sie wohnten in prachtvollen Gemächern, die von Gold, Purpur und Samt strahlten; sie speisten gleich Fürsten auf goldenem Geschirr; sie schlürften ihren Wein aus köstlichen Bechern oder Trinkhörnern. Ihre Basiliken starrten von Ruß, aber ihre dickbäuchigen Obbae oder Weingefäße glänzten von Malerei. Wie beim Gastmahl des Trimalchio ergötzte ihre Sinne der Anblick schöner Tänzerinnen und die »Symphonie« von Musikanten. Sie schlummerten in den Armen ihrer Beischläferinnen auf seidenen Kissen in künstlich mit Gold ausgelegten Bettgestellen, während ihre Vasallen, Kolonen und Sklaven ihren Hofstaat versorgten. Sie würfelten, jagten und schossen mit dem Bogen. Sie verließen ihren Altar, an dem sie, mit Sporen an den Füßen und ein Dolchmesser an der Seite, Messe gelesen, und ihre Kanzel, um auf goldgezäumte Pferde mit sächsischen Sätteln zu steigen und ihre Falken fliegen zu lassen. Wenn sie reisten, umgab sie der Schwarm ihrer Hofschranzen, und sie fuhren in kostbaren Wagen mit Rossen, deren sich kein König würde geschämt haben.

Stephan durchwanderte mit den Bischöfen und Großen Roms, seinen Zeugen, die leeren Gemächer des Vestiarium; er tröstete sich mit dem Anblick eines hochberühmten alten Weihgeschenks, das man verschont hatte. Dies war das goldene Kreuz, welches einst der große Belisar zum Denkmal seines Sieges über die Goten im St. Peter gestiftet hatte. Jedoch der Schatz war leer. Der Sitte gemäß mußte der Papst gleich nach seiner Ordination dem Klerus, den Klöstern und Scholen Geldgeschenke oder Presbyteria geben; er mußte Brot und Fleisch an die Armen verteilen, und auch die lateranischen Keller waren ausgeräumt. Er griff daher in sein eigenes Vermögen und befriedigte die Gierigen. Und so gab es nach dem Tode eines Papsts in Rom ein doppeltes Freudenfest, die Plünderung des Palasts des Verstorbenen und die Geschenke des Nachfolgers.

Unterdes streiften die Sarazenen aus ihrem Lager am Garigliano weit in Latium und Etrurien hinein. Stephan bat, wie Johann VIII., die Kaiser des Ostens und des Westens um Hilfe, und er fand sie an Guido von Spoleto. Der Sturz des karolingischen Hauses war nahe, der Fall des von allen Provinzen verachteten Kaisers vorbereitet, und Guido, der Nachbar Roms, wurde der mächtigste Mann des Augenblicks. Der Papst, welcher ihm Aussicht auf die Kaiserkrone geben mochte, bewog ihn, gegen die Sarazenen ins Feld zu ziehen, und ein Sieg am Liris gab Rom eine Ruhepause. Im November 887 erfolgte sodann auf dem Reichstage zu Tribur die Entsetzung Karls des Dicken von seiten der deutschen Völker, welche Arnulf, den mannhaften Sohn Karlmanns, zu ihrem Könige wählten. Nachdem endlich der elende Karl im Januar 888 gestorben war, sahen sich die Italiener ohne Kaiser und ohne König, während die ehrgeizigen Herzöge sich die Krone Karls des Großen streitig machten.

Das Ausgehen der Karolinger vom legitimen Stamm in Deutschland (in Frankreich setzte das Kind Karl der Einfältige, Ludwigs des Stammlers Sohn, das unglückliche Geschlecht fort) rief allerorten Prätendenten hervor. Indem die Erblichkeit des Königtums erloschen war, nahmen die Völker das Wahlrecht wieder an sich, oder vielmehr die mächtigen Bischöfe und Barone des alten Reichs besetzten die Throne. Odo, Graf von Paris, hatte sich in Frankreich zum Könige aufgeworfen; die Provence oder Arelat war ein Königtum Bosos und seines Sohnes Ludwig geworden; der Graf Rudolf nahm die Krone von Burgund; in Deutschland trug der Bastard Arnulf den Königsmantel; in Italien endlich mußten die Waffen entscheiden, ob Berengar oder Guido II. die Krone der Langobarden und des Reichs der Römer gewinnen sollte.

Dies ganz zerrissene Land, aus welchem nun schwarmweis Tyrannen emporstiegen, sah sich demnach in seiner Not aufgerufen, den Einfluß des Auslandes für immer von sich zu entfernen, das Imperium abzuschaffen und sich selbst in ein einiges Königreich zu verwandeln – eine Aufgabe für einen großen Geist, der sich indes nicht fand noch finden konnte. Wenn Nikolaus I., wenn Johann VIII. noch gelebt hätten, so würden sie es wohl versucht haben, eine italienische Theokratie mit dem Zentrum Rom zu schaffen; Stephan war schwach, und die Obergewalt zahlloser unabhängig gewordener Vasallen würde selbst das Genie jener kühnen Päpste gelähmt haben. Es gab nicht einmal wirklich nationalitalienische Fürsten lateinischen Ursprungs, auf die man hoffen konnte, denn die damals mächtigen Herzöge waren germanischen Stammes. So kam es darauf an, ob einer von den beiden angesehensten Machthabern Italiens Kraft und Glück genug besaß, Mitbewerber oder Gegner zu seinen Vasallen herabzusetzen.

Die erlauchte fränkische Abstammung gab dem friaulischen Markgrafen Berengar einen helleren Glanz, denn er war der Sohn Giselas, der Tochter Ludwigs des Frommen, welche sich einst dem Grafen Eberhard vermählt hatte. Dagegen beherrschte Guido Spoleto und Camerino; er hatte die schrecklichen Zustände Unteritaliens benutzt, um dort Länder und Vasallen zu gewinnen, und die Nähe Roms wie die erzwungene Freundschaft des Papsts gaben ihm Vorteile über Berengar. Nur seine Absichten auf Frankreich, wo ihn, einen Franken von Stamm, eine Partei unter der Leitung seines mächtigen Verwandten Fulco, des Erzbischofs von Reims, zum Könige ausgerufen hatte, hinderten seine Erfolge in Italien. Er eilte dorthin, er ließ die Wirklichkeit fallen, um nach einem Luftgebilde zu haschen, und Berengar wurde in aller Ruhe zu Pavia als König der Lombarden gekrönt, am Anfange des Jahres 888. Aber Guido kehrte mit dem leeren Namen eines Königs von Frankreich zurück und wandte sich erbittert zum Kampf gegen Berengar. Nach zwei mörderischen Schlachten erhielt er die Oberhand; dann nahm auch er im Jahre 889 in Pavia die Königskrone Italiens.

Das fränkische Kaisertum blieb jedoch eine unauslöschliche Tradition; es wurde von Guido im alten Sinne hergestellt, ohne daß ihm der Gedanke einfiel, sogenannten nationalen Bestrebungen Rechnung zu tragen. Denn das Bewußtsein italienischer Nationalität war in jener Epoche sehr schwach. Es gab eine lombardische, spoletische, tuszische Partei, die man in gewissem Betracht national nennen kann, doch keine italienische Nation in politischem und sozialem Sinn, weil alle Grundlagen dafür, gemeinsame Interessen, Sprache, Literatur und politische Einheit, fehlten. Das Papsttum in Rom, die größte Macht Italiens, war durch sein Weltprinzip über den Nationalismus hinausgestellt, und im Norden wie im Süden der Halbinsel waren alle die Bischöfe, Herzöge und Grafen Franken oder Langobarden und hie und da auch Griechen. Doch erst am 21. Februar 891 empfing Guido im St. Peter die Krone. Es nannte sich demnach ein Vasall der Karolinger kühn Augustus, den großen und friedestiftenden Imperator, und er zeichnete seine Dekrete nach dem üblichen Stil mit dem Postkonsulat. So war das Imperium seit langen Jahrhunderten zum erstenmal wieder von den Italienern einem Großen, wenn auch nicht lateinischen Stammes, so doch ihres Landes übertragen worden. Ob es nun bei Italien bleiben würde, ob Guido eine neue kaiserliche Dynastie zu begründen imstande war, dies konnte als die wichtigste Frage jener Zeit erscheinen.

Stephan, welcher seinem Adoptivsohn die Krone aufs Haupt gesetzt hatte, mußte sich dabei gestehen, daß die Politik vieler seiner Vorgänger erreicht war. Die kaiserliche Majestät, den Päpsten, den Römern und Italienern unbequem geworden, war zu einem Schatten herabgesunken; die höchste Würde, welche auf der Macht und Größe des von Karl gestifteten Reichs beruhte, schmückte die kleine Person eines Herzogs, der in der Mitte Italiens einige Landschaften besaß und vom Papst den Titel der Cäsaren empfing.

Stephan V. starb im September 891. Kein Denkmal blieb von ihm in Rom, denn die Kirche der Apostel, welche er von Grund aus neu erbaute, hat ihre alte Gestalt nicht mehr bewahrt. Er zeichnete diese Basilika aus, weil sie die Pfarrei seines adligen Geschlechtes war; der Palast seines Vaters stand wohl in ihrer unmittelbaren Nähe.


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