Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel

1. Honorius I. stirbt 638. Der Chartular Mauritius und der Exarch Isaak plündern den Kirchenschatz. Severinus Papst. Johannes IV. Papst. Das lateranische Baptisterium. Theodorus Papst 642. Rebellion des Mauritius in Rom. Tod des Exarchen Isaak. Palastrevolution in Byzanz. Constans II. Kaiser. Der Patriarch Pyrrhus in Rom. Die Kirchen St. Valentin und St. Euplus.

Honorius I. starb und wurde am 12. Oktober 638 im St. Peter begraben, worauf die Römer ihren Landsmann Severinus, Sohn des Labienus, zu seinem Nachfolger wählten. Seine Bestätigung verzögerte sich länger als ein Jahr, wahrscheinlich, weil der Erwählte sich weigerte, die Ekthesis des Patriarchen Sergius, eine dem Monothelismus günstige Formel, zu unterschreiben.

Ehe noch Severinus ordiniert war, beraubten die kaiserlichen Beamten gewaltsam den römischen Kirchenschatz. Im Vestiarium des bischöflichen Palasts bewahrte man nicht nur die zahlreichen Weihgeschenke, welche Kaiser, Konsuln und Privatpersonen gestiftet hatten, sondern auch das Geld, aus dem unter andern laufenden Ausgaben die Lösung der Kriegsgefangenen und die Almosen für die Armen bestritten wurden. Man wähnte, daß dort Honorius unermeßliche Summen aufgehäuft hatte, und seine prächtigen Bauten machten dies glaublich. Der Exarch Isaak befand sich in drückender Geldverlegenheit: die kaiserlichen Truppen verlangten ihren Sold, und so entwarf er den Plan, sich des Kirchenschatzes zu bemächtigen. In Rom befand sich damals der Chartular Mauritius, vielleicht als Magister Militum und Befehlshaber des Exercitus Romanus. Dies »römische Heer« bestand aus Truppen im byzantinischen Solde, aber es war unzweifelhaft schon als Stadtmiliz eingerichtet. Mauritius nun, mit angesehenen Römern einverstanden, rief diese Söldner zusammen. Er sagte ihnen, es sei unrecht, daß Honorius so viele Schätze im Patriarchium verschlossen gehalten habe, aus denen sie selbst keine Löhnung empfangen hatten, da sogar der vom Kaiser zeitweise abgeschickte Sold dort zurückgehalten werde. Auf dies erhob sich das Volk in der ganzen Stadt und stürzte raublustig nach dem Lateran. Wir haben eine Szene vor uns, wie sie im Mittelalter nach dem Tode der Päpste gewöhnlich war. Die Dienstleute des Palasts widerstanden jedoch mannhaft, und Mauritius scheute sich, Blut zu vergießen. Er hielt drei Tage lang den Lateran belagert, berief dann die Judices, das heißt alle hohen Beamten und Magnaten Roms, und ließ nach einem von dieser Versammlung gefaßten Beschluß die kaiserlichen Siegel auf den Schatz legen. Er forderte sodann den Exarchen auf, in Person herbeizukommen und zu nehmen, was sein Herz begehre. Isaak zauderte nicht; mit Gewalt trieb er die Presbyter oder Kardinäle aus der Stadt und plünderte während seiner achttägigen Anwesenheit den Lateran vollkommen aus. Einen Teil der Beute gab er den Truppen, den andern behielt er selbst, den dritten schickte er dem Kaiser Heraclius, welcher, wie es scheint, diesen Kirchenraub nicht bestrafte.

Der Exarch war nach Rom gekommen unter dem Vorwande, die Wahl des Severinus zu bestätigen; so machte er sich wohl dessen Anerkennung mit jener Plünderung bezahlt, denn der Erwählte wurde sofort geweiht, und Isaak kehrte nach Ravenna zurück. Severinus bestieg am 28. Mai 640 den Stuhl Petri, auf dem er nur die kurze Zeit von zwei Monaten und sechs Tagen gesessen hat.

Auch sein Nachfolger Johannes IV., ein Dalmatiner, der Sohn des Scholasticus Venantius, dauerte nach seiner am 25. Dezember 640 erfolgten Ordination nur ein Jahr und neun Monate. Er hinterließ als sein Denkmal den Bau eines Oratorium neben der lateranischen Taufkapelle, von der wir hier sprechen müssen.

Das Baptisterium St. Iohannis in Fonte neben dem Lateran war ursprünglich die einzige Kapelle Roms, wo die Bischöfe am Ostersonnabend zu taufen pflegten. Es diente zum Vorbilde aller jener alten Baptisterien Italiens, die neben den Kirchen abgesondert stehen. Der Sage nach war es aus einem Saal des Palasts, wo Constantin von Silvester die Taufe erhalten hatte, erbaut worden. Dies ist gewiß, daß Sixtus III. die herrlichen acht Porphyrsäulen dort aufrichten ließ, und wahrscheinlich, daß überhaupt der heutige achteckige Bau (er wurde nachmals nur erhöht) von diesem Papst herrührt. Später hatte Hilarus in demselben Baptisterium die zwei Oratorien des Täufers und des Evangelisten Johannes angelegt, welche noch dauern. Von ihren Mosaiken hat sich ein Rest an der Decke des Oratorium des Evangelisten erhalten: Vasen, Früchte, Vögel und Ornamente, noch heidnischen Stils, der hier zum letztenmal sichtbar ist. Am Oratorium des Täufers sind die bronzenen Türen noch die ursprünglichen. Endlich hatte derselbe Hilarus ein drittes Oratorium zu Ehren des Kreuzes geweiht und auf der andern Seite die Kapelle St. Stephan erbaut.

Solche Gestalt hatte das lateranische Baptisterium, als ihm Johann IV. noch das vierte Oratorium des St. Venantius hinzufügte. Dieser Heilige, von welchem der Vater des Papsts seinen Namen trug, war ein dalmatinischer Bischof gewesen. Sodann mochte das beigelegte Istrische Schisma den Papst veranlassen, jenes Land durch die seinem Nationalheiligen erwiesene Ehre an Rom fester zu binden. Mit Venantius und dem Bischof Domnius zogen auch acht heilige slavonische Krieger in die Stadt und dies Oratorium ein. Die dort noch erhaltenen Musive aus der Zeit Johanns IV. zeigen durch ihren rohen Stil den tiefen Verfall der Malerei. Im V. und VI. Jahrhundert hatte die christliche Kunst noch von den letzten Resten des antiken Schönheitsgefühls gezehrt; aber im VII. erlosch der Sinn für Zeichnung und Form, und ein Blick auf die Mosaiken dieser und der folgenden Periode läßt die immer tiefere Barbarei Roms und des Abendlandes erkennen. Man sieht in jenem Oratorium über dem Triumphbogen die apokalyptischen Bilder der vier Evangelisten in quadratischen Rahmen, zu beiden Seiten des Bogens je vier Heilige: in der Tribune ein rohes Brustbild Christi in Wolken zwischen zwei Engeln, die rechte Hand erhebend; darunter eine Reihe von neun Figuren, deren Mitte die Jungfrau in dunkelblauem Gewande einnimmt, die Arme im Gebetstil der Katakombenbilder erhoben. Petrus und Paulus stehen ihr zu beiden Seiten: dieser trägt nicht das Schwert, sondern ein Buch, jener den Doppelschlüssel, aber auch den Pilgerstab mit dem Kreuz, wie der greise Täufer Johannes neben ihm. Es folgen hier und dort die Bischöfe Venantius und Domnius; links zum Schluß der Erbauer des Oratorium, dessen Abbild er trägt, rechts vielleicht der Papst Theodor, der Vollender des Werks. Drei Distichen bilden unter dem Musiv eine einzige Zeile.

Rom genoß übrigens fortdauernde Ruhe vor den Langobarden; denn der Krieg zwischen dem Exarchen und dem Könige Rotharis traf nur die nördlichen Provinzen, und selbst die große Schlacht an der Scultenna, in welcher achttausend Griechen getötet wurden, hatte für die Stadt keine Folgen. Alles Unheil, welches sie bedrohte, kam von Konstantinopel her, denn die theologischen Streitigkeiten mit der orientalischen Kirche steigerten den Haß der Lateiner gegen das griechische Kaisertum.

Der Machtspruch des Exarchen hatte nach dem Tode Johanns IV. einen Griechen zur Wahl gebracht: es war Theodor, der Sohn eines Bischofs von Jerusalem, welcher am 24. November 642 Papst wurde; doch er entsprach den byzantinischen Absichten nicht; überhaupt zeigte es sich, daß, so viele Griechen auch später als Päpste eingesetzt wurden, sie alle ihre Nationalität den Grundsätzen Roms aufopferten.

In die erste Zeit Theodors fiel ein Ereignis, dessen Folgen von großer Wichtigkeit hätten werden können. Der Chartular Mauritius, den wir als Räuber des Kirchenschatzes genannt haben, erhob in Rom selbst die Fahne der Rebellion. Er fand hier Volk, Adel und Heer gegen die Herrschaft der Griechen erbittert, verständigte sich mit den Römern, überredete die Besatzungen aller Kastelle im Stadtgebiet, dem Exarchen Isaak den Gehorsam zu verweigern, und die Empörung war erklärt.

Nicht nur die Truppen, sondern auch die Judices waren ihm beigetreten, so daß die Rebellion eine nationale Färbung annahm, obwohl die kluge Geistlichkeit sich von ihr ferne hielt. Allein der Aufstand wurde bald erdrückt. Der von Isaak abgeschickte Magister Militum Donus zog mit Kriegsvolk unaufgehalten in Rom ein, und Mauritius umklammerte den Altar in der Basilika der S. Maria Maggiore. Man riß ihn hinweg, um ihn mit seinen angesehensten Genossen abzuführen: schon unterwegs wurde er auf Befehl des Exarchen enthauptet und sein Kopf sodann im Circus zu Ravenna als Warnungszeichen ausgestellt. Die übrigen Gefangenen befreite aus ihrem Kerker der Tod Isaaks.

Von diesem Exarchen, einem Armenier von Geburt, gibt noch heute die griechische Inschrift auf seinem Sarkophag in S. Vitale zu Ravenna Kunde, wo ihn seine Gemahlin Susanna bestatten ließ. Sie rühmt, daß Isaak achtzehn Jahre lang Rom und das Abendland unversehrt erhalten habe als Mitstreiter der Kaiser und Strateg des Orients und Okzidents. Sein Nachfolger im Exarchat war Theodor Calliopa.

Unterdes wurde der Papst in neue Streitigkeiten mit der griechischen Kirche verwickelt, welche mit Palastrevolutionen in Konstantinopel zusammenhingen. Dort war Heraclius Constantinus, der nach dem Tode seines großen Vaters Heraclius im Jahre 641 den Thron bestiegen hatte, schon nach vier Monaten durch Gift hinweggeräumt worden, und dieses hatten ihm seine Stiefmutter Martina und, wie man glaubte, Pyrrhus, der monotheletische Patriarch, gemischt. Hierauf hatte Martinas Sohn Herakleonas den Purpur erhalten, aber das Volk erhob einen Aufstand, und beide büßten ihre Schuld durch grausame Verstümmelung und das Exil. Nun wurde Constans II., der Sohn des Heraclius Constantinus, zum Kaiser ausgerufen; Pyrrhus entfloh nach Afrika, und Paulus, ein noch eifrigerer Bekenner des einen Willens, nahm seinen Stuhl ein. Die zahlreiche Sekte der Monotheleten stammte aus der Schule des Abts Eutyches, welcher die eine Natur in Christo als Resultat der Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Physis gelehrt hatte. Nachdem die Doktrin der Monophysiten verdammt worden war, bemächtigte sich die Sophistik der Griechen derselben Frage wieder, indem sie ihr eine veränderte Gestalt gab. Man gab die Trennung der beiden Naturen zu, aber man vereinigte sie in der einen unvermischten Energie des einen Willens oder Monon Thelema. Der Patriarch Sergius von Konstantinopel, Cyrus von Alexandria, Heraclius selbst hatten sich für diese theologische Ansicht ausgesprochen, aber die heftige Bewegung, die darüber entstanden war, hatte den Monarchen vermocht, im Jahre 638 sein Edikt Ekthesis zu erlassen, welches indes vom Papst Johann IV verworfen ward. Die Christenheit spaltete sich in zwei leidenschaftlich streitende Lager: während der Orient der Ekthesis anhing, blieben Afrika und das ganze Abendland bei der orthodoxen Lehre Roms, und Pyrrhus selbst, sich stellend, als sei er durch die Beredsamkeit des Abts Maximus auf einem afrikanischen Konzil überwunden worden, schwor nicht allein den Monothelismus ab, sondern ging in Person nach Rom, um sein Glaubensbekenntnis zu den Füßen des Apostels niederzulegen.

Die Erscheinung eines reuigen Patriarchen Konstantinopels am Grabe St. Peters war ein nicht kleiner Sieg des römischen Bischofs. Pyrrhus hatte seinen Sitz freiwillig verlassen und war nicht kanonisch abgesetzt worden; der Papst pochte darauf in seinen Briefen an jene Bischöfe, welche den neuen Patriarchen Paulus geweiht hatten. Mit großer Auszeichnung empfing er Pyrrhus in der Vatikanischen Basilika vor dem versammelten Klerus und Volk; er stellte ihm einen Bischofsstuhl neben dem Hauptaltar auf. Für die Römer, deren Nationalstolz sich jetzt nur in dem Bewußtsein des Primats ihres Papsts und ihrer Kirche befriedigte, war dieses Schauspiel ein Triumph. Offenbar hoffte Pyrrhus, durch die Verbindung mit Rom seinen Patriarchensitz wiederzuerlangen; er heuchelte einen Glauben, den er nicht besaß, bis er einsah, daß er sein Ziel durch die Versöhnung mit dem Kaiser schneller erreichen konnte. Er folgte der Einladung an den Hof des Exarchen, verließ Rom und beleidigte die römische Kirche durch einen plötzlichen Widerruf und die Rückkehr zur Formel der Monotheleten. Als Theodor hiervon Kunde erhielt, versammelte er im St. Peter ein Konzil; er verdammte hier den Abtrünnigen unter schrecklichen und seltsamen Zeremonien. An das Grab des Apostels tretend, nahm er den geweihten Kelch, ließ vom »Blut Christi« einen Tropfen in die Tinte fließen und unterschrieb mit dem dareingetauchten Griffel das Anathem.

Pyrrhus mochte den Fluch des römischen Bischofs vielleicht nicht ganz verachten; er wird vielmehr seine Nächte gestört haben, als er nach dem Tode Pauls seinen Sitz in Konstantinopel wirklich wieder einnahm. Auch gegen diesen Paulus hatte Theodor den Bann geschleudert; nachdem er so mit Festigkeit den römischen Glauben verteidigt hatte, starb er am 13. Mai 649.

Er hinterließ der Stadt nur wenige Bauten, vielleicht die Vollendung jener lateranischen Kapelle seines Vorgängers und ein dem St. Sebastian geweihtes Oratorium; außerdem baute oder restaurierte er zwei Kirchen vor der Stadt, St. Valentin auf dem Coemeterium, eine Millie von der Porta del Popolo an der Flaminischen Straße, und St. Euplus vor dem Ostischen Tor, in der Nähe der Pyramide des Cajus Cestius. Beide gingen unter; St. Valentin wurde zerstört und St. Euplus wahrscheinlich in die Kirche St. Salvator in Via Ostiensi verwandelt.


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