Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Verschwörung sizilianischer Barone gegen den Kaiser und ihre Unterdrückung. Waffenglück Friedrichs. Viterbo und Florenz kommen in seine Gewalt. Zustände in Rom. Mahnbrief des Senators an den Papst zur Rückkehr. Päpstliche Belehnung der Frangipani mit Tarent. Der Kaiser will gegen Lyon ziehen. Abfall Parmas; Unglück des Kaisers. Enzius von den Bolognesen gefangen. Fall des Petrus de Vinea. Tod Friedrichs II. 1250. Seine Gestalt in der Geschichte.

Für diesen Vernichtungskrieg blieb Italien wesentlich der Schauplatz; nur mit italienischen Kräften konnte der Kaiser dort seinen Kampf fortführen. An der Spitze der Ghibellinen standen der schreckliche, zum Wüterich ausgeartete Ezzelin, Manfred Markgraf Lancia, Uberto Pallavicini, während König Enzius, Stellvertreter des Kaisers, und dessen anderer Bastard, Friedrich von Antiochien, Vikare in Tuszien und der Maritima waren. Die zur Empörung mahnenden, an die Völker Italiens gerichteten Briefe des Papsts wirkten auch in Sizilien und sogar am kaiserlichen Hof. Innocenz hoffte durch eine Verschwörung käuflicher Barone dem Kaiser die Grundlage seiner Macht in Italien zu rauben und sich des hohenstaufischen Erblandes zu bemächtigen, wohin er die Kardinäle von S. Maria in Trastevere und in Cosmedin als Legaten schickte. In Sizilien gab es Unzufriedene genug. Der unter die Gesetze des Staats gestellte, hart verfolgte Klerus, der um die Privilegien der hohen Gerichtsbarkeit gebrachte Lehnsadel, die durch den Fiskus ausgesogene Bürgerschaft boten Stoff zur Empörung dar, und diese wurde durch die wandernden Bettelmönche, die Agenten des Papsts, mit Eifer angeregt. Aber die von Friedrich in seinem Königreich begründete monarchische Macht bewies sich fest genug; das Volk und die Städte, durch manche weise Gesetze, zumal den Baronen gegenüber, für den Verlust ihrer Freiheiten entschädigt, erhoben sich nicht gegen ihren Herrn. Die Verschwörung blieb in den Kreisen des Adels, welcher sich durch Güter und Ehren gewinnen ließ. Denn eine förmliche Umwälzung des Besitzstandes fand statt; den Anhängern des Kaisers wurden Güter genommen und an die Anhänger des Papsts gegeben. Theobald Francesco, bisher Podestà von Parma, Pandulf Fasanella, Kapitän in Tuszien für den Kaiser, die Herren von Sanseverino, von Morra und Cicala machten mit dem päpstlichen Legaten einen Verschwörungsplan, wobei es auf das Leben des Kaisers abgesehen war. Er entdeckte den Anschlag, während er im März 1246 zu Grosseto im Lager stand. Pandulf und andere flüchtige Verschworene fanden vorübergehend Aufnahme in Rom, weshalb Friedrich voll Entrüstung einen Brief an die Senatoren und das Volk schrieb. Der Papst selbst, der unter Lockung des Wiedergewinns verlorener Privilegien die Sizilianer in der Sprache eines Demagogen aufreizte, gegen den »zweiten Nero« sich zu erheben, die Sklavenketten zu zerbrechen und das Glück der Freiheit und des Friedens wieder zu erlangen, förderte die Verschwörung mit Eifer. Wir lesen noch seine gewissenlosen Briefe an jene Verräter, »die herrlichen Söhne der Kirche, über welche Gott sein Angesicht leuchten läßt«.

Der Kaiser folgte den nach Apulien entronnenen Rebellen auf dem Fuß; er zermalmte sie im Juli 1246 in ihren Burgen Scala und Capaccio; dann kehrte er nach dem Norden zurück, um den Feind, wie es seine Absicht war, in Lyon selbst aufzusuchen. Das Glück zeigte sich ihm günstig genug. Seine Kapitäne waren in Tuszien und Umbrien siegreich gewesen; Marinus von Eboli hatte den Kardinal Rainer Capocci und die guelfische Liga der Peruginer und Assisinaten besiegt; Camerino kehrte unter das kaiserliche Regiment zurück, und Pisa und Siena kämpften für Friedrich wider die guelfischen Städte. Im Römischen war nicht nur Corneto durch Gefangennahme und Hinrichtung vieler Bürger schon im Jahre 1245 niedergebeugt, sondern auch Viterbo wurde durch Hungersnot gezwungen, vom Papst abzufallen und sich Friedrich von Antiochien (im Jahre 1247) zu ergeben. Derselbe Sohn des Kaisers zog sogar in Florenz ein, wo man die Guelfen verbannte und ihm die Signorie der Stadt übertrug. Dies machte Friedrich II. zum Herrn von ganz Toskana.

Die Stadt Rom blieb sich selbst überlassen. Die Chronisten schweigen über ihre Zustände während der Abwesenheit des Papsts, und auch die Namen der damals regierenden Senatoren sind ungewiß. Daß hier die guelfische Partei noch die herrschende war, zeigt der Brief eines Senators, welcher den Papst so dringend zur Rückkehr aus Lyon einlud, wie es die Römer hundert Jahre später taten, als ihre Päpste in Avignon wohnten. Schon in diesem Schreiben wird Rom, das Haupt der Welt, hauptlos ohne seinen Hirten genannt und als trauernde Witwe dargestellt, der Papst aber an die Legende von dem fliehenden Petrus erinnert, welcher dem Heiland begegnet, ihn fragt: Domine quo vadis, und die Antwort erhält, »Ich gehe nach Rom, zum zweiten Mal gekreuzigt zu werden«, worauf auch der beschämte Apostel wieder umkehrt. Die lange Abwesenheit Innocenz' IV. begann die Römer mit dem Argwohn zu ängstigen, daß ihr Papst in Frankreich bleibend seinen Thron aufschlagen könne und daß dann Rom, »die Augenbraue der Welt, das Tribunal der Gerechtigkeit, der Sitz der Heiligkeit, der Thron des Ruhms«, um seine Ehre oder um die einzige Quelle des Wohlstandes würde gebracht werden. Der Brief des unbekannten Senators war eine Ahnung Avignons, jedoch Innocenz IV. konnte dem Rufe der Römer nicht folgen, weil seine Rückkehr den Plan und das Werk seiner Flucht würde vereitelt haben. Er suchte dagegen seine Partei in Rom zu verstärken, indem er Anhänger des Kaisers auf seine Seite zog. Die Frangipani, bisher die Häupter der Ghibellinen, gewann er durch die Anerkennung ihrer Rechte auf das Fürstentum Tarent, welches einst die Kaiserin Konstanze dem Oddo Frangipane zugesagt haben sollte, Friedrich II. aber seinem Sohne Manfred gegeben hatte. Innocenz verlieh es dem Pfalzgrafen Heinrich Frangipane und gab demselben zugleich die Einkünfte des Judikats Arborea in Sardinien. So fiel jenes römische Geschlecht von den Hohenstaufen ab und wurde den Erben Friedrichs II. entschieden feind. Der Kaiser bedrängte übrigens Rom nicht mehr, denn der Gegenstand seines Hasses befand sich nicht mehr hier; er bemühte sich, den Römern zu zeigen, daß er mit dem Papst, nicht mit ihnen Krieg führe.

In Italien wieder mächtig, wollte er über Savoyen nach Lyon ziehen, die Welt im Angesicht seines Feindes von seinem Recht zu überzeugen. Wenn er an der Spitze siegreicher Scharen wirklich dorthin vorgedrungen wäre und Deutschland, wo der durch Konrad besiegte Gegenkönig Heinrich Raspe am 17. Februar 1247 seinen Wunden erlegen war, wieder unter seine Fahnen gesammelt hätte, so würde sein Kampf eine neue und größere Form gewonnen haben. Dies kühne Unternehmen, welches von weltgeschichtlicher Wichtigkeit hätte werden müssen, unterblieb, denn zu seinem Unglück zwang den Kaiser der Abfall einer bisher treuen Stadt in seinem Rücken zur Umkehr am Fuße der Savoyer Alpen, und er hielt ihn von Deutschland, dem naturgemäßen Boden seiner Macht, fern. Der Widerstand der Städte war unbezwingbar, eine jede von ihnen eine ummauerte Festung und eine jede ein selbständiger Staat von mannhaften Bürgern. Die fürchterliche Natur des Städtekriegs zersplitterte die Kraft des Kaisers; fielen einige Städte, so erhoben sich andere, und selbst die Treue freundlich gesinnter Gemeinden war unsicher, denn über Nacht konnte sich wie ein Sturmwind die feindliche Partei erheben und ihre Banner auf die Stadttore pflanzen. Der Krieg der Kaiser gegen diese wankelmütigen, trotzigen und heroischen Bürgerschaften war daher die qualvolle Arbeit des Sisyphus – ein schreckliches Einerlei von ewigen Märschen, Belagerungen, Verwüstungen der Felder und von Greueltaten jeder Art. Wir heutigen Menschen begreifen es kaum, weder wie die Geduld genialer Herrscher, noch wie das Vermögen arbeitsamer Völker diesen dauernden Zustand zu ertragen vermochte. Parma fiel am 16. Juni 1247 durch einen Handstreich in die Gewalt der von dort Vertriebenen, namentlich der Rossi, der Vettern des Papsts Innocenz. Sofort kehrte der Kaiser in Turin um und rückte gegen jene Stadt, deren Belagerung er am 2. Juli begann. Der Krieg sammelte sich um Parma; denn dorthin hatte sich Gregor von Montelongo, ein Verwandter Innocenz' III., des Papsts Legat, ein im Waffenhandwerk wie in der Diplomatie gleich geschickter Priester, mit vielem Volk guelfischer Städte und Fürsten geworfen. Die Einsicht des Kaisers verdunkelte sich, indem er sich zur Belagerung einer einzelnen Stadt entschloß, worüber Zeit, Kraft und Wirkung in das Große verloren gingen. Freilich würde die Eroberung Parmas, wo sich die Hauptmacht seiner Feinde unter den hervorragendsten Häuptern sammelte, ein großer Sieg in Italien gewesen sein.

Den Herbst und Winter über lag Friedrich vor Parma, in seiner voll Siegeshoffnung erbauten Lagerstadt Vittoria. Äußerste Not trieb endlich die Belagerten zur Verzweiflung, so daß sie während einer Abwesenheit des Kaisers auf der Jagd herausfielen: Vittoria wurde am 28. Februar 1248 ein Raub der Flammen; Tausende bedeckten das Feld; auch Thaddäus von Suessa ward erschlagen, ein tapferer Krieger und ein großer Staatsmann, einst der beredte Anwalt seines Herrn in Lyon und nun im rühmlichen Soldatentod glücklicher zu preisen als Petrus de Vinea. Tausende gerieten in die Gefangenschaft der Bürger Parmas; die Lagerbeute war groß; selbst die kaiserliche Krone kam in die Hände des Feindes; ein koboldartiger Mensch vom Pöbel trug sie unter dem Jubelgeschrei des Volks in die Stadt. Dies ist das Los aller Majestät auf Erden, daß am Ende auch der Narr in ihrem Purpur einhergehen darf. Der Tag von Parma war für die guelfischen Städte ein zweites Legnano. Lieder verherrlichten ihn. Der Glücksstern Friedrichs aber ging unter.

Als Flüchtling erschien er in Cremona, sammelte sein Heer und kehrte rachevoll in das Parmensische zurück, jedoch die guelfischen Städte leisteten ihm Widerstand. Ein Unglücksschlag folgte dem andern. Enzius, die Blume der Ritterschaft, Friedrichs Lieblingssohn, fiel am 26. Mai 1249 bei Fossalta in die Gewalt der Bolognesen; die frohlockenden Sieger führten die unschätzbare Kriegsbeute in die Mauern ihrer Stadt, und sie antworteten den Bitten wie Drohungen des Kaisers mit einem Bürgertrotz, dessen stolze Sprache das lebendigste Zeugnis von dem hohen Sinn der Republikaner jener Zeit gibt. Enzius begrub seine königliche Jugend in einer zweiundzwanzig Jahre langen Gefangenschaft und fand in ihr seinen Tod.

Der beste der Söhne Friedrichs war gefangen, der treueste seiner Räte erschlagen, und seines genialsten Ministers und Freundes beraubte ihn entweder dessen wirkliche Schuld oder eigener Argwohn, der traurige Begleiter schwindenden Glücks und wankender Herrschaft. Der Untergang des Petrus de Vinea, jenes berühmten Bürgers von Capua, der sich durch sein Genie aus dem Staube zum ersten Staatsmanne jener Zeit emporschwang, fiel als Schatten in das Leben des großen Kaisers, wie der Tod des Boëthius das Leben Theoderichs des Großen verdunkelt hatte. Beide germanischen Könige gleichen einander in dem letzten Ende ihrer Laufbahn und auch in dem schnellen und tragischen Ausgang ihres Geschlechts. Die Geschichte hat weder die Schuld noch die Todesart, noch die genaue Zeit des Falles von Petrus aufgeklärt, welchem Dante ein halbes Jahrhundert später ein unsterbliches Sühnopfer gegeben hat.

Der Kaiser war aus Toskana im Mai 1249 nach Apulien zurückgekehrt und verließ Süditalien nicht mehr. Verhältnisse, die er nicht durchbrechen konnte, hielten ihn zu seinem Unglück in dem Lande fest, wo die Entscheidung seines großen Kampfes nicht mehr ganz durchführbar war. Wenn man auch urteilen darf, daß Friedrich II. nicht unterlegen ist, daß er bis zuletzt seine Macht nicht allein in seinem Königreiche, sondern im größten Teile Italiens aufrecht gehalten hatte, so muß man dennoch bekennen, daß er den Einfluß auf die großen Weltverhältnisse verloren hatte und in Italien vereinsamt zurückgeblieben war. Der Papst freilich in Lyon fürchtete einen Umschwung zu Gunsten Friedrichs, da dieser nach der Wiedergewinnung Ravennas Herr der Marken geworden war, während die von Pallavicini und Ezzelin bedrängten lombardischen Städte ganz ermattet waren. Indes die römische Kirche hätte der Kaiser nur dann vollständig besiegen können, wenn er die deutsche Nation zum Kampfe heranführte und mit allen dem Papsttum feindlichen Richtungen in England und Frankreich einen Bund schließen konnte. Noch nicht am Ziele seines tatenvollen Lebens angelangt, erlag der unbesiegte Friedrich II. einer kurzen Krankheit am 13. Dezember 1250 in seinem Schloß zu Fiorentino bei Lucera.

Wenn es wahr ist, was alte Chronisten erzählen, so starb der große Feind der Päpste mit einem philosophischen Blick auf die Nichtigkeit aller irdischen Macht, mit christlicher Hoffnung auf die Ewigkeit, gehüllt in die Kutte der Zisterzienser und absolviert von seinem treuen Freunde, dem Erzbischof Berard von Palermo. Wir wollen es glauben, weil es menschlich ist. Das Sterbebette Ottos IV. umstanden Mönche, welche ihn auf seine flehentlichen Bitten wund gegeißelt hatten, und am Todeslager Napoleons stand ein geringer Priester, der ihm die Kommunion gereicht hatte. Der Held seines Jahrhunderts, dessen Genie die Welt mit Bewunderung erfüllte, starb nach langen Kämpfen um ihre Befreiung von der Alleingewalt des Priestertums, gleich den meisten großen Menschen von seiner Zeit nicht begriffen, verlassen und in tragischer Einsamkeit. Der Erbe seiner Kronen war fern in Deutschland im Felde gegen den Usurpator Wilhelm von Holland; an des Kaisers Lager standen sein Bastard Manfred, in dessen Armen er verschied, und der treue Erzbischof Berard. Sein Schloß hüteten Sarazenen, seine Garden. Die Bahre wurde nach Tarent geführt, von wo man den toten Kaiser zuerst nach Messina, dann nach Palermo überschiffte. Im dortigen Dom ruht er in seinem Grabmal von Porphyr.

Die Leidenschaften, welche der gewaltige Kampf Friedrichs II. mit dem Papsttum erregte, werden noch heutigen Tags in den Urteilen der Welt gespürt. Es gibt eine guelfische und eine ghibellinische Ansicht über ihn, denn jene beiden Parteien leben noch in andern Formen fort, und sie werden noch so lange dauern, als das Prinzip ihres Gegensatzes besteht. Die niedrigste Auffassung vom Wesen Friedrichs II. ist jene der kirchlichen Partei seiner eigenen Zeit. Es ist begreiflich, daß ein Innocenz IV. in seinem großen Gegner nur den Antichrist, einen Pharao und Nero erblickte; denn der evangelische Begriff der Kirche war längst verfälscht, und wo Priester von ihr reden, darf man unter ihr nur die Hierarchie oder das Papsttum verstehen. Aber es ist wohl befremdend, daß jenes Urteil priesterlichen Hasses aus längst vergangenen Tagen noch in der heutigen Geschichtschreibung ein Echo gefunden hat. Die Ansicht des Denkers mildert der ruhige Blick in die Weltordnung, deren Gegensätze, welchen Parteinamen immer sie in der Zeit haben, sich in der Sphäre der Ideen zu den dienenden Mächten der höchsten die Welt durchbildenden Vernunft gestalten. Die lange Reihe zum Teil großer Päpste, welche vom menschlichen Glauben mit der religiösen Gewalt bekleidet, die Freiheit der Kirche vom politischen Gesetz mutig erkämpft haben, gewährt ein so bewundernswürdiges Schauspiel wie die Reihe jener ruhmvollen, um die Menschheit hochverdienten Kaiser, die von demselben Glauben mit der Majestät ziviler Macht bekleidet, die Freiheit des Weltgeistes gegen die ausgeartete Kirche verteidigten. Innocenz IV. sammelte in sich die Reihe von jenen und die Resultate ihrer Anstrengungen, Friedrich II. die Reihe und die Resultate von diesen. Die mittelalterliche Welt war ihrem Ideale nach ein kosmisches System, dessen Zusammenhang und Einheit, ja selbst dessen philosophischer Gedanke unsere Gegenwart zur Bewunderung zwingt, weil die Menschheit dies ausgelebte System noch nicht durch eine gleich harmonische Verfassung hat ersetzen können. Als eine in sich abgerundete Sphäre hat jene Welt des Mittelalters zwei Pole, Kaiser und Papst. Die Verkörperung der die damalige Menschheit lenkenden Prinzipien in diesen beiden Weltfiguren wird ein ewig staunenswürdiges, ein nie mehr wiederholbares Erzeugnis der Geschichte bleiben. Sie waren wie zwei Demiurgen, zwei Geister des Lichts und der Macht, in die Welt gesetzt, jeder seine Sphäre zu regieren, Schöpfungen des sich fortsetzenden, im Medium irdischer Notwendigkeit getrübten Kulturgedankens des römischen Weltreichs und der christlichen Weltreligion. Indem der eine die bürgerliche, der andere die geistliche Ordnung darstellte, der eine die Erde, der andere den Himmel vertrat, entstand dieser die Menschheit bildende, die Jahrhunderte erfüllende und zusammenhaltende Titanenkampf des Mittelalters, das großartigste Schauspiel aller Zeiten. Friedrich II. war dessen letzter Held. Er war mit allen Fehlern und Tugenden der vollständigste und genialste Mensch seines Jahrhunderts und der Vertreter von dessen Kultur.

Man hat indes Friedrich II. seiner eigenen Zeit zu weit entrückt, indem man ihm den Plan zuschrieb, die bestehende Verfassung der Kirche zu zerstören und die königliche wie priesterliche Gewalt in sich selbst als Papst-Kaiser zu vereinigen. Eine Kirche ohne Papst war den Staatsbegriffen jener Zeit gänzlich fremd. Die Vorstellung von den beiden Weltlichtern blieb ein anerkanntes Symbol, und weder hat je ein Kaiser den Gedanken gehabt, das Papsttum zu zerstören, noch ein Papst diesen, das Reich zu vernichten. Sie anerkannten der eine den andern als die höchste geistliche und die höchste weltliche Macht, aber sie kämpften miteinander um die Ausdehnung ihrer Gewalt. Das religiöse Bewußtsein Friedrichs, des furchtbaren Feindes der politischen Ausartung des Papsttums, war so gut katholisch wie die Überzeugung des ghibellinischen Dante. Er hat die apostolische Gewalt im Papst nicht bestritten; aber er rief den Fürsten zu: »Helft uns mutig im Kampfe gegen die boshaften Priester, auf daß wir ihren Hochmut brechen und der heiligen Kirche, unserer Mutter, würdigere Vorsteher geben; denn dies gebührt unserem kaiserlichen Amt, und es ist unser aufrichtiger Wunsch, sie zur Ehre Gottes zu reformieren.« Hier erscheint das Wort »Reformation« im Munde Friedrichs II.; jedoch er verstand darunter nur die Befreiung des Kronrechts von dem Kirchenrecht, die Trennung der weltlichen von der geistlichen Gewalt, die Beschränkung des Priestertums auf das apostolische Amt, die Säkularisation der Kirche nach den von den Ghibellinen anerkannten Ideen Arnolds von Brescia und die Herstellung des königlichen Investiturrechts, wie er es in Sizilien vollzogen hat. Ein weiter Weg trennte noch die Menschheit von den Bekenntnissen zu Augsburg und Worms; ein langer geistiger Prozeß war noch durch die scholastische und klassische Wissenschaft zu führen, bis Deutschland dort anlangte. Die Trennung Deutschlands von der römischen Kirche geschah durch die Reformation; diese aber entsprang nicht in einer gegebenen Zeit, sondern ihre Entwicklung reicht als eine Kette von Ursachen bis zum Evangelium hinauf, und die lange Reihe von Kaisern, welche den Investitur- und Reichskampf wider die Alleingewalt Roms gekämpft haben, führt als geschichtliche Voraussetzung geradezu auf die deutsche Reformation. In den Kämpfen Friedrichs II. wider das maßlos gewordene Papsttum wurden demnach viele neue Keime der Reformation in Europa ausgestreut.

Friedrich II., konservativster Vertreter des alten Reichsprinzips und ein Neuerer zugleich, schritt hier seiner Zeit voraus und verleugnete sie dort. Darf man sich verwundern, daß er noch an das Ideal des römischen Kaisertums glaubte, wenn dasselbe noch ein Jahrhundert nach ihm den edelsten Geistern Italiens als das fortdauernde legitime Reich der Römer, als die nicht unterbrochene Weltordnung und als der Begriff aller menschlichen Kultur erschien? Denn dies war noch der geniale Irrtum Dantes und Petrarcas. Eine erhabene Tradition, durch die Jahrhunderte fortgepflanzt, eine theokratische Anschauung von der Weltverfassung und der Einheit des Menschengeschlechts, in der sich unter den Germanen, die das Römerreich aufgelöst hatten, das Bedürfnis einer gesetzlichen Form des Weltlebens neben der Einheit der Religion Ausdruck gab, ein großes Kulturideal und ein kosmopolitischer Begriff, der nie zur vollen Wirklichkeit ward, beherrschte mit der Festigkeit eines Dogma das ganze Mittelalter; und dies Vorstellen dauerte noch, als die romanischen und die germanischen Nationen, welche einander die zwei Weltcharaktere, Kaiser und Papst, zugeteilt hatten, durch lange Entwicklungsprozesse eigene Staatsformen, Gesetze, Nationalität und Nationalsprache erworben hatten. Die lateinische Rasse hatte im Zeitalter Friedrichs II. ihre germanischen Bestandteile in sich aufgezehrt und stellte sich jetzt diesseits der Alpen als eine neue, eigenartige, die italienische Nation dar. Sie war vom alten Übergewicht der germanischen Feudalität frei geworden, weil sie in der Gemeindeverfassung und im römischen Recht sich selbst wiedergefunden hatte. Der demokratische Nationalgeist, mit dem sich die Kirche verband, protestierte daher sowohl gegen die Wiederherstellung des germanischen Feudalprinzips in Italien durch Heinrich VI. als gegen das neue monarchische Prinzip Friedrichs II.; und das Programm der Ghibellinen, der politischen Legitimisten jener Zeit, Italien auf Kosten seiner nationalen Unabhängigkeit und Städtefreiheit das zweifelhafte Glück monarchischer Einheit durch einen fremden Kaiser zu geben, war nicht höher berechtigt als der wilde Freiheitsdrang der Guelfen, die nur aus Not und Vorteil ihre Stütze in dem natürlichen Gegner des monarchischen Prinzips in Italien, dem Papste, suchten.

Friedrich II. beschloß die Epoche jenes altgermanischen Reichs, welches sich diesseits und jenseits der Alpen ausgelebt hatte, und ließ die Kirche und die guelfische Partei im Besitze des Sieges und der Zukunft; er beschloß jenes Reich aber in einer neuen Gestalt als der erste eigentliche Monarch, der Gründer eines Staatsprinzips einheitlicher Regierungsgewalt, der erste Fürst, welcher seinem Volk ein geordnetes Gesetzbuch gab, den Kampf des Königtums gegen die Feudalität begann und den dritten Stand zu den Parlamenten berief. In seinem Erblande Sizilien war es, wo er die Praxis seiner Grundsätze vollzogen hat, nach welchen sowohl die feudalen als die demokratischen Ungleichheiten in der Monarchie aufgehoben sein sollten. Die Zeit ergriff die monarchischen Tendenzen und entwickelte langsam den modernen Staat. Auf diesen neuen Wegen für den alten Kampf mit der päpstlichen Hierarchie geschah es, daß fünfzig Jahre nach Friedrich II. die französische Monarchie durch die Kraft des Staatsrechts, durch das Prinzip der nationalen Unabhängigkeit und durch den Willen der vereinigten Landesstände das innocentianische Papsttum und die mittelalterliche Papstgewalt überhaupt wirklich überwinden konnte.


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