Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Lokaler Charakter der römischen Heiligen jener Titelkirchen. Deren örtliche Verteilung. Die Titel zur Zeit Gregors des Großen um das Jahr 594. Begriff der Titel. Die Kardinäle. Die »Sieben Kirchen« Roms.

Es ist für die Geschichte des römischen Kultus lehrreich zu wissen, welchen Heiligen diese alten Pfarrkirchen geweiht waren. Hier zeigt sich, daß noch der Grundsatz lokaler Angehörigkeit festgehalten wurde, denn die Apostel ausgenommen, waren alle jene heiligen Männer und Frauen Römer von Geburt oder doch in Diensten der römischen Kirche und durch den Martertod um sie verdient. Noch findet sich kein griechischer Heiliger in Rom. Allen Aposteln war eine Pfarrkirche geweiht worden; von den Evangelisten hatte man nur Matthäus und Marcus diese Auszeichnung gegeben. Unter den Bischöfen Roms besaß Clemens schon frühe die Ehren eines Altars, und neben ihm wahrscheinlich Silvester und Marcellus, während die Basiliken des Julius, Calixtus und Caius nur den Namen ihrer Erbauer trugen. Von Priestern und Diakonen finden sich manche ausgezeichnet, vor allem Laurentius, dann Chrysogonus, Eusebius und Nicomedes. Von Senatoren behaupten ihre Titel Pudens und Pammachius, der erste Mönch Roms aus erlauchtem Geschlecht. Größer war die Schar der Märtyrer, denen Kirchen geweiht wurden; zahlreich ferner die Menge der heiligen Frauen, unter denen um jene Zeit besonders Agnes, Praxida, Pudentiana, Sabina, Caecilia, Susanna, Anastasia, Prisca verehrt wurden, während die frommen Matronen Lucina und Vestina ihren Namen, wenn auch keinen Altar, zweien Kirchen gaben. Die Menge dieser weiblichen Heiligen erklärt sich aus dem Anteil, den die Matronen Roms an der Ausbreitung der Kirche nahmen; sie waren es auch, welche, nach der Bemerkung des Ammianus, ihr die meisten Geschenke machten.

In bezug auf die örtliche Verteilung finden sich die meisten Pfarrkirchen auf dem ausgedehnten, vom niedern Volk bewohnten Esquilin, nämlich vier: Praxida, Pudentiana, Matthäus und Eusebius; auf dem Viminal, wo er in den Quirinal übergeht, drei Pfarrkirchen: Cyriacus, Susanna und Vitale; auf den Carinen: Equitius (wir kennen dort auch schon S. Pietro ad Vincula); auf dem Coelius: Clemens und Pammachius. Auf der Via Lata: Marcellus und Marcus; unter dem Palatin: Anastasia; auf dem Marsfelde: die beiden Kirchen des Laurentius; auf der Via Appia die Titel Tigridae und Fasciolae; auf dem Aventin zwei Pfarrkirchen: Sabina und Prisca; in Trastevere drei Pfarrkirchen: St. Maria noch unter dem Titel Juli, Chrysogonus und Caecilia.

Ein späterer Kirchenschriftsteller hat jene 28 Titel nach demselben Verzeichnis der Synode des Symmachus und aus dem Buch der Päpste hergestellt; aber er hat die Titel Romani und Byzantis ausgelassen und statt ihrer den des Caius und der Eudoxia Augusta oder S. Pietro ad Vincula aufgenommen, obwohl diese Kirche weder in den Akten des Symmachus noch in denen Gregors des Großen als Titel genannt wird. In der römischen Synode, welche dieser Papst im Jahre 594 hielt, sind nämlich die Presbyter von folgenden Titelkirchen unterschrieben:

       
  1. Silvester
  2. Vitalis
  3. Johannes und Paulus
  4. Laurentius
  5. Susanna
  6. Marcellus
  7. Julius und Callistus
  8. Marcus
  9. Sixtus
  10. Balbina
  11. Nereus und Achilleus
  12. Damasus
  13. Prisca
  14. Caecilia
  15. Chrysogonus
  16. Praxedis
  17. Apostolorum
  18. Sabina
  19. Eusebius
  20. Pudens
  21. Marcellinus und Petrus
  22. Quiriacus
  23. Quatuor Coronatorum

Zur Zeit Gregors des Großen sind also fünf von den Titelkirchen des Symmachus nicht genannt, nämlich: die Aemiliana, Crescentiana, Nikomedes, Matthaeus und Caius. Dagegen finden wir als bestimmt neue Titel folgende: die St. Balbina auf dem Aventin, und auf dem Coelius die Basilika der Heiligen Marcellinus und Petrus und der Quatuor Coronatorum.

Die Titel waren solchen Heiligen oder Märtyrern errichtete Kirchen, welche von ihnen oder auch von den Gründern den Namen führten, ihr Zweck war die Taufe und Buße der zum Christentum übergetretenen Heiden und die Verehrung der Märtyrergräber. Der Bischof Marcellus soll deren im Jahre 304 zuerst 25 an Zahl festgestellt haben. Sie entsprachen den Diözesen oder Parochien und waren die eigentlichen Pfarrkirchen Roms. Ausgezeichnet vor den späteren Versorgungsanstalten der Witwen, Waisen und Armen, den sogenannten Diakonien, welche erst im VII. Jahrhundert sichtbar werden, endlich vor den vielen Bethäusern ( Oratoria, oracula), hatten sie allein das Recht, die Sakramente zu verwalten. Indem sich in ihnen die ursprüngliche Zahl von je einem Presbyter oder Pfarrer auf zwei, drei und mehr vergrößerte, wurde der angesehenste derselben Cardinalis oder Presbyter-Kardinal genannt.

Nach der Ansicht der Kirchenschriftsteller ist die seit dem Papst Julius I. im Jahre 336 feststehende Zahl von 28 Kardinal-Presbytern lange Zeit nicht überschritten worden. Sie sollte den vier Patriarchalkirchen St. Peter, St. Paul, S. Lorenzo vor den Mauern und S. Maria (Maggiore) entsprechen, indem je sieben Kardinal-Presbyter in jeder dieser Hauptkirchen je einen Tag in der Woche die Messe lasen, während der bischöflichen Kirche Roms, dem St. Johann im Lateran, später sieben Bischöfe aus der Nähe der Stadt ( suburbicarii) als Kardinalbischöfe beigegeben wurden, nämlich die von Ostia, Portus, Silva Candida und Sancta Rufina, von der Sabina, von Praeneste, von Tusculum und Albanum. Unter Honorius II. wurden seit 1125 die Titel vernachlässigt und dann 21 Kirchen zu neuen erhoben. Doch scheinen seit alter Zeit neben den größeren Titeln auch kleinere für die Heiligengräber bestanden zu haben, und dies mag die Verwirrung erklären, die überhaupt in den Angaben der alten Kardinalstitel herrscht.

Getrennt von diesen Pfarrkirchen genossen schon damals fünf Basiliken innerhalb und außerhalb der Stadt als Patriarchien das höchste Ansehen: St. Johann im Lateran, St. Peter, St. Paul, St. Laurentius vor den Mauern und S. Maria (Maggiore). Sie waren nicht einem Kardinal zugewiesen; sie hatten keinen bestimmten Sprengel, sondern ihr Priester war der Papst als römischer Bischof und ihre Gemeinde die Gesamtheit der Gläubigen. Zu ihnen gesellte sich schon im IV. Jahrhundert, in bezug auf allgemeine Verehrung, die Basilika des St. Sebastian auf der Appischen Straße, weil sie über berühmten Katakomben erbaut war, und später auch die Basilika des Heiligen Kreuzes in Jerusalem. Dies sind die sogenannten »Sieben Kirchen Roms«, welche das ganze Mittelalter hindurch von den Pilgern des Abendlandes besucht und verehrt wurden.


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