Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Verschwörung der Nepoten Hadrians und anderer Aristokraten gegen Leo III. Attentat auf sein Leben. Seine Flucht nach Spoleto. Seine Reise nach Deutschland und Zusammenkunft mit Karl. Rom in der Gewalt des Adels. Alcuins Rat in betreff des Verfahrens Karls mit Rom. Rückkehr Leos nach Rom 799. Prozeß Karls gegen die Angeklagten durch seine Machtboten.

Ein plötzliches Ereignis sollte die unmittelbare Veranlassung zur Erneuerung des römischen Kaisertums werden. Die enge Verbindung Leos III. mit Karl, die Anerkennung von dessen Jurisdiktion in der Stadt, die Dringlichkeit, mit welcher ihn der Papst aufgefordert hatte, davon Besitz zu ergreifen, lassen ahnen, daß Leo den Ausbruch einer feindlichen Bewegung unter den Römern fürchtete. Im Laufe des VIII. Jahrhunderts hatte sich in der Stadt ein klerikales Aristokratenregiment ausgebildet, denn es waren vor allem die Proceres oder Judices de Clero, welche hier den größten Einfluß besaßen. Die sieben Minister des Palasts leiteten alle Angelegenheiten, und seit fast einem Jahrhundert war der Primicerius der Notare nächst dem Papst der bedeutendste Mann in Rom. Seine Macht hatte sich durch das gefährliche Beispiel des Christophorus und Sergius kundgegeben, aber sie war mit ihrem Falle nicht gemindert, unter Hadrian vielleicht vermehrt worden. Wir erkennen Zeichen einer ersten Begünstigung der Nepoten durch diesen Papst. Seine Familie, eine der hervorragendsten unter dem Adel, war durch ihn mächtiger geworden; die nächsten Verwandten Hadrians finden sich in den wichtigsten Staatsgeschäften und den höchsten Ämtern. Sein Oheim Theodat nannte sich Konsul und Dux und war Primicerius der Kirche; seine Neffen Theodor und Paschalis besaßen großen Einfluß in Rom. Paschalis war von ihm zum Primicerius erhoben worden, und da dieses Amt nicht vom Wechsel des Pontifikats betroffen wurde, blieb er nach dem Tode Hadrians in seinem Besitz. Der Neffe eines Papsts, welcher 23 Jahre lang Rom mit Glanz regiert und seine Familie an die höchsten Ehren gewöhnt hatte, sah mit Ingrimm die Regierung in den Händen eines Emporkömmlings aus fremder Familie. Seine Verwandten und Klienten, Kreaturen Hadrians, viele Optimaten des Klerus wie der Miliz liehen seinem Haß Gehör. Mit der persönlichen Feindschaft jenes Nepotengeschlechtes, welchem der neue Papst notwendig den bisherigen Einfluß nehmen mußte, vereinigte sich der Widerstand der Römer gegen die päpstliche Obergewalt. Er begann in derselben Stunde, als die weltliche Macht der Päpste geschaffen wurde, um sich in einer langen Kette von Revolutionen fortzusetzen, welche selbst am heutigen Tage noch nicht ihr Ende erreicht haben. Es gibt in Wahrheit in der ganzen Geschichte der Menschheit keinen Kampf von so langer Dauer eines und desselben unveränderten Prinzips als diesen der Römer und Italiener gegen das Dominium temporale der Päpste, deren Reich nicht von dieser Welt sein sollte.

Paschalis entwarf mit dem Saccellar Campulus (er scheint sein eigener Bruder gewesen zu sein) den Plan, dem Papst das Regiment zu entreißen und sich dann der Gewalt zu bemächtigen. Eine Prozession sollte dazu Gelegenheit geben, und dies Attentat fand eine tumultuarische Ausführung. Der 25. April, das Fest St. Marcus, war für die große Prozession bestimmt, welche jährlich an diesem Tage stattfand. Sie ging vom Lateran nach S. Lorenzo in Lucina, wo sie das Volk erwartete und die Collecta oder das allgemeine Gebet gehalten wurde. Der Papst pflegte dabei zu Pferde zu sitzen, begleitet von seinem Hof. Als Leo aus dem Lateran zog, gesellte sich Paschalis zu ihm, seinen Platz in der Reihe einzunehmen. Er ritt dem Papst vorauf, Campulus folgte ihm nach. Ihre Mitverschworenen warteten am Kloster St. Silvester in capite und überfielen hier den Zug mit gezückten Schwertern. Die Prozession zerstob; der Papst, vom Pferde geworfen, lag unter den Dolchen wütender Aristokraten. Man riß ihm die pontifikalen Gewänder ab, man versuchte mit byzantinischer Art ihm die Augen und die Zunge auszureißen; man ließ ihn endlich vor der Kirchentüre liegen. Paschalis und Campulus schleppten ihn hierauf ins Kloster und warfen ihn vor dem Altar nieder. Dann befahlen sie den griechischen Mönchen, ihn in einer Zelle zu bewachen. In der Nacht brachten sie ihn nach St. Erasmus auf dem Coelius, wo sie ihn einsperrten. Priester erzählten, daß ihm Gott auf Bitten des Apostels Petrus Augen und Zunge alsbald wiedergab, und dies Wunder bewies, daß sie der gemißhandelte Leo zu seinem Glück niemals verloren hatte. In Rom herrschte tiefer Schrecken, denn die blutigen Auftritte der Zeit des Usurpators Constantin drohten sich zu erneuern. Die Verschwörer waren zahlreich und vom höchsten Adel; ein Landbaron Maurus von Nepi, aus der Vaterstadt Totos und vielleicht dessen Familie angehörend, scheint sie mit bewaffneten Tusziern verstärkt zu haben. Aber die Freveltat raubte ihnen die Besinnung, oder sie fanden beim Volk nicht die erwartete Unterstützung ihrer schlecht entworfenen Pläne. Sie stellten keinen Gegenpapst auf, und dies zeigte, daß sie sich nicht gegen den Bischof, sondern gegen den Dominus Roms empört hatten. Die ganze Stadt befand sich in ihrer Gewalt.

Unterdes heilten die Wunden Leos, und eines Tags wurde Paschalis durch die Nachricht von seiner Flucht erschreckt. Der mutige Kämmerer Albinus und andere Getreue befreiten ihren Papst. Sie ließen ihn an einem Seil von der Klostermauer herab und brachten ihn wohlbehalten nach dem St. Peter. Um den Flüchtling scharte sich ein Teil des Klerus und Volks, so daß die Verschworenen nicht wagten, ihn vom Grabe des Apostels hinwegzureißen; sie plünderten die Häuser des Albinus und Leos, aber sie konnten seine weitere Flucht nicht hindern. Denn Winiges, der Dux von Spoleto, war auf die Meldung von den Vorgängen in Rom mit einem Heerhaufen in Begleitung des fränkischen Boten Wirundus, Abts von Stablo, herbeigeeilt; er nahm Leo am St. Peter auf und geleitete ihn sicher nach Spoleto.

Die Kunde vom Schicksal des Papsts verbreitete sich mit Schnelligkeit über die Länder, und Boten des Winiges zeigten Karl an, daß Leo in Person zu ihm zu kommen begehrte. Der König war im Begriff, zum Kriege nach dem Sachsenlande aufzubrechen, als ihm die nahe Ankunft des Papstes gemeldet wurde. Er zog bei Lippeham über den Rhein, schlug bei Paderborn ein Lager auf und erwartete hier den schutzflehenden Gast, nachdem er ihm den Erzbischof Hildebald von Köln, den Grafen Ascarich und auch den König Pippin entgegengeschickt hatte. Leo III. kam mit einigen römischen Geistlichen unter diesem ehrenvollen Geleit nach Paderborn. Als 40 Jahre früher sein Vorgänger Stephan zu Pippin reiste, kam er noch als ein geistlicher Bischof ohne Land und Herrengewalt; aber der Papst, welcher im Jahre 799 zum Sohne Pippins floh, war der Landesherr Roms und vieler Städte und Provinzen. Er kam gemißhandelt und vertrieben von den ihm »angehörigen« Römern, und Karl konnte sich jetzt der Folgen bewußt werden, welche die Verbindung des geistlichen Priestertums mit einer weltlichen Herrschaft nach sich ziehen mußte.

Das Zusammentreffen jener beiden Männer in Paderborn war ein welthistorisches Ereignis. Ein Dichter, welcher diese Szene als Augenzeuge beschrieb, borgte sich dazu einige Farben aus dem damaligen Schulvirgil und entwarf ein wertvolles Abbild des Begegnisses. Dies war wahrscheinlich derselbe Angilbert, der im Jahre 796 die Gesandtschaft an Leo übernommen hatte. Nachdem er in seinem Gedicht von Karl dem Großen Aachen »das zweite Rom« geschildert und den Hof des Königs verherrlicht hat, erhebt er sich zu einer Vision im antiken Stil. Dem Könige erscheint im Traum ein »trauriges Portentum und schreckliches Monstrum«, nämlich der an Augen und Zunge verstümmelte Papst, worauf er drei Boten nach Rom sendet, das Schicksal Leos zu erkunden. In raschen Zügen stellt der Dichter die dortigen Vorfälle, dann die Reise des Papsts und seine Ankunft in Paderborn dar. Leo kam in Begleitung des Königs Pippin, der ihm mit zehntausend Mann entgegengezogen war, Karl aber erwartete ihn inmitten seines Lagers. Beim Erscheinen des Papsts, bei dem Segen, den er sprach, sank das Heer dreimal in die Knie, und der größte Monarch des Abendlandes schloß den mißhandelten Flüchtling gerührt in seine Heldenarme. Die Kriegsscharen und Paladine, welche die Sarazenen Spaniens, die Avaren vom Ister, die Sachsen Deutschlands in mancher blutigen Schlacht überwunden hatten, begrüßten mit lufterschütterndem Zuruf die beiden Häupter der Christenheit. In den Waffenlärm mischten sich die Hymnen der Priester; Karl geleitete den Papst in den Dom, dann folgten auf die feierliche Messe Bankette, wo nach dem Ausdruck des virgilisierenden Poeten die Humpen des alten Bacchus vom süßen Falerner schäumten.

Während Leo unter hohen Ehren bei Karl verweilte und mit ihm die wichtigsten Angelegenheiten verhandelte, blieb Rom in der Gewalt der Faktion, die ihn vertrieben hatte. Doch der damalige Zustand der Stadt ist für uns mehr als dunkel. Der Lebensbeschreiber Leos wirft nur einen flüchtigen Blick darauf und sagt, daß die Usurpatoren die Güter St. Peters plünderten und verwüsteten. Die Anhänger des Paschalis, namentlich die herbeigezogenen Landbewohner, erlaubten sich manche Gewalttätigkeit, und sie kritisierten sicherlich den zu großen Besitz, welcher der Kirche zugefallen war; sie entwarfen eine Klagschrift, deren Verlust sehr zu bedauern ist, da sie die Gründe entwickelte, welche sie zur Empörung gegen Leo III. getrieben hatten; und unter diesen befanden sich auch Beschuldigungen des Ehebruchs und Meineids. Sie sandten ihre Rechtfertigung an den Patricius Roms. Das Verfahren der Aufständischen ist sehr merkwürdig; denn dieselben Römer, welche den Papst mißhandelt und verjagt hatten, erwarteten ruhig das Gericht Karls. Sie trafen weder Anstalten zu bewaffneter Verteidigung, noch widersetzten sie sich der Rückkehr Leos, noch versuchten sie durch die Flucht dem Verderben zu entgehen. Aus einem Briefe Alcuins an Karl geht hervor, welches Gewicht man ihrem Aufstande beilegte. Der König, welcher eben einen Kriegszug gegen die Sachsen unternehmen wollte, hatte ihm die römischen Ereignisse mitgeteilt und seinen Rat verlangt, und Alcuin antwortete ihm: es gab bisher drei höchste Personen in der Welt, den Stellvertreter St. Peters, der jetzt so gottlos mißhandelt worden ist, den Kaiser und Gebieter der zweiten Roma, welcher nicht minder barbarisch in dieser Zeit vom Thron gestürzt ist, endlich den König, dessen von Christus verliehene Würde Karl zum Regierer des christlichen Volks gemacht habe. In ihm allein, der jene beiden Würden an Macht und (wie er mit unabhängigem Urteil hinzusetzte) auch an Weisheit überrage, beruhe das Heil der Christenheit, und er fährt also fort: »Auf keine Weise ist die Rettung des Haupts (Roms) zu unterlassen. Es ist erträglicher, wenn die Füße (Sachsen) schmerzen, als wenn das Haupt wehe tut. Es möge mit dem schändlichen Volk Friede geschlossen werden, wenn es geschehen kann; die Drohungen seien ein wenig beiseite gesetzt, damit die Verhärteten nicht entrinnen: sondern man erhalte sie bei der Hoffnung, bis sie durch heilsamen Rat zum Frieden zurückgerufen werden. Was besessen wird (Rom), muß behauptet werden, damit nicht um den Gewinn des Geringeren das Größere verloren gehe. Es möge die eigene Herde bewahrt werden, damit sie nicht der räuberische Wolf verheere. Um das Fremde muß man sich so bemühen, daß an dem Eigenen nichts eingebüßt wird.«

Der König Karl entschloß sich, seine oberherrliche Gewalt mit unparteilicher Strenge in Rom auszuüben, nicht indem er den flüchtigen Papst, wie dieser vielleicht gehofft hatte, ohne weiteres mit Heeresmacht wieder in den Lateran zurückführte, sondern indem er ihn und seine Gegner vor sein richterliches Tribunal berief. Die Klagen der Optimaten gegen Leo müssen von Wichtigkeit gewesen sein; sie bezogen sich schwerlich bloß auf persönliche Vergehen, sondern auf die ganze weltliche Stellung des Papsts und seine Regierung in Rom. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte man die Nepoten Hadrians mit ihrer Partei nur als Meuchelmörder schlechtweg angesehen, so würden sie sich dem Richterspruch des Patricius nicht gestellt haben. Es ist anzunehmen, daß diese Männer von ihrem Recht überzeugt waren und daß sie dasselbe auf der uralten Majestät und Freiheit des römischen Volks begründeten.

Man darf glauben, daß Karl den Römern anzeigen ließ, er werde seine Machtboten zu ihnen schicken, um in einem regelrechten Prozeß das Urteil zu fällen. Denn im Herbst verließ Leo III. Deutschland und kehrte mit zahlreichem Gefolge ruhig nach Rom zurück. Es begleiteten ihn zehn Boten Karls als Instruktoren des Prozesses, die Erzbischöfe Hildebald von Köln, Arno von Salzburg, die Bischöfe Kunibert, Bernhard, Hatto, Flaccus und Jesse und die Grafen Helmgot, Rotgar und Germar. Auf seiner Reise durch die Provinzen und Städte wurde er überall feierlich eingeholt. Sein Empfang vor Rom selbst konnte ihn überzeugen, daß er, im Schutze seiner Begleiter, hier nichts zu fürchten hatte. Als er sich am 29. November der Stadt näherte, fand er alle Klassen des Volks vor der Milvischen Brücke zu seiner Bewillkommnung aufgereiht. Klerus, Adel, Miliz, die Zünfte des Bürgerstandes, die Scholen der Fremden standen dort mit ihren Bannern bereit. Man geleitete ihn unter Gesängen zur Basilika des St. Peter, wo er die Messe las und die Kommunion gab.

Er blieb die Nacht in einem der bischöflichen Paläste am St. Peter, und erst am folgenden Tage zog er in den Lateran. Nach kurzer Zeit versammelten sich die Boten Karls im Triclinium Leos. Paschalis, Campulus und ihre Genossen stellten sich vor den fränkischen Abgesandten; der wichtigste Prozeß, der seit Jahrhunderten in Rom geführt wurde, beschäftigte die Richter mehrere Wochen. Die Akten desselben sind nicht auf uns gekommen; selbst nur ein so geringes Fragment wie jenes vom Prozeß des Usurpators Constantin würde vom höchsten Wert für die Geschichte sein, und die Erklärung des Lebensbeschreibers Leos III., daß jene Aristokraten nichts wider den Papst zu sagen hatten, würde sich wohl als unbegründet erweisen. Wenn es den Nepoten Hadrians auch nicht glückte, ihre Beschuldigungen gegen Leo als Priester zu erhärten, so werden sie sich doch über sein weltliches Verhältnis zur Stadt Rom ernsthaft ausgesprochen haben; die junge Landeshoheit der Päpste hatte ja schon unter Paul I. einen heftigen Widerspruch im römischen Adel erregt und zur Usurpation des Constantin Veranlassung gegeben. Was die Zusammensetzung des Gerichts selbst betrifft, so ist es nicht klar, ob die zehn fränkischen Boten auch römische Große als Schöffen hinzuzogen oder nicht, doch muß dies angenommen werden, weil der Prozeß den Papst und die Römer betraf. Über die Angeklagten wurde, so scheint es, das Schuldig ausgesprochen, aber die Strafe dem Ermessen Karls überlassen.


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