Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Die Vandalen landen in Portus. Ermordung des Maximus. Leo vor Geiserich. Einzug der Vandalen in Rom, Juni 455. Plünderung Roms durch vierzehn Tage. Plünderung des Palatium und des Jupitertempels. Die alten Spolien des Tempels von Jerusalem. Ihre Schicksale. Sagen des Mittelalters.

Kaum zeigte sich vor Portus das Geschwader des fremden Königs, welches beutegierige Schwärme von Vandalen und heidnischen Berbern heranführte, als das verzweifelte Volk in Rom einen Aufstand erhob. Maximus hatte seinen Sohn Palladius mit einer Tochter der Eudoxia vermählt und zum Cäsar erklärt, aber dies scheint seine einzige Regentenhandlung gewesen zu sein. Er traf keine Verteidigungsanstalten, sondern, ganz besinnungslos geworden, entließ er seine Umgebung, gab allen die Freiheit zu gehen, wohin sie wollten, und eilte selbst aus dem Palast, sich durch die Flucht zu retten, welche bereits Volk und Adel in grenzenloser Verwirrung fortriß. Auf der Straße steinigten ihn Bediente des Palastes; man warf den zerrissenen Körper in den Tiberstrom. So fiel Petronius Maximus nach einer Herrschaft von nur 77 Tagen.

Geiserich, welchen die Nachricht von der Palastrevolution in Rom herbeigelockt hatte, landete unterdes am Tiber und zog mit seinem furchtbaren Heer auf der Portuensischen Straße heran. Niemand trat ihm in den Weg außer demselben Bischof Leo, welcher bereits dem schrecklichen Attila entgegengetreten war. Von seiner Geistlichkeit umringt, hielt er furchtlos den Zug der Feinde auf, und er sagte Geiserich mit beredten Worten alles das, was er einst dem Hunnenkönige gesagt hatte. Der Vandalenherrscher erblickte zwar den Schatten des drohenden Apostels mit gezücktem Schwert nicht über sich: doch er gab dem ehrwürdigen Bischof das Versprechen, Rom mit Feuer und Schwert zu verschonen und sich nur auf Plünderung zu beschränken.

Es war am dritten Tage nach der Ermordung des Maximus, daß Geiserich durch das Tor von Portus in die unverteidigte Stadt einrückte. Die unseligen Römer sahen jetzt, nachdem fünfundvierzig Jahre früher Steppenvölker von Pannonien ihre Paläste ausgeleert hatten, die räuberischen Beduinen vom Lande Jugurthas, mit den germanischen Vandalen vermischt, gleichsam das Eingeweide ihrer Stadt durchwühlen. Wenn sich die Goten in nur dreitägiger Plünderung mit wütender Hast auf Rom stürzten, so viel zu entraffen, als möglich war, und wenn diese unerhörte Tatsache sie selbst verwirrte, so plünderten die Vandalen mit schamloser Bequemlichkeit, denn ihnen verstattete Geiserich eine volle Frist von vierzehn Tagen. Dieses Schauspiel ist schrecklich. Es gibt kaum in der Geschichte der Menschheit einen so beleidigenden Anblick, als welchen das ganz entehrte Rom in der vandalischen Plünderung darbietet. Kein gleichzeitiger Geschichtschreiber hat diese wilden Szenen zu schildern vermocht; keine Klagestimme eines Römers gibt von ihnen Kunde.

Was Goten verschont oder was Römer seither ersetzt hatten, in Palästen, Kirchen und öffentlichen Gebäuden, fand nun seine Räuber. Die Ausleerung Roms konnte nach einem System betrieben werden. Man sah zu gleicher Zeit in allen Straßen der Stadt plündern und Hunderte von beladenen Wagen aus dem Tor von Portus hinausfahren, um den Raub nach den Schiffen zu bringen, welche den Tiber bedeckten. Indem sich die Barbaren vor allem auf das Palatium, den Sitz der Kaiser, stürzten, in dessen Gemächern die unselige Eudoxia jetzt die Gefangene Geiserichs war, raubten sie dies mit solcher Gier aus, daß sie selbst von den kupfernen Geschirren nichts übrigließen. Auf dem Kapitol plünderten sie den noch unzerstörten Tempel des Jupiter; Geiserich raffte nicht allein Statuen zusammen, welche dort noch verschont geblieben waren und mit denen er seine afrikanische Residenz zu schmücken gedachte, sondern er ließ auch das Tempeldach zur Hälfte abdecken und die Ziegel von vergoldeter Bronze auf die Schiffe laden.

Eine andere Beute erregt unsere Teilnahme in noch höherem Grade. Dies waren die Spolien Jerusalems. Noch heute sieht der Wanderer in Rom die unvollkommenen Abbilder der Salomonischen Tempelgefäße, welche ein Überrest der Skulpturen im Titusbogen zeigt, und er betrachtet mit Verwunderung den siebenarmigen Lychnuchus, den heiligen Opfertisch mit den zwei Weihrauchgefäßen, zwei lange Tuben und eine Lade. Er mag wissen, daß damit jene Beute bezeichnet wird, welche von Titus aus Jerusalem nach Rom geführt worden war und Flavius Josephus genau beschrieben hat. Von diesen Spolien hatte Vespasian die Vorhänge des Tempels und die jüdischen Gesetzbücher in den Cäsarenpalast gebracht, den goldenen Leuchter aber und die köstlichen Gefäße in seinem Friedenstempel niedergelegt. Diesen selbst verzehrte unter Commodus ein Brand, aber man hatte Zeit, die jüdischen Schätze zu retten; man legte dieselben an einem andern, uns nicht bekannten Orte nieder, wo sie jahrhundertelang verblieben. Unter den Schätzen, welche Alarich zu Carcassonne aufhäufte, befanden sich auch schöne, mit Prasinen geschmückte Gefäße des Salomonischen Tempels, die er in Rom erbeutet hatte. Aber andere jüdische Kostbarkeiten waren hier zurückgeblieben, denn Geiserich ließ hebräische Gefäße aus jener alten Beute des Titus zusammen mit den aus römischen Kirchen geraubten Geschirren zu Schiff nach Karthago fortführen.

Das seltsame Wanderschicksal der jüdischen Tempelschätze endete damit nicht. Noch achtzig Jahre später fand sie Belisar in Karthago, worauf sie mit der vandalischen Beute im feierlichen Triumph durch Konstantinopel geführt wurden. Der Anblick dieser heiligen Gefäße versetzte dort die Juden in tiefen Schmerz; sie schickten eine Deputation an den Kaiser, ihr Eigentum zurückzufordern. Wenigstens läßt Procopius einen begeisterten Hebräer im Dienste Justinians auftreten und ihn ermahnen, er möge die mystischen Gefäße nicht in dem Palast zu Byzanz niederlegen, denn sie würden nirgend Ruhe finden als an jenem Ort, den ihnen Salomo ursprünglich bestimmt hatte. Ihre Entfernung aus dem alten Tempel sei der Grund gewesen, warum Geiserich die Cäsarenburg Roms und wiederum das römische Heer den Palast der Vandalen erobert hätten, in dem sich jene Gefäße zuletzt befanden. Von religiöser Scheu ergriffen, habe hierauf Justinian, so erzählt Procopius weiter, befohlen, die Tempelgefäße nach einer der christlichen Kirchen Jerusalems zu bringen. Ob nun diese Anekdote eines Zeitgenossen Belisars ganz oder nur halb wahr ist, sie beweist, daß sich noch fast fünf Jahrhunderte nach Titus das Andenken an jene heiligen Gefäße im Gedächtnis der Menschen erhalten hatte. Wir müssen uns vorstellen, daß alle diese Jahrhunderte hindurch das Auge der Juden von Vätern zu den Enkeln herab über sie gewacht hatte. Seither verschwand ihre Spur; die Heiligtümer des Tempels Salomons mögen sich, wenn sie Jerusalem wirklich wieder erreicht hatten, als arabische Beute im Orient verloren haben. Zu derselben Zeit Justinians behauptete der armenische Bischof Zacharias, welcher ein Verzeichnis der öffentlichen Werke Roms verfaßte, daß in der Stadt fünfundzwanzig eherne Bildsäulen bewahrt würden, darstellend Abraham, Sara und die Könige aus dem Stamme David, welche Vespasian nebst den Torflügeln und andern Monumenten Jerusalems nach Rom gebracht haben sollte, und die römische Sage im Mittelalter rühmte, daß die Lateranische Basilika die heilige Bundeslade mit den Tafeln des Gesetzes, den goldenen Kandelaber, die Stiftshütte, ja selbst die Priestergewänder Aarons verwahre.

Vielleicht befanden sich in derselben Beuteflotte der Vandalen der Salomonische Lychnuchus und die Statue des Kapitolischen Jupiter, Symbole der ältesten Religionen des Morgen- und Abendlandes. Ausdrücklich erwähnt Procopius eines Schiffs, welches mit Statuen befrachtet war und allein von allen andern das Schicksal hatte, zu versinken, während die übrigen den Hafen Karthagos glücklich erreichten.


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