Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Nikolaus I. wird Papst. Er unterwirft sich den Erzbischof Ravennas. Das griechische Schisma des Photius bricht aus. Beziehungen Roms zu den Bulgaren. Die Gesandten des Königs Boris in Rom. Formosus geht als Missionar nach Bulgarien. Versuch Roms, dieses Land zu seiner kirchlichen Provinz zu machen. Die bulgarische Konstitution Nikolaus' I.

Benedikt III. starb am 8. April 858, als Ludwig eben erst Rom verlassen hatte, wohin er aus unbekannten Gründen gekommen war. Der Kaiser kehrte daher sofort nach der Stadt zurück, um durch seine persönliche Anwesenheit Ungesetzlichkeiten bei der Papstwahl zu verhüten, bei dieser selbst aber seine Rechte wahrzunehmen. Er bewog die Römer, ihre Stimmen auf den Diaconus Nikolaus zu vereinigen, einen ausgezeichneten Mann edlen Geschlechts, den Sohn des Regionar Theodor. Der Erwählte wurde vor den Augen des Kaisers am 24. April im St. Peter geweiht, und nachdem Ludwig den Festen der Ordination beigewohnt hatte, verließ er die Stadt. Die Achtung, die er Nikolaus bewies, welcher unter dem Klerus manche Widersacher zählte, und die dankbare Gesinnung, die ihm dieser Papst zu bezeugen eilte, lassen vermuten, daß zwischen beiden ein persönliches Verhältnis bestand. Als der Kaiser Rom verlassen hatte, hielt er bei St. Leucius Rast, wo heute die Ruinen der Torre del Quinto liegen. Dort stattete ihm Nikolaus mit der hohen Geistlichkeit und dem Adel einen Besuch ab. Der Kaiser eilte ihm entgegen, führte eine Strecke lang sein Pferd am Zügel, bewirtete ihn in seinem Zelt, verabschiedete ihn reich beschenkt und ließ sich nochmals herab, den Zelter zu führen, als der Papst sich empfahl. Mit dieser stolzen Haltung vor einem Kaiser, der sich selbst so tief erniedrigte, begann Nikolaus I. seinen Pontifikat.

Ereignisse ernsterer Art machten ihn besonders schwierig, denn die Nationalkirchen erhoben sich gerade jetzt zum Kampf wider die beginnende Monarchie des Papsttums. Doch Nikolaus trat Königen wie Bischöfen fest und entschieden gegenüber, schleuderte Bannstrahlen nach Konstantinopel, gab barbarischen Völkern wie einst Gregor der Große weise Konstitutionen, und vor seinem gebietenden Blick wagten weder die Barone noch die Kardinäle Roms sich zu erheben.

Im ersten Jahr seines Pontifikats zeigte sich Ravenna widerspenstig. Der dortige Erzbischof Johannes strebte nach Selbständigkeit in seinem Gebiet, wo er Laien und Geistliche als Landesherr behandelte, Güter einzog, Bischöfe exkommunizierte und ihre oder der päpstlichen Beamten Reisen nach Rom verbot. Den Nuntien des Papsts erklärte er, daß der Erzbischof Ravennas nicht gehalten sei, vor einer römischen Synode zu erscheinen. Nikolaus lud ihn dreimal vor und exkommunizierte ihn. Johannes reiste nach Pavia zu Ludwig und dann, von dessen Legaten begleitet, nach Rom; allein Nikolaus lehnte mit Festigkeit jede Vermittlung des Kaisers ab, worauf der Erzbischof die Stadt verließ. Nun forderten Gesandte der Aemilia und des ravennatischen Adels den Papst auf, selbst in jenes Land zu kommen, um sie vor der Willkür des Erzbischofs und seines Bruders Georg zu schützen. Johann erwartete die Ankunft des Papstes nicht, er ging wieder zum Kaiser, während Nikolaus die Ravennaten in Person durch Wiederherstellung ihrer Güter beruhigte. Der Erzbischof unterwarf sich, der Papst absolvierte ihn, aber er legte ihm die Verpflichtung auf, einmal im Jahre sich in Rom zu stellen; er verbot ihm, Bischöfe in der Aemilia zu weihen, ohne die Erlaubnis des Heiligen Stuhls und ehe sie durch den päpstlichen Dux, den Klerus und das Volk erwählt worden waren. Er verbot ihm, von ihnen Abgaben zu erpressen, ihre Reisen nach Rom zu hindern, und schrieb ihm vor, in allen Streitsachen sich dem Ausspruch des Gerichts in Ravenna zu unterwerfen, welchem der päpstliche Missus und der Vestararius jener Stadt beiwohnen sollten. Nachdem Johannes diese Synodalbeschlüsse unterzeichnet hatte, verließ er Rom, und Nikolaus errang einen entschiedenen Sieg auch als weltlicher Gebieter in der Aemilia und Pentapolis.

Schwieriger war der Streit mit Konstantinopel, welcher um diese Zeit begann, zu einem unheilbaren Schisma führte und die Trennung Roms vom griechischen Reiche vollständig machte. Aber diese Ereignisse, in denen die Namen Photius und Ignatius glänzen, fallen aus dem Bereich der Geschichte der Stadt und können nur flüchtig in ihr berührt werden. Im Dezember 857 war der orthodoxe Patriarch Ignatius durch die Ränke des Ministers Bardas vom Kaiser Michael seines Amtes entsetzt und der Protospathar Photius, ein durch Gelehrsamkeit seine Zeit hoch überragender Mann, unmittelbar aus dem Laienstande auf den byzantinischen Stuhl erhoben worden. Ein Kampf zwischen den Ignatianern und Photianern entbrannte im Orient; die Parteien aber appellierten an Rom, worauf die päpstlichen Legaten, der Bischof Radoald von Portus (einst Anhänger des rebellischen Kardinals Anastasius) und Zacharias von Anagni, sich bestechen ließen und die Einsetzung des Photius billigten. Der Papst bannte jetzt diese Verräter seines Willens, verdammte auf der römischen Synode im April 863 Photius und gebot ihm, vom Patriarchenstuhl zu steigen. Legaten gingen zwischen Rom und Konstantinopel hin und her, so daß die Stadt seit dem Bilderstreit nicht mehr so viele Griechen in ihren Mauern gesehen hatte. Die kaiserlichen Spathare brachten freilich keine kostbaren Evangelien, sondern Briefe, welche Haß und Verachtung diktiert hatten. Der Streit nahm eine dogmatische Wendung, sobald Photius die Artikel formierte, die er der lateinischen Kirche als Ketzereien vorwarf: ihr Fasten am Sabbat, die Ehelosigkeit der Priester und vor allem das filioque, die Annahme des Ausganges des Heiligen Geistes auch vom Sohn – Meinungen und Dinge, welche den Verstand unserer Zeit glücklicherweise nicht mehr aufregen würden, aber in Jahrhunderten, wo die Menschheit an würdigen Problemen der Philosophie verarmt war, hinreichten, die Gemüter zu entzünden und jene große Spaltung hervorzurufen, die nun beide Kirchen für immer trennt. Photius belegte den Papst seinerseits mit dem Anathem, aber er wurde durch des Kaisers Michael Ermordung von dessen Nachfolger Basilius im Jahre 867 abgesetzt, und so zog sich der erbitterte Kampf durch den ganzen Pontifikat des Nikolaus hin.

Der Hader mit dem Osten wurde auch durch die erfolgreichen Beziehungen Roms zu einem barbarischen Volk an den byzantinischen Grenzen tief berührt. Wenn Gregor der Große seine väterliche Hand nach Britannien ausstreckte, den Angelsachsen das römische Kirchengesetz zu geben, so war dies den Griechen gleichgültig, aber wenn Nikolaus die Bulgaren in den Schoß der römischen Kirche aufzunehmen versuchte, so mußte diese Absicht ihre Eifersucht in hohem Grad erregen. Jenes furchtbare Slawenvolk saß seit einigen Jahrhunderten an dem südlichen Donauufer in der reichen Landschaft Mösiens. Es hatte mit den fränkischen Grafen in Pannonien oftmals gekämpft und wegen der Grenzen unterhandelt; es drang bis vor die Mauern Konstantinopels und tief in die Provinzen jenseits des Balkan ein, und mehr als ein griechisches Heer war seinen Pfeilen erlegen. Seit dem Jahre 811 trank der wilde Bulgarenkönig aus dem Schädel eines byzantinischen Kaisers, wenn er allein an der Tafel saß, umringt von seinen schrecklichen Kriegern, die auf Sesseln in scheuer Ferne oder am Boden liegend ihre rohe Kost verzehrten. Es war die in Gold gefaßte Hirnschale jenes Nikephorus, welcher die Kaiserin Irene entthront hatte. Das Christentum fand seinen Weg zu diesen rohen Horden von Byzanz her durch zwei Brüder, die Slawenapostel Constantin und Methodius aus Thessalonich. Der König Boris, im Frieden mit dem Kaiser Ludwig, hatte sich im Jahre 861 unter dem Namen Michael griechisch taufen lassen; er hatte die heidnische Partei seiner Großen, die ihm nach dem Leben stand, unter dem Schutz der himmlischen Heiligen oder mit dem Säbel und Mut eines tapfern Kriegers überwältigt und schickte nun Gesandte nach Rom. Zweifel über die Art, wie das Bulgarenvolk zu taufen sei, wahrscheinlich angeregt durch den Widerspruch der Missionare in seinem Lande, wo sich lateinische und griechische Geistliche entgegenarbeiteten, schienen ihren Weg auch in die Seele des Königs gefunden zu haben, welcher bisher seine heidnischen Lebensjahre in glücklicher Unwissenheit zugebracht hatte. Der Patriarchenstuhl in Konstantinopel war eben Gegenstand eines wütenden Kampfs zwischen zwei Prätendenten, und Boris, welcher den byzantinischen Einfluß von seinem Lande abhalten wollte, wandte sich an den Papst, um von ihm Rat und Priester für sein Volk zu holen.

Die bulgarischen Gesandten, geführt von des Königs eignem Sohne, trafen im August 866 in Rom ein. Unter den reichen Geschenken, die sie mit sich brachten, befanden sich auch die siegreichen Waffen des Fürsten, welche er während seines Kampfs mit den heidnischen Rebellen in der Faust geführt hatte; er bestimmte sie zum Weihgeschenk für St. Peter. Die Kunde davon erregte jedoch den Zorn des gegen den Papst bereits aufgebrachten Kaisers Ludwig, welcher sich eben in Benevent befand. Er verlangte die Auslieferung der Waffen und der übrigen bulgarischen Geschenke; er mochte dafürhalten, daß solche Siegeszeichen dem St. Peter nicht geziemten, und begehrte sie als kriegerische Trophäen einer neuen Provinz Bulgarien, die er selbst dem Reich einzuverleiben hoffte. Nikolaus gewährte einiges, anderes behielt er mit Entschuldigungen zurück. Die bulgarischen Männer wurden indes in Rom mit offenen Armen empfangen. Zwei Bischöfe wählte der Papst aus, in der Bulgarei zu lehren, Paulus von Populonia und Formosus von Portus, welcher einst die Papstkrone tragen sollte. Mit ihnen ging eine nach Konstantinopel bestimmte Gesandtschaft, um durch das Bulgarenreich nach dieser Stadt zu reisen. Glücklich gelangten die Nuntien in jenes Land, aber die für den byzantinischen Hof bestimmten wurden nicht über die Grenze gelassen, sondern mußten umkehren. Formosus und Paul jedoch tauften unausgesetzt Bulgarenscharen; sie verdrängten die griechischen Missionare, sie bewogen den König, nur lateinische Geistliche, nur römischen Kultus anzunehmen, ja der kluge Formosus wurde durch eine Gesandtschaft an den Papst zum Erzbischof der Bulgarei begehrt. Indes Nikolaus schlug diese Bitte ab, weil er Portus seines Hirten nicht berauben wollte, aber er sandte noch mehrere Presbyter in das ferne Land, von denen er einen zum Erzbischof zu wählen befahl.

Schon vorher hatte er die kindischen Zweifel der Bulgaren beschwichtigt, und seine unter dem Titel Responsa zusammengefaßten Antworten bilden gleichsam einen Codex bürgerlicher Konstitutionen für eine rohe Nation. Es ist kaum eine Pflicht oder Vorkommenheit des bürgerlichen Lebens, über welche die einfältigen Bulgaren nicht Aufklärung verlangten; sie fragten, unter welchen Formen sie heiraten, in welchen Zeiten sie sich ehelich vermischen dürften, wann sie des Tages essen, wie sich kleiden sollten, ob sie Verbrecher aburteilen dürften, und sie erinnern an die Wilden von Paraguay und die ihnen von den Jesuiten gegebene Verfassung. Sie versicherten, daß sie bisher gewohnt gewesen, in die Männerschlacht einen Pferdeschweif als Fahne voraufzutragen, und fragten, was sie statt dieser Reitersymbols bei sich einführen sollten. Der Papst ersetzte den Pferdeschweif durch das Kreuz. Sie sagten, daß sie vor der Schlacht allerlei Zaubereien vorzunehmen gewohnt gewesen, um den Sieg von den Göttern zu erlangen, und der Papst riet ihnen, statt solche Zeremonien zu verrichten, in den Kirchen zu beten, die Kerker aufzutun, Sklaven und Kriegsgefangene zu befreien. Der König fragte, ob es christlich sei, daß er stolz allein schmause, abgesondert von der Königin und den Kriegern; der Papst antwortete ihm durch Ermahnung zur Demut und versicherte, daß die alten berühmten Könige sich herabgelassen hätten, mit ihren Freunden und Sklaven zu speisen. Auf eine mehr politische als praktische Frage, welche Bischöfe als wahre Patriarchen zu verehren seien, nahm sich Nikolaus die willkommene Gelegenheit, umständlich und auch für Konstantinopel laut genug zu antworten. Der erste aller Patriarchen, so sagte er, sei der Papst in Rom, dessen Kirche von den Apostelfürsten gegründet worden; die zweite Stelle nähme Alexandria ein, als Stiftung des heiligen Marcus; die dritte Antiochia, weil Petrus diese Kirche verwaltet habe, ehe er nach Rom kam. Diese drei seien apostolische Patriarchate. Byzanz dagegen und Jerusalem dürften keine solche Autorität beanspruchen; der Sitz in Konstantinopel sei von keinem Apostel gestiftet und der Patriarch dieser Neu-Rom genannten Stadt nur durch Gunst der Kaiser, nicht aber durch innern Rechtsgrund Pontifex genannt.

Dies und ähnliche Artikel enthielt die Bulgarische Konstitution Nikolaus' I., eines der merkwürdigsten Denkmäler der praktischen Tätigkeit und Klugheit der römischen Kirche, welche in Gegenden, die seit Valens und Valentinian Lateiner kaum mehr betreten hatten, plötzlich ohne Gewalt der Waffen und Tribunale römische Gesetze verpflanzte und sich im fernen Osten eine neue Provinz zu gewinnen unternahm. Die Beziehungen zwischen Nikolaus und dem Könige Boris, so ganz anderer Natur, waren in Wahrheit für Rom nicht minder glorreich als die Siege, die einst Trajan über den König Decebalus in jenen Donaugegenden erfochten hatte. Indes, die geistliche Provinz Bulgarien blieb nicht lange im Besitze Roms, sondern sie wurde schon im Jahre 870 mit der griechischen Kirche vereinigt.


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